Das Versagen der Jugendgerichtsbarkeit ist leider offensichtlich: Jährlich werden 1,3 bis 1,5 Millionen Kinder inhaftiert. Die Staaten müssen die Grundsätze der Jugendgerichtsbarkeit rigoros durchsetzen, um Kinder vor gewalttätigen und schädlichen Haftbedingungen zu schützen, die ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden beeinträchtigen. Um dem Wohl des Kindes Vorrang einzuräumen, müssen verlässliche Daten über die Bedürfnisse der Kinder gesammelt und restaurative Ansätze umgesetzt werden.

Definition der Jugendgerichtsbarkeit
Als Jugendliche gelten Personen, „die noch nicht vollständig ausgereift oder entwickelt sind und mindestens Kinder bis zum Alter von 18, manchmal aber auch bis zum Alter von 21 Jahren umfassen“ (UNICEF, 2010). Diese Kinder können entweder als Opfer und Zeugen oder als Kinder, die einer Straftat beschuldigt oder verurteilt werden, mit dem Gesetz und dem Justizsystem in Berührung kommen (OHCHR und Kinder, 2019).
Als solche werden ihre Fälle durch ein Jugendgerichtssystem bearbeitet. Das Jugendstrafrecht geht davon aus, „dass sich Jugendliche grundlegend von Erwachsenen unterscheiden, sowohl in Bezug auf das Maß an Verantwortung als auch auf das Rehabilitationspotenzial“ (Youth Gov, n.d.).
Die speziellen Verfahren für Jugendliche reichen daher von spezialisierten Gerichten, die sich auf die Bedürfnisse und die Resozialisierung junger Straftäter konzentrieren, über altersspezifische Verfahren, Sozialdienste, die auf Unterstützung und Resozialisierung abzielen, gemeinnützige Arbeit, um eine tiefere Verstrickung in das Justizsystem zu verhindern, bis hin zu Maßnahmen zur vertraulichen Behandlung von Akten, um die Zukunft junger Menschen zu schützen. Das Jugendstrafsystem versucht, die Inhaftierung von Kindern so weit wie möglich zu vermeiden und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft als konstruktive Mitglieder zu fördern (Youth Gov, n.d.).
Grundsätze der Jugendgerichtsbarkeit
Kindern werden Schutz und grundlegende Menschenrechte durch mehrere internationale und regionale Instrumente garantiert, die sich mit Kinderjustiz befassen“ (UNICEF, 2021). Kinder können als Zeugen oder Opfer mit dem Gesetz in Berührung kommen oder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wenn sie einer Straftat beschuldigt werden oder diese begangen haben. Die Rechte dieser Kinder werden unter anderem durch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes garantiert.
Zu den wichtigsten Grundsätzen, die der Ausschuss für die Rechte des Kindes für die Jugendgerichtsbarkeit formuliert hat, gehören:
- Nicht-Diskriminierung: Die Vertragsstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Kinder, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, gleich behandelt werden.
- Bestes Interesse des Kindes: Bei Entscheidungen, die im Rahmen der Jugendgerichtsbarkeit getroffen werden, muss das Wohl des Kindes die vorrangige Erwägung sein.
- Verhütung von Straffälligkeit: Die Vertragsstaaten müssen wirksame nationale Strategien und Programme zur Verhütung von Jugendkriminalität entwickeln.
- Recht auf Anhörung: Kinder haben das Recht, ihre Meinung in allen sie betreffenden Angelegenheiten und in jeder Phase des Jugendstrafverfahrens frei zu äußern
- Würde und Wert: Kinder haben ein angeborenes Recht auf Würde und Wert, das während des gesamten Prozesses des Umgangs mit dem Kind geachtet und geschützt werden muss (UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2007).
In der Regel muss sich eine Politik mit diesen Kernelementen befassen: „Prävention von Jugendkriminalität; Interventionen ohne Gerichtsverfahren; Mindestalter für die Strafmündigkeit und obere Altersgrenzen für die Jugendgerichtsbarkeit; Garantien für ein faires Verfahren“ (UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2007).
Verfahren der Jugendgerichtsbarkeit
Die Verfahren für die Bearbeitung von Jugendstrafsachen sind so konzipiert, dass die Rechte und besonderen Bedürfnisse junger Menschen respektiert werden, weshalb die folgenden Verfahren für Jugendliche eingeführt wurden:
- Privatsphäre: Das Recht des Kindes auf Privatsphäre sollte in allen Phasen des Gerichtsverfahrens respektiert werden.
- Benachrichtigung: Wenn ein Kind festgenommen wird, müssen seine Eltern oder Erziehungsberechtigten unverzüglich benachrichtigt werden.
- Vermeidung von förmlichen Gerichtsverfahren: Wo es angebracht ist, sollten die Behörden Fälle ohne förmliche Gerichtsverfahren behandeln.
- Spezialisierte Ausbildung: Die Strafverfolgungsbehörden und andere Personen, die mit Jugendstrafsachen zu tun haben, müssen eine angemessene Ausbildung erhalten, damit sie mit jungen Straftätern angemessen umgehen können.
- Inhaftierung als letztes Mittel: Die Untersuchungshaft sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden.
- Alternative Maßnahmen: Es sollte eine Reihe von Maßnahmen erwogen werden, um die Einweisung in eine Einrichtung auf ein Minimum zu reduzieren.
- Betreuung in Einrichtungen: Wenn eine Unterbringung in einer Einrichtung notwendig ist, sollten die Jugendlichen eine Betreuung erhalten, die eine schulische und berufliche Ausbildung umfasst, um ihnen ein konstruktives und produktives Leben nach der Haft zu ermöglichen (UN-Generalversammlung, The Beijing Rules, 1985).
In Kanada beispielsweise können alternative Maßnahmen für Jugendliche darin bestehen, sich schriftlich oder persönlich beim Opfer zu entschuldigen, gemeinnützige Arbeit für eine gemeinnützige Einrichtung zu leisten oder an Bildungsprogrammen teilzunehmen, die sich auf den begangenen Schaden beziehen (Juristat, 1999).
Versagen des Jugendstrafsystems und unzureichende Daten

Trotz internationaler Leitlinien und nationaler Politiken in Bezug auf die Jugendgerichtsbarkeit sind viele Versäumnisse in Bezug auf die Rechte der Kinder zu verzeichnen, die in diesem Abschnitt hervorgehoben werden sollen. Das besorgniserregendste Versäumnis besteht darin, dass Kinder, die mit dem Gesetz in Kontakt oder in Konflikt stehen, ihre Rechte oft nicht kennen und/oder nicht in der Lage sind, sie einzufordern (OHCHR und Kinder, 2019). Darüber hinaus ist Gewalt gegen Kinder in allen Phasen des Freiheitsentzugs im Justizsystem nach wie vor weit verbreitet.
Das Gleiche gilt für Kinder mit Migrationshintergrund, von denen jedes Jahr rund 330.000 aus migrationsbedingten Gründen inhaftiert werden. Kinder, die infolge bewaffneter Konflikte inhaftiert sind, befinden sich ebenfalls in einem ständigen Kreislauf der Gewalt (UN-Generalversammlung, 2019).
Besorgniserregend ist auch, dass inhaftierte Kinder in Haftanstalten untergebracht sind, die durch Überbelegung und ein hohes Maß an Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalt gekennzeichnet sind und in denen es an Hygienestandards, Luft und Sonnenlicht, Privatsphäre, angemessener Gesundheitsversorgung, Freizeit- und Bildungsmöglichkeiten sowie geschlechtsspezifischen Einrichtungen mangelt (UN-Generalversammlung, 2019). Viele Kinder werden in der Haft Opfer von Erpressung, Belästigung, sexueller Gewalt und Vergewaltigung, wie es bei den vielen jungen Mädchen in den Jugendgefängnissen von Los Angeles der Fall war (The Guardian, 2023).
Die Erhebung von Sachdaten würde eine Überwachung ermöglichen, um die betroffenen Kinder in einem bestimmten Land zu identifizieren und die Justiz und den Staat für die verursachten Schäden und deren Auswirkungen auf das Wohlergehen der Kinder zur Rechenschaft zu ziehen. Leider sind die verheerenden Auswirkungen von Haft und Inhaftierung auf die körperliche, emotionale und geistige Entwicklung von Kindern sowie die tatsächliche Zahl der Kinder, die mit dem Gesetz in Berührung kommen, in den administrativen Datensystemen unbekannt oder unvollständig.
In Ermangelung solcher Daten ist es weder möglich, das Ausmaß zu verstehen, in dem Kinder unterschiedlichen Haftbedingungen ausgesetzt sind, noch ist es möglich, die Auswirkungen der entsprechenden Maßnahmen und Programme auf das Wohlergehen der Kinder wirksam zu überwachen und zu bewerten (UNICEF, 2021).
Ein notwendiger Wandel hin zur opferorientierten Justiz
Ein wiederherstellender Ansatz eignet sich am besten für Kinder, die mit dem Gesetz in Berührung kommen oder mit ihm in Konflikt stehen. Der Begriff „opferorientierte Justiz“ bezieht sich auf einen Ansatz, „der sich mit dem Schaden oder dem Risiko eines Schadens befasst, indem er alle Betroffenen einbezieht, um zu einem gemeinsamen Verständnis und einer Einigung darüber zu gelangen, wie der Schaden oder das Fehlverhalten wiedergutgemacht und Gerechtigkeit erreicht werden kann“ (Europäisches Forum für opferorientierte Justiz, 2024).
Kinder sollten aus diesem Prozess lernen, ohne der Strenge eines Erwachsenengefängnisses ausgesetzt zu sein, indem sie ihre Entscheidungen und ihren Lebensweg in der Zukunft ändern und ohne dem Jugendstrafsystem oder der Strafjustiz ausgesetzt zu sein (Youth Gov, n.d.; Terre des hommes, 2020).
Jedes Jahr werden mindestens 410.000 Kinder in Untersuchungshaftanstalten und Gefängnissen inhaftiert. Dies deutet darauf hin, dass die Inhaftierung als Teil der Justizverwaltung stark überstrapaziert wird (UN-Generalversammlung, 2019). Darüber hinaus gibt es überwältigende Beweise dafür, dass die Inhaftierung eine unwirksame Strategie ist, um Jugendliche von der Straffälligkeit abzuhalten, und dass erhöhte Raten der Inhaftierung von Jugendlichen die öffentliche Sicherheit nicht verbessern (The Sentencing Project, 2023).
In der Tat kann die opferorientierte Justiz verhindern, dass Jugendliche in Zukunft Straftaten begehen. So wurden beispielsweise von 600 Mediationen auf Gemeindeebene, an denen Jugendliche teilnahmen, nur 20 rückfällig (SAGE Journals, 2019).
Ein langer Weg zur Besserung für Kinder
Der Schutz des Kindeswohls bedeutet, dass die traditionellen Ziele der Strafjustiz, wie Repression/Vergeltung, bei der Behandlung von Kindern, die mit dem Gesetz in Kontakt/Konflikt geraten sind, den Zielen der Rehabilitation und der wiederherstellenden Gerechtigkeit weichen müssen (UNICEF, 2021). Es ist ein integriertes Betreuungssystem erforderlich, um die psychische Gesundheit und die damit verbundenen Bedürfnisse von Jugendlichen, die mit dem Gesetz in Kontakt/Konflikt geraten sind, durch umfassende Gemeinschaftsdienste und Unterstützung zu behandeln (Resource Center Partnership, 2013).
Jugendschutzanwälte und internationale Kinderrechtsorganisationen sind ein wesentlicher Schutzschild gegen Ungerechtigkeit und bilden ein entscheidendes Gegengewicht in einem System, das zu schädlichen Ergebnissen für Kinder führen kann, und müssen daher gestärkt werden, damit Kinder im Jugendstrafsystem die notwendige Unterstützung und Aufsicht erhalten (Resource Center Partnership, 2013). Das belgische Jugendstrafsystem wurde beispielsweise als eines der besten der Welt anerkannt und zeichnet sich durch die Bereitstellung von kostenlosen Jugendanwälten aus (The Bulletin, 2016).

Die Vertragsstaaten sollten Kinder und Eltern, führende Persönlichkeiten der Gemeinschaft und andere wichtige Akteure wie NRO, Bewährungsdienste und Sozialarbeiter in die Entwicklung und Umsetzung von Präventionsprogrammen einbeziehen (UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2007).
Zu diesem Zweck müssen die Staaten vor allem die Ursachen für den Freiheitsentzug von Kindern ermitteln und sollten erhebliche Mittel in die Beseitigung von Ungleichheiten und die Unterstützung von Familien investieren, um sie in die Lage zu versetzen, die körperliche, geistige, moralische und soziale Entwicklung ihrer Kinder, einschließlich Kindern mit Behinderungen, zu fördern (UN-Generalversammlung, 2019).
Geschrieben von Moïra Phuöng Van de Poël
Internes Korrekturlesen durch Aditi Partha
Übersetzt von Marie Podewski
Korrekturgelesen von Katrin Glatzer
Zuletzt aktualisiert am 13. Mai 2024
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