Auf der Suche nach Antworten: Die unermessliche Menschenrechtsarbeit, die angesichts gewaltsamen Verschwindenlassens immer noch auf uns wartet

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Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang nach Familienangehörigen suchen, und dann während der Suche selber verschwinden. Dieser schreckliche Missbrauch passiert zusätzlich zu Folter, erzwungenen Geständnissen, sexueller Gewalt und Mord und bedeutet für die Opfer und dieÜberlebenden unvorstellbare Qualen.

Was ist Gewaltsames Verschwindenlassen?

“Gewaltsames Verschwindenlassen ist die Entführung einer Person mit der Duldung der Regierung, gefolgt von einer Weigerung, über das Schicksal oder den Aufenthaltsort der Person Auskunft zu geben (Vereinte Nationen, 1993). Der Internationale Tag der Opfer Gewaltsamen Verschwindenlassens, der von den Vereinten Nationen jährlich am 30. August abgehalten wird, ist ein Tag der Sensibilisierung und des Gedenkens.

Gewaltsames Verschwindenlassen kann so aussehen, dass ein Individuum von staatlichen Akteuren ohne Haftbefehl, ohne Rechte, Anklage oder Erklärung verhaftet wird. Die Person wird von diesen angeblichen Akteuren entführt und danach nie wiedergesehen, jegliche Information wird verweigert

Gewaltsames Verschwindenlassen wird als Werkzeug systematischer Unterdrückung gegen Gemeinschaften eingesetzt, die als politische Dissidenten gelten. Ausserdem wird es auch oft als eine Vergeltungsmaßnahme gegen die Angehörigen  der entführten Individuen verwendet.

Wo findet Gewaltsames Verschwindenlassen statt?

Gewaltsames Verschwindenlassen findet überall auf der Welt statt, auf jedem Kontinent, wobei lateinamerikanische Länder wie El Salvador, Argentinien und Peru besonders betroffen sind; aber auch Länder, die unter Konflikten oder sozialen Unruhen leiden sind stark betroffen, so wie zum Beispiel Syrien, Irak, Kosovo, Westsahara, Pakistan und Ägypten. 2014 berichtete die Arbeitsgruppe für Gewaltsames Verschwindenlassen der Vereinten Nationen 24.250 gemeldete ungelöste Fälle in 88 Staaten (Vereinte Nationen, 2014).

Ein anderes Beispiel ist Kolumbien, wo 150.000 Fälle von Gewaltsamem Verschwindenlassen zwischen 1986 und 2017 registriert wurden. Eine weitere Studie hat gezeigt, dass bis zu 80.000 Menschen (fast 50% der Vermissten in Kolumbien) noch heute vermisst werden, und es wird befürchtet, dass sie im Zuge des bewaffneten Konflikts umgebracht worden sind. Die wahre Anzahl wird jedoch niemals bekannt werden; oft ist unklar, wer diese Opfer verschwinden ließ und warum (Colombia Reports, 2019).

Internationales Recht

Ein zentraler Mechanismus des Internationalen Rechts zu Gewaltsamem Verschwindenlassen ist die ‚Internationale Konvention für den Schutz aller Personen vor Gewaltsamem Verschwindenlassen‘, die Gewaltsames Verschwindenlassen ohne Ausnahme als unumstößlichen illegalen Akt erklärt (Vereinte Nationen, 2019). Leider haben jedoch lediglich 59 Staat bis heute diese Konvention ratifiziert (UN-Verträge, 2019).

Andere rechtliche Mechanismen sind zum Beispiel die ‚Interamerikanische Konvention zum Gewaltsamem Verschwindenlassen von Personen‘ und das ‚Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof‘. Das Statut, ebenso wie die Konvention, macht klar das Gewaltsames Verschwindenlassen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.

Was Gewaltsames Verschwindenlassen unter Anderem so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass es seine Opfer außerhalb jedes gesetzlichen Rahmens und gesetzlicher Mechanismen bringt und sie somit ihrer Rechte und ihrer Existenz als Rechtssubjekte beraubt. Staatlich sanktioniertes unrechtmäßiges Verschwinden nimmt Individuen jeglichen Zugang zu Recht und zu Schutz, Wiedergutmachung oder Entschädigung.

Gewaltsames Verschwindenlassen verletzt ökonomische, soziale und kulturelle Rechte, ebenso wie zahlreiche Menschenrechte, welche die Grundlage für internationale und nationale Rechte und Verträgen bilden. Dies bezieht sich zum Beispiel auf das Recht als Person anerkannt zu werden; das Recht auf Freiheit und Sicherheit; das Recht, keiner Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein; das Recht auf Leben und auf eine Identität; das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess und auf rechtliche Garantien. Gemwaltsames Verschwindenlassen stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar (Vereinte Nationen, 2019).

Folgeerscheinungen für Familien, Gemeinschaften und emotionale Auswirkungen  

Das Gewaltsame Verschwindenlassen eines Kindes oder seiner Eltern ist ein schweres Vergehen gegen die Kinderrechte, die in der Kinderrechtskonvention verankert sind.

Diejenigen, die selbst Opfer des Gewaltsamen Verschwindenlassens wurden, leiden unter ständiger Angst um ihr Leben. Oft werden sie gefoltert und getötet.

In den seltenen Fällen, in welchen ein Opfer freigelassen wird, führt die unmenschlichen Brutalität, unter der sie leiden mussten, zu langanhaltenden psychologischen und physischen Schäden.

Mitglieder der Zivilgesellschaft protestieren gegen das Gewaltsame Verschwindenlassen von Sozialaktivisten am 12. Januar 2017 in Karachi, Pakistan

Viele Angehörige erhalten niemals eine Antwort bezüglich des Schicksals der vermissten geliebten Menschen, was einen ‘Abschluss’ unglaublich schwierig oder unmöglich macht. Manche Psychologen empfehlen den Familien Gegenstände, die für die vermisste geliebte Person wichtig waren, zu begraben, um ihnen so den Beginn des Trauerprozesses zu ermöglichen (Martín Beristain, 2010).

Für Familien und Freunde bedeutet es unendliche psychische Qualen ihr Leben zu verbringen, ohne jemals Genaueres über das Schicksal ihrer geliebten Menschen zu wissen – ob sie am Leben oder tot sind, in welcher Verfassung sie sich befinden, wie sie behandelt werden, oder wo sie sich befinden. Zusätzlich zu dieser Qual sind Familienmitglieder oft dem hohen Risikos ausgesetzt selbst zu verschwinden. Die Suche nach der Wahrheit kann in einem gefährlichen Teufelskreis enden, da sie selbst zu Opfern von Vergeltung und dem Verschwindenlassen werden können.

Darüber hinaus ist die vermisste Person oftmals der Hauptversorger der Familieneinheit, was beachtliche materielle und ökonomische Auswirkungen hat.Tendenziell sind Frauen von den ökonomischen Schwierigkeiten, die durch Gewaltsames Verschwindenlassen entstehen, am meisten betroffen, und sind diejenigen, die an der ‚Front des Kampfes zu stehen, um das Verschwinden von Familienmitgliedern aufzudecken’ (Vereinte Nationen, 2019). Die Suche nach den geliebten Menschen bringt erhebliche Kosten mit sich und die fehlende Sterbeurkunde, oder eines konkreten Beweises bezüglich des Schicksals ihrer Familienmitglieder, macht es extrem schwierig staatliche Unterstützung, Entschädigung und Leistungen wie Renten zu erhalten.

Die Entscheidung zu treffen, ein Familienmitglied für tot zu erklären, ist selbst nach vielen Jahren (ob es aus einer ökonomischen Zwangslage heraus geschieht oder nicht) etwas extrem Schmerzhaftes. Die Verwandten können sich so fühlen, als seien sie selbst diejenigen, die „[ihren] geliebten Menschen in [ihrem] Bewusstsein töten“ (Martín Beristain, 2010). Einige Länder wie Argentinien oder Chile stellen Urkunden für die Opfer Gewaltsamen Verschwindenlassens aus, die einen Anspruch auf Entschädigung ermöglichen; aber selbst diese zu erhalten kann kompliziert, langsam und teuer sein und eine vorherige Sterbeurkunde erfordern (UN-Menschenrechtskommission, 1998). Gewaltsames Verschwindenlassen trifft Gemeinschaften schwer und spaltet sie, was oft als Waffe gegen größere Gruppen von Menschen eingesetzt wird um Terror zu verbreiten. Das Gefühl von Unsicherheit, Angst und Instabilität führt in den Gemeinschaften und den umgebenden Gesellschaften zu Unsicherheit und Verbreitung von Terror. 

Humanium verurteilt Gewaltsames Verschwindenlassen

Bei Humanium verabscheuen wir Gewaltsames Verschwindenlassen und alle seine Folgen. Indem wir Seite an Seite mit lokalen Partnern wie ‘Hand in Hand India’ und ‘Avsi’ in Ruanda arbeiten, hoffen wir, zum Schutz der Kinder beitragen zu können, die durch den Verstoss gegen ihre Rechte in einer verletzlichen Situation sind. Mit dem kommenden 30. Jahrestag der Kinderrechtskonvention erneuern wir bei Humanium unser Engagement für die Förderung der Kinderrechte, während wir die Gelegenheit nutzen, Phänomene wie Gewaltsames Verschwindenlassen anzuprangern, die die Bedeutung dieser Arbeit deutlich machen. Gleichzeitig ist uns beweusst, was für ein weiter Weg noch vor uns liegt.

Wenn Sie von einem Kind oder Jugendlichen wissen, der/die von Gewaltsamem Verschwindenlassen betroffen ist, oder dessen/deren Rechte verletzt wurden, dann zögern Sie nicht, die Humanium Helpline zu kontaktieren, wo wir unser Bestes tun, um fallgerechte Anleitung und Ratschläge zu geben. Humaniums enger Partner, Alliance des Avocats pour les Droits de l’Homme (AADH), arbeitet mit uns an Helplinefällen bezüglich von Kinderrechten, zusammen mit engagierten Rechtsanwälten in der ganzen Welt, mit denen Humanium verbunden ist.

Verfasst von Josie Thum
Übersetzt von Bettina Wind
Korrektur gelesen von Sibylle Daymond

Bibliografie

Amnesty International, ‘Enforced Disappearance’ (2019), Online verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/what-we-do/disappearances/, zuletzt aufgerufen am 7. August 2019.

Carlos Martín Beristain, Manual sobre perspectiva psicosocial en la investigación de derechos humanos (Bilbao: Universidad de País Vasco, 2010).

Colombia Reports, ‘Forced Disappearances’ (2019 Online verfügbar unter: https://colombiareports.com/forced-disappearances-statistics/, zuletzt aufgerufen am 6. August 2019.

Human Rights Watch, ‘Families Beg for Answers on the International Day of the Victims of Enforced Disappearances’ (2018), Online verfügbar unter: https://www.hrw.org/news/2018/08/27/families-beg-answers-international-day-victims-enforced-disappearances, zuletzt aufgerufen am 7. August 2019.

Forbes, ‘The International Day of the Victims of Enforced Disappearances’ (2018), Online verfügbar unter: https://www.forbes.com/sites/ewelinaochab/2018/08/29/the-international-day-of-the-victims-of-enforced-disappearances/#4be267b0b42e, zuletzt aufgerufen am 8. August 2019.

OHCRH, ‘International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance’ (2006), Online verfügbar unter:

https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CED/Pages/ConventionCED.aspx, zuletzt aufgerufen am 8. August 2019.

OCHCRH, ‘Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances’ (2019), Online verfügbar unter: https://www.ohchr.org/en/issues/disappearances/pages/disappearancesindex.aspx, zuletzt aufgerufen am 7. August 2019.

OCHRH, ‘Enforced or Involuntary Disappearances’ (2009), Online verfügbar unter: https://www.ohchr.org/Documents/Publications/FactSheet6Rev3.pdf, zuletzt aufgerufen am 7. August 2019.

Priya Pillali, ‘Enforced Disappearances: A Global Scourge, Increasingly Under the Radar’ (2019), Online verfügbar unter: http://opiniojuris.org/2019/05/31/enforced-disappearances-a-global-scourge-increasingly-under-the-radar/, zuletzt aufgerufen am 8. August 2019.

UN Committee on Human Rights, ‘Report of the Working Group on Enforced or Voluntary Disappearances’ (1998), Online verfügbar unter: https://www.refworld.org/docid/3b00f53bc.html, zuletzt aufgerufen am 6. August 2019.

United Nations, ‘International Day of the Victims of Enforced Disappearances 30 August’ (2019), Online verfügbar unter: https://www.un.org/en/events/disappearancesday/index.shtml, zuletzt aufgerufen am 6. August 2019.