Palästina-Chronik Nr. 4: Die „Quellen“ der Zwietracht

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Zum ersten Mal bietet Humanium eine Reihe von Chroniken, die uns über vier Themen ins Herzen von Palästina führen. Jede Chronik bietet einen anderen Blickwinkel auf diese besondere und komplexe Region. Hier nun die letzte dieser Reihe.

Egal, ob es um die ungerechte Aufteilung der unterirdischen Wasserreserven, die Trockenheit, die mangelnden sanitären Infrastrukturen und die schlechte Wasserqualität geht, die Palästinenser haben mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. In der letzten Chronik dieser Reihe sehen wir uns die Herausforderungen rund um die Wasserversorgung in Palästina an.

Wasser ist eine wesentliche Ressource. Ohne sie ist menschliches Leben nicht möglich, daher spricht man oft von der Quelle des Lebens. Rechtlich gesehen gilt Wasser als Gemeingut, das somit der Allgemeinheit gehört [1]. Von seiner Art und seinen Eigenschaften her kann man sich Wasser nicht als Gut aneignen, zumindest nicht aus Sicht des Gesetzes [1]. Dennoch verhindert dies nicht die Kommerzialisierung von Wasser. In Krisensituationen ist die Vereinnahmung der Wasserressourcen eine der größten Herausforderungen, denn Wasser kann somit zum Druckmittel gegen den Feind werden.

Wasserreservoirs auf palästinensischen Häusern, ein gewohnter Anblick

Im gesamten Heiligen Land (Israel und Palästina) gibt es acht Grundwasserleiter [2]. Ein Grundwasserleiter ist per Definition eine Gesteinsformation, die zeitweise oder dauerhaft Wasser führt [3]. In der Tat handelt es sich um eine Art Felsenreservoir mit unterirdischem Wasser, das porös oder rissig genug ist, damit das Wasser ungehindert zirkulieren kann [3, 4]. Der Begriff Grundwasserleiter bezieht sich auch auf verwertbare unterirdische Wasserreserven. Von den acht Grundwasserleitern in der Region liegen drei von ihnen    im Westjordanland mit den Landesgrenzen von 1949: der westliche, der östliche und der nordöstliche Wasserleiter, die sich alle im Judäischen Bergland und in Samarien befinden [5][1] .

Trotz der geografischen Lage fließen die Gewässer dieser Grundwasserleitern hauptsächlich aus dem Westjordanland hinaus in Richtung Israel [2] und nicht nur unterirdisch. Denn Israel gibt   sich nicht damit zufrieden nur  das Wasser, das sich natürlicherweise auf seinem Territorium befindet, zu nutzen, sondern   auch das aus  palästinischen Quellen.

Um die derzeitige Situation zu begreifen, sollte man einen kurzen Blick auf die Vergangenheit werfen. Mekorot, das nationale Trinkwasserversorgungsunternehmen Israels, das etwa 80 % des Trinkwassers im Land liefert [6] ließ sich ab 1982   im Westjordanland nieder mit dem Ziel, die israelischen Kolonien mit Wasser aus dem westlichen Grundwasserleiter zu versorgen [7].

Dies bot Israel die Gelegenheit, den einzigen Grundwasserleiter im Westjordanland auszubeuten, dessen Wasser nicht in seine Richtung floss. 1995 war die Ausbeutung der Wasserressourcen bereits sehr unausgewogen und wurde im selben Jahr mit dem Abkommen von Oslo II besiegelt [7]. Dieses Abkommen sollte vorerst nur eine provisorische, für 5 Jahre geltende Vereinbarung sein [8]. Dennoch wird das unterirdische Wasser aus den drei betroffenen Grundwasserleitern auch heute noch zu 80 % von Israel und zu 20 % von den Palästinensern genutzt [7]. Durch die Vereinbarung hat Mekorot auch das Recht, das  im Westjordanland entnommene und weiterverkaufte Wasser zum Selbstkostenpreis   anzubieten {7].

1995 wurde außerdem die Palestinian Water Authority (PWA) gegründet. Deren Hauptaufgabe ist, für den Schutz der Ressourcen sowie eine gerechte Wasserverteilung und Verteilung der Gesundheitsdienstleistungen zu sorgen [9]. Da die den Palästinensern zugeteilte Wassermenge nicht für die Deckung der Bedürfnisse der Bevölkerung ausreicht, sieht sich die PWA gezwungen, von Mekorot mehr als das Doppelte der in der Vereinbarung vorgesehenen Menge zu kaufen [8]. Die PWA übernimmt dann die Verteilung des Wassers an die Gemeinden, die dieses wiederum an die Verbraucher weitergeben. Doch die PWA kann nicht den gesamten Preis für das von Mekorot gelieferte Wasser zahlen und häuft daher Jahr für Jahr Schulden an [10].

Kontrolle der Wasserkanalisation in einem Dorf

Diese Verteilerkette betrifft im Westjordanland die meisten Orte   ohne fließendes Wasser. Das Leitungswasser enthält in der Regel eine gewisse Konzentration an Restchlor, damit es trinkwassertauglich bleibt und problemlos getrunken werden kann.

Allerdings führt der schlechte Zustand der Leitungen zu Lecks und dem Verlust von etwa einem Drittel des von der PWA verteilten Wassers [8]. Die Lage ist jedoch in den ländlichen Gemeinden auf besetztem palästinensischem Territorium noch komplexer.

Letztere betreffen die unter israelischer Kontrolle in Zone C gelegenen Gebiete. Die Aufteilung des Westjordanlands in drei verschiedene Zonen ist eine weitere Folge des Abkommens von Oslo II. Die ländlichen Gemeinden in dieser Zone haben oft keine Möglichkeit, geeignete Sanitäranlagen zu bauen oder sich an ein Trinkwassernetz anzuschließen, außer sie tun dies auf illegale Art und Weise. Aufgrund dieser Versuche, Zugang zu Trinkwasser zu erhalten, kommt es vor, dass die israelische Zivilverwaltung in Begleitung der Armee Wasserleitungen kappt und konfisziert, wie dies im Februar 2019 in der Region Masafer Yatta der Fall war [11].

Diese Gemeinden müssen daher auf verschiedene Wasserquellen zurückgreifen und zwischen den Wassertanks von Mekorot, die sie bei der Gemeinde kaufen und in Brunnen gesammeltem Regen- und Rieselwasser abwechseln. Trotz ihrer Bemühungen gelingt es den Bewohnern dieser Regionen nicht, Wasserknappheit im Sommer zu verhindern.

Die Sommerhitze trägt natürlich jedes Jahr zur Trockenheit bei und schränkt die Palästinenser in ihrem Wasserverbrauch erst recht ein. Am meisten betroffen sind die Einwohner der ländlichen Gemeinden, die nicht mit fließendem Wasser versorgt werden. Sie müssen ihren Wasserverbrauch auf ein Minimum reduzieren und Wassertanks von der Gemeinde kaufen. Die Hygiene wird daher auf ein Minimum heruntergefahren. „So ist es nicht sinnvoll, Einwohnern dieser Orte häufigeres Händewaschen zu empfehlen, um die Verbreitung von Krankheiten (insbesondere Ruhr) zu vermeiden, wenn man weiß, dass sie auf jeden Liter Wasser achten müssen, um im Sommer zu überleben“, sagte mir ein Einwohner von Hebron  , der an einer Sensibilisierungskampagne teilnahm.

Da zudem diese Gemeinden von der Landwirtschaft leben, bedroht der Wassermangel ihren Alltag und ihre Haupternährungsquelle: Landwirtschaft und Viehwirtschaft. Wird das Wasser knapp, leiden auch die Böden und die Tiere.

Selbst Großstädte wie Hebron sind nicht verschont. Die Einwohner machen sich Sorgen und bereiten sich mehr schlecht als recht ab Anfang Mai auf den Sommer vor. Sie versuchen, Reserven anzulegen und kaputte Wasserleitungen auszumachen und zu reparieren. Auch wenn nicht jeder darüber spricht, haben sie dennoch alle Angst vor Trockenheit.

Die Situation in Gaza ist noch beunruhigender. Grundsätzlich ist dieser 41 km lange Streifen am Mittelmeer seit Juni 2007 mit einer Blockade belegt [8] und wird regelmäßig von den Israelis bombardiert, sehr oft als Reaktion auf Raketen, die von den Hamas in Richtung der Großstädte an Israels Küste abgefeuert werden (insbesondere Tel Aviv). Bei diesen Bombardierungen kommen Menschen zu Schaden, aber auch Material wie Wassernetz und sanitäre Infrastrukturen [8].

Die Reparatur ist jedoch äußerst schwierig, da jeglicher Import von Zement und Eisen von Israel aus verhindert wird, da diese Materialien als Grundlagen für militärische Zwecke gelten [8]. Was die Wasserressourcen betrifft, so hängt Gaza hauptsächlich vom Wasserleiter an der Küste ab. Der ist jedoch überbeansprucht und verschmutzt [8]. Die Ausbeutung dieses Wasserleiters verhindert nicht nur die Erneuerung der Ressourcen, sondern lässt auch Meereswasser eindringen, das   die unterirdischen Wasserreserven verschmutzt [12].

Die einzige Alternative besteht im Kauf von Wasser bei Privatunternehmen [8]. Nimmt man alle Quellen zusammen, wird geschätzt, dass lediglich 18 % des Wassers für den Hausgebrauch trinkbar ist [8] und lediglich 10 % der Bevölkerung im Gazastreifen Zugang dazu hat [12]. Außerdem sind die Blockade, die sommerlichen Trockenperioden und Wasserverlust aufgrund beschädigter Kanalisationen (40 % des Wassers geht verloren [8]) die Hauptgründe für den Wassermangel in Gaza.

Einer der Wasserfilter, die Cesvi verteilt

Die Wasserqualität stellt eine ebenso große Herausforderung wie der Zugang zu dieser Ressource dar und zwar selbst im Westjordanland, wo geschätzt 90 % der palästinensischen Bevölkerung Zugang zu Trinkwasser hat [12]. Bei den restlichen 10 % handelt es sich hauptsächlich um ländliche Gemeinden in der Zone C. In diesen Dörfern kann das verwendete Wasser aus Rieselwasser bestehen oder in schlecht gewarteten Tanks gelagert und so für den Verbrauch nicht geeignet sein. Es kommt durchaus vor, dass dort Bakterien (E. coli) gefunden werden, die auf eine potentielle Fäkalverschmutzung hinweisen.

Obwohl Krankheitserreger auch natürlicher Weise vorkommen können, ist die Bevorratung von Wasser von Bedeutung, denn sie kann sich auf dessen Qualität auswirken. Bakterien können sich vermehren und eine Verunreinigung von außen ist immer möglich. Der Mangel an entsprechenden Sanitäranlagen und an Hygiene begünstigt die Verunreinigung. „Das Brauchwasser befindet sich oft in unmittelbarer Nähe der Lagerbestände und der sauberen Wasserquellen und somit wird die Verunreinigung von Trinkwasser begünstigt,“ erklärte mir ein Arzt aus dem ländlichen Gebiet, den ich bei meinem Master-Projekt in der Region Yatta im Süden Hebrons getroffen hatte. „Derzeit haben viele Menschen eine Infektion durch einen Wurm, der sie krank macht.“ Das sind die Herausforderungen, denen es sich auf dem Land, weit entfernt vom Komfort der Städte, zu stellen gilt.

Egal, ob im Gazastreifen oder im Westjordanland – zahlreiche Projekte werden von internationalen Kapitalgebern finanziert und von NGOs geleitet, in dem Versuch, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Die Teams für Wasser und Wohnungen des Internationalen Roten Kreuzes setzen sich in beiden Regionen für die Verbesserung von Service und Infrastrukturen ein. Die Herausforderungen der Trinkwasserversorgung gehen oft mit einem globalen Management der städtischen Umgebung einher, darunter die Infrastruktur und auch die Stromversorgung, die beide für die zentrale Wasseraufbereitung erforderlich sind.

Auch weniger bekannte und kleinere NGOs wie die italienische Organisation Cesvi sind in diesem Bereich aktiv, jedoch auf eine andere Art. In den besetzten Palästinensergebieten im Süden Hebrons verteilt Cesvi Trinkwasserfilter in Orten, die nicht an das Wassernetz angeschlossen sind. Außerdem stellt die Organisation Recyclingsysteme für Brauchwasser zum Händewaschen zur Verfügung und leitet Workshops zur Sensibilisierung für Hygiene mit dem Ziel einer verbesserten Gesundheit. Diese Aktionen sind auf Dörfer, aber auch auf Schulen und Kliniken ausgerichtet.

Ein Einwohner einer Gemeinde im Süden von Hebron schenkt sich ein Glas Wasser aus einem von Cesvi zur Verfügung gestellten Filter ein

Unabhängig von der Situation sind Kinder stets am verletzlichsten angesichts von Wassermangel und -verunreinigung. Dies kann Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wachstum haben. Die Sensibilisierung von Kindern angesichts der hygienischen Herausforderungen und dem Umgang mit Wasser ist ein Träger des Wandels. Deren Neugierde und Lernfähigkeit macht sie empfänglich und kann längerfristig für Veränderung sorgen, mit der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen für künftige Generationen.

Dennoch sind persönliche Aktionen in einer Region, in der Wasser von einem Teil der Bevölkerung vereinnahmt und als Druckmittel verwendet wird, nicht ausreichend. Angesichts einer solchen Ungleichheit ist es wichtig daran zu erinnern, dass Wasser kein Gut ist, das man besitzt, sondern eine Lebensquelle für alle Menschen.

Wasser ist  Quelle des Leben, man muss es bewahren und teilen.

Verfasst bei Alexis Baron

Übersetzt von Andrea Wurth

Lektorat von Susanne Schroeder

Mehr darüber

Gaza: Die Wasserkrise in Bildern: https://www.icrc.org/fr/document/gaza-la-crise-de-leau-image-par-image

Augenblicke der Freude – Schnappschüsse junger Fotografen in Gaza: https://www.icrc.org/fr/document/des-moments-de-joie-pris-sur-le-vif-par-de-jeunes-photographes-de-gaza

Referenzen

[1] Lucarelli, A. (2010). IV. La nature juridique de l’eau entre bien public et bien commun. Droit et Gestion des Collectivités Territoriales – Les enjeux de la gestion locale de l’eau., 30, pp. pp. 87-98. doi:https://doi.org/10.3406/coloc.2010.2138

[2] Gasteyer, S., Isaac, J., Hillal, J., & Walsch, S. (2012, Juin). Water Grabbing in Colonial Perspective: Land and Water in Israel/Palestine. Water Alternatives, 5, 450-468. Consulté le Novembre 26, 2019, sur https://www.researchgate.net/publication/265882219_Water_Grabbing_in_Colonial_Perspective_Land_and_Water_in_IsraelPalestine#pf7

[3] Actu Environnement. (s.d.). Dictionnaire environnement – Aquifère. Consulté le Novembre 2016, 2019, sur Actu Environnement: https://www.actu-environnement.com/ae/dictionnaire_environnement/definition/aquifere.php4

[4] Wikipedia – Aquifère. (s.d.). Consulté le Novembre 26, 2019, sur Wikipedia: https://fr.wikipedia.org/wiki/Aquif%C3%A8re

[5] Mutin, G. (2007). Les eaux souterraines disputées entre Israël et les Palestiniens. Consulté le Novembre 26, 2019, sur Université Lyon 2: http://theses.univ-lyon2.fr/documents/lyon2/2007/mutin_g#p=54&q=Les+eaux+souterraines+disput%C3%A9es+entre+Isra%C3%ABl+et+les+Palestiniens&o=0&a=highlight

[6] Mekorot – Main Facts & Figures. (s.d.). Consulté le Novembre 27, 2019, sur Mekorot Israel National Water Co.: http://www.mekorot.co.il/Eng/newsite/AboutUs/FactsFigures/Pages/MainFactsFigures.aspx

[7] Blanc, P., Chagnollaud, J.-P., & Souiah, S.-A. (2017). Atlas des Palestiniens (éd. 3). Paris, France: Editions Autrement. Consulté le Novembre 2019

[8] B’Tselem. (2017, Novembre 11). Water. Consulté le Novembre 30, 2019, sur B’Tselem: https://www.btselem.org/water

[9] State of Palestine – Water Authority. (2017, Juillet 31). Strategic goals and objectives. Consulté le Novembre 28, 2019, sur Palestinian Water Authority: http://www.pwa.ps/page.aspx?id=HdcdyCa2542132263aHdcdyC

[10] The World Bank. (2018). Securing Water for Development in West Bank and Gaza. Working report, The World Bank. Consulté le Novembre 28, 2019, sur The : http://documents.worldbank.org/curated/en/736571530044615402/Securing-water-for-development-in-West-Bank-and-Gaza-sector-note

[11] B’Tselem. (2019, Février 13). Civil Administration cuts and confiscates water pipe servicing 12 communities in the Masafer Yatta area in South Hebron Hills. Consulté le Novembre 28, 2019, sur B’Tselem: https://www.btselem.org/video/20190214_civil_administration_cuts_and_confiscates_water_pipe_servicing_12_communities_in_masafer_yatta#full

[12] The World Bank. (2016, Novembre 22). Ressources en eau: une situation alarmante à Gaza. Consulté le Décembre 2, 2019, sur The World Bank: https://www.banquemondiale.org/fr/news/feature/2016/11/22/water-situation-alarming-in-gaza


[1] Aquifer Map: https://www.researchgate.net/figure/Aquifers-that-originate-in-the-West-Bank-and-runoff-direction-Courtesy-of-Applied_fig1_265882219