Unbegleitete Minderjährige von heute und morgen in Marokko

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Seit einigen Jahren zeigt die Situation der unbegleiteten Minderjährigen ein neues Gesicht der Migration. Ihre Situation ist umso besorgniserregender, da der Begriff der unbegleiteten Minderjährigen noch relativ neu ist und ihr Rechtsstatus nicht eindeutig durch nationale Rechtsvorschriften geregelt ist. Infolgedessen werden unbegleitete Minderjährigen in vielen Ländern ihrem eigenen Schicksal überlassen, unter prekären Lebensbedingungen, oft ohne ihre Rechte zu wahren. Zudem sind diese Kinder aufgrund ihres Alters anfälliger für Missbräuche, denen sie auf ihrem Migrationsweg begegnen können, wie Kinderausbeutung oder organisiertem Menschenhandel.

In Marokko, Transitland, aber auch Ziel- und Gastland, ist die Identifizierung von unbegleiteten Minderjährigen aus mehreren Gründen kompliziert. Es ist sehr schwierig, die Zahl dieser Minderjährigen zu bestimmen, da sie sich selbst oft als Erwachsene ausgeben um ihrer wahrgenommenen Verwundbarkeit zu entkommen. Dabei geben sie jedoch auch ihr Recht auf besonderen Schutz auf der Minderjährigen zusteht. Andere vermeiden und fliehen vor den Behörden, aus Angst, in ihr Ursprungsland abgeschoben zu werden. Laut einer jüngsten Studie von Caritas Marokko, kann nur eine Schätzung der Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen im Land vorgenommen werden. Unter der eingewanderten Bevölkerung die bekannt ist, sind schätzungsweise 11% unbegleitete Minderjährige. Diese Zahl hat sich zwischen 2013 und 2015 verdreifacht.

Parallel zu den unbegleiteten Minderjährigen in Marokko, nimmt der Strom an jungen Marokkanern zu die, von ihren Eltern und Verwandten getrennt, die Einwanderung über Spanien nach Europa wagen.

Mit anderen Worten, gibt es derzeit zwei wichtige Ströme in Bezug auf unbegleitete Minderjährige, die eine Verbindung zu Marokko haben. Zunächst die minderjährigen Einwanderer, die von der Subsahara kommen und Marokko durchqueren oder sich dort niederlassen. Dazukommmen die minderjährigen Marokkaner, die ihr Land verlassen in der Hoffnung, ein besseres Leben in Europa zu finden und daher zu unbegleiteten Minderjährigen in Europa werden.

Diese Migrationsphänomene unbegleiteter Jugendlicher rufen Fragen auf bezüglich einer notwendigen Mobilisierung der Zivilgesellschaft in Marokko und der Stärkung des Schutzes von Kinderrechten auf staatlicher Ebene.

 

 

Die Situation der unbegleiteten Minderjährigen in Marokko, ein Problem der Identität und der fehlenden Gesetzgebung

Das Königreich Marokko hat angesichts der verschiedener Migrationsströme 2013 beschlossen eine neue Migrationspolitik mit der “Nationalen Einwanderungs- und Asylstrategie” zu verabschieden. Diese soll einen institutionellen und rechtlichen Rahmen schaffen, um den Migrationsbedarf zu decken, die Migrationsströme zu steuern und die internationalen Übereinkommen einzuhalten. Trotz vieler Bemühungen bestehen weiterhin Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die unbegleiteten Minderjährigen auf marokkanischem Boden.

Sehr oft besitzen die unbegleiteten Minderjährigen die in Marokko ankommen keine Ausweisdokumente, die ihnen den Zugang zu vielen grundlegenden Dienstleistungen erleichtern, sei es Bildung, Gesundheit, Justiz oder Kinderschutz. Das Gesetz Nr. 02-03 „Über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Königreich Marokko, irreguläre Auswanderung und Einwanderung“ sieht nur für erwachsenen Ausländer eine Ausweis- und Aufenthaltstitelpflicht vor. In der Praxis stellen diese Dokumente jedoch auch für Minderjährige einen Schutz dar, insbesondere wegen mangelnder Information und Sensibilisierung des Personals in öffentlichen Einrichtungen. So kann eine beträchtliche Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen nicht in die Schule eingeschrieben werden, obwohl sie theoretisch Recht auf Schulbildung haben. Gleiches gilt für den Zugang zur beruflichen Bildung, auch wenn die allgemeine und berufliche Bildung eine Säule der Integration und der sozialen Wiedereingliederung darstellen. Überdies sind diese Minderjährigen ohne Personal- und Aufenthaltsdokumente gefährdet, ausgewiesen zu werden, da sie ihre Minderjährigkeit nicht nachweisen können.

In diesem Zusammenhang empfiehlt die marokkanische Zivilgesellschaft (Verbände und Nichtregierungsorganisationen) die Bereitstellung eines spezifischen Dokuments, das sie als Minderjährige ausweist, um Zugang zu Bildungs-, Betreuungs- und Kinderschutzeinrichtungen zu erhalten. Ebenso wird ein Überwachungsmechanismus empfohlen, um zu verhindern, dass solche Jugendlichen willkürlich festgenommen oder unter Verletzung des Völkerrechts abgeschoben werden, aber auch um das Bewusstsein für Kinderrechte zu schärfen.

 

Unbegleitete marokkanische Minderjährige in Europa, ein Misserfolg in Sachen Kinderschutz

Darüber hinaus steht das Königreich einem anderen Problem gegenüber, nämlich der Flucht von marokkanischen Minderjährigen nach Europa, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Im Juni wurde zwischen dem französischen und dem marokkanischen Innenministerium ein Abkommen unterzeichnet, wonach marokkanische Polizisten in Paris intervenieren sollen, um „Minderjährige zu identifizieren und aus Frankreich auszuweisen“. Diese radikale Methode wurde von Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Schutz von Kindern einsetzen, angeprangert. Die Situation dieser unbegleiteten marokkanischen Minderjährigen in Frankreich ist alarmierend. Die meisten von Ihnen befinden sich in der französischen Hauptstadt und laut der Zeitung „Le Monde“ wurden bereits 813 unter ihnen in Polizeigewahrsam genommen.

Die derzeit unkontrollierbare Krise für die Pariser Behörden, wirft aber auch Fragen bezüglich der Motivation der jungen Menschen auf ihre Heimat zu verlassen. Trotz einer gewissen Bereitschaft Marokkos, Kinder im Einklang mit dem nationalen und internationalen Kinderrecht zu schützen, gibt es Mängel bei der Koordinierung und Kohärenz, um die Abwanderung von Minderjährigen nach Europa zu verhindern. UNICEF Marokko stellt außerdem fest, dass “soziale Dienste für zurückgekehrte Migranten lediglich von lokalen NGO oder unter der technischer Koordination von spanischen NGO, die von autonomen spanischen Regionen bestimmt und finanziert werden, erfolgen”. (Beispiel Ceuta, Mellila).

Die Organisation der Vereinten Nationen ermutigt Marokko, eine Präventionspolitik einzuführen, um die Minderjährigen zurückzuhalten, die das Land verlassen wollen oder um allenfalls ihre Entscheidung zu verzögern. UNICEF unterstützt dabei Lösungsansätze, die die Rückkehr der Migrantenkinder zu ihren Verwandten oder ihrer Gemeinde begünstigt. Außerdem fordert UNICEF Marokko dazu auf, den Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kinder zu folgen. Dieser empfiehlt die Auswanderung der marokkanischen Minderjährigen nach Europa zu verhindern, indem die Regierung ihre Wiedereingliederung in die Schule begünstigt, aber auch sicherstellt, dass die marokkanischen unbegleiteten Minderjährigen wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden. Diese sollten dann in ihre Familien oder in soziale Einrichtungen untergebracht werden damit sie schnellstmöglich in die Gesellschaft wieder eingegliedert werden.

Ohne die nötigen Massnahmen des marokkanischen Staates werden unbegleitete Minderjährige weiterhin versuchen über die marokkanischen Häfen nach Europa auszureisen. Sie sind die Migranten von morgen und müssen in die marokkanische Migrationsfrage eingebracht werden.

 

Geschrieben von: Eddy Malouli

Übersetzt von: Marlies Zaczek

Korrektur gelesen von : Anja Finke

 

Quellenangabe

  • Etude réalisée par Caritas Maroc et Médecins du Monde Belgique. Mineur-e-s non accompagné-e-s, en recherche d’avenir : https://dujieoqn176qs.cloudfront.net/sites/www.doktersvandewereld.be/files/publicatie/attachments/etude_mineur-e-s_non_accompagne-e-s_en_recherche_davenir.pdf
  • UNICEF Maroc : https://www.unicef.org/morocco/french/media_3155.html
  • Etude réalisée par UNICEF Maroc. Migration en Espagne des enfants non accompagnés: cas du Maroc : https://www.unicef.org/morocco/french/Etude_Migration_des_mineurs_Marocains_vers_l_Espagne.pdf
  • OIM Maroc : https://morocco.iom.int/sites/default/files/OIM%20MAROC-fiche%20projet%20ENAS.PDF
  • Projet d’étude Recherche sur la situation des Mineurs Etrangers non accompagnés au Maroc :http://www.tanmia.ma/projet-detude-recherche-sur-la-situation-des-mineurs-etrangers-non-accompagnes-au-maroc/#_ftnref1