Während sich die Welt immer tiefer in den digitalen Raum hineinbewegt, wächst die Notwendigkeit, die Auswirkungen neuer digitaler Technologien auf das Recht der Kinder auf Bildung zu untersuchen. Die Konzeptualisierung von Bildung als Menschenrecht erfordert eine stärkere Beachtung des 4A-Rahmens der Vereinten Nationen (accessibility (Erreichbarkeit), adaptability (Anpassungsfähigkeit), acceptability (Akzeptanz) und availability (Verfügbarkeit)), insbesondere: die Zugänglichkeit und Anpassungsfähigkeit von Schulumgebungen, über die reine Akzeptanz und Verfügbarkeit hinaus. Neue Technologien beeinflussen alle diese Kriterien, zumal der Bildungssektor sich weiterhin die neuen Möglichkeiten zunutze macht.
Was ist Bildungstechnologie?
Bildungstechnologie, auch bekannt als EdTech, wird üblicherweise als der Bereich der Technologie definiert, der sich mit der Entwicklung und Anwendung von Werkzeugen für Bildungszwecke beschäftigt (Lazaro, 2020). Die Einführung dieser Technologien hat zahlreiche Herausforderungen mit sich gebracht, die das Recht der Kinder auf Privatsphäre zu untergraben drohen.
Bildung und kindliche Entwicklung
Wie gezeigt wurde, prägt die digitale Umgebung die Entwicklung von Kindern auf vielfältige Weise (Europarat, 2020). Technologie durchdringt die meisten Bereiche des täglichen Lebens von Kindern und eröffnet größere Lern-, Kommunikations- und Entwicklung-möglichkeiten, aber sie birgt auch neue Risiken für die Verwirklichung der Menschenrechte von Kindern. Im Bildungsbereich hat die Technologie neben anderen Innovationen neue Medien für den Austausch und die Kommunikation von Informationen, die Verbindung von Schulgemeinschaften über das Klassenzimmer hinaus und die Anpassung der Bildungsangebote an einzelne Kinder geschaffen (Europarat, 2020). Mit diesen Entwicklungen kommen jedoch auch neue Herausforderungen.
EdTech und die Privatsphäre/Datenschutz von Kindern
Tools und Software, die im Klassenzimmer eingesetzt werden, um Lernerfahrungen zu verbessern, entwickeln sich schnell weiter. Von der Verwendung fortschrittlicher emotionaler KI und Gesichtserkennung bis hin zur einfachen Migration von Bildungsmaterial auf gemeinsam genutzte Online-Plattformen – die Technologie spielt bei den Lernerfahrungen der Kinder eine immer größere Rolle. All diese Tools zur Unterstützung und Förderung der Bildung von Kindern werden als EdTech bezeichnet, und ihre Einführung bringt neue Herausforderungen sowohl für Kinder als auch für Tech-Implementierer mit sich. Wie vom Europarat beschrieben, wird EdTech oft „eingesetzt, ohne dass sich die verschiedenen Akteure immer der Herausforderungen für das Privatleben der Kinder und den Schutz persönlicher Daten bewusst sind“ (Europarat, 2020).
In der Eile, neue Technologien zu implementieren, haben es die Regulierungsbehörden im Bildungsbereich versäumt, mit anderen Branchen Schritt zu halten, wenn es darum geht, den angemessenen Schutz von Kinderdaten zu gewährleisten. Die Bildungsdaten von Kindern sind „weit weniger geschützt“ als Gesundheitsdaten (Han Jung, 2020), und eine große Anzahl von Ländern hat keine Datenschutzgesetze, die Kinder explizit schützen. Ohne angemessene Regulierung sind sensible Informationen über Kinder – wie ihre Namen, Adressen und Verhaltensweisen – offen für Ausbeutung (Han Jung, 2020). Im Jahr 2020 gerieten zahlreiche beliebte Fernlernplattformen bezüglich ihrer Sammlung, Weitergabe und Verwaltung von Kinderdaten in die Kritik (Han Jung, 2020).
Eine weitgehende Untersuchung von eQuality listet einige der drängendsten Bedenken im Zusammenhang mit dem Einsatz von EdTech auf: Verfolgung von Schüleraktivitäten innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers, Diskriminierung von Kindern aus marginalisierten Gemeinschaften, Verletzung des Datenschutzes und der Autonomie von Kindern sowie der Verkauf von Kinderdaten an private Dritte wie Werbefirmen (Bailey, 2020). Diese Bedenken können nur ausgeräumt werden, wenn Pädagogen auf die Bedingungen der verwendeten Software achten, unabhängig davon, ob sie für Bildungszwecke konzipiert wurde oder nicht (z. B. Videokonferenzanwendungen wie Zoom oder Skype).
Tatsächlich ist es so, dass Technologien, die für andere Zwecke entwickelt wurden, aber als Lehrmittel eingesetzt werden, eine größere Aufmerksamkeit auf ihre Datenschutzrichtlinien und -beschränkungen erfordern. Neuere Versionen von Zoom geben beispielsweise an, dass die von den Schülern gesammelten Daten ihren Namen, ihre Schule, ihre Geräte und Internetverbindungen sowie Details über die von den Kindern angesehenen Inhalte und ihre Kommunikation mit anderen über diese Geräte umfassen (Bailey, 2020). Bemerkenswert ist, dass die Zustimmung zu den Richtlinien von Zoom durch den „Schulabonnenten“ und nicht durch ein Kind oder seinen Vormund erteilt wird, wodurch die Richtlinien nicht mit dem Recht der Kinder auf Beteiligung an sie betreffenden Entscheidungen gemäß der KRK vereinbar sind (Bailey, 2020).
Die Auswirkungen von COVID-19 auf Bildungsmethoden
COVID-19 hat die bereits bestehenden EdTech-Risiken erheblich verschärft. Über Nacht wurde das Bildungswesen zwangsläufig abhängig von der Technologie, anstatt sie lediglich für neue Lehrmethoden zu nutzen.. Allein im Frühjahr 2020 wurden Schulen in 192 Ländern geschlossen (Diaz, 2020). Schätzungen der UNESCO stützen diese Behauptung und besagen, dass weltweit 91 % aller Schüler im April 2020 nicht in der Schule waren (Human Rights Watch, 2020). Dies hat EdTech von einem aufkommenden Phänomen zu einer virtuellen Notwendigkeit als eines der Kernmedien für die Bereitstellung von Bildung gemacht. Dieses Ereignis wurde als das „größte Fernunterrichtsexperiment der Geschichte“ beschrieben (Diaz, 2020).
Abhängig von der Konnektivität und den Ressourcen haben sich Länder auf der ganzen Welt für unterschiedliche IKT-Infrastrukturen zur Unterstützung von Fernunterricht entschieden.. Neben digitalen Plattformen wurden auch soziale Medien, Radioplattformen und Fernsehen genutzt, um die Kontinuität der Bildung in allen Teilen der Welt zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz hat dieser Übergang zum digitalen Lernen gesellschaftliche Ungleichheiten verstärkt, da Kinder, die an abgelegenen Orten mit wenig oder keiner Internetverbindung leben, Schwierigkeiten haben, Zugang zu Online-Diensten zu erhalten (Human Rights Watch, 2020). Obwohl Technologie darauf ausgelegt ist, Menschen zu verbinden, indem sie häufig ausgeschlossene Gebiete erreicht, waren nur wenige Bildungssysteme auf der ganzen Welt in der Lage, umfassend auf die Herausforderungen der Pandemie zu reagieren (Diaz, 2020).
Empfehlungen zum Einsatz von EdTech bei gleichzeitigem Schutz der Kinderrechte
Bildungspolitiker müssen Orientierungshilfen und neue Anleitungen für den Einsatz von EdTech bereitstellen, um die Daten von Kindern besser zu schützen. Im Jahr 2001 verkündete der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, dass „Kinder ihre Menschenrechte nicht dadurch verlieren, dass sie durch die Schultore gehen“ (Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2001). Die meisten EdTech-Produkte werden von kommerziellen Akteuren entwickelt und geschaffen, ohne Rücksicht auf die Verletzlichkeit der Kinder und ihre Unfähigkeit, ihren eigenen digitalen Fußabdruck zu kontrollieren und zu schützen. Da sich Technologien weiterentwickeln, um vermehrt Verhaltensweisen von Kindern zu analysieren und Lernerfahrungen weiter zu personalisieren, besteht ein dringender Bedarf an Regulierung, um sicherzustellen, dass EdTech die Entwicklung von Kindern einbezieht, berücksichtigt und ergänzt.
Die Allgemeine Bemerkung Nr. 16 der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013 fordert die Länder auf, dafür zu sorgen, dass keine öffentlichen Aufträge an private Unternehmen vergeben werden, wenn diese die Kinderrechte nicht respektieren (Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2013). Im europäischen Kontext hat der Europarat Richtlinien herausgegeben, die die Staaten auffordern, das Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (SEV Nr. 108) einzuhalten, insbesondere durch die Verwirklichung dieser Rechte im Kontext von Kindern (Europarat, 2020).
Darüber hinaus forderte Human Rights Watch (HRW, 2020) auf dem Höhepunkt der Pandemie die Regierungen auf:
- Weiterhin angepasste, zugängliche Fernunterrichtsangebote für alle bereitzustellen, sobald die vorübergehenden Lockdown-Maßnahmen beendet sind;
- Finanzielle Mittel und Unterstützung für unterversorgte Gebiete bereitzustellen, um sicherzustellen, dass sie zukunftssicher sind und die Vorteile des Fernunterrichts nutzen können, insbesondere indem sie sich für einen zuverlässigen Internetzugang für alle einsetzen;
- Geschlechtsspezifische und andere Ungleichheiten bezüglich der Kinder, die von Schulschließungen betroffen sind zu verfolgen, um Diskriminierung vorzubeugen;
- Sicherzustellen, dass die in Schulen eingesetzte EdTech die Persönlichkeitsrechte der Kinder schützt
Bei Humanium versuchen wir, das Bewusstsein für die Bedeutung der Rechte von Kindern auf Nahrung, Bildung und Schutz zu schärfen. Helfen Sie mit, das Recht der Kinder auf eine sichere Umgebung und zugängliche Bildung zu verwirklichen, indem Sie eine Patenschaft für ein Kind übernehmen, spenden oder ein Ehrenamt übernehmen!
Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro
Übersetzt von Marie Podewski
Lektorat von Birgit Puttock
Für weitere Informationen:
Referenzen:
Council of Europe. (2020, November 20). Consultative committee of the convention for the protection of individuals with regard to automatic processing of personal data. ‘Children’s data protection in an education setting guidelines.’
Council of Europe. (2020, November 27). ‘Protect children’s personal data in an education setting.’
Diaz, M.M. Lee, C. (2020). ‘What technology can and can’t do for education?’
Human Rights Watch. (2020, April 9). ‘COVID-19 and Children’s Rights’.
United Nations. (2015). ‘Sustainable Development Goals’.