Eine alarmierende Beobachtung: Frauen sind überproportional von moderner Sklaverei betroffen

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Am Internationalen Frauentag haben wir uns von Humanium entschieden, zur Dringlichkeit der Frauensklaverei weltweit und besonders in Nepal Stellung zu beziehen, wo eine Gemeinschaft junger Mädchen ausgebeutet wird, deren Rechte täglich verletzt und missachtet werden.

 

Die moderne Sklaverei beeinflusst das tägliche Leben, überall in der Welt und unabhängig vom Geschlecht, dem sozioökonomischen Status oder der Rasse. Jüngste Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass Frauen und Mädchen überproportional von diesem Übel betroffen sind (International Labour Organisation, 2017). Sie sind nicht nur wahrscheinlicher das Ziel von Sklaverei, sondern sie sind durch die geschlechtsspezifische Diskriminierung auch größten Belastungen ausgesetzt, wenn sie versuchen, sich daraus zu befreien. In der letzten Umfrage aus dem Jahr 2017 waren 70% der 40 Millionen Opfer von Sklaverei weltweit Frauen und Mädchen (International Labour Organisation, 2017). Bei der Aufgliederung in verschiedene Arten der Sklaverei ist die weibliche Präsenz erdrückend, im Falle von Zwangsehen stellen sie 84% der Opfer, bei Zwangsarbeit sind es 58% und am stärksten sind sie bei sexueller Ausbeutung repräsentiert. Hier stellen sie 99% der Opfer (International Labour Organisation, 2017).

Offenkundig ist die Sklaverei kein reines Frauenproblem. Männer werden häufiger vom Staat oder Industrieumfeldern ausgebeutet. Eine Konzentration auf weibliche Opfer sollte nicht auf Kosten des Empowerments und der Unterstützung von männlichen Opfern erfolgen. Trotzdem haben wir uns entschieden, uns am Internationalen Frauentag auf die Stimmen von Frauen und Mädchen mit einem dringenden Bedarf an Bildung und Empowerment zu konzentrieren, um zu verstehen und zu beleuchten, warum dieses Verbrechen sie überproportional betrifft..

 

Eine destruktive Tradition für nepalesische Mädchen

Trotz der offiziellen Abschaffung aller Formen von Sklaverei sowie der Ratifizierung zahlreicher internationaler Konventionen durch die Regierung Nepals im Jahr 2000, die auf die Abschaffung aller Arten von Leibeigenschaft abzielen, sind bis heute zu viele nepalesische Mädchen versklavt (Nepal Youth Foundation, 2014). Die Gemeinschaft der Tharu ist von dieser illegalen Praxis und den gesetzlichen Änderungen in der nepalesischen Verfassung besonders betroffen. Ursprünglich bearbeiteten die Mitglieder der Tharu-Gemeinschaft Land als Farmpächter. Dieses Land wurde ihnen von Bürgern der Mittel- und Oberklasse genommen, die sie in die Zwangsarbeit zwangen. Als die Sklaverei im Jahr 2000 in Nepal abgeschafft wurde, wurden zwar die Tharu befreit, doch ihr Land wurde ihnen nicht zurückgegeben. Mittellos und in extremer Armut lebend, schufen sie im Ergebnis das Kamlari-System, in dem ehemalige Zwangsarbeiter Landbesitzern ihre Töchter für das Recht verkauften, ein Stück Land zu besitzen oder frühere Schulden abzuzahlen. Durch ihre großen finanziellen Nöte waren sie oft gezwungen, alle von einem Landbesitzer diktierten Bedingungen zu akzeptieren, die normalerweise im besten Interesse ihrer Töchter waren. Infolgedessen wurden junge Tharu-Mädchen Hausangestellte und zum Bleiben gezwungen, bis der Landbesitzer entschied, sie freizulassen. Sie sind häufig großen Schwierigkeiten ausgesetzt, denn sie werden häufig im jungen Alter von 6 Jahren verkauft, zu harter Arbeit gezwungen, sie sind ohne ausreichend Essen, Schlaf, Bildung, medizinische Versorgung und werden sehr häufig körperlich und sexuell missbraucht (Nepal Youth Foundation, 2014). Das Recht, keiner Folter oder einer anderen erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, das Recht auf Bewegungsfreiheit und Sicherheit sowie das Recht auf ein Familienleben und Privatsphäre – all diese Rechte werden den Kamlari-Mädchen vorenthalten, was zu weiteren Verletzungen von Rechten führt, wie dem Recht auf Bildung oder Gesundheitsversorgung. In der letzten Umfrage aus dem Jahr 2011 wurde geschätzt, dass rund 10.000 bis 12.000 Mädchen im Rahmen des Kamlari-Systems in Leibeigenschaft gezwungen werden, doch durch die Isolation und durch fehlendes Problembewusstsein sind diese Schätzungen sehr ungenau und vage (Plan International, 2011).

 

Warum nepalesische Mädchen mit größerer Wahrscheinlichkeit versklavt werden: Ergebnis eines alten Denkmusters

Es hat sich gezeigt, dass die Wahrnehmung von Mädchen in der nepalesischen Kultur eine wesentliche Rolle in der Prädominanz der Frauensklaverei einnimmt. Trotz seiner warmen und farbenfrohen Kultur basiert Nepals Geschichte auf einem patriarchischen Einfluss, der zu großen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen führt. Die alleinige Tatsache, in diesem Land eine Frau zu sein erhöht das Risiko, in Leibeigenschaft zu geraten. Mädchen werden aufgrund eines alten Denkmusters von ihren Familien als finanzielle Belastung betrachtet, weil davon ausgegangen wird, dass Männer durch ihre Fähigkeit zu Arbeiten finanziell für die Familie aufkommen. Dieses Denken wird durch die Tatsache verstärkt, dass Männer häufig beim Zugang zu Bildung bevorzugt werden, während Mädchen wahrscheinlicher durch Heirat zur finanziellen Situation der Familie beitragen. Dadurch ist ihr Risiko von Missbrauch, Gewalt und Ausbeutung bedeutend erhöht. Innerhalb der Gesellschaft werden Mädchen häufig als „Bürger zweiter Klasse“ wahrgenommen, die durch ihre Zugehörigkeit zu einem Mann an Wert gewinnen. Dies zeigt sich in nepalesischen Gesetzen, wo Frauen im Vergleich zu einem Mann bezüglich des Erbrechts oder des Schutzes vor häuslicher Gewalt häufig benachteiligt werden bzw. wo ein Mann bei Vergewaltigung in der Ehe vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt ist. Deshalb verbreitet und propagiert diese patriarchische Kultur dieses Denken der Dominanz von Männern gegenüber Frauen. Das wiederum führt zu großen Schwierigkeiten, sich von der Sklaverei zu befreien oder sie zu vermeiden. Durch diese Diskriminierung wegen des Geschlechts leiden Mädchen häufig unter niedrigen Zugangsraten zu Bildung, haben weniger legitime Arbeitsmöglichkeiten, es fehlt ihnen an Autonomie, wodurch sie anfälliger für Manipulationen und damit Sklaverei sind.  

 

Was kann getan werden: Sensibilisierung, Bildung und Maßnahmen

 

Grundsätzlich ist die Unverhältnismäßigkeit, in der Mädchen von Sklaverei betroffen sind, sowohl Symptom als auch Ursache von größeren Menschenrechtsverletzungen. Deshalb können Maßnahmen, die zur Beendigung von Sklaverei führen, nicht einfach auf die Opfer eingegrenzt werden.

Wie bereits genannt, handelt es sich um ein globales und gesellschaftliches Problem, das einen ernsten Bedarf für Sensibilisierungsmaßnahmen und Bildung hervorhebt. Für die nepalesischen Mädchen ist es von wesentlicher Bedeutung, über die Risiken informiert zu sein, die ihnen bezüglich der Sklaverei drohen. Sie müssen sich ab einem jungen Alter der Manipulationen und Tricks bewusst sein, die darauf abzielen, sie letztendlich zu versklaven. Die vielversprechendste Technik ist die Einbeziehung ehemaliger ausgebeuteter Opfer, die über ihre Erfahrungen aussagen. Außerdem müssen diese jungen Mädchen über ihre wichtigsten Rechte informiert und befähigt werden, diese einzufordern und wahren zu können, wenn sie in eine diskriminierende Situation geraten. Sensibilisierung und vertrauensbildende Maßnahmen motivieren diese Mädchen dazu, die sozialen und kulturellen Normen ihres Landes zu hinterfragen.

Doch die Mädchen kämpfen diesen Kampf nicht allein. Nepalesische Jungen müssen ebenfalls über ihre Gleichstellung gegenüber Frauen und über ihre Verantwortung bezüglich der Wahrung der Frauenrechte informiert werden. Schließlich muss die Bevölkerung als Ganzes das Ziel umfangreicher Sensibilisierungsmaßnahmen bezüglich illegaler Formen von Sklaverei werden, die sich hinter geschlossenen Türen abspielen. Diese Mädchen können nicht länger isoliert und ohne Ansprechpartner bleiben.   

Anschließend muss die nepalesische Regierung ebenfalls Maßnahmen einleiten, um die Rechte dieser Mädchen zu wahren. Historisch betrachtet hat die Politik sehr wenig zum Schutz der Kamlari-Mädchen getan. Im Juni 2006 marschierte eine große Gruppe von Frauen in die Hauptstadt und forderte Gerechtigkeit für die Kamlari und die Anerkennung der Frauenrechte. Doch sie waren groben Vergeltungsmaßnahmen durch die Polizei ausgesetzt, die die weiblichen Demonstranten schlug und verletzte (Nepal Youth Foundation, 2013). Infolge dieses chaotischen Ablaufs hat sich das Oberste Gericht von Nepal mit dem Problem befasst und den Umgang mit den Kamlari für illegal erklärt (Pradhan.S, 2006) Erst im Juni 2013 hat die Regierung dieser Entscheidung entsprochen, und zwar durch eine umfangreiche internationale Medialisierung eines jungen Kamlari-Mädchens, das sich selbst opferte, um sich aus der Leibeigenschaft zu befreien (Kids Rights, Report, n.d.). Trotz des Strategieplans des Staates zur Beendigung dieser Versklavungspraxis der Kamlari-Mädchen, besteht diese bis heute. Täter werden noch immer nicht bestraft und sind nur einem geringen Risiko der Ergreifung ausgesetzt. Ein gravierender Mangel an Schulung unter den Polizeikräften zur Erkennung von Opfern und Praktiken, die Aussage eines Opfers, die noch immer zu stigmatisiert wird, ein Mangel an Vertrauen in das Justizsystem und am wichtigsten die überwältigende Präsenz der Menschenhändler innerhalb des „schützenden“ Systems als Polizeibeamte, Richter und Beamte machen den Abschaffungsprozess zu einer großen Herausforderung.

 

Aus all diesen Gründen haben wir uns dafür entschieden, unsere Stimme zum Kampf zu erheben, den diese Mädchen kämpfen, weil wir bei Humanium bestrebt sind, die Rechte jedes Kindes weltweit zu wahren, indem wir Erwachsene und Kinder für unsere Sache sensibilisieren, durch Veränderung von Einstellungen und durch unseren Einsatz.

 

Geschrieben von Maureen Fauconnier
Übersetzt von Katrin Glatzer

 

Referenzen

International Labour Office, “Global estimates of modern slavery: forced labour and forced marriage”, 2017 [Online] https://www.ilo.org/global/publications/books/WCMS_575479/lang–en/index.htm

Nepal Youth Foundation, “Press kit fact sheet: May 2014”, 2014 [Online] https://www.nepalyouthfoundation.org/wp-content/uploads/2014/05/NYF-FactSheet-History_of_Kamlari-May2014.pdf

Plan International, “Rescuing girls from Nepal’s Kamlari system”, 2011 [Online] https://plan-international.org/news/2010-06-11-rescuing-girls-nepals-kamalari-system

Nepal Youth Foundation, “NYF celebrates Kamlari Freedom Day-27th June”, 2013 [Online] https://www.nepalyouthfoundation.org.uk/latest-news/nyf-celebrates-kamlari-freedom-day-27th-june/

Pradhan.S, “Nepal: Land reforms, key to social harmony” 2006 [Online] http://www.ipsnews.net/2006/09/nepal-land-reforms-key-to-social-harmony/

Kids Rights Report, “Behind Closed Doors: child domestic labour, with a focus on the Kamlari system in Nepal”, [Online] https://kidsrights.org/sites/default/files/inline-files/Behind%20Closed%20Doors%20-%20Child%20Domestic%20Labour%2C%20with%20a%20focus%20on%20the%20Kamlari%20system%20in%20Nepal_0.pdf