Ein Bericht über Palästina # 3: Erziehung, ein Weg zum Frieden

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Humanium stellt erstmals eine Reihe von Berichten vor, die uns mithilfe von vier Schwerpunkten in das Herz Palästinas führen und von denen jeder einzelne ein anderes Licht auf diese überwältigende und komplexe Region wirft.

Angesichts der Herausforderungen des Lebens in der Gemeinschaft, kommt der Erziehung ein wichtiger Stellenwert zu, umso mehr wenn es um Palästina geht. Erziehung stammt aus dem lateinischen Wort ex-ducere und bedeutet „führen/herausführen“ (Education, o.J.) So lässt sich Erziehung zusammenfassen als die Handlung, ein Kind aus sich selbst herauszuführen, aus seinen Hemmungen und seiner Abschottung, ihm zu helfen, sich zu verwirklichen, damit es in vollem Umfang an einem harmonischen Gemeinschaftsleben teilhaben kann. Auch wenn die Familie der erste Erziehungsort eines Kindes ist, nimmt die Schule durch ihre Fähigkeit, gemeinsame Grundlagen für Wissen und Zusammenleben zu legen, eine maßgebliche Stelle ein.

Palästinensische Familien räumen der Schule eine hohe Bedeutung ein (Education and adolescents, o.J.). Vielleicht hängt dies mit dem Konflikt zusammen, in den Israel und Palästina festgefahren sind (Facts & Figures – Education, o.J.). „Die wahre Macht ist das Wissen“, sagte bereits der englische Philosoph Francis Bacon (Citations, o.J. Le Figaro, o.J.). Bildung erweist sich deshalb als Mittel, mit dem die Bewohner des Westjordanlandes der Besetzung entgegentreten können und als Hoffnung, sich als arabische Israelis (d.h. Palästinenser, die in Israel wohnen und einen israelischen Pass besitzen) einen Platz in der Gesellschaft verschaffen zu können.

Diese Bedeutung, die der Erziehung beigemessen wird, spiegelt sich in den Statistiken wieder: Die Alphabetisierungsrate liegt bei 95% (Facts & Figures – Education, o.J.) und nahezu alle Kinder besuchen die Grundschule (Education and adolescents, o.J.). Auch wenn diese Zahlen zu den Höchsten im Mittleren Osten gehören, sind die Herausforderungen für Bildung in Palästina vielfältig.

Die Umgebung, in der palästinensische Kinder aufwachsen, ist durch die politische Situation konfliktträchtig. Dies zeigt sich vor allem in der israelischen Besetzung des Westjordanlandes, die einen direkten Einfluss auf das tägliche Leben der Kinder hat. Manche von ihnen müssen auf dem Weg zur Schule mehrere Kontrollpunkte passieren und in bestimmten Regionen des Landes wird der Unterricht im Laufe des Jahres aus Gründen von Angriffen oder militärischen Interventionen regelmäßig unterbrochen (Theirworld, 2018). In manchen Fällen sind die Straßen sogar versperrt, was eine Fortbewegung von einem Ort zum anderen verhindert.

In diesem Kontext sind es vor allem Jungen, die davon betroffen sind. In der Tat werden sie an den Kontrollpunkten häufiger angehalten und kontrolliert, vor allem im Jugendalter (Theirworld, 2018). Das ist einer der Gründe dafür, weswegen 25% der 15-jährigen Jungen die Schule verließen, während dies nur bei 7% der Mädchen der Fall war (Education and adolescents, o.J.). Abgesehen davon tendieren Jungen eher dazu, den Unterricht als nicht relevant anzusehen, d.h. weder bringt er ihnen etwas für ihr Leben noch für die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen (Theirworld, 2018). Für sie scheint es wichtiger und zufriedenstellender zu sein, arbeiten zu gehen, um so zum Wohlergehen der Familie beizutragen.

Das Schulsystem leidet unter seinen eigenen Mängeln. „Der Lehrplan ist recht häufig nicht zielgerichtet und von schlechter Qualität“, beschwert sich Marah*, Englischlehrerin für Kinder zwischen 4 und 5 Jahren in Jericho. „Jedes Jahr ändert sich der Lehrplan – allerdings nicht zum Besseren“. Das Schulsystem in Palästina ist von großen Niveauunterschieden zwischen den Schülern geprägt (Unicef, 2018).

„In den öffentlichen Schulen sind die Lehrpläne sehr überfrachtet und man erwartet von den Kindern, in kurzer Zeit sehr viel zu lernen, was ihnen nicht hilft, den Stoff zu verarbeiten“, fügt Marah noch hinzu. „Aktuell tendieren die Menschen in Palästina dazu zu denken, dass je schwieriger der Lehrplan ist, desto besser sind die Schüler.“ Dieses Fazit stammt aus ihrer eigenen Erfahrung; zunächst unterrichtete sie im öffentlichen Schulsystem. Dann wandte sie sich einer schulischen Einrichtung mit alternativen pädagogischen Methoden zu. „A Seeds of Hope ist die Schule, in der ich arbeite; dort widmen wir uns sehr viel länger denselben Themen. So erreichen die Kinder am Ende des Jahres ein viel besseres Niveau.“

Seeds of Hope wurde 2008 von Tass Saada und seiner Frau Karen gegründet (Seeds of Hope – About, o.J.). Tass, bekannt dadurch, dass er persönlicher Chauffeur von Yasser Arafat war, hat den Wunsch, mithilfe seiner humanitären Einrichtung den Frieden zu fördern. Er wurde 1951 im Gazastreifen geboren und wuchs in einem Flüchtlingskamp in Saudi-Arabien auf (Tyndale – Tass Saada, o.J.).

Nach dem 6-Tage-Krieg von 1967 beschloss er, sich innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO zu engagieren, mit dem Traum, sein Heimatland zurückzuerobern (Faith Radio, 2016). Als er im Verlauf dessen verstand, in welche Sackgasse ihn dieser Weg führen würde, ging er in die USA, um sein Leben zu ändern (Faith Radio, 2016). Dort wurde er erfolgreicher Geschäftsmann und konvertierte zum Christentum (Faith Radio, 2016). Sein Glaube hat in ihm den Wunsch entstehen lassen, sich in Palästina für den Frieden einzusetzen (Faith Radio, 2016). Getrieben von diesem inneren Bedürfnis gründete er Hope for Ishmael und Seeds of Hope.

In den meisten Schulen herrscht ein Klima der Gewalt. Laut Unicef sind mehr als zweidrittel der Grundschulkinder psychischer oder physischer Gewalt in der Schule ausgesetzt, sei es seitens anderer Kinder oder der Lehrer (Nearly 25 per cent of boys aged 15 out of school in the State of Palestine, 2018).

Die Schule Seeds of Hope positioniert sich als Gegenentwurf, indem sie eine andere Vision von Unterricht anbietet, eine, die mehr auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist, die die Besonderheiten jedes einzelnen berücksichtigt und die den Schülern Zeit gibt, den Stoff vollständig zu verarbeiten. Eine der Hauptaufgaben der Schule ist es, durch eine auf Konfliktlösung und Zusammenleben basierte Schulbildung den Frieden zu fördern (Seeds of Hope – Education, o.J.).

Und wenn Erziehung genau dieses wäre: Die ‘Mauern’, die uns trennen, zu Fall zu bringen und uns aus unseren Sackgassen herauszuführen? Wenn man von Erziehung spricht, denkt man häufig an Schulprogramme und Studienzeiten, als ob Erziehung zeitlich befristet sei. Wenn man sich allerdings nach dem Ursprung des Wortes und dessen Bedeutung richtet, lässt Bildung vielmehr an einen ganzen Lebensweg denken. Wir alle sollten das verkörpern, was wir unseren Kindern beibringen: Selbstbewusstsein, Interesse an Wissen und am Über-Sich-Hinauswachsen. Wir sind mehr als nur Erzieher – wir sind dazu aufgerufen selbst Zeugnis abzulegen.

* Pseudonym

Geschrieben von Alexis Baron

Übersetzt von Susanne Schroeder

Lektorat Dilan Martyson

Quellen

(s.d.). Consulté le Octobre 29, 2019, sur Le Figaro: http://evene.lefigaro.fr/citation/vrai-pouvoir-connaissance-19353.php

Cardwell, L. (s.d.). The State of Girls’ Education in Palestine. Consulté le Octobre 30, 2019, sur The Borgen Project: https://borgenproject.org/the-state-of-girls-education-in-palestine/

Citations. (s.d.). Consulté le Octobre 29, 2019, sur Linternaute: http://www.linternaute.com/citation/auteur/francis-bacon/17083/connaissance/109/1/

Education. (s.d.). Consulté le Octobre 28, 2019, sur La Toupie: http://www.toupie.org/Dictionnaire/Education.htm

Education and adolescents. (s.d.). Consulté le Octobre 30, 2019, sur Unicef: https://www.unicef.org/sop/what-we-do/education-and-adolescents

Facts & Figures – Education. (s.d.). Consulté le Octobre 29, 2019, sur Palestine Link: http://www.palestinelink.eu/palestine/facts-and-figures/education/

Faith Radio. (2016, Décembre 31). Tass Saada’s journey from assassin to peacemaker. Consulté le Novembre 4, 2019, sur Faith Radio: https://myfaithradio.com/2016/tass-saadas-journey-assassin-peacemaker/

Nearly 25 per cent of boys aged 15 out of school in the State of Palestine. (2018, Juillet 26). Consulté le Novembre 4, 2019, sur Unicef: https://www.unicef.org/press-releases/nearly-25-cent-boys-aged-15-out-school-state-palestine

Seeds of Hope – About. (s.d.). Consulté le Novembre 3, 2019, sur Seeds of Hope: https://seedsofhope.org/about/

Seeds of Hope – Education. (s.d.). Consulté le Novembre 5, 2019, sur Seeds of Hope: https://seedsofhope.org/education/

Theirworld. (2018, August 1). Why one in four Palestinian boys drop out of school by the age of 15. Consulté le Octobre 31, 2019, sur Theirworld: https://theirworld.org/news/quarter-of-palestinian-boys-drop-out-of-school-by-15

Tyndale – Tass Saada. (s.d.). Consulté le Novembre 4, 2019, sur Tyndale: https://www.tyndale.com/authors/tass-saada/1146

Unicef. (2018). State of Palestine – Country report on out-of-school children. Consulté le Novembre 4, 2019