Wie Minderjährige in Belgien für Drogenhandelsnetzwerke rekrutiert werden

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In belgischen Städten, insbesondere rund um den Hafen von Antwerpen, sind Kinder ab 13 Jahren anzutreffen, die Drogen schmuggeln, für Gangs Wache stehen oder nachts in Häfen ihr Leben riskieren. Die meisten von ihnen sollten eigentlich zur Schule gehen, doch ihre Tage und Nächte sind von krimineller Arbeit bestimmt. Viele werden für Fehler von älteren Gangmitgliedern oder Menschenhändlern geschlagen, unter Drogen gesetzt, um sie gefügig zu halten, oder bleiben mit unbehandelten Verletzungen zurück. Der Preis dafür ist nicht nur die Unterbrechung von Bildung und der Verlust von Sicherheit, sondern auch das tiefe Trauma, das ihre Kindheit prägt.

Ausmass und Art der kriminellen Ausbeutung von Kindern in Belgien

Seit 2019 registriert Belgien jährlich rund 100 minderjährige Opfer von Zuhälterei. Bis Juli 2024 wurden bereits 73 Minderjährige offiziell als Opfer sexueller Ausbeutung und krimineller Nötigung identifiziert. Diese Kinder wurden unter der Kontrolle von Menschenhändlern zu Drogenhandel, Diebstahl oder Prostitution gezwungen (UN, n.d.).

Belgiens Position im europäischen Drogenhandel setzt Kinder einem erhöhten Risiko krimineller Ausbeutung aus. Der Hafen von Antwerpen ist derzeit der grösste Einfuhrpunkt für Kokain auf dem Kontinent. Im Jahr 2022 wurden dort über 110 Tonnen beschlagnahmt (Verodova et al., 2023).

Viele der für diese Netzwerke rekrutierten Minderjährigen sind unbegleitete Kinder, die ohne familiären Schutz aus dem Ausland ankommen. Viele kommen aus Marokko und Algerien und werden mit dem Versprechen auf Bildung oder Arbeit angelockt. Sobald sie in Belgien sind, geraten sie jedoch schnell in die organisierte Kriminalität (Townsend, 2024).

Laut der belgischen Polizei:

„Hunderte nordafrikanische Minderjährige werden von Drogenhandelsnetzwerken angeworben, um Betäubungsmittel zu verkaufen.“

– Eric Garbar, Leiter der Abteilung für Menschenhandel und -schmuggel bei der Föderalen Kriminalpolizei (Townsend, 2024).

Die Bedingungen, denen diese Kinder nach ihrer Rekrutierung ausgesetzt sind, sind hart. In Brüssel wurden einige Jugendliche nach Drogeneinnahme halb bewusstlos aufgefunden, andere wiesen Verletzungen durch Schläge auf, die zur Bestrafung unbezahlter Schulden eingesetzt wurden (Townsend, 2024).

Manche werden auch zu sexueller Gewalt gezwungen oder gezwungen, Rivalen anzugreifen, was sie schon in jungen Jahren körperlich vernarbt und schwer traumatisiert zurücklässt. Behörden bestätigen, dass Gruppen wie die „Mocro Maffia“ diese Jungen gezielt als billige und leicht ersetzbare Arbeitskräfte ins Visier nehmen (Townsend, 2024).

Wie Belgiens kriminelle Netzwerke gefährdete Kinder ins Visier nehmen und rekrutieren

Die Rekrutierung von Jugendlichen in die organisierte Kriminalität erfolgt nicht zufällig, sondern wird von den Bedingungen geprägt, unter denen Kinder aufwachsen. Jugendliche aus Vierteln, die von Armut, Arbeitslosigkeit und eingeschränkten Bildungschancen geprägt sind, sind stärker gefährdet. Wenn Schulen oder Familien die Bedürfnisse von Kindern nicht erfüllen können, bieten sich Banden als Alternative an (Aerts, 2024).

Kriminelle Gruppen nutzen gezielte Strategien, um Minderjährige für ihre Aktivitäten zu gewinnen. Anwerber bieten möglicherweise kleine Geldbeträge oder Gefälligkeiten an, um Interesse zu wecken und Abhängigkeit zu erzeugen. Andere setzen auf direkte Einschüchterung und zwingen Kinder zu Aufgaben wie dem Drogenverkauf. Diese Taktiken berücksichtigen die Verletzlichkeit des Umfelds eines Kindes und fangen es allmählich in Netzwerken ein, aus denen es nur schwer wieder herauskommt (Aerts, 2024).

Kriminelle Netzwerke zielen zunehmend auf Minderjährige als Ziel für Drogenhandel ab, da sie als risikoarm und leicht ersetzbar gelten. Europol warnt, dass junge Menschen mittlerweile in mehr als 70 % der kriminellen Märkte involviert sind und oft über soziale Medien mit Versprechungen von Geld, Status oder Zugehörigkeit angeworben werden (Pope, 2024).

„Diese Praxis hat sich in mehreren Ländern ausgeweitet, und die Rekrutierungsmethoden haben sich verändert. Minderjährige werden zunehmend mit gewalttätigen Aktivitäten wie Erpressung und Mord beauftragt.“

– Europol, die Strafverfolgungsbehörde der Europäischen Union, die die organisierte Kriminalität in ganz Europa überwacht.

Was Drogenkonsum für den Alltag von Kindern bedeutet

Kinder, die in Belgien für den Drogenhandel rekrutiert werden, müssen die gefährlichsten und anstrengendsten Jobs übernehmen. Manche arbeiten als „Uithaler“ (Müllmänner), klettern nachts über Zäune im Hafen und tragen Seile, Sturmhauben oder sogar Schlauchboote, um Kokainpakete aus Containern zu ziehen (Waterfield, 2025).

Andere fungieren als Wachposten und stehen an Strassenecken oder in der Nähe von Kais, um ältere Gangmitglieder zu warnen, wenn sich die Polizei nähert. Sie werden möglicherweise angewiesen, Sporttaschen voller Drogen durch die Nachbarschaft zu tragen oder Pakete für kurze Zeit zu Hause aufzubewahren (Waterfield, 2025).

Für die Kinder bedeutet dies lange Nächte ohne Schlaf, ständige Angst, erwischt zu werden, und Gewalt, wenn sie Fehler machen oder nicht liefern. Neben den unmittelbaren Gefahren sind die psychischen Belastungen erheblich. Psychische Probleme, die durch den Menschenhandel verursacht werden, beeinträchtigen die Fähigkeit der Kinder, in der Schule zu bleiben und sich sicher zu fühlen (Altun et al., 2017).

Noch besorgniserregender ist, dass viele auch Gedanken zur Selbstverletzung entwickeln. Je länger Kinder Gewalt und Isolation ausgesetzt sind, desto grösser ist der Schaden für ihre emotionale Entwicklung. Diese Auswirkungen enden nicht mit dem Ende der Ausbeutung, sondern können ihr Leben noch viele Jahre prägen (Altun et al., 2017).

Wenn Kinder, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, keine angemessene Unterstützung erhalten, gehen die Risiken weit über das unmittelbare Trauma hinaus. Viele bleiben anfällig für erneuten Menschenhandel, weil ihnen schützende Erwachsene fehlen (Altun et al., 2017).

Ohne Intervention erhöht die Kombination aus unbehandeltem Trauma und unerfüllten Grundbedürfnissen die Wahrscheinlichkeit langfristiger psychischer Erkrankungen und sozialer Isolation. In diesen Fällen endet die Ausbeutung nicht einfach mit der Rettung eines Kindes; sie hinterlässt Muster von Angst, Instabilität und Verletzlichkeit, die junge Menschen bis ins Erwachsenenalter in einem Teufelskreis der Schädigung gefangen halten können (Altun et al., 2017). 

Warum Belgiens Kinderschutzmassnahmen für Opfer von Kinderhandel unzureichend sind

Der belgische Kinderschutz umfasst ein Vormundschaftssystem für unbegleitete Minderjährige, das durch das Vormundschaftsgesetz von 2002 geschaffen wurde. Jedem Kind, das allein in Belgien ankommt, sollte unabhängig von seinem Asylstatus ein Vormund zugewiesen werden, der es in Rechtsangelegenheiten vertritt und zu einer dauerhaften Lösung in seinem besten Interesse beiträgt (Van Caudenberg et al., 2015).

In der Praxis weist das Schutzsystem jedoch gravierende Mängel auf. Belgien setzt auf zwei parallele Vormundschaftssysteme:

  • Ein professionelles Modell, bei dem Sozialarbeiter viele Kinder betreuen.
  • Ein freiwilliges Modell, bei dem Privatpersonen Minderjährige betreuen, weniger an der Zahl jedoch möglicherweise ohne die nötige Berufsausbildung (Van Caudenberg et al., 2015).

Diese ungleiche Struktur bedeutet, dass die Qualität des Schutzes stark von den Fähigkeiten und der Verfügbarkeit des jeweiligen Vormunds abhängt, was zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen für die Kinder führt.

Darüber hinaus hat Belgien seinen Rechtsrahmen gegen Menschenhandel gestärkt, doch Schwächen in der Justiz wirken sich weiterhin direkt auf Kinder aus. Gerichte verhängten häufig vollständige oder teilweise Bewährungsstrafen gegen Menschenhändler, selbst in Fällen mit Minderjährigen. Diese milderen Strafen ermöglichen es den Tätern, weiterhin gezielt Kinder anzugreifen, ohne dauerhafte Strafen befürchten zu müssen (U.S. Department of State, 2024).

Für Opfer im Kindesalter stellen inkonsistente Identifizierungspraktiken innerhalb des Justizsystems nach wie vor ein ernstes Problem dar. Die Behörden haben Schwierigkeiten, zwischen Kinderhandel und anderen Straftaten wie Migrantenschmuggel oder Jugendkriminalität zu unterscheiden (U.S. Department of State, 2024).

Infolgedessen wurden einige Kinder, die zu Zwangskriminalität genötigt wurden, als Täter behandelt, anstatt als Opfer anerkannt zu werden. Dieses Versäumnis setzt Kinder nicht nur der Bestrafung für unter Zwang begangene Handlungen aus, sondern verwehrt ihnen auch den Zugang zu Schutz und Rehabilitation, die sie dringend benötigen (U.S. Department of State, 2024).

„Der Opferstatus von Kindern, die zu kriminellen Aktivitäten gezwungen werden, darf nicht in Frage gestellt werden. Stattdessen muss bei der Bekämpfung von Kinderhandel stets das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen.“

– John Brandolino, Direktor der Abteilung für Vertragsangelegenheiten des UNODC (UN Office on Drugs and Crime, 2024)

Kinder vor Drogenmissbrauch in Belgien schützen

Um Ausbeutungskreisläufe zu durchbrechen, ist es entscheidend, kindgerechte Alternativen zu schaffen. Dazu gehören Zugang zu Bildung, Traumaberatung und berufliche Perspektiven. Für Kinder, die bereits ausgebeutet wurden, ist die Chance auf einen sicheren Wiederaufbau ihres Lebens entscheidend, anstatt mit Vorstrafen belastet zu werden, die ihre Verletzlichkeit noch verstärken (Dimou, 2025).

Die Genesung hängt auch von der Gewährleistung einer kontinuierlichen Betreuung ab. Opfer von Menschenhandel haben Anspruch auf eine stabile Unterkunft, medizinische Versorgung und ein sicheres Umfeld, in dem ihre Bedürfnisse stets erfüllt werden. Für diejenigen, die nicht sicher zu ihren Familien zurückkehren können, sind die Behörden verpflichtet, eine Unterbringung zu organisieren, stets unter der Aufsicht eines qualifizierten Vormunds (Dottridge, 2006).

Gleichzeitig muss die Prävention auch den digitalen Raum umfassen. Organisierte kriminelle Gruppen nutzen zunehmend soziale Medien und Online-Plattformen, um Minderjährige zu rekrutieren und deren Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit auszunutzen. Indem diese Programme sowohl Kinder als auch die Erwachsenen in ihrem Umfeld mit digitalen Kompetenzen ausstatten, unterbinden sie Rekrutierungsstrategien, bevor sie greifen (De Corte et al., 2018).

Schlisslich müssen Bildung und Ausbildung im Mittelpunkt der Reintegration stehen. Viele Kinder versäumen in Zeiten der Ausbeutung jahrelange Schulbildung und sind dadurch von ihren Altersgenossen isoliert und stehen ohne Basiswissen da. Nachholkurse und Berufsbildungsprogramme helfen ihnen nicht nur, das Versäumte nachzuholen, sondern eröffnen ihnen auch echte Beschäftigungsperspektiven (Dottridge, 2006).

Die Wiederherstellung von Selbstvertrauen und Fähigkeiten ermöglicht es Kindern, ein eigenes Leben ohne Ausbeutung aufzubauen. Humanium setzt sich dafür ein, dies zu ermöglichen. Ihre Unterstützung – sei es durch eine Patenschaft für ein Kind, eine Spende oder Freiwilligenarbeit – trägt dazu bei, ein sichereres Umfeld zu schaffen, in dem Kinder in Würde und Hoffnung aufwachsen können.

Geschrieben von Lidija Misic

Übersetzt von Michael Aschenbrenner

Korrektur gelesen von Helga Burgat

Bibliographie:

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