Kinderarbeit in der Landwirtschaft: eine gefährliche, aber weltweit verbreitete Praxis

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Weltweit findet der Großteil der Kinderarbeit (70 Prozent) in der Landwirtschaft statt (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen/FAO, 2023). Genauer gesagt sind heute 112 Millionen Jungen und Mädchen in den Bereichen Ackerbau, Viehzucht, Forstwirtschaft, Fischerei oder Aquakultur tätig, was häufig mit langen Arbeitszeiten und gefährlichen Arbeitsbedingungen verbunden ist. Zwar lassen sich viele der Herausforderungen auf grundlegende Ursachen wie Armut, soziokulturelle Faktoren und mangelndes Bewusstsein für dieses Problem zurückführen, doch sind diese Ursachen komplex und erfordern alle verfügbaren Ressourcen von Regierungen, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor, um Kinderarbeit in der Landwirtschaft zu bekämpfen. 

Kinderarbeiter in der Landwirtschaft

Schätzungen zufolge sind weltweit 160 Millionen Kinder, d. h. 1 von 10 Kindern, in irgendeiner Form von Kinderarbeit betroffen. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, des Klimawandels und von Konflikten tragen dazu bei, dass diese Zahlen weiter zunehmen. Tatsächlich könnte die Anzahl der betroffenen Kinder bis Ende 2023 um fast 9 Millionen ansteigen – dies wäre der erste Anstieg seit zwei Jahrzehnten (End Violence, 2023). 

Vor allem die Landwirtschaft ist der Sektor, in dem weltweit die meisten Kinder arbeiten. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations /FAO) arbeiten mehr als 112 Millionen Kinder in der Landwirtschaft, darunter im Landbau, der Fischerei, Aquakultur, Forstwirtschaft und Viehzucht. Das sind etwa 70 Prozent der Kinderarbeiter auf der Welt (FAO, 2023).

Kinderarbeit in der Landwirtschaft ist oft nicht offensichtlich, da die meisten Kinder als unbezahlte Familienarbeitskräfte in Kleinbetrieben oder ländlichen Unternehmen arbeiten oder von den Arbeitgebern aktiv versteckt werden, was durch die begrenzte Reichweite der Arbeitsinspektoren in ländlichen Gebieten erleichtert wird (FAO, 2020).

Die verfügbaren Daten über die Arbeit von Mädchen und Jungen in der Landwirtschaft sind begrenzt und werden durch herkömmliche Erhebungen nicht erfasst, da Kinder, die von Kinderarbeit betroffen sind, oft als „Helfer“ bezeichnet werden, die den Eltern in dem Familienbetrieb, auf Fischerbooten, auf Plantagen, in Berggebieten oder beim Hüten von Vieh helfen – obwohl sie möglicherweise ähnliche Arbeiten wie Erwachsene verrichten und die Aufgaben ebenso anstrengend sind.

Darüber hinaus berücksichtigen die meisten nationalen Erhebungen immer noch nicht die häusliche Arbeit, so dass die „Doppelbelastung“ der Kinder, die häufiger von Mädchen getragen wird, nicht erfasst wird (FAO, 2020).

Gefährliche Arbeit ohne angemessenen Schutz

Die Landwirtschaft ist einer der drei gefährlichsten Sektoren, was die Zahl der arbeitsbedingten Todesfälle, der nicht tödlichen Unfälle und der Berufskrankheiten angeht. In der Tat sind Kinder gerade aufgrund ihres jungen Alters zahlreichen gefährlichen Situationen ausgesetzt. Sie müssen schwere Lasten tragen, kommen mit Chemikalien und scharfen Werkzeugen in Kontakt, was zu tödlichen Unfällen und schweren gesundheitlichen Folgen führen kann (INTPA, 2021).

Kinder, die in der Landwirtschaft arbeiten, müssen unter Umständen schwere Maschinen oder scharfe Werkzeuge bedienen, kommen mit Pestiziden oder gefährlichen Insekten in Kontakt, arbeiten außerdem über viele Stunden und unter extremen Wetterbedingungen. Sie könnten körperliche Verletzungen erleiden, dazu Atemprobleme aufgrund der Chemikalien und Pestizide, die sie eventuell einatmen, und auch Hautinfektionen aufgrund der Stoffe, mit denen sie in Kontakt kommen (InfoStories, 2023).

Ursachen der Kinderarbeit in der Landwirtschaft 

Kinderarbeit in der Landwirtschaft ist ein weit verbreitetes Phänomen, von dem Kinder in der ganzen Welt betroffen sind. Eines der Hauptmerkmale hierbei ist die Tatsache, dass es sich um eine Kombination vieler Ursachen handelt, die miteinander verflochten sind. 

Armut 

Armut wird allgemein als eine der Hauptursachen für Kinderarbeit angesehen. Sie bleibt auch eines der hartnäckigsten Hindernisse für Bildung und verwehrt Kindern ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, sauberes Trinkwasser und Gesundheitsdienste (Gaffar, Kämpfer, 2023).

Unabhängig von dem Sektor oder dem Land, in dem die Untersuchung stattfand, zeigen Statistiken aus der Fertigung, der Landwirtschaft und dem Bergbau in acht Ländern (Äthiopien, Brasilien, Indien, Indonesien, Sri Lanka, Vietnam, der Türkei und der Demokratischen Republik Kongo) für den Zeitraum von 2019 bis 2021, dass viele Arbeiter, Landwirte und Bergleute nicht genug verdienen, um ihre Familien aus der Armut zu holen.

Sie verdienen sogar so wenig, dass sie Schwierigkeiten haben, grundlegende Ausgaben wie Lebensmittel und Bildung zu decken. Infolgedessen stellen niedrige Einkommen ein unmittelbares Risiko für das Recht der Kinder auf Überleben, Schutz, Bildung und Gesundheit dar (Gaffar, Kämpfer, 2023).

„Das Einkommen meines Vaters reichte nicht aus, um die Ausbildung von 4 Kindern zu finanzieren. Deshalb begann ich mit 14 Jahren zu arbeiten, damit meine beiden jüngeren Brüder zur Schule gehen konnten.“

– Sagt ein 17-jähriges Mädchen, das im Jahr 2021 in der Textilindustrie in Sri Lanka arbeitet (End Violence, 2023)

Soziokulturelle Faktoren

Kulturelle, soziale und demografische Faktoren in ländlichen Gebieten sind die Hauptursachen  für Kinderarbeit in der Landwirtschaft. So kann es beispielsweise sein, dass ländliche Familien die Mitarbeit von Kindern in der Landwirtschaft als Teil ihrer Kultur und als eine Möglichkeit des „Mithelfens“ und Lernens betrachten.

Es gibt auch den Fall, dass von Kindern, die bei wohlhabenderen Mitgliedern der Großfamilie untergebracht sind, erwartet wird, dass sie auf den Feldern arbeiten und Hausarbeiten verrichten, um im Gegenzug Zugang zu Bildung zu erhalten oder um jüngeren Geschwistern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen (FAO, 2020).

Außerdem sind sich Betreuer oder Eltern möglicherweise nicht bewusst, welche schädlichen Folgen solch gefährliche Arbeit für ihr Kind hat. Viele Landwirte sind sich nicht bewusst, dass die Beteiligung ihrer Kinder an der landwirtschaftlichen Familienarbeit unter bestimmten Bedingungen als eine Form der Kinderarbeit angesehen werden könnte.

In allen landwirtschaftlichen Bereichen herrscht unter den Eltern eine allgemeine soziale Akzeptanz der Kinderarbeit. Dies kann durchaus als Bewältigungsmechanismus angesehen werden, um der wirtschaftlichen Notwendigkeit Rechnung zu tragen, die Kinder früh in die Arbeit einzubinden.

Das Bewusstsein der Eltern, wie sie ihre Kinder vor gefährlicher Arbeit schützen können, kann jedoch je nach Ort und Bildungsstand der Eltern variieren (Gaffar, Kämpfer, 2023). Ein offener Dialog und Diskussionen auf lokaler Ebene sind wichtig, um das Wissen, die Einstellungen und Praktiken vor Ort zu verstehen und zu würdigen während gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf widrige Situationen gelenkt wird und konkrete Lösungen gefördert werden. (FAO, 2020).

Fehlender Zugang zu Bildung

Der Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung in ländlichen Gebieten ist der Schlüssel, um Kinder von Kinderarbeit fernzuhalten. Ländliche Gebiete sind jedoch häufig gekennzeichnet durch fehlende oder schlechte Schulen und Infrastrukturen, hohe Fluktuationsraten bei den Lehrern (vor allem in abgelegenen Gebieten), begrenzte Lehrmittel, Lehrpläne mit geringer Relevanz für das Leben auf dem Land, niedrige und schwankende Schulbesuchsquoten sowie ein niedrigeres Niveau der schulischen Leistungen und Erfolge.

Hinzu kommt, dass die Kinder unter Umständen weite Wege zur und von der Schule zurücklegen müssen. Mädchen sind mit weiteren Hindernissen konfrontiert, z. B. mit traditionellen Einstellungen, die der Bildung von Mädchen keinen Wert beimessen. Außerdem können sie auf langen Schulwegen der Gefahr des Missbrauchs ausgesetzt sein (ILO, 2023). 

Wie bereits erwähnt, können Familien mit geringem Einkommen Schwierigkeiten haben, die Ausbildung ihrer Kinder zu bezahlen, vor allem, wenn man die anderen mit der Ausbildung verbundenen Kosten wie Schuluniformen, Bücher und Transport berücksichtigt. Darüber hinaus findet an vielen Schulen der Unterricht offiziell nur halbtags statt, und es kann vorkommen, dass die Familien extra bezahlen müssen für „Nachhilfeunterricht“, damit die Schüler länger in der Schule bleiben.

All diese Kosten, von denen einige weniger offensichtlich sind als andere, machen einen beträchtlichen Teil der Familienausgaben aus und verschärfen häufig die Probleme der Familien, diese Ausgaben zu bestreiten (Gaffar, Kämpfer, 2023). Dies könnte Eltern dazu veranlassen, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, insbesondere in der Landwirtschaft, wo sie ihre Eltern sowohl in praktischer Hinsicht als auch in wirtschaftlicher Hinsicht unterstützen könnten.

Empfehlungen für die Abschaffung der Kinderarbeit in der Landwirtschaft

Zwar lassen sich viele dieser Herausforderungen auf grundlegende Ursachen wie Armut, mangelndes Wissen und Bewusstsein sowie soziokulturelle Faktoren zurückführen, doch diese Ursachen sind komplex und erfordern alle verfügbaren Ressourcen der Regierungen, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor, um sie zu bekämpfen (Gaffar, Kämpfer, 2023). Dazu ist es wichtig, Partnerschaften und Initiativen zwischen Regierungen und Wirtschaftsakteuren einzurichten und zu verstärken, die sich an internationalen Übereinkommen, Normen, Leitlinien und nationalen Strategien orientieren (INTPA, 2023).

Die Regierungen sind bei der Beendigung der Kinderarbeit in der Landwirtschaft Maßgebend, angefangen bei der Verbesserung des Sozialschutzes. Ein Schutz der Haushalte vor extremer Armut könnte Eltern davon abhalten, ihre Kinder aus wirtschaftlichen Gründen zur Arbeit zu schicken, und so die Chancen der Kinder auf eine Fortsetzung ihres Bildungsweges erhöhen (OHCHR, 2022). 

Was praktische Lösungen angeht, so sind zweckgebundene Geldleistungen im Bildungsbereich ebenfalls eine gute Option. Sie sind ein weit verbreitetes, sozialpolitisches Instrument, das die Einschulung und den regelmäßigen Besuch der Schule erleichtern soll. Als Gegenleistung für den regelmäßigen Schulbesuch ihrer Kinder erhalten die Familien eine Zahlung (Gaffar, Kämpfer, 2023). 

Andererseits ist es von entscheidender Bedeutung, Kampagnen zur Abschaffung der Kinderarbeit durchzuführen und das Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen der Kinderarbeit zu schärfen (ILO, 2023). Wie bereits erwähnt, ist das Phänomen der Kinderarbeit in der Landwirtschaft auch durch soziokulturelle Faktoren bedingt, so dass es wichtig ist, die Rechte der Kinder sichtbarer zu machen und sie auf allen Ebenen der Gesellschaft zu fördern.

In diesem Sinne sind ein offener Dialog und Diskussionen auf lokaler Ebene zum Verständnis und zur Würdigung des Wissens, der Einstellungen und Praktiken vor Ort in Bezug auf Kinderarbeit in der Landwirtschaft von wesentlicher Bedeutung (FAO, 2022). 

Bei Humanium engagieren wir uns stark für die Förderung des Bewusstseins für den Kinderschutz im Agrarsektor. In Ruanda haben wir die Wiederherstellung von Wasserleitungen ermöglicht, damit die Kinder, die ihre Zeit mit dem Wassertragen für ihre Familien verbrachten, stattdessen die Schule besuchen konnten. Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten, überlegen Sie bitte, ob Sie sich Humanium anschließen wollen, indem Sie eine Patenschaft für ein Kind übernehmen, spenden, Mitglied werden oder sich ehrenamtlich engagieren!

Verfasst von Arianna Braga

Übersetzt von Katharina Wilhelm

Korrektur von Birgit Puttock

Literaturverzeichnis: 

End Violence (2023). From Food to Phones: Child Labour Risks are High in Global Supply Chains. Retrieved from End Violence at https://www.end-violence.org/articles/food-phones-child-labour-risks-are-high-global-supply-chains, accessed on 1 August 2023.  

FAO (2020). FAO framework on ending child labour in agriculture. Retrieved from FAO at https://www.fao.org/documents/card/en/c/ca9502en/, accessed on 5 August 2023. 

FAO (2023). Child Labour in Agriculture. Retrieved from FAO at https://www.fao.org/childlabouragriculture/en/?amp%3Butm_campaign=buffer, accessed on 1 August 2023. 

Gaffar, C., Kämpfer, I. (2023). Child Rights Risks in Global Supply Chains: Why a ‚Zero Tolerance‘ Approach is not Enough. Retrieved form Save the Children at https://resourcecentre.savethechildren.net/pdf/save-the-children-child-rights-risks-in-global-supply-chains-2023.pdf/, accessed on 31 July 2023. 

ILO (2023). Education and child labour in agriculture. Retrieved from ILO at https://www.ilo.org/ipec/areas/Agriculture/WCMS_172347/lang–en/index.htm, accessed on 7 August 2023. 

InfoStories (2023). Child labour in agriculture. Retrieved from ILO at https://www.ilo.org/infostories/en-GB/Stories/Child-Labour/Child-Labour-In-Agriculture#introduction, accessed on 5 August 2023. 

INTPA (2023). To eradicate child labour we must focus our attention on agriculture. Retrieved from INTPA at https://international-partnerships.ec.europa.eu/news-and-events/stories/eradicate-child-labour-we-must-focus-our-attention-agriculture_en, accessed on 7 August 2023. 

OHCHR (2022). UN experts urge action to address alarming increase of child labour in agriculture sector. Retrieved from OHCHR at https://www.ohchr.org/en/press-releases/2022/05/un-experts-urge-action-address-alarming-increase-child-labour-agriculture, accessed on 7 August 2023.