Rechte indigener Völker: die tiefe Kluft zwischen Theorie und Praxis

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2016 markiert den achten Jahrestag der Verabschiedung der Erklärung der Vereinten Nationen (UNO) über die Rechte der indigenen Völker. Obwohl auf diesem Gebiet große Fortschritte gemacht wurden, herrschen immer noch einige gravierende Ungleichheiten. Dies liegt nicht ausschließlich an den allgemeinen Lebensbedingungen, sondern auch an der unzureichenden Unterstützung seitens der Regierungen, die nicht ausreichend sicherstellen, dass die Rechte der indigenen Völker eingehalten werden.

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Wir leben in einer Epoche der Informationen und der Kommunikation. Nichtsdestotrotz fehlt es gerade in Entwicklungsländern – in denen sich die Mehrheit der indigenen oder isoliert lebenden Völker konzentriert – an wissenschaftlichen Datensammlungen und Informationen über die Lebensbedingungen und die Einhaltung grundlegender Rechte dieser Menschengruppen.

Wenn aber der Aufwand betrieben wurde, verlässliche und aktuelle demografische Indikatoren zu untersuchen, bekam man auch signifikante Ergebnisse, die aussagekräftige Statistiken ermöglichten. Dennoch gibt es viele Fehlerquellen, die beachtet werden müssen. Zum Beispiel entstehen bereits in der Datenerhebung erhebliche Schwierigkeiten bei der exakten Erfassung von Informationen über diese Gruppen, da in vielen Fällen die einzigen Indikatoren, auf die man aus früheren Statistiken zurückgreifen kann, bereits älter sind als fünf Jahre – außerdem werden diese Indikatoren auch immer nur im Kontext zum Rest des Landes betrachtet, als ein kleiner Teil des ökonomischen und politischen Systems. Folglich ist dies keine gute Grundlage, eine spezifische Aussage über die Bedeutung einer indigenen Population zu treffen.
Denn „indigene Völker“ stellen eine sehr inhomogene Gruppe dar. Wichtige Faktoren, die eine Gruppe charakterisieren, sind das Land, in dem sie leben, die Anzahl der Menschen dieser Gemeinschaft und ihre politische Repräsentation. Ihr Leben wird auch entscheidend davon beeinflusst, ob das von ihnen bewohnte Gebiet uneingeschränkt erreichbar ist. Denn einige dieser Völker leben in einem möglichst ursprünglichen Sinne und haben wenig Kontakt zu der so genannten Außenwelt und leben recht zurückgezogen in teilweise verarmten Regionen; diese Faktoren können auf jeden Fall die Arbeit von Regierungen erschweren, bestimmte positive Verpflichtungen diesen Menschen gegenüber zu erfüllen und gleichzeitig neue Strategien einzuführen, die die gelungene Integration dieser Gruppen ermöglichen sollen. Die Programme, die diesem Zwecke dienen sollen, sind zudem meist sehr kostspielig und versprechen nicht immer eine vollständige Lösung des Problems, weswegen die nötigen Investitionen oft gar nicht erst getätigt werden.

girl-891452_640Viel zu oft werden deswegen grundlegende Rechte dieser Gemeinschaften nicht gewahrt: Von Geburt an leiden die Kinder an einer mangelnden medizinischen Grundversorgung. Des Weiteren wird auch das Grundrecht auf Identität nicht respektiert, da ein Kind, das nicht offiziell registriert und eingetragen wurde, in den Augen des Gesetzes nicht existiert. Dies hat auch Auswirkungen auf die Statistiken, die ein Land bezüglich seiner Bevölkerungsentwicklung erstellt. Zum Beispiel fand in über 40% der Länder im subsaharischen Afrika nur eine Bevölkerungserhebung innerhalb von sieben Jahren statt und 6% dieser Länder haben kein Melderegister. Auch in weiteren Lebensbereichen wird statistisch gesehen deutlich, welche Benachteiligungen indigene Völker erleiden. In Vietnam werden z.B. 60% der Kinder ohne pränatale Vorsorge zur Welt gebracht und Menschen mit indigenen Wurzeln in Australien entwickeln mit 26% erhöhtem Risiko Diabetes. Was schließlich den Zugang zu Bildung anbelangt, muss in Bolivien ein indigenes Kind im Durchschnitt mindestens 10 km Weg zurücklegen, um eine Schule besuchen zu können.

Indigene Völker stellen ungefähr 5% der Gesamtbevölkerung der Erde dar und sie schließen dabei über 18 Millionen Kinder ein. Alleine auf dem amerikanischen Kontinent sind bereits über 671 separierte indigene Gruppierungen bekannt, die zusammen mehr als 30 Millionen Individuen umfassen. Und dabei werden noch nicht einmal die Populationen erfasst, die immer noch sehr isoliert und damit statistisch unerforscht leben. In Südamerika sind indigene Gruppen in Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Paraguay, Peru und Venezuela bekannt , auch in Französisch-Guayana und Surinam (in den Gebieten angrenzend an Brasilien) gibt es Hinweise auf sie. Hochrechnungen schätzen, dass es über 200 weitere, kleinere Gruppen indigener Völker gibt, die in den am schwersten zugänglichen Regionen in Südamerika leben, wie zum Beispiel im Gebiet des Amazonas-Regenwaldes und der Gran Chaco-Region.

Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (ICHR) veröffentliche vor kurzem ein Dokument über indigene Gruppen, die in freiwilliger Isolation leben. In dem Bericht geht es um die Lebensbedingungen der Völker, von denen zahlreiche bereits verschwunden sind, und ihre teilweise prekäre Lage, in der sie weder Zugang zu ihren Rechten noch die Möglichkeit haben, diese für sich einzufordern. Der Bericht endete mit der Erkenntnis, dass das größte Hindernis bei der Erfüllung ihrer Grundrechte eben diese Isolation sei, in der diese Völker leben. Deswegen müssten die Länder mit großer Anstrengung versuchen, sofort zu handeln und die Situation um diese Völker herum so zu verändern, dass sie geschützt und unterstützt werden. Diese Maßnahmen sind äußerst entscheidend, wenn die individuelle Lebensqualität der Menschen dort verbessert und außerdem ihr Verschwinden verhindert werden soll. namibia-344892_640Die klassischen Methoden, Daten zu erfassen (u.a. mittels Volkszählungen) vernachlässigen jene Menschen , die nicht in festen Häusern und beispielsweise als Nomaden leben – was oft bei indigenen Völkern der Fall ist. Diese horizontale Ungleichheit – Unterschiede in den Lebensbedingungen für zwei Populationen in der gleichen Region – verursacht verschiedene Konsequenzen zwischen diesen ungleichen Gruppen. Und meistens sind es die indigenen Völker, die dadurch unter Widrigkeiten zu leiden haben, sofern nicht präventive Maßnahmen von dafür gegründeten, staatlichen Institutionen dagegen ergriffen werden. Denn einer Sache sind die indigenen Völker alle gemeinsam ausgesetzt: Diskriminierung aufgrund ihrer speziellen Lebensweise. Dies führt dann wieder zu einer Ausgrenzung, die in extremer Armut enden kann und einer Einschränkung ihrer Grundrechte.

Wenn es uns nicht gelingt, den Schutz der indigenen Völker zu garantieren und ihre Lebensqualität zu verbessern, wird die Kluft der horizontalen Ungleichheit weiter bestehen und im schlimmsten Falle kann dann nicht verhindert werden, dass immer mehr indigene, isoliert lebende Völker in Amerika verschwinden.

geschrieben von : María Elena Ramírez
ins Deutsche übersetzt von: Anna André
Korrektur gelesen von: Susanne Schröder

Comisión Interamericana De Derechos Humanos / Informe “ Pueblos Indígenas En Aislamiento Voluntario Y Contacto Inicial En Las Américas: Recomendaciones Para El Pleno Respeto A Sus Derechos Humanos”

Revista Humanum – Desigualdad Horizontal En México, Chile, Colombia Y Perú – Mayo 2015   

Grupo Internacional De Trabajo Sobre Los Asuntos Indígenas – El Mundo Indígena 2015- Abril 2015

Organización Mundial De La Salud – La Salud De Los Pueblos Indígenas – Nota Descriptiva Nro 326