Geschlossene Erziehungsanstalten in Frankreich: Eine neue Chance für jugendliche Straftäter

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Geschlossene Erziehungsanstalten werden in Artikel 33 der Verordnung vom 2. Februar 1945 über Kinderkriminalität als Zentren beschrieben, in denen „Minderjährige unter Überwachung und Kontrolle stehen und eine verstärkte erzieherische und pädagogische Begleitung entsprechend ihrer Persönlichkeit erfahren.“ Der Ausschuss der Vereinten Nationen für Kinderrechte sieht diese Zentren, die als Alternative zur Inhaftierung von Jugendlichen gelten, als einen positiven Fortschritt an. (Versini, 2010)

Eine Alternative zum Gefängnis

Geschlossene Erziehungsanstalten (CEF) sind Erziehungsanstalten für Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren, die in der Regel mehrfach rückfällig wurden und deren Verhalten in anderen Erziehungseinrichtungen nicht dauerhaft geändert werden konnte. Laut Jean-Luc Rongé, Herausgeber des Journal du Droit des Jeunes, waren 76 % der in geschlossenen Erziehungsanstalten untergebrachten Jugendlichen bereits unter Polizeiaufsicht und 30 % der Minderjährigen zwischen 13 und 16 Jahren waren bereits inhaftiert, bevor sie in eine CEF kamen. (Rongé, 2007). Die von Dominique Versini, die sich für Kinderrechte einsetzt, durchgeführte Untersuchung über geschlossene Erziehungsanstalten zeigt jedoch deutlich, dass über ein Viertel der in einer solchen Anstalt untergebrachten Jugendlichen kein Vorstrafenregister hat und die ersten Straftaten vor weniger als einem Jahr beging. (Versini, 2010)

Die geschlossenen Erziehungsanstalten wurden per Gesetz vom 9. September 2002, Perben I genannt, gegründet. In dieser Art von Einrichtung werden 10 bis 12 Jugendliche für ein halbes Jahr untergebracht, wobei die Unterbringung einmalig verlängert werden kann. In diesem Zeitraum nehmen der Leiter des Zentrums und der zuständige Richter regelmäßig eine Bestandsaufnahme über die Entwicklung des Minderjährigen vor. Laut Manuel Palacio, Leiter der Protection Judiciaire de la Jeunesse geht es darum, „die Vorteile der Haft mit denen der Erziehung zu verbinden“. (Palacio, 2006). Eine geschlossene Erziehungsanstalt (CEF) gilt als Alternativlösung zur Inhaftierung. Wird diese Art von Strafunterbringung jedoch nicht respektiert, hat der Richter die Möglichkeit, die Untersuchungshaft oder eine Freiheitsstrafe anzuordnen (französisches Justizministerium, 2010).

Welchen Fortschritt gibt es bei den Jugendrechten?

Manuel Palacio hinterfragt den Unterschied zwischen dieser Art von Einrichtung und dem Gefängnis, da es für letzteres eine Reform gibt, die auf die Begleitung von Minderjährigen abzielt. Laut Palacio ist es für geschlossene Erziehungsanstalten bezeichnend, dass „es unmöglich ist, auf den Mythos der Verbindung von Erziehung und Haft zu verzichten“ (Palacio, 2006). Denn in der Tat hat diese Einrichtung vor allem einen erzieherischen Charakter. Die Jugendlichen haben dort Zugang zu verschiedenen Aktivitäten, die aufgrund individueller Unterstützung festgelegt werden und zur Wiedereingliederung führen sollen. Der Begriff „geschlossen“ hat bei CEFs eine spezielle Bedeutung, da er zuerst auf eine juristische Haft verweist: „Es geht darum, Fluchtversuche zu vereiteln und Gewalt innerhalb der Zentren zu bestrafen und zwar nicht durch eine physische Haft (Mauer, Gitter, Wachtürme), sondern durch eine aussagekräftige juristische Androhung“ (Versini 2010). Diese Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen tragen zu einer verstärkten und individuellen erzieherischen und pädagogischen Begleitung bei.

Die in einem CEF untergebrachten Jugendlichen haben verschiedene, von der Verfechterin für Kinderrechte aufgeführten Rechte: das Recht auf Unterhaltung persönlicher Beziehungen, auf Redefreiheit, auf den Schutz des Privatlebens, auf Gesundheit und Bildung. Die durchgeführte Studie zeigt zum Beispiel auf, dass keine geschlossene Erziehungsanstalt über Videoüberwachung in Privaträumen verfügt; einige Zentren nutzen jedoch entsprechende Überwachungsvorrichtungen in Gemeinschaftsräumen. Die Berücksichtigung der genannten Grundrechte wird jedoch kontrovers diskutiert: Für einige Fachleute „führen die CEF einen Balanceakt an der Grenze des rechtsfreien Raums durch: Die Freiheit und die Privatsphäre der Insassen wird nicht sonderlich gewahrt: Schranke, Einzäunung und Schlüsselbund sind auch hier Erziehungsmaßnahmen ersten Grades“. (Rongé 2007)

Das pädagogische Projekt

Die Studie über die geschlossenen Erziehungsanstalten untersucht, wie die Bestrafung für den in einem CEF untergebrachten Minderjährigen wahrgenommen wird. Die Trennung von der Familie und von Freunden, das den Eltern zugefügte Leid und das tägliche Erbringen von Leistungen während einer bestimmten Zeit gehören dazu. Das Gefängnis wird als persönliche Strafe angesehen, während die Unterbringung in einer geschlossenen Erziehungsanstalt oft als Bestrafung der gesamten Familie seitens der richterlichen Instanz angesehen wird, die zu der irrtümlichen Annahme führt, dass die Eltern unfähig sind, mit dem Verhalten ihres Kindes umzugehen. Laut Sylvie Tordjman, Professorin der Kinderpsychiatrie an der Universität Rennes ist es entscheidend, „dem Jugendlichen zu signalisieren, dass dessen Familie für das CEF-Team wichtig ist“. Es ist daher unbedingt erforderlich, die Familie durch Treffen und Gespräche mit einzubinden und so die symbolische Funktion zu gewährleisten, die der Platz der Eltern für ihr Kind bedeutet (Versini, 2010).

Die Begleitung des Jugendlichen wird durch eine im Vorfeld intensive erzieherische Präsenz gewährleistet, die anschließend reduziert wird, um die Erlangung von Autonomie zu ermöglichen. Die Unterbringung des Minderjährigen in einem CEF besteht aus drei Modulen. Das Empfangsmodul ermöglicht die Erstellung eines Check-ups sowie eine Bilanz über den schulischen und beruflichen Leistungsstand. Die erzieherische Begleitung ist dabei intensiv; es geht darum, den Jugendlichen anzuleiten, sich die öffentlichen und gesellschaftlichen Normen erneut anzueignen. Während des Aufbaumoduls bilden die Gesundheit und die Bildung die Leitlinien des erzieherischen Projekts der CEF. Hier wird ein individuelles Projekt auf Grundlage der Ergebnisse aus den ersten Monaten umgesetzt. Die Betreuung endet mit einem Begleitungsmodul mit Blick auf die Entlassung. Die Erzieher sind daher vor allem als Betreuer bei Aktivitäten außerhalb der Anstalt präsent(Arsea, n.d).

Ein CEF unterscheidet sich von einer Strafanstalt aufgrund der erzieherischen und konstruktiven Dimension. Ziel ist es, dem Jugendlichen einen individuellen Weg aufzuzeigen, der ihn zur Autonomie und zur Wiedereingliederung führt. Der Alltag wird von strikten Verhaltensregeln bestimmt sowie von Uhrzeiten, an die sich die Jugendlichen zu halten haben. Sie müssen Aufgaben in einer bestimmten Zeit erledigen, wie die Beteiligung an Putz- und Unterhaltungsarbeiten in der Einrichtung. Unter der Woche finden verschiedene Aktivitäten unter Begleitung der Erzieher der Gruppe statt. Der Unterricht, der durch einen Lehrer des öffentlichen Schulwesens erfolgt, setzt vor allem darauf, Lücken beim Lesen, Schreiben und Rechnen zu schließen. Zusätzlich zu den schulischen Aktivitäten müssen die Jugendlichen unter der Anleitung eines Sportlehrers Sport treiben und haben außerdem Kunstunterricht. Didier Botteaux, Generaldirektor der Vereinigung Oberholz, beschreibt den Alltag im CEF von Saverne (Bas Rhin), wo die Jugendlichen Selbstachtung und Selbstaufwertung über die Kunst erfahren sollen. So konnten die Jugendlichen im Rahmen des „Printemps de l’écriture“ (Literaturfrühling) ein Gedicht verfassen, für das sie vom Schulinspektor den Poesiepreis erhielten (Botteaux, 2007). Im Hinblick auf die Wiedereingliederung sind außerdem eine Einführung in verschiedene Berufe über die Beteiligung an Praktika oder die Mitarbeit auf Baustellen vorgesehen. Ab dem Aufbaumodul sind interne oder externe Aktivitäten gemäß dem festgelegten Ziel vorgesehen. Der Pfleger bietet den Jugendlichen Arbeiten zur Gesundheitsvorsorge und -erziehung an, und Einzelgespräche mit dem Psychologen sind bis zur Entlassung Pflicht. Das Modul zur Vorbereitung auf die Entlassung enthält eine Bewertung der erworbenen Kenntnisse sowie die Begleitung bei externen Aktivitäten zur Umsetzung des Entlassungsprojekts.

Geschrieben von : Helena Bornemann
Übersetzt von : Andrea Wurth
Revision von : Deborah Leyendecker

 

 

 

Botteaux, D. (04/2007). Le centre éducatif fermé de Saverne. Journal du Droit des Jeunes, N° 264 pp. 45-46. . Accessible à : https://www.cairn.info/revue-journal-du-droit-des-jeunes-2007-4-page-45.htm

Versini, D. (06/2010). Enfants délinquants pris en charge dans les Centres éducatifs fermés : 33 propositions pour améliorer le dispositif. [PDF] Accessible à http://www.ladocumentationfrancaise.fr/var/storage/rapports-publics/104000413.pdf

Ministère de la justice. (7/01/2010). Les établissements de placement. Consulté le 4 mai, 2017, sur justice.gouv : http://www.justice.gouv.fr/_telechargement/doc/mineurs_etablissements_de_placement.pdf

Palacio, M. (09/2006). Les centres éducatifs fermés : entre mythe(s) et réalité(s). Journal du Droit des Jeunes, N° 259, pp. 23-25. Accessible à : https://www.cairn.info/revue-journal-du-droit-des-jeunes-2006-9-page-23.htm

Rongé, J.-L. (04/2007). Les centres éducatifs fermés. Journal du Droit des Jeunes, N° 264, pp. 38-39. Accessible à : https://www.cairn.info/revue-journal-du-droit-des-jeunes-2007-4-page-38.htm

Trémintin, J. (11/2004). CER, CEF… Contenir pour reconstruire pas à pas. Lien Social. N° 730. Accessible à : http://www.lien-social.com/CER-CEF-Contenir-pour-reconstruire-pas-a-pas

Arsea. (n.d) CEF-Centre Éducatif Fermé. Consulté le 16 mai, 2017, sur arsea.fr : http://www.arsea.fr/centre-educatif-ferme-cef/