Die saharauische Flüchtlingskrise ist eine der am längsten anhaltenden humanitären Notsituationen der Welt, die bis heute andauert, ohne dass eine Lösung in Sicht ist. Tausende von saharauischen Kindern wachsen in Flüchtlingslagern auf, wo ihnen grundlegende Rechte wie der Zugang zu hochwertiger Bildung, stabile Lebensbedingungen und ein Gefühl der Sicherheit vorenthalten werden. Die internationale Hilfe hat zwar wesentliche Unterstützung geleistet, aber es ist noch viel mehr nötig, um diesen Kindern Zugang zu nachhaltigen Lösungen zu gewährleisten, die ihre Zukunft sichern.
Die Anfänge der Vertreibung
Die Westsahara, einst als Spanische Sahara bekannt, wurde von vielen als Teil Marokkos angesehen, nachdem sich Spanien 1975 im Rahmen der UN-geführten Entkolonialisierungsbemühungen zurückgezogen hatte. Es wurde allgemein angenommen, dass das Gebiet an Marokko übergeben werden würde. Die indigene saharauische Bevölkerung forderte jedoch stattdessen Selbstbestimmung und Unabhängigkeit (Larosch, 2007).
Der Internationale Gerichtshof bestätigte das Recht des saharauischen Volkes auf Unabhängigkeit, aber Marokkos König Hassan II. widersetzte sich dem Urteil, indem er den „Grünen Marsch“ organisierte und 350.000 Marokkaner in die Westsahara schickte, um sich dort niederzulassen. Die UNO verurteilte diesen Schritt, der auf die kürzliche Gründung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara folgte, deren offizielle Regierung sich im Exil in Algerien befindet (Larosch, 2007).
Dies führte zu einem 16-jährigen Guerillakrieg zwischen den saharauischen und marokkanischen Streitkräften. Obwohl ein von den Vereinten Nationen vermittelter Waffenstillstand im Jahr 1991 ein Unabhängigkeitsreferendum versprach, hat es noch nicht stattgefunden, und mehrere Gesprächsrunden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen haben den anhaltenden Streit nicht beilegen können (BBC News, 2023).
Im Konflikt gefangen
Um die Angriffe der saharauischen Armee zu stoppen, ordnete der marokkanische König den Bau einer riesigen Verteidigungsmauer an. Die über sieben Jahre gebaute Mauer besteht aus Sand und Steinen, ist zwei bis drei Meter hoch und mit Bunkern, Gräben, Stacheldraht, Minen und elektronischen Ortungssystemen befestigt (Delgado, 2019).
Die Mauer, die von über 100.000 marokkanischen Soldaten patrouilliert wird, grenzt die Sahrauis im Osten ab und schneidet sie somit von wertvollen Ressourcen wie Phosphaten und den reichsten Fischgewässern Afrikas ab. Diese Barriere, das längste ununterbrochene Minenfeld der Welt, ist von Landminenwarnschildern gesäumt und stellt eine ständige Gefahr für Kinder dar, die in der Nähe dieser gefährlichen Bereiche aufwachsen (Maclean, 2018).
Infolgedessen war die saharauische Armee gezwungen, auf der anderen Seite der Mauer in Algerien Flüchtlingslager zu errichten. Im Laufe der Jahre haben sie ihre eigene Verfassung, Polizei, Armee und Rechtssysteme entwickelt. Heute leben rund 155.000 saharauische Flüchtlinge in fünf Hauptlagern. Während diese Lager ursprünglich als provisorische Lager gedacht waren, leben viele Familien nun schon seit fünf Jahrzehnten dort (Fiddian-Qasmiyeh, 2010).
Das Leben der saharauischen Kinder in Flüchtlingslagern
Unter spanischer Herrschaft war das Bildungswesen in der Westsahara begrenzt, über 95 % der Bevölkerung waren Analphabeten. Seit ihrer Gründung hat die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) jedoch vorrangig Alphabetisierungskampagnen durchgeführt. Bis 1986 wurde ein nationales Bildungssystem mit Grundschulen, Vorschulen und zwei Sekundarschulen eingerichtet (Farah, 2010).
Ab den 1980er Jahren wurde Bildung zu einem zentralen Faktor für die Förderung der nationalen Identität und Eigenständigkeit. Trotz der harten Bedingungen in den Lagern – Armut und begrenzte Ressourcen – stieg die Alphabetisierungsrate auf über 95 %. Bildung hat das saharauische Volk erheblich gestärkt und war ein Katalysator für Eigenständigkeit und ein tiefes Gefühl der nationalen Identität (Farah, 2010).
Darüber hinaus hat die Universität Tifariti in der selbsternannten DARS seit ihrer Gründung im Jahr 2012 auch inmitten eines langwierigen militärischen Konflikts weiterhin eine Ausbildung für Absolventen ermöglicht. Bis heute haben Hunderte von Studenten ihren Abschluss gemacht, vor allem in Bereichen wie Krankenpflege und Bildung. Eine beträchtliche Anzahl saharauischer Studierender entscheidet sich jedoch immer noch für ein Hochschulstudium im Ausland (Nogueira, 2024).
Herausforderungen für saharauische Kinder in den Lagern
Trotz dieser Bemühungen bestehen weiterhin Herausforderungen wie raue klimatische Bedingungen, unzureichende Infrastruktur und schlechte Internetverbindung. Während die Universität eine wichtige Rolle beim Aufbau von Humanressourcen für einen möglichen unabhängigen Staat spielt, stehen viele junge Sahrauis in den Lagern vor einer ungewissen Zukunft und haben nur begrenzte Möglichkeiten, ihre Talente zu entwickeln (Nogueira, 2024).
Erschwerend kommt hinzu, dass schätzungsweise 54 % der saharauischen Kinder anämisch sind und 28% unter Wachstumsstörungen leiden – Erkrankungen, die ihre Entwicklung irreversibel schädigen können. Nur jedes dritte Kind erhält die abwechslungsreiche Ernährung, die für ein gesundes Wachstum notwendig ist. Diese alarmierenden Statistiken unterstreichen die großen Nöte, unter denen saharauische Kinder in den Lagern leiden und die ihre Zukunft und ihr Wohlergehen ernsthaft gefährden (UNICEF n.d.).
Verletzung der in der KRK verankerten Kinderrechte
Trotz der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention durch Marokko im Jahr 1993 kommt es nach wie vor zu erheblichen Verletzungen der Kinderrechte. Dazu gehört das Recht auf Bildung (Artikel 28), da anhaltende Konflikte und Vertreibung den Zugang zu hochwertiger Schulbildung stark behindern. Darüber hinaus verstoßen die schlechten Lebensbedingungen in den Lagern gegen Artikel 27 und beeinträchtigen das Recht jedes Kindes auf einen Lebensstandard, der seine körperliche, geistige, moralische und soziale Entwicklung fördert.
Darüber hinaus ist das Recht auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung (Artikel 24) bedroht, da der eingeschränkte Zugang zu medizinischer Versorgung das Wohlergehen der saharauischen Kinder gefährdet. Diese Verstöße unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer globalen Intervention zum Schutz ihrer Rechte. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Marokko seinen Verpflichtungen nachkommt und diese schwerwiegenden Probleme angeht, um die Zukunft der saharauischen Jugend zu sichern.
Der ungeklärte Status der Westsahara
Die UNO schlug einen Plan zur Beilegung des Westsahara-Konflikts vor, der eine Übergangszeit vorsah, die zu einem Referendum führte, in dem das saharauische Volk zwischen Unabhängigkeit und Integration mit Marokko wählen sollte. Dieses Referendum wird jedoch seit 1991 ohne absehbaren Termin verschoben, wodurch die Westsahara nach Syrien die am zweitlängsten andauernde Flüchtlingskrise der Welt ist (United Nations, 2024).
Eine ganze Generation von Sahrauis kennt nichts anderes als das Leben als Flüchtlinge, aufgewachsen in der rauen Umgebung der Sahara. Familien mit Kindern leben in einer abgelegenen, kargen Region ohne Pflanzen und Wasser, mit sengenden Sommern und eisigen Wintern. Abhängig von humanitärer Hilfe kämpfen sie täglich ums Überleben (Oxfam International, o.D.).
Seit 50 Jahren sind die Flüchtlinge zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse in hohem Maße auf die Unterstützung verschiedener NGOs angewiesen. Trotz dieser Unterstützung bleibt die Ernährungssicherheit ein kritisches Thema. Einem Bericht aus dem Jahr 2008 zufolge sind 61 % der Kinder von Mangelernährung betroffen , wobei die tägliche Kalorienzufuhr oft weit unter die empfohlenen Werte fällt (Martin Gomez, 2017).
Fortschritt und zukünftige Lösungen
Angesichts der erheblichen Nöte, denen sie ausgesetzt sind, wird kontinuierlich daran gearbeitet, die Lebensbedingungen der saharauischen Flüchtlinge zu verbessern. Die internationale humanitäre Hilfe konzentriert sich auf die Bereitstellung von lebenswichtigen Gütern wie Nahrung, Wasser und Medikamenten. Verschiedene Organisationen haben auch umfassende Bildungsprogramme für Kinder durch Sprach- und Computerkurse gefördert (Valladares, 2021).
Darüber hinaus streben die Flüchtlinge in der örtlichen Schule und im Kindergarten nach einem höheren Bildungsniveau. Ältere Schüler streben eine Universität in Algerien oder Spanien an. Allerdings gibt es kaum Einkommensmöglichkeiten, was dazu führt, dass die Lagerbewohner nach wie vor weitgehend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind und nur begrenzte Aussichten auf Eigenständigkeit haben (Bensemra, 2016).
Um diese Kinder besser zu unterstützen und ihnen beim Aufbau ihrer Zukunft zu helfen, sollten sich die Bemühungen stärker auf die Schaffung von Berufsbildungsprogrammen und die Bereitstellung von Ressourcen für Einkommensmöglichkeiten konzentrieren. Initiativen zur Förderung der Kompetenzentwicklung, könnten die saharauische Jugend stärken und befähigen, zu ihren Gemeinschaften beizutragen und auf eine nachhaltige Zukunft hinzuarbeiten.
Um einen dauerhaften Frieden in der Westsahara zu erreichen, muss die internationale Gemeinschaft die Vereinten Nationen dazu drängen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Die 1991 gegründete MINURSO (The United Nations Mission for the Referendum in Western) ist für die Durchführung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Westsahara verantwortlich. Ungelöste Fragen wie die Wahlberechtigung und die Rückführung von Flüchtlingen behindern jedoch weiterhin Fortschritte auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung (MINURSO, n.d.).
Bei Humanium setzen wir uns intensiv für das Recht der Kinder auf Gesundheit, Bildung und ein förderliches Umfeld ein, denn jedes Kind verdient eine Chance auf eine bessere Zukunft. Wenn Sie sich uns bei dieser Mission anschließen möchten, können Sie spenden, sich ehrenamtlich engagieren oder Mitglied werden.
Geschrieben von Lidija Misic
Übersetzt von Michael Aschenbrenner
Korrektur gelesen von Birgit Puttock
Bibliografie:
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