Die verheerenden Folgen der gewöhnlichen körperlichen Züchtigung zu erzieherischen Zwecken in Frankreich

Posted on Posted in Gewalt

Die gewöhnliche körperliche Züchtigung zu erzieherischen Zwecken (im französischen „Violence éducative ordinaire“, abgekürzt VEO) umfasst jegliche missbräuchliche Machtausübung, die ein Erwachsener in einer dominanten Position gegenüber einem Kind ausübt. Dazu gehören auch Hiebe, Schläge auf das Hinterteil, Ohrfeigen, Bestrafungen, physische und psychische Erniedrigungen. Sie beinhalten auch nicht eingehaltene Versprechen, Erpressung, Manipulationen, Vernachlässigung… (OVEO 2008). Die körperliche Bestrafung hat verhängnisvolle Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Und sie wird zu einem erheblichen Teil durch das französische Gesetz autorisiert.

Ein Schritt vorwärts, drei Schritte zurück …

Am 22. Dezember 2016 hatte das Parlament im Rahmen des Projekts Loi Egalité et Citoyenneté (Gesetz über Gleichheit und Bürgerschaft) für das Verbot von sogenannter gewöhnlicher Gewalt zu erzieherischen Zwecken gestimmt. Artikel 222 des neuen Gesetzestextes schloss jede grausame, herabsetzende und erniedrigende Behandlung aus, dabei auch jede körperliche Züchtigung, auch die zu sogenannten erzieherischen Zwecken, die bisher nicht enthalten war.

Mit diesem Verbot schloss sich Frankreich endlich den 51 Staaten in der Welt an, darunter 32 in Europa, die ein solches Gesetz verabschiedet haben. Man stellte damit zumindest teilweise (denn zurzeit ist keinerlei Sanktion vorgesehen) eine Sache ab, wegen der Frankreich im März 2015 vom Europarat gerügt worden war. Diese Rüge besagt, dass Frankreich kein ausreichend klares, verbindliches und präzises Verbot von körperlicher Bestrafung vorsieht und so den Artikel 17 der Europäischen Sozialcharta verletzt, der ausführt, dass deren Unterzeichner Kinder und Erwachsene vor Vernachlässigung, Gewalt und Ausbeutung zu schützen haben (Durand, 2016).

Das war, selbst wenn nur symbolisch, ein beachtlicher Fortschritt für die Kinderrechte. Aber er hat nicht lange gehalten, denn nur einen Monat später hat das französische Verfassungsgericht die Novellierung aufgehoben und bezeichnete sie als juristischen Winkelzug, der keinen Bezug zu dem Hauptgegenstand des Gesetzes habe (Battaglia, Dupont, Jacquin, Rey-Lefebvre, 2017).

In Frankreich sieht das Gesetz nur die Bestrafung von schwerwiegenden Misshandlungen vor. Für zahlreiche Eltern zählt der Klaps auf den Hintern nicht zur Prügelstrafe: 50% der Eltern schlagen ihre Kinder ab dem Alter von 2 Jahren, 85% bevor diese 5 Jahre alt sind (Peyrach, 2016). Indes ist die gewöhnliche körperliche Züchtigung zu erzieherischen Zwecken nicht nur kontra-produktiv ist, sondern beeinträchtigt auch – manchmal sogar erheblich – die gelungene psychische und körperliche Entwicklung des Kindes.

Physische Konsequenzen..

Diese Gewalt zu erzieherischen Zwecken wird als ‚gewöhnlich‘ bezeichnet, weil sie als banal, meist täglich, normal und toleriert verstanden und bisweilen von der Gesellschaft unterstützt wird (Gueguen, 2014).
Dr. Catherine Gueguen, Kinderärztin am Institut Franco-Britannique von Levallois-Perret, ist auf gewaltfreie Kommunikation und Elternbeihilfe spezialisiert. Sie ist Autorin des Buches „Pour une enfance heureuse, repenser l’éducation à la lumière des dernières découvertes sur le cerveau“ (Für eine glückliche Kindheit, Erziehung neu denken angesichts der neuesten, das Gehirn betreffenden Erkenntnissen ), das zeigt, inwieweit die gewöhnliche körperliche Züchtigung zu erzieherischen Zwecken das Gehirn daran hindert, sich optimal zu entwickeln. Man erfährt, dass Kinder, denen regelmäßig der Hintern versohlt wird, gewalttätiger sind als andere, die dies nicht erfahren.

Mehrere Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen VEO und Syndromen wie Hyperaktivität, Aggressivität, anti-sozialem Verhalten, Kriminalität, etc. bewiesen. Diese Untersuchungen haben sich auf sogenannte normale‘ Familien konzentriert, d.h. Familien mit drogenabhängigen oder depressiven Eltern oder solche mit grenzwertigem Verhalten ausgenommen. Sie zeigen klar und deutlich, dass ein Kind umso gewalttätiger wird, je mehr es der Gewalt ausgesetzt ist (Taylor, Manganello, Lee, Rice, 2010). Harte Schläge mit Gürtel, Riemen oder anderen Gegenständen haben wissenschaftlich messbare schädliche Nachwirkungen. Eine in Harvard durchgeführte Untersuchung aus dem Jahr 2009 hat herausgefunden, dass das Gehirn einer Person, die als Kind mit einem Gürtel verprügelt wurde, eine Reduzierung des Volumens des präfontalen Cortex zeigt, der Einfluss hat auf Empathie, auf die Befähigung, seine Handlungen zu reflektieren, auf Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen (Tomoda et al., 2009)

Und psychische …

Die gewöhnliche körperliche Züchtigung zu erzieherischen Zwecken bringt eine Fülle von psychischen Problemen mit sich, von denen sich manche erst recht spät im Erwachsenenalter bemerkbar machen: Depressionen, Angststörungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Mangel an Selbstvertrauen, Manien etc. Eine auf Angst basierte Erziehung kann nicht zu den erhofften Ergebnissen führen. Ein Kind sieht seine Eltern vor allem als Vorbild und schenkt ihnen volles Vertrauen. Aber wenn diese ihre Missbilligung oder Enttäuschung durch Wut und Gewalt zum Ausdruck bringen, verschwimmt die Botschaft: Das Kind fühlt sich verunsichert, es ist ängstlich und zweifelt. So treten Realitätsverzerrungen und Gefühlsverirrungen auf. Die Menschen, die es lieben, es ermutigen und schützen, sind auch diejenigen, die es schlagen, erniedrigen und herabsetzen. Natürlich sind Schläge auf den Po nicht die einzig Verantwortlichen. Jegliche Bedrohungen, Beschimpfungen, Erpressungen sind schädlich für die gelungene Entwicklung eines Kindes und bringen ihm nur Niederträchtigkeit und Verlogenheit bei, denn ein geschlagenes oder erniedrigtes Kind gehorcht Anordnungen nur deshalb, weil es Angst hat und setzt seinen Unfug im Verborgenen fort.

Eine Veränderung ist notwendig

Unsere Kinder lernen am Beispiel. Auf der ganzen Welt wird weitgehend zugelassen, dass Schläge zur Erziehung eines Kindes gehören. 14% der Franzosen sagen, dass sie in ihrer Kindheit Opfer verschiedener Formen von Misshandlung waren (Enfant Bleu, 2015), während sich 70% gegen ein Anti-Prügelstrafe-Gesetz aussprechen (Kovacs, 2015). Dennoch sterben in Frankreich zwischen 600 und 700 Kinder jedes Jahr auf Grund von Misshandlungen innerhalb der Familie, das bedeutet 2 Kinder pro Tag (L’Enfant bleu Toulouse, n.d.). Selbst wenn es in diesem Stadium nicht mehr „um einen Klaps auf das Hinterteil“ geht, bedeutet das Nicht-Erlassen eines Gesetzes gegen VEO die familiäre Gewalt zu autorisieren, die jeder als eine persönliche Angelegenheit betrachtet und die sich in manchen Fällen als massiv herausstellt.. Im Gegensatz zu der verbreiteten Meinung kann man seine Kinder ohne Gewalt erziehen, ohne dass sie nicht mehr zu bändigen wären. Ganz im Gegenteil, Kinder, die sich respektiert fühlen, erweisen sich im Durchschnitt als respektvoller und empathischer und haben mehr Vertrauen.

Weil die Zukunft unseren Kindern gehört und weil es an uns ist, ihnen alle Möglichkeiten zu geben, zu ausgeglichenen und glücklichen Erwachsenen heranzuwachsen, müssen wir uns den verheerenden Folgen der gewöhnlichen körperlichen Züchtigung zu erzieherischen Zwecken und deren Nutzlosigkeit bewusst sein. Eine von Dr. Catherine Gueguen, den Organisationen Observatoire de la violence éducative ordinaire und Stop Veo sowie Enfance sans violence ins Leben gerufene Petition, um den Artikel 222 des Gesetzes Egalité et Citoyenneté wieder einzusetzen, ist aktuell im Internet unter Change.org verfügbar.

Für weitere Informationen (Französisch) :
www.oveo.org
www.alice-miller.com
stopveo.org/

Geschrieben : Enaëlle Deschamps
Übersetzt von : Susanne Schröder
Korrekturgelesen von : Ines Kaltenbach (Jomot – Service de Langues & communication)

 

 

Battaglia, M., Dupont, G., Jacquin J. B., Rey-Lefebvre, I. (26/01/2017). l’amendement contre la fessée censurée par le Conseil Constitutionnel. [article de journal en ligne] Récupéré sur Le Monde: http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/01/26/fessee-ecole-hors-contrat-hlm-le-conseil-constitutionnel-censure-des-dispositions-du-texte-egalite-et-citoyennete_5069736_823448.html

Durand, A.-A. (13/07/2016). La fessée est interdite dans 51 pays…mais pas en France. [article de journal en ligne] Récupéré sur Le Monde: http://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2016/07/13/la-fessee-bientot-interdite-en-france-elle-l-est-deja-dans-49-pays_4968864_4355770.html

Enfant Bleu (3/02/2015) Grand sondage Harris-L’Enfant Bleu sur la maltraitance en France. [en ligne] Récupéré sur Enfant Bleu: http://www.enfantbleu.org/actualites/grand-sondage-harris-lenfant-bleu-sur-la-maltraitance-en-france

Gueguen, C. (2014). Pour une enfance heureuse. Paris: Robert LAFFONT.

Kovacs, S. (13/03/2015) Interdiction de la fessée : 70% des Français disent non. récupéré sur Le Figaro: http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2015/03/13/01016-20150313ARTFIG00402-interdiction-de-la-fessee-70-des-francais-disent-non.php

L’Enfant bleu Toulouse (n.d.) Quelques chiffres sur la Maltraitance en France. Récupéré sur L’enfant bleu Toulouse: http://www.lenfantbleutoulouse.fr/quelques-chiffres-sur-la.html

OVEO (2008) La Violence Educative Ordinaire, qu’est-ce que c’est ? [en ligne] Récupéré sur le site d’OVEO: http://www.oveo.org/la-violence-educative-ordinaire-quest-ce-que-cest/

Peyrach, A. (02/07/2016). La France pourrait finalement interdire la fessée. [article de journal en ligne] Récupéré sur Le Figaro: http://www.lefigaro.fr/actualite-france/2016/07/02/01016-20160702ARTFIG00107-la-france-pourrait-finalement-interdire-la-fessee.php

Taylor, C. A., Manganello, J., Lee, S. J., Rice, J, C, (2010). Mother’s spanking of 3-year-old children and subsequent risk of children’s agressive behavior. Pediatrics, 125, pp. 1057-1065

Tomoda, A.,.Suzuki, H., Rabi, K., Sheu, Y-S., Polcari, A., Teicher, M., (08/2009) Reduced prefrontal cortical gray matter volume in young adults exposed to harsh corporal punishment. Neuroimage, 47(suppl. 2), pT66-T71