Die Kinder auf Madagaskar

Realisierung der Kinderrechte auf Madagaskar

Die Not der Kinder auf Madagaskar wird seit 2012 immer größer. Die politische Instabilität im Land verhindert die Entwicklung und Implementierung relevanter Maßnahmen und Gesetze zur Förderung von Kinderrechten. Für Kinder besteht ein Risiko für Frühverheiratung, Kinderarbeit, Sextourismus und geschlechtsspezifische Gewalt. Außerdem sind sie mit den Folgen des Klimawandels, mit Diskriminierung und mit Gewalt konfrontiert. All dies ist eine große Gefahr für madagassische Kinder.

Index der Realisierung von Kinderrechten: 5,63/10
Schwarze Stufe:
sehr Schwierige Situation

Bevölkerung: 28,4 Millionen
Bev. 0-14 Jahren: 40,36 %

Lebenserwartung: 66,68 Jahre
Kindersterblichkeit: 50,6 

Madagaskar auf einen Blick

Madagaskar ist eine Insel, die sich an der südöstlichen Küste Afrikas im Indischen Ozean befindet. Die Insel ist berühmt für ihre einzigartige Tierwelt, ihre Biodiversität, ihren Reichtum an natürlichen Ressourcen und ihre Naturlandschaft (BBC Monitoring, 2019). Die madagassische Wirtschaft stützt sich auf den Anbau von Nutzpflanzen, wie zum Beispiel Kaffee, Vanille, Nelken und Rohreis. Trotz dieses Reichtums an natürlichen Ressourcen und einer erfolgreichen Tourismusbranche ist Madagaskar immer noch eines der ärmsten Länder der Welt, das stark von Entwicklungshilfe abhängt (BBC Monitoring, 2019). 75 % der Bevölkerung leben von weniger als 1,90 Dollar am Tag (UN News, 2020). 

Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 begannen turbulente Jahre in Madagaskar, die von Staatsstreichen, politischer Instabilität, gewaltsamen Unruhen und umstrittenen Wahlen geprägt waren. Der jüngste Staatsstreich 2009 hatte einen fünfjährigen politischen Stillstand und wirtschaftliche Sanktionen zur Folge (BBC Monitoring, 2019). Der Humankapitalindex Madagaskars gehört zu den niedrigsten auf der Welt. Das Land weist die vierthöchste Rate bei chronischer Mangelernährung auf.  Jedes zweite Kind unter 5 Jahren leidet an Wachstumsstörungen (The World Bank, 2020). 

Die Naturlandschaft Madagaskars ist anfällig für Naturkatastrophen und für die Folgen des Klimawandels. Das hat schlimme Auswirkungen auf das Land: jedes Jahr gibt es bis zu 3 Zyklone (The World Bank, 2020). 2020 verschlimmerte sich die sozioökonomische Situation der Menschen auf Madagaskar durch mehrere Naturkatastrophen wie Dürre im Süden und Überschwemmungen im Norden und durch Krankheiten wie Covid-19, Denguefieber, Masern und Malaria, die sich schnell im Land ausbreiteten. 

Status der Kinderrechte [1]

Durch die anhaltenden Auswirkungen der politischen Unruhen und des Klimawandels befinden sich die Kinderrechte auf Madagaskar in einer prekären Lage. Wegen verschiedener anhaltender Probleme, wie zum Beispiel Kinderehe, Armut, eingeschränkter Zugang zu Bildung, sexuelle Ausbeutung madagassischer Kinder zu kommerziellen Zwecken, Gewalt gegen Kinder und Diskriminierung, plant Madagaskar die Implementierung zahlreicher nationaler Maßnahmen in Einklang mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs).

Madagaskar hat die UN-Kinderrechtskonvention 1990 ratifiziert. Diese ist ein integraler Bestandteil des nationalen Rechts, das 1991 in Kraft getreten ist (Child Rights International Network, 2012). Obwohl die Kinderrechtskonvention rechtlich und verwaltungstechnisch bindend ist, weiß man über deren Umsetzung in der Praxis nicht viel. 2000 unterzeichnete Madagaskar das Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zur Beteiligung von Kinder an bewaffneten Konflikten und das Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie. Beide wurden 2004 ratifiziert (Forowicz, 2003).

Madagaskar ist Teil weiterer Menschenrechtsabkommen. 1971 ratifizierte das Land den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Außerdem unterzeichnete es 2001 das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, ratifizierte es jedoch nicht (Forowicz, 2003). Auf regionaler Ebene ist Madagaskar Teil der Afrikanischen Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes, welche 2005 unterzeichnet und ratifiziert wurde, und der Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und Völker, die 1992 unterzeichnet und ratifiziert wurde (Forowicz, 2003). 

Trotz dieser positiven Verpflichtungen haben internationale Expertengremien wie der Ausschuss für die Rechte des Kindes angemerkt, dass die politischen Unruhen negative Auswirkungen auf die Implementierung und Entwicklung von Gesetzen und Maßnahmen zur Förderung von Kinderrechten auf Madagaskar hatten und immer noch haben  (Committee on the Rights of the Child, 2012). In den Abschließenden Beobachtungen des Ausschusses über Madagaskar aus dem Jahr 2012 wurde die Reform des Strafgesetzbuches in Bezug auf die Bekämpfung von Sextourismus und Kinderhandel anerkannt (Child Rights International Network, 2012).

Jedoch gibt es immer noch eine Lücke zwischen Gesetz und Realität. Der Ausschuss stellte fest, dass die Gesetze in Bezug auf die Diskriminierung von Zwillingen, Mädchen, Kindern mit Behinderungen, Kindern, die an HIV/AIDS leiden, Gewalt gegen Kinder und sexuelle Ausbeutung unzureichend angewendet werden (Child Rights International Network, 2012). 

Auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen 

Recht auf Bildung 

Die Verfassung Madagaskars garantiert das Recht auf kostenlose Grundschulbildung für jedes Kind. Dies zeigt sich an der Verpflichtung der Regierung, die Ziele der internationalen „Bildung für alle“-Kampagne (EFA) der UNESCO zu erreichen. Die EFA-Initiativen finanzierten die Rekrutierung von neuem akademischen Personal, den Bau von Schulen, eine Aufstockung von Schulunterlagen und die Errichtung von Schulkantinen. Durch diese Initiative stieg die Anzahl der Lehrer und Lehrerinnen von 8.300 im Jahr 2003 auf 60.000 im Jahr 2011 dramatisch an (Education Development Trust. Government of Madagascar. UNICEF, 2016). 

2009 hatten politische Unruhen jedoch drastische Auswirkungen auf die Bildung. Die niedrigen Einschulungsquoten sind eine direkte Folge von Armut und einem Mangel an Schulen und ausgebildeten Lehrern. Durch steigende Armut und den Verlust von Jobs sahen sich Kinder gezwungen, verschiedenen Arten von Kinderarbeit nachzugehen, da ihre Eltern sie finanziell nicht mehr unterstützen konnten (ECPAT Netherlands, 2014). Als Teil der von der Weltbank finanzierten Projekte 2020 wurden durch das Projekt „Madagascar Emergency Support to Education for All“ (PAUET) 266 Klassenzimmer errichtet. Durch monatliche Barüberweisungen haben 98.000 Kinder jetzt Zugang zu Bildung (The World Bank, 2020). 

Der Ausschuss für die Rechte des Kindes zeigte sich besorgt über die Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen und empfahl der Regierung, Programme zur Überwindung von Ungleichheit beim Zugang zu Bildung zu stärken und umzusetzen. Im Grundschulbereich erfahren Kinder mit Behinderungen mehr Unterstützung. Im Sekundarschulbereich gibt es weniger Einrichtungen für solche Kinder. In der Vergangenheit wurden Bildungseinrichtungen für Kinder mit Behinderungen meistens von den Kirchen finanziert (Education Development Trust. Government of Madagascar. UNICEF, 2016).

Die Identifizierung von Behinderungen basierte auf körperlichen Beeinträchtigungen, aber Eltern informieren die Schule oft nur zögerlich über die Behinderung ihres Kindes, da sie Angst vor Ablehnung haben. In der madagassischen Kultur wird eine Behinderung als Ergebnis von Hexerei gesehen (Education Development Trust. Government of Madagascar. UNICEF, 2016). Fehlender Zugang zu Schulen, Mangel an Transportmitteln oder finanziellen Ressourcen, um die Schule zu erreichen, erschwert den Zugang zu Bildung für Kinder mit Behinderungen

Aufgrund von Covid-19 mussten die Schulen zwischen April und August 2020 schließen. Dadurch sind Kinder einer erhöhten Gefährdung durch Ausbeutung, Frühverheiratung, Gewalt und Kinderarbeit ausgesetzt. Zusätzlich zu den verheerenden Folgen für die Gesundheit, die durch das schlechte öffentliche Gesundheitssystem und die unzureichenden sanitären Einrichtungen noch verschlimmert werden, hat die Pandemie die eklatanten Schwachstellen in den Systemen des Landes zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Ausbeutung aufgezeigt (UNICEF, 2020).

Recht auf Gesundheit 

Sowohl gesundheits- als auch klimabedingte Notsituationen stellen eine erhebliche Gefahr für die am meisten gefährdeten Kinder auf Madagaskar dar. Ausbrüche von Masern und saisonale Ausbrüche der Lungenpest gehören zu den Gesundheitsnotfällen, von denen madagassische Kinder betroffen sind. 2018 wurden 15.000 Masernfälle gemeldet. 74 % von diesen betrafen Kinder zwischen 1 und 14 Jahren (UNICEF, 2019). 

Ungefähr die Hälfte der Kinder auf Madagaskar leiden an Mangelernährung, was zu Wachstumsstörungen und schwerem Muskelschwund führt, weil diese Kinder die Nährstoffe, die sie zum Wachsen brauchen, nicht erhalten (UNICEF, 2019). Das Welternährungsprogramm (WFP) merkte an, dass sich die Lage für die Menschen in der aktuellen saisonalen Unsicherheit (auch bekannt als „magere Jahreszeit“) noch verschlechtert hätte, sodass 700.000 Menschen derzeit hungern müssten. Trotz der Bemühungen des WFP, das seitdem für 230.000 Menschen Ernährungshilfe leistete, leiden im Land immer noch 11,4 Millionen Menschen an Unterernährung (UN News, 2020). Madagaskar hat weltweit die fünfthöchste Rate bei chronischer Mangelernährung (UNICEF Madagascar, 2018). 

Auf Madagaskar ist nach Schätzungen der Tod von einem von fünf Kindern direkt auf Umweltverschmutzung zurückzuführen. Kinder sind durch Autos von Verschmutzung betroffen. Auch Innenraumverschmutzung ist ein großes Problem, da Kohleofen verwendet werden und das Wasser wegen offener Defäkation durch Bakterien verseucht ist. Offene Defäkation betrifft 86 % der Haushalte auf Madagaskar (UNICEF, 2019). Weniger als eines von drei Kindern ist gegen Kinderlähmung geimpft, sodass es jedes Jahr zu einem Ausbruch dieser Krankheit kommt. Der Masernausbruch 2020 tötete über 1.200 Kinder (UN News, 2020). 

In den vergangenen 15 Jahren hat Madagaskar Fortschritte in der Reduzierung der Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren von 8,8 % im Jahr 2004 auf 5,06 % im Jahr 2019 erzielt (The World Bank, 2021). Über 20 % der Kindersterblichkeit unter 5 Jahren auf Madagaskar ist auf Lungenentzündungen zurückzuführen. Diese sind die häufigste Todesursache bei Kindern, gefolgt von Malaria, ernährungsbedingten Faktoren und Durchfallerkrankungen

Recht auf sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen 

Madagaskar ist weltweit auf dem drittletzten Platz in Bezug auf die Verwendung von hygienisch bedenklichem Wasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen. Nur 36 % der Landbevölkerung hat Zugang zu verbesserten Wasserquellen. Madagskar liegt damit weltweit auf dem achtletzten Platz. Kinder haben nur begrenzten Zugang zu sauberem Trinkwasser und ihre Hygienegewohnheiten sind mangelhaft. Das ist sehr besorgniserregend, da dies in direktem Zusammenhang mit Durchfallerkrankungen und chronischer Mangelernährung steht, von denen Kinder unter 5 Jahren besonders häufig betroffen sind (UNICEF Madagascar, 2018).

Wegen schlechter Sanitäreinrichtungen praktizieren 40 % der Kinder immer noch offene Defäkation. 93 % des Trinkwassers in ländlichen Gebieten ist durch E-coli-Bakterien verseucht (UN News, 2020). Dadurch und durch schlechte Ernährung sind 42 % der Kinder chronisch unterernährt. Die bakterielle Wasserbelastung ist ein Problem, das die Mehrheit der madagassischen Kinder betrifft. Verunreinigtes Wasser führt zu Parasiten und Durchfallerkrankungen bei Kindern auf Madagaskar (UNICEF, 2019). 

Recht auf Identität 

Der  Ausschuss für die Rechte des Kindes bezeichnete  in seinen Abschließenden Beobachtungen über Madagaskar aus dem Jahr 2012 die Geburtenregistrierung als eine große Herausforderung und zeigte sich besorgt über die niedrigen Raten bei der Geburtenregistrierung. Der Ausschuss erkannte jedoch an, dass durch das Nationale Programm zur Verbesserung der Geburtenregistrierung (EKA) Fortschritte gemacht wurden (Committee on the Rights of the Child, 2012). 

Risikofaktoren → Landesspezifische Herausforderungen 

Kinderausbeutung 

Seit 2011 nimmt der Kinder-Sextourismus zu. Dadurch nahm auch Kinderprostitution und Kinderausbeutung zu. Die wichtigsten „Push-Faktoren“ sind Armut, mangelnder Zugang zu sozialen Dienstleistungen, mangelnde wirtschaftliche Möglichkeiten und eine erhöhte Schulabbrecherquote, wohingegen „Pull-Faktoren“ unter anderem eine erhöhte Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen sowie eine Zunahme krimineller Netzwerke sind.

In den Küstenstädten sind „vazaha“ (sexuelle Beziehungen mit einem Ausländer) für Mädchen Symbol für Erfolg und Prestige und stellen die vorherrschende Form sexueller Ausbeutung im Land dar (United Nations General Assembly, 2013). Kinder, vor allem Mädchen, gehen der Sexarbeit nach, um ihre Familien zu unterstützen oder um Geld für ihre Bildung aufzubringen. Sextourismus ist in Küstenstädten wie Nosy Be, Tamatave, Diego Suarez und Antananarivo weit verbreitet (ECPAT Netherlands, 2014). 

Die Ausbeutung von Kindern ist ein besorgniserregendes Problem auf Madagaskar, da immer mehr Kinder ausgebeutet werden. Die meisten Madagassen kümmert das jedoch nicht. Sexuelle Ausbeutung betrifft Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Obwohl dieses Phänomen auch Jungen betrifft, ist die Nachfrage nach ihnen geringer. Es gibt landesweit 450 Kinderschutz-Netzwerke, Diese sind jedoch oft nicht funktionsfähig, haben nicht genügend Ressourcen oder es gibt keine computergestützte Datensammlung. Die Strafverfolgungsraten sind weiterhin niedrig (ECPAT Netherlands, 2014). 

Zusätzlich zu den negativen Auswirkungen der sexuellen Ausbeutung von Kindern gibt es auf Madagaskar verfahrensrechtliche Hürden, die eine erfolgreiche Implementierung von Maßnahmen verhindern. Fälle, in die ausländische Touristen involviert sind, werden tendenziell weniger häufig gemeldet. Es besteht eine alarmierende Diskrepanz zwischen der Anzahl an beobachteten Fällen, gemeldeten Fällen und Fällen, die strafrechtlich verfolgt werden (ECPAT Netherlands, 2014). Auch der gesetzliche Rahmen fällt häufig der Korruption und dem Fehlverhalten der Strafverfolgungsbehörden zum Opfer, ebenso wie dem mangelnden Wissen über die Umsetzung von Kinderschutzgesetzen (ECPAT Netherlands, 2014).

Kriminelle Netzwerke betreiben Menschenhandel innerhalb des Landes, indem sie junge Mädchen für Sexarbeit aus ländlichen Gebieten in städtische Gebiete bringen. Oft werden diese Mädchen mit falschen Versprechen von besser bezahlter Arbeit in die Städte gelockt. Die meisten Fälle von Kinderausbeutung erfolgen durch die Beteiligung der Familie, Hoteliers oder Tourveranstalter, die die Ausbeutung von Kindern fördern (ECPAT Netherlands, 2014). 

Gewalt gegen Kinder

Häusliche Gewalt ist ein schwerwiegendes Problem, das in madagassischen Gemeinschaften hohe Ausmaße annimmt. Die Regierung hat die Schwere dieses Problems weitgehend anerkannt (Forowicz, 2003). Die Gesellschaft auf Madagaskar ist überwiegend von traditionellen patriarchalen Strukturen geprägt, sodass Frauen und Mädchen öfter von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Ein Drittel der madagassischen Frauen waren in irgendeiner Form schon einmal Opfer von Gewalt. 15 % der 10- bis 14-jährigen Mädchen sind Opfer von körperlicher Gewalt (UNICEF Madagascar, 2018). Gewalt gegen Kinder wird selten angezeigt und strafrechtlich verfolgt. Diese Kinder erfahren sehr wenig bis gar keine psychologische Unterstützung (UNICEF Madagascar, 2018). 

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat der fehlende Zugang zu sozialen Diensten gefährdete Kinder und Familien schwer getroffen. Im ersten Quartal 2020 wurden 50 % weniger Kinder an Kinderschutzeinrichtungen überwiesen. Dies zeigt, wie dringend es ist, schneller reagierende Kinderschutzprogramme einzurichten (UNICEF, 2020). 

Kinderarbeit 

Madagaskar ist der drittgrößte Exporteur von Mica weltweit, das hauptsächlich im Süden des Landes abgebaut wird. Mica ist ein Mineral, das vor allem in der Herstellung von Kosmetikprodukten, Elektroprodukten und in der Automobilindustrie verwendet wird. Es wird für 0,04 Euro pro Kilo geschürft und dann nach China exportiert (Terre des Hommes, 2020). Terre des Hommes recherchierte, dass etwa 22.000 Menschen in den Mica-Minen des Landes arbeiten. Kinder zwischen 5 und 17 Jahren machen die Hälfte dieser Arbeiter aus.

Die Bedingungen in den Mica-Minen sind sehr schlecht und Kinder sind gesundheitsschädlichen Materialien ausgesetzt (Terre des Hommes, 2020). Der Abbau von Mica hat sich seit 2008 um das 30fache erhöht. Der Kilopreis ist seitdem jedoch gesunken, wodurch die massive Ausbeutung in der Bergbauindustrie noch verschärft wird. Die Mehrheit der Mica-Minen werden illegal betrieben (Terre des Hommes, 2020). 

Diskriminierung 

Diskriminierung von Zwillingen 

Beim Volksstamm der Antambahoaka, die im Dorf Mananjary leben, gelten Zwillinge als Fluch, die der Familie Unglück oder Tod bringen. Frauen, die Zwillinge zur Welt bringen, werden oft dazu getrieben, einen oder beide Zwillinge zurückzulassen, sonst werden sie von ihrer Gemeinschaft ausgegrenzt. Zwillinge werden oft an weit entfernte und einsame Orte der Insel gebracht, wo sie allein sterben. In jüngerer Zeit lassen immer mehr Frauen ihre Zwillinge in Waisenhäusern zurück, die von christlichen Missionaren errichtet wurden (Taylor, 2020). 

Das Tabu Zwillingskinder ist wegen des Glaubens der Vorfahren ein sensibles Thema. Obwohl es Gesetze zum Schutz von Zwillingen gibt, haben kulturelle Regeln Vorrang vor tatsächlichen Gesetzen. Die Regierung respektiert kulturelle Überzeugungen, deswegen gibt es sehr wenige Maßnahmen, die dieses Problem angehen (Chaudhuri, 2019). Der geschichtliche Grund für die Diskriminierung von Zwillingen geht auf einen Aufstand Madagaskars gegen die Franzosen im Jahr 1947 zurück. Eine madagassische Stammeskönigin vergaß auf der Flucht einen ihrer Zwillinge. Später schickte sie ihre Soldaten, die den Zwilling finden sollten, aber keiner der Männer kehrte wieder zurück. Aufgrund dieser lange zurückreichenden historischen Anekdote gelten Zwillinge unter den Antambahoaka als Unglücksbringer (Taylor, 2020). 

Diskriminierung aufgrund der Nationalität 

Auf Madagaskar gibt es diskriminierende Staatsangehörigkeitsgesetze, die ein Ergebnis der kolonialen Herrschaft Frankreichs sind. Diskriminierende Staatsangehörigkeitsgesetze wurden anhand ethnischer und geschlechtsspezifischer Kriterien festgelegt (d‘Orsi, 2017). 1966 kündigte Madagaskar das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 auf und hat außerdem das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 nicht ratifiziert. Es gibt ungleiche und diskriminierende Staatsangehörigkeitsgesetze für Männer und Frauen sowie für uneheliche Kinder. Kinder können die madagassische Staatsangehörigkeit über ihren Vater erwerben.

Der Erwerb der Staatsangehörigkeit über ihre Mütter gibt den Kindern jedoch weniger Rechte (Equal Rights Trust, 2015). Kinder einer madagassischen Mutter und eines nicht-madagassichen Vaters können die madagassische Staatsbürgerschaft vor ihrem 21. Geburtstag beantragen. Uneheliche Kinder, die einen madagassischen Vater haben, können die Staatsbürgerschaft ebenfalls beantragen. Dies hängt jedoch von der Entscheidung der Regierung ab, ob sie als der Staatsangehörigkeit würdig angesehen werden, oder ob sie wegen einer Behinderung direkt benachteiligt werden (Equal Rights Trust, 2015). 

Frühverheiratung 

Madagaskar weist eine der höchsten Raten bei der Kinderheirat weltweit auf. Zum Überleben sehen arme Familien die Frühverheiratung ihrer Kinder oft als einzigen Ausweg an (ECPAT Netherlands, 2014). Es gibt regionale Unterschiede bezüglich der Raten bei der Kinderheirat auf Madagaskar. Bei Mädchen aus ärmeren Regionen, hauptsächlich im Süden wie z.B. Toliara, ist die Rate bei der Frühverheiratung am höchsten. Dort werden 69 % der Mädchen verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind. In der Region Mahajanga im Nordwesten sind es 59 %, in der Region Antsiranana im Norden 58 % und in der Region Fianaranstsoa im Osten 41 % (UNFPA, 2017).

Ungefähr 91 % der Menschen auf Madagaskar leben unter der Armutsgrenze. Deswegen sind Frühverheiratung, Armut und Bildung wechselseitig miteinander verbunden. Die Mädchen, die früh verheiratet werden, kommen oft aus gefährdeten, armen und ungebildeten Familien, die in den ländlichen Gebieten Madagaskars leben. Etwa 60 % der jungen Mädchen, die verheiratet wurden, schwanger sind oder schon Kinder haben, haben Nachteile beim Zugang zu Bildung im Vergleich zu 31 % der Mädchen, die nicht in dieser Situation sind (UNICEF Madagascar, 2018). 

Es gibt verschiedene traditionelle Praktiken je nach Region und ethnischer Gemeinschaft. Mädchen müssen beweisen, dass sie fruchtbar sind, um heiraten zu können. Damit sie das beweisen können, erlauben manche Gemeinschaften Mädchen ab 12 Jahren an einem sexuellen Initiationsritual teilzunehmen, bei dem sie bei einem Jungen/Mann übernachten. 2007 wurde durch die Regierung im Ehegesetz das Mindestheiratsalter für Jungen und Mädchen auf 18 Jahre angehoben. Eheschließungen nach Gewohnheitsrecht sind von diesem Gesetz nicht betroffen, sie müssen sich nicht an eine Altersgrenze halten (UNFPA, 2017). 

Klimawandel

Madagaskar ist ein afrikanisches Land, das besonders vom Klimawandel betroffen ist. Als Insel im Indischen Ozean ist es anfällig für die Auswirkungen von Naturkatastrophen und des Klimawandels (UNICEF, 2019). Madagaskar ist gefährdet durch Umweltprobleme wie Luftverschmutzung, Küstendegradation, Bodenerosion, Wasserverschmutzung, Waldrodung, Bergbau und Verlust der Biodiversität (UNICEF, 2019).

Laut des Wissensportals zum Klimawandel der Weltbank trug Luftverschmutzung im Jahr 2013 zu 18.000 vorzeitigen Todesfällen auf Madagaskar bei. 40 % der madagassischen Kinder leiden an chronischen Atemwegsinfektionen. Innenraumluftverschmutzung beeinträchtigt die Gehirnentwicklung von Kindern und macht sie anfälliger für Lungenentzündungen, chronische Lungenerkrankungen und weitere lebensbedrohliche Krankheiten (UNICEF, 2019). Die Verwendung von Festbrennstoff zum Kochen stellt Innenraumluftverschmutzung dar. 95 % der Bevölkerung verwendet Festbrennstoff zum Kochen. 

Neben schlechten sanitären Einrichtungen und Mangelernährung leben ungefähr 5 Millionen Menschen auf Madagaskar in Gebieten, die durch Naturkatastrophen besonders gefährdet sind (UN News, 2020). „Hungersnotähnliche Zustände“ sind vor allem im Süden Madagaskars seit 2020 gestiegen. Dadurch benötigen 1,3 Millionen Madagessen humanitäre Unterstützung. Zwischen Juli 2020 und November 2020 ist die Anzahl an Menschen, die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen ist, von 700.000 auf 1,3 Millionen gestiegen (UN News, 2021). 

Die Nahrungsmittelkrise hat madagassische Kinder, die in den Regionen Androy, Anôsy und Atsimo Andrefana leben, besonders getroffen. Die große Mehrheit der Kinder unter 5 Jahren sind von globaler akuter Mangelernährung (GAM) betroffen (UN News, 2021). 75 % der Kinder, die in Androy, Anôsy und Atsimo Andrefana leben, „suchen nach Nahrung“ (nach wild vorkommenden Nahrungsmitteln) (UN News, 2021). Das hebt den aktuellen Klimanotstand noch einmal hervor. 

Nur 15 % der Bevölkerung hat Zugang zu Strom. Die unzureichende Stromversorgung hat Auswirkungen auf das öffentliche Gesundheitswesen und auf die Umwelt. Die fehlende Stromversorgung führt dazu, dass viele Familien Brennholz oder Petroleumlampen benutzen (UNICEF, 2019). 

Da Kinder sich noch in der körperlichen Entwicklung befinden, sind sie anfälliger für den Klimawandel. Auf Madagaskar gehen 35 % der Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren auf akute Atemwegsinfektionen, Malaria und Durchfallerkrankungen zurück. Kinder sind durch den Klimawandel verschiedenen physischen Gefahren ausgesetzt, wie zum Beispiel der Zerstörung von Häusern, Krankenhäusern oder Schulen aufgrund von Überschwemmungen oder Zyklonen. Der Klimawandel hat durch unregelmäßige Regenfälle Auswirkungen auf das Nahrungsmittelsystem: es kommt zur Ernteeinbußen und damit zu Lebensmittelunsicherheit und unterernährten Kindern (UNICEF, 2019). 

Überschwemmungen und starke Niederschläge zerstörten Anfang 2020 174 Schulen und 16.000 Menschen verloren ihre Häuser (UN News, 2020). Der stellvertretende Beauftragter von UNICEF erklärte, dass Überschwemmungen nur eine von vielen Herausforderungen darstelle, mit denen madagassische Kinder das ganze Jahr über konfrontiert sind. Weitere Herausforderungen, als Folge des Klimawandels sind Naturkatastrophen und Dürren (UN News, 2020). 

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro 

Übersetzt von Katharina Haas

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Zuletzt aktualisiert am 26. März 2021

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[1] Dieser Artikel ist kein umfassender oder repräsentativer Bericht über den Status der Kinderrechte auf Madagaskar. Eine der Herausforderungen auf Madagskar ist die Tatsache, dass es wenige aktuelle Informationen über die Kinder Madagaskars gibt. Viele der vorhandenen Informationen sind nicht verlässlich, nicht repräsentativ, veraltet oder einfach nicht vorhanden.