Die Kinder der Andamanen-Inseln: Rechte und Wahrheiten

Posted on Posted in Kinderrechte, Menschenrechte

Die Andamanen-Inseln sind ein Archipel in der Bucht des Bengalischen Golfes, südlich von Myanmar. Laut Chaubey und Endicott (2013) wurden die Inseln erstmals vor etwa 26.000 Jahren durch Zuwanderer aus Afrika besiedelt. Die Siedler, auch bekannt unter dem Namen „Negritos“ oder „Andamaner“, lebten auf dem gesamten Archipel verteilt als die Briten dort im Jahr 1789 eintrafen. Nach deren Ankunft brachen Krankheiten wie Lungenentzündungen, Masern und die Grippe aus, was die Zahl der Bewohner so stark dezimierte das die lokalen Stämme kurz vor dem Aussterben standen. Es wird spekuliert, dass Teile der britisch-indischen Verwaltung die Anweisung hatten die Andamaner auszulöschen. In den 1920ern, nach der Vernichtung des Jangil Stamms, gab es nur noch 4 der vormals 5 ursprünglichen Stämme.

Ein Sprung ins 21. Jahrhundert. Nur ein paar hundert Andamaner haben überlebt. Den Stämmen, die sich von der Außenwelt abgeschottet haben, erging es dabei am besten. Außenstehende argumentieren, dass die sogenannte „Zivilisation“ ihnen Vorteile bringen würde, aber heute halten nur noch wenige an dieser Argumentation fest. Die Jarawa werden Touristen auf Safaris vorgeführt. Die Onge wurden in ein Reservat umgesiedelt, wo Drogen zu einem Anstieg an Sterbefällen in der Bevölkerung geführt haben. Nur die Sentinelesen klammern sich an eine fragile Freiheit in der sie auf der Nord-Sentinel-Insel leben. Sie haben es durch ihre abwehrende Einstellung gegenüber der Außenwelt geschafft verschont zu bleiben. Aber auch sie sind darauf angewiesen, dass die indische Regierung an ihrer „Bitte nicht stören“-Politik festhält. Jedoch ist es immer nur eine Frage der Zeit bevor wir Menschen der Versuchung erliegen andere zu stören, getrieben von unserer Neugier und unserem Antrieb zur Eroberung.

 

Bild 2: Jarawa-Kind als Safari-Exponat (Quelle: www.telegraph.co.uk)

 

Ich hatte geplant die folgenden Fragen zu beantworten: Inwiefern werden die Rechte der Kinder der Andamaner respektiert, geschützt und erfüllt? – Mit dem Gedanken im Kopf was diese Rechte beinhalten, traf ich bald auf unerwartet Schwierigkeiten bei meiner Suche nach Antworten. Ich stellte mir die Frage: Können wir davon ausgehen, dass die Realisierung aller Kinderrechte im besten Interesse jedes einzelnen Kindes ist?

Laut der Jarawa Kampagne (http://www.organicthejarawa.com) leitet die indische Regierung Schulen für die Kinder der Jarawas, zu deren Besuch die Kinder ermuntert werden, indem man dort Bananen austeilt. Ein parlamentarisches Komitee stellte fest, dass es für die meisten Schüler, die sich in der Schule anstrengen, wahrscheinlicher ist, mit der sogenannten „Mainstream-Gesellschaft“ in Berührung zu kommen. Aber sollten nicht alle Kinder das Recht haben zur Schule zu gehen? Und wie steht es mit dem Recht zu einem Land zu gehören?

 

Umsetzung des Rechts auf Freiheit

 

Bild 3: DOs und DON’Ts. NICHT STÖREN? (Quelle: www.livemint.com)

 

An diesem Punkt sollte man innehalten und sich einige Fragen stellen, bevor man voreilige Schlüsse zieht. Man könnte einfach annehmen, dass unsere Lebenswelt und unsere Wahrheiten universell sind. Man könnte einfach annehmen, dass wir als Botschafter der Kinderrechte über sogenannten „kulturellen Barrieren“ stehen mit denen manche das Leiden von Frauen (Verstümmelung der weiblichen Geschlechtsorgane, Hals-Ringe, etc.) oder von Kindern (erzwungene Kinderehen, Kindersklaverei, etc.) rechtfertigen. Eine einseitige Sichtweise ist eine echte Bedrohung in der sich Menschen gerne verfangen. Wie oft in der Geschichte der Menschheit haben wir Anderen Leid zugefügt, indem wir unseren Lebensstil einem unterjochten Volk aufgezwungen haben, gerechtfertigt mit engstirnigen Argumenten? Und wenn wir nicht in Betracht ziehen, dass das bloße Kontaktieren eines abgeschieden Stammes einer „Eroberung“ gleichkommt, sollten wir besser noch einmal nachdenken.

Einer unserer größten Kämpfer gegen allgemein-anerkannte Wahrheiten war Charles Darwin, der seine Idee der Evolution nachhaltig behauptete: Arten und Populationen konkurrieren um begrenzte Ressourcen, was zum Aussterben der Schwächsten führt. Ob wir seine Überzeugungen unterstützen oder nicht, sein Antrieb, einem anderen Weg zu folgen, ist bewundernswert für alle. Tatsächlich stammt von ihm das berühmte Zitat: „Ich bin nicht geneigt, blind der Führung anderer Männer zu folgen.“ Was auch immer auf den Andamanen-Inseln (und anderswo) geschieht, wir können nicht davon ausgehen, dass es rechtens ist, nur weil es von einer Mehrheit als rechtens wahrgenommen wird.

 

Bild 4: Jarawas am Straßenrand (Quelle: Survival International)

 

Es ist ein Balanceakt – mit den Rechten der Kinder auf der einen Seite und einer Kultur, die von Mythen geprägt ist, auf der anderen Seite. Es wäre leicht, nicht zu philosophieren und einem vorgeschriebenen Rezept für Menschenrechte zu folgen. Gleichermaßen sollten uns die verschiedenen kulturellen Ansichten der Kinderrechte nicht auseinander bringen, sondern sie sollten uns vereinen, da ihr Charakter universell ist. Die erste Zeile der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 erklärt: „Dahingehend ist die Anerkennung der ihnen innewohnenden Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte von allen Mitgliedern der menschlichen Familie die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt[1]Ein Grundprinzip hinter jedem Menschenrecht ist die Freiheit. Laut dem Merriam-Webster-Wörterbuch ist Freiheit definiert als „die Abwesenheit von Notwendigkeit, Zwang oder Einschränkung in der Wahl oder dem Handeln „.

Oft erwarten wir, die „Kinder der zivilisierten Welt“, dass unsere Nachkommen Entscheidungen treffen (Wahl einer Laufbahn oder eines Studiengangs oder das Annehmen der Geschlechterrolle), die den Rest ihres Lebens zum Guten oder zum Schlechten bestimmen könnte. So erkennen wir an, dass Kinder Wahlfreiheit besitzen und dass sie zu Recht für ihre Zukunft verantwortlich sind. Sollten nicht Jarawa-Kinder (und Erwachsene) unvoreingenommene bebilderte Handbücher über die lauernden Gefahren von Integration mit den Vor- und Nachteilen der Isolation erhalten, statt mit Bananen in die Schule gelockt zu werden? Dies könnte den Weg frei machen für eine Welt ohne Nötigung, Zwang oder Einschränkung.

 

Geschrieben von: Matyas Baan

Korrekturgelesen: Charlotte Madrangeas

Übersetzt von: Anna Gottmann

 

[1] Dieser Grundsatz wird im Übereinkommen über die Kinderrechte wiederholt im 1. Paragraph der Präambel, https://www.humanium.org/en/convention/text/