Das im Mai 2024 verabschiedete EU-Migrations- und Asylpaket zielt darauf ab, den Umgang mit Migration und Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten zu rationalisieren. Dieser neue Rahmen verspricht zwar ein koordinierteres Migrationsmanagement, hat jedoch Bedenken hinsichtlich seiner möglichen negativen Auswirkungen auf die Rechte von Kindern aufgeworfen. Die Beschleunigung von Asylverfahren, die Inhaftierung an den Grenzen und das Risiko der Familientrennung stellen den Schutz und das Wohlergehen von Migrantenkindern vor erhebliche Herausforderungen.
Überblick über das EU-Migrations- und Asylpaket
Das im Mai 2024 verabschiedete Europäische Paket zu Migration und Asyl besteht aus zehn rechtlichen Maßnahmen – neun Verordnungen und einer Richtlinie -, die darauf abzielen, verstärkt gegen illegale Einwanderung vorzugehen und die Abschiebung von Personen ohne legalen Status zu beschleunigen. Den EU-Mitgliedstaaten wurde eine Frist von zwei Jahren eingeräumt, um diese Bestimmungen vollständig umzusetzen (Toute l’Europe, 2024).
Eines der zentralen Merkmale des Pakets ist die Einführung eines Grenzkontrollverfahrens. Mit diesem System wird innerhalb von sieben Tagen entschieden, ob ein Asylbewerber für eine sofortige Rückführung in Frage kommt, z. B. bei bereits abgelehnten Anträgen, oder ob sein Asylantrag ein beschleunigtes oder ein reguläres Verfahren durchlaufen sollte, je nachdem, wie hoch die Asylbewilligungsquote in seinem Herkunftsland ist. In der Praxis werden die Mitgliedstaaten in der Nähe der EU-Außengrenzen und in Flughäfen Gewahrsams-einrichtungen mit einer Gesamtkapazität von mindestens 30.000 Plätzen in der Union einrichten (Toute l’Europe, 2024).
Darüber hinaus fördert das Paket eine stärkere Solidarität zwischen den EU-Ländern, um zu vermeiden, dass bestimmte Länder wie Italien und Griechenland mit Asylbewerbern überlastet werden. Mitgliedstaaten mit weniger Asylanträgen können sich dafür entscheiden, einen Teil der Antragsteller aufzunehmen oder den Frontstaaten auf andere Weise Hilfe zu leisten.
Das Paket umfasst auch einen Krisenreaktionsmechanismus für Massenmigrationsereignisse, die Harmonisierung der Aufnahmestandards in den Mitgliedstaaten und eine Erweiterung der Eurodac-Datenbank, die zur Verwaltung von Asylanträgen und zur Überwachung irregulärer Migranten in der EU verwendet wird (Toute l’Europe, 2024).
Bedenken hinsichtlich des Kinderschutzes im Rahmen des Pakets
Kinderrechtsorganisationen haben jedoch Bedenken geäußert, dass die Einführung eines Grenzkontrollverfahrens Kindern einen angemessenen Schutz verweigern könnte, da ihre individuellen Umstände nicht berücksichtigt werden. Das Paket erlaubt die Inhaftierung von Kindern an den Außengrenzen und verstößt damit gegen zentrale Kinderschutzprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention (UNCRC).
Insbesondere Artikel 37 besagt, dass die Inhaftierung von Kindern nur als letztes Mittel und für den kürzesten angemessenen Zeitraum eingesetzt werden sollte. Außerdem könnte diese Inhaftierung dazu führen, dass Kindern wichtige Leistungen wie Bildung und Gesundheitsfürsorge vorenthalten werden, was ihre Gefährdung noch erhöht. (Eurochild).
Inhaftierung von Minderjährigen und ihre Folgen
Eine der alarmierendsten Bestimmungen des neuen Pakets ist die Inhaftierung von Minderjährigen an den EU-Grenzen zu Kontrollzwecken. Die vergangene und die aktuelle Migrationskrise zeigen, dass Kinder unter der schrecklichen Gewalt von Schmugglern und Grenzschutzbeamten an den EU-Außengrenzen leiden. Das neue Paket birgt die Gefahr, dass die systematische Inhaftierung von Familien mit Kindern zur Routine wird, ohne ihre Sicherheit zu erhöhen.
Besonders bedenklich ist dies für unbegleitete Minderjährige, da das Paket der Familienzusammenführung, auch mit Geschwistern, keine Priorität einräumt, was ihr Wohlergehen weiter gefährdet. Die Inhaftierung beeinträchtigt auch ihren Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, da diese Kinder in Einrichtungen festgehalten werden, in denen diese Leistungen nur begrenzt oder gar nicht vorhanden sind. (Save the Children, 2023).
Rechtliche und ethische Bedenken gegen die Inhaftierung von Kindern
Die Inhaftierung von Kindern zu Kontrollzwecken wirft auch Fragen der Fairness auf, insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen, die möglicherweise keine Dokumente zum Nachweis ihres Alters vorlegen können oder mit Sprachbarrieren konfrontiert sind. Viele Kinder werden ohne angemessenen Rechtsbeistand invasiven Untersuchungen oder Befragungen unterzogen, wodurch sich das Risiko von Fehlern bei ihren Asylanträgen erhöht, was langanhaltende Auswirkungen auf ihre Sicherheit und Zukunft haben könnte (Eurochild, 2024).
Die Inhaftierung von Kindern, die Asyl oder Migration suchen, sei es aufgrund ihres eigenen oder des Migrationsstatus ihrer Eltern, widerspricht grundsätzlich ihrem Wohl und stellt eine Verletzung ihrer Rechte dar. Internationale Experten haben die Europäische Kommission aufgefordert, klare Richtlinien für die Behandlung und Betreuung von begleiteten und unbegleiteten Migrantenkindern unter 18 Jahren festzulegen (OHCHR, 2024).
Bei der Umsetzung des Pakets muss das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen, damit jegliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit nicht dazu führen, dass sie während der Kontrolle, des Asyl- oder Rückführungsverfahrens in Einwanderungseinrichtungen festgehalten werden.
Selbst eine kurzfristige Inhaftierung kann schädliche Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit, die Entwicklung und das allgemeine Wohlbefinden eines Kindes haben. Es ist von entscheidender Bedeutung, Alternativen zur Inhaftierung zu finden, die die Rechte der Kinder in vollem Umfang respektieren und ein unterstützendes Umfeld während des Migrationsprozesses bieten (UNICEF, 2024).
Kinderschutz und Familienzusammenführung
Das Paket ist auch wegen seiner Handhabung der Familienzusammenführung in die Kritik geraten, insbesondere wegen des Fehlens spezifischer Bestimmungen für Geschwister. Unbegleitete Kinder haben oft keine Möglichkeit, mit ihren Geschwistern oder entfernten Verwandten zusammenzukommen, wodurch sie einem erhöhten Risiko von Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt sind (Save the Children, 2023).
Nach der UN-Kinderrechtskonvention ist die Einheit der Familie ein Grundrecht, und Kindern sollte jede Möglichkeit gegeben werden, bei ihren Familien zu bleiben oder mit ihnen zusammengeführt zu werden. Ebenso sind die Behörden nach der EMRK und dem EU-Recht verpflichtet, asylsuchende Familien in Aufnahmeeinrichtungen zusammen unterzubringen.
Artikel 8 der EMRK, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützt, erlegt den Staaten eine positive Verpflichtung auf, einen regelmäßigen Kontakt zwischen Flüchtlingsgeschwistern zu gewährleisten, die an verschiedenen Orten untergebracht sind. Die Behörden müssen darauf hinwirken, die familiären Bindungen zu erhalten und zu stärken, indem sie die Zusammenführung erleichtern und sicherstellen, dass die Einheit der Familie während des gesamten Asylverfahrens gewahrt bleibt (Council of Europe-FRA, 2023).
Die unzureichenden Bestimmungen des Pakets bezüglich der Familienzusammenführung gefährden jedoch dieses Recht und haben zur Folge, dass Kinder isoliert und damit schutzloser sind. Darüber hinaus führt das neue Paket Bestimmungen ein, die es den Mitgliedstaaten erlauben, bestimmte unbegleitete Kinder als Sicherheitsrisiko einzustufen, wodurch sie Zwangsmaßnahmen wie der Erfassung biometrischer Daten unterworfen werden könnten.
Außerdem wurde das Mindestalter für die Datenerhebung von 14 auf 6 Jahre herabgesetzt. Dies wirft Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Wohlergehens der Kinder auf, da solche Verfahren die Anwendung von Gewalt oder andere invasive Methoden beinhalten können, die die Rechte der Kinder von klein auf verletzen (UNICEF, 2024).
Verbesserung des Zugangs zu grundlegenden Leistungen für Migrantenkinder
Gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention (ECHR) müssen die Aufnahmebedingungen für asylsuchende Kinder, auch wenn sie bei ihren Eltern sind, auf ihr Alter zugeschnitten sein, um Stress und Ängste zu vermeiden, die besonders traumatische Auswirkungen haben könnten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Bedingungen ein unterstützendes Umfeld bieten, welches das Wohlergehen und den Schutz des Kindes gewährleistet und gleichzeitig die negativen psychologischen Auswirkungen während des Asylverfahrens minimiert (Council of Europe FRA, 2023).
Die im EU-Migrations- und Asylpaket vorgesehene Beschleunigung der Asylverfahren für Minderjährige könnte dazu führen, dass Kindern ihre Grundrechte vorenthalten werden. Die Schnelligkeit dieser Verfahren kann dazu führen, dass Kindern der Zugang zu wichtigen Leistungen wie Bildung, Gesundheitsversorgung und psychosozialer Unterstützung verwehrt wird, die gemäß der UN-Kinderrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta von grundlegender Bedeutung sind.
Für Kinder, die vor Konflikten fliehen, ist der Zugang zu Leistungen im Bereich der psychischen Gesundheit und konsequenter Erziehung für ihre Genesung und Entwicklung unerlässlich, doch der derzeitige Rahmen birgt die Gefahr, dass ihnen diese wesentlichen Rechte vorenthalten werden (Eurochild, 2024).
Es ist äußerst wichtig, kinderfreundliche Verfahren einzuführen, die sicherstellen, dass die Kinder während des gesamten Migrationsprozesses ihre Rechte in vollem Umfang wahrnehmen können. Dazu gehören Investitionen in familienbasierte Betreuung und die Beschäftigung von Sozialarbeitern, die auf die Bereitstellung maßgeschneiderter Unterstützung für Kinder und ihre Familien spezialisiert sind.
Die EU-Mitgliedstaaten sollten unabhängige Überwachungssysteme einrichten, um sicherzustellen, dass die Rechte von Kindern und ihren Familien in jeder Phase des Migrations- und Asylverfahrens respektiert werden. Dies würde mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes und anderen Menschenrechtsverträgen in Einklang stehen und sicherstellen, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um bei Rechtsverletzungen Abhilfe zu schaffen (UNICEF, 2024).
Ein Weg zu einem besser schützenden Verfahren
Um das EU-Migrations- und Asylpaket mit internationalen Standards in Einklang zu bringen, sind mehrere wesentliche Änderungen erforderlich. Die Mitgliedstaaten sollten die Inhaftierung von Kindern an den Grenzen vermeiden und sich stattdessen für gemeindebasierte Alternativen entscheiden, die das Wohlergehen der Kinder und den Zugang zu grundlegenden Leistungen gewährleisten. Asylverfahren müssen kinderfreundlich sein und Rechtsbeistand, Übersetzungsdienste und maßgeschneiderte Schutzbewertungen bieten, um sicherzustellen, dass die Interessen der Kinder gewahrt werden.
Um die Isolation unbegleiteter Minderjähriger zu verhindern, ist es unerlässlich, die Verfahren zur Familienzusammenführung zu verbessern und auch Geschwister und entfernte Verwandte einzubeziehen. Investitionen in Sozialarbeiter und gesetzliche Vormünder sind für die ordnungsgemäße Betreuung dieser Kinder von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Einrichtung wirksamer Überwachungsmechanismen zum Schutz ihrer Rechte.
Auch wenn der derzeitige Rahmen Herausforderungen mit sich bringt, wird die Umsetzung dieser Empfehlungen ein System fördern, welches Kinder besser unterstützt und schützt, und den Weg für eine mitfühlendere und effektivere Migrationspolitik ebnen.
Humanium ist bestrebt, die Achtung und Verwirklichung der Rechte von Kindern weltweit in den Fokus zu rücken, insbesondere im Zusammenhang mit der Migrationskrise. Mit Ihrer Unterstützung können wir unsere Bemühungen fortsetzen, uns für schutzbedürftige Kinder einzusetzen, Rechtsbeistand zu leisten und die Lebensbedingungen in Aufnahmezentren für Migranten zu verbessern. Werden Sie Teil unserer Mission, indem Sie freiwillig mitarbeiten, spenden oder Mitglied werden.
Geschrieben von Jeanne-Marie Quashie
Übersetzt von Michael Aschenbrenner
Korrektur gelesen von Birgit Puttock
Bibliographie:
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Save the Children (2023), Historically bad: New EU pact on migration and asylum normalises rights violation and endangers children, retrieved from Save the Children at https://www.savethechildren.net/news/historically-bad-new-eu-pact-migration-and-asylum-normalises-rights-violations-and-endangers , accessed on September 13, 2024.
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