Missbrauch und Gewalt an religiösen Schulen im Senegal

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Die Bedingungen für Kinder im Senegal

Auch wenn Kinder im Senegal verehrt werden, liegen ihre Rechte nicht im Fokus. Bei einem Bevölkerungsanteil von mehr als 50% unter der Armutsgrenze, werden Kinder im Senegal oft als Arbeitskräfte eingesetzt. Sie leiden an verschiedenen Krankheiten, zu denen Polio, Malaria, Durchfallerkrankungen und Jodmangel zählen. Nur 60% der Kinder gehen zur Schule. Dabei sind es vor allem die Jungen und nur eines von fünf Mädchen, die eine weiterführende Schule besuchen.

Bildung und Religion überschneiden sich in den Koranschulen

Der Senegal ist ein überwiegend muslimisches Land, in dem sich 92% der Bevölkerung dem islamischen Glauben zuordnen. Folglich spielt der Islam eine wichtige Rolle im Bildungssystem. Schulen für Kinder werden „Daaras” genannt und sind Koranschulen. Koranschulen fördern die religiöse Kultur und sind Orte, an denen der Islam gelehrt wird. Kinder sind so genannte „Talibés” und werden den „Marabouts”, mit denen der Religionsunterricht stattfindet, anvertraut. Bei einer Bevölkerung von 16 Millionen Menschen sind ungefähr 50.000 bis 100.000 Kinder Talibés. (Los Angeles Times, 2019)

Fehlen von Regelungen an Schulen

Diese Schulen werden von den Behörden nicht reguliert und LehrerInnen nutzen die Kinder oft aus. Tagsüber werden Kinder mitunter gezwungen in den Straßen um Geld, Lebensmittel, Reis oder Zucker zu betteln. (Human Rights Watch, 2019) Weigern sie sich, werden sie geschlagen. Dieser Missbrauch findet seit dem vergangenen Jahrzehnt statt und hat die Welt das erste Mal im Jahr 2010 in Aufruhr versetzt, als Human Rights Watch einen Bericht über die Marabouts veröffentlichte.
Aufgrund fehlenden Eingreifens nehmen die anhaltenden Misshandlungen von Kindern beunruhigende Ausmaße an, wie in dem 71-Seiten-langen Bericht von Human Rights Watch und auf der „Platform for the Promotion and Protection of Human Rights (PPDH)” über den Missbrauch von Talibé-Kindern von 2017 bis 2018 aufgezeigt wird. Misshandlungen haben sich bis ins Jahr 2019 fortgesetzt und werden auch weiterhin vollzogen, wenn keine Veränderung durchgesetzt wird. Der Bericht von Human Rights Watch hat Präsident Sall dazu veranlasst, sich in seiner zweiten Amtszeit dem Schutz von Kindern in den Daaras zu widmen. (Human Rights Watch, 2019) Human Rights Watch schätzt, dass im Senegal 100.000 Talibé-Kinder dazu gezwungen werden, als RepräsentantInnen ihrer Daara auf die Straße zu gehen, um für Geld oder andere Dinge zu betteln. Kommen sie dem nicht nach, aber auch, wenn sie es tun, werden sie geschlagen, was in einigen Fällen zum Tode führt. (Human Rights Watch, 2019)

Zahlreiche Formen von Gewalt in den Daaras

Verschiedenste Formen von Gewalt werden regelmäßig gegen Kinder angewendet. Zum einen können Kinder gefesselt und bestimmten Formen von Gefangenschaft ausgesetzt werden. Einige Kinder werden in Käfige gesperrt, in denen sie sich nicht bewegen können oder nichts zu essen erhalten. Hinzu kommt, dass sie von den Autoritätspersonen der Daara, aber auch von älteren Talibés, geschlagen werden. Zum anderen werden einige Mädchen und Jungen von Autoritätspersonen sexuell misshandelt und ausgesetzt. (The Guardian, 2017) Schließlich entscheiden sich viele Kinder aufgrund der harten Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind, zu fliehen und zu ihren Eltern zurückzukehren, die sie wiederum dazu zwingen, zu ihrer Daara zurückzukehren. Eltern helfen nicht dabei, die kontinuierliche Gewalt an Kindern in ihren Schulen zu verhindern. Stattdessen halten sie daran fest, ihre Kinder in eben diese Institutionen zurückzuschicken. (The Economist, 2019) Die gesamte Situation wird noch komplizierter aufgrund der Tatsache, dass religiöse Schulen kostenfrei sind und Familien, die in Armut leben, wie es im Senegal überwiegend der Fall ist, diese Schulen als „Chance” ansehen. (Los Angeles Times, 2019)
Die Rechte dieser Kinder sind auch durch die unsicheren Lebensbedingungen bedroht. Zahlreiche Feuer haben zum Tode derjenigen Kinder geführt, die in der unglücklichen Lage waren, gefesselt zu sein. (The Guardian, 2013) Zudem, so berichtet es der HRW, erhielten die Kinder in 22 Daaras keine medizinische Behandlung, obwohl diese Einrichtungen mit Infektionen und Krankheiten kontaminiert waren. 13 dieser 22 Daaras stellten den Kindern wenige bis gar keine Lebensmittel zur Verfügung, was die Wahrscheinlichkeit zu erkranken für viele Kinder noch erhöhte. (Human Rights Watch, 2019)

Hinzu kommt, dass Daaras in einigen Fällen Orte sind, an denen Kinder versammelt und Opfer von Kinderhandel werden. (The Guardian, 2013) Die Talibés werden in weit entfernten Städten ausgesetzt, wo sie sich aus den Augen verlieren, von ihrer gewohnten Umgebung entfremden und somit orientierungslos werden. Die Los Angeles Times berichtete, dass Kinder bisweilen in Länder Westafrikas, wie Guinea, Mali oder Gambia geschickt werden. (Los Angeles Times, 2019) Die genannten Vorfälle veranschaulichen, dass Kinder nicht als Menschen mit Rechten, sondern als Objekte und Waren behandelt werden.

Bericht von Human Rights Watch

Der letzte Bericht, der sich auf acht von vierzehn Regionen des Senegals bezieht, gibt an, dass 63 von 88 befragten Talibés aussagten, von ihrem/r Koranlehrer/in dazu gezwungen worden zu sein, für einen Tagessatz von 100 bis 1,250 Francs (entspricht ca. 0,15 bis 1,90 EUR) zu betteln. (Seibert, 2019) Im Bericht erwähnt Human Rights Watch 61 Fälle von Schlägen oder physischer Gewaltanwendung, 15 Fälle von vollzogener oder versuchter Vergewaltigung oder sexueller Misshandlung und 14 Fälle von Kindern, die inhaftiert, gefesselt oder angekettet wurden. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Kinder vernachlässigt und ignoriert werden; sie werden misshandelt. (Human Rights Watch, 2019)

Verschlechterung der Bedingungen

Es ist nicht der erste Bericht, der die Bedingungen, unter denen Kinder in den Daaras leben, beschreibt. Der „Guardian” kommentierte schon häufiger die Verschlechterung der Bedingungen in den Schulen des Landes. Im Jahr 2005 wurden Regelungen implementiert, die das Erzwingen von Betteln kriminalisiert. Diese Gesetze konnten jedoch nicht einfach auf religiöse Schulen angewendet werden. (The Guardian, 2010) Nachdem 9 Kinder bei einem Feuer in einer örtlichen Daara im März 2013 ums Leben kamen, versprachen Präsident Sall und seine Regierung Veränderungen, die bis heute allerdings nicht stattgefunden haben. (The Guardian, 2013) Drei Jahre später, im Juni 2016, versuchte die Regierung die Zahl der Straßenkinder zu reduzieren, um den Talibés zu helfen. Die Kinder wurden jedoch zu ihren religiösen Schulen mit denselben LehrerInnen zurückgeschickt. (The Guardian, 2017)

Welche Hilfe wird angeboten?

Nichtsdestotrotz gibt es viele Initiativen von NGOs, JournalistInnen und Human Rights Watch, um den Kindern zu helfen. Human Rights Watch basiert ihre Berichte oft auf Interviews mit Kindern und verhilft ihnen damit zu einer Stimme außerhalb ihres eigenen Landes. Mit Hilfe der Berichte über die Situation durch die Augen der Kinder gibt Human Rights Watch ihnen die Möglichkeit, aktiv an ihrer Geschichte teilzuhaben. (Seibert, 2017, 2019) Dies etabliert ein Vertrauensverhältnis zwischen NGOs, ReporterInnen und JournalistInnen und den Talibé-Kindern. (The Guardian, 2013) Hierdurch wird die Arbeit der NGOs und JournalistInnen legitimiert und den Kindern wird ermöglicht zu verstehen, was richtig und falsch ist, während sie zugleich als Sprecher ihres Leidens auftreten können.
Beispielsweise basierte die „Los Angeles Times” ihren gesamten Artikel über die Situation in den religiösen Schulen Senegals auf die Geschichte von Ahmadou Cisse, einem 14 Jahre alten Jungen, der für einen Marabout in der Nähe von Dakar arbeitet und gezwungen wird, in den Straßen der Stadt zu betteln. (Los Angeles Times, 2019) Obwohl die Behörden im Senegal die Situation weitestgehend ignorierten, ist es HRW und anderen NGOs gelungen, zu helfen. In diesem Zusammenhang übernimmt auch Humanium eine Verantwortung, indem weltweit auf die Situation im Senegal aufmerksam gemacht wird. Humanium hofft, dass durch ein stärkeres Bewusstsein das Engagement für strengere Schulregelungen zunimmt. Die Projekte von Humanium konzentrieren sich auf das seelische Wohlbefinden von Kindern und die Situation im Senegal verletzt dieses.

Drängen auf Maßnahmen der Regierung

HRW hat insbesondere dabei geholfen, die Regierung zu Maßnahmen zu bewegen und Präsident Sall aufzufordern, strengere Gesetze zur Regulierung von Daaras zu implementieren. (Human Rights Watch, 2019) Im Jahr 2018 wurde der Gesetzesentwurf zum Schutz des Kindes von 2013 vervollständigt und rechtsgültige Vorschriften für Daaras erarbeitet, was Sall zu einer erfolgreichen zweiten Amtszeit führte. (Human Rights Watch, 2019) Es folgten jedoch keine weiteren Maßnahmen. Anfang 2019 hatte die Nationalversammlung immer noch nicht über den Gesetzesentwurf von 2013 abgestimmt. HRW ruft dazu auf, mit Ermittlungen und der Strafverfolgung von denjenigen zu beginnen, die sich schuldig gemacht haben, Kinder unter Zwang zu stellen. Dies betrifft sowohl LehrerInnen als auch Eltern, die ihre Kinder absichtlich vernachlässigt und zu missbräuchlichen Daaras zurückgebracht haben. HRW ermutigt die Behörden Schritte zu berücksichtigen, die dem Interesse der Kinder dienen, wie einer Aufforderung dazu, alle Daaras, die das Kindeswohl gefährden, unverzüglich anzuzeigen und die Fälle zu inspizieren. Kurz, HRW legt Wert auf die nationalen Standards zur Führung von Daaras und auf eine angemessene Reaktion im Falle, dass eine Daara nicht ihre Pflichten erfüllt. (Human Rights Watch, 2019)

Was tun?

NGOs, ReporterInnen, JournalistInnen und andere Organisationen sollten weiterhin über die Situation berichten und diese untersuchen, denn dies ist wichtig für die Kinder des Senegals. Ihre Rechte werden nicht respektiert und aufgrund fehlender Ressourcen sind sie nicht in der Lage, sich selbst dagegen zu wehren. Mit Hilfe einer weltweiten Bewusstseinsschaffung kann Humanium Menschen über die Notwendigkeit aufklären, Druck auf Präsident Sall auszuüben, damit er die Veränderungen hervorbringt, die wir im Senegal sehen wollen. Dies müssen wir jetzt tun! Die Situation gefährdet die Kinder und hat dies schon viel zu viele Jahrzehnte getan. 2013/14 hat Humanium ein Projekt zum Bau einer Grundschule in einem Dorf im Senegal umgesetzt. Mit der Hilfe neuer LehrerInnen und neuer Programme war es Humanium möglich, benachteiligte Kinder zu versorgen.
Obwohl dieses Projekt Religion nicht miteinbezogen hat, ist es äußerst wichtig, dass Daaras ein ähnliches Bildungskonzept verfolgen, das benachteiligten Kindern aus armen Verhältnissen die gleichen Chancen gibt, sich weiterzuentwickeln und ihren zukünftigen Horizont zu erweitern. Humanium ist in der Lage Beratungsleistungen über die Art und Weise anzubieten, wie Lehre an einer neuen Schule stattfinden kann, sobald Regelungen zur Kriminalisierung von Gewalt an Kindern in Daaras eingeführt worden sind. Zunächst aber müssen wir als NGO ein Bewusstsein über die Bedingungen schaffen, um Unterstützung einholen zu können.

Geschrieben von Leah Benque
Übersetzt von Andrea Quaden
Korrektur gelesen von Anita Bramburger

Quellen
Lyons, Kate. (2017, July 12), “Senegal fails to stop abuse of children in Qur’anic schools,” The Guardian. Retrieved from The Guardian Global Development: https://www.theguardian.com/global-development/2017/jul/12/senegal-fails-to-stop-abuse-of-children-in-quranic-schools
Hirsch, Afua. (2010, April 15), “Qur’anic schools in Senegal are abusing pupils, says human rights group,” The Guardian. Retrieved from The Guardian World – Senegal: https://www.theguardian.com/world/2010/apr/15/senegal-quranic-schools-abuse-claim
Human Rights Watch. (2019, June 11), “Senegal: Unchecked Abuses in Quranic Schools,” Human Rights Watch. Retrieved from HRW Region Africa: https://www.hrw.org/news/2019/06/11/senegal-unchecked-abuses-quranic-schools
Hussain, Misha. (2013, April 17), “Senegal acts on child begging after fire kills nine in care of renegade teacher,” The Guardian. Retrieved from The Guardian Global Developement: https://www.theguardian.com/global-development/2013/apr/17/senegal-child-begging-renegade-teacher
Seibert, Laura. (2017, May 11), “ ‘I Still See the Talibés Begging’ Report,” Human Rights Watch. Retrieved from Human Rights Watch Africa: https://www.hrw.org/report/2017/07/11/i-still-see-talibes-begging/government-program-protect-talibe-children-senegal
Seibert, Laura. (2019, June 11), “ ‘There is Enormous Suffering’ Serious Abuses Against Talibé Children, 2017-2019,” Human Rights Watch. Retrieved from HRW Region Africa: https://www.hrw.org/report/2019/06/11/there-enormous-suffering/serious-abuses-against-talibe-children-senegal-2017-2018
The Economist. (2019, June 13), “Thousands of children are abused in Senegal’s religious schools,” The Economist. Retrieved from The Economist Middle East and Africa: https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2019/06/13/thousands-of-children-are-abused-in-senegals-religious-schools
Yeung, Peter. (2019, May 5), “These youths in Senegal are supposed to be studying Islam, but many are begging on the streets,” Los Angeles Times. Retrieved from Los Angeles Times World – Africa: https://www.latimes.com/world/africa/la-fg-senegal-children-talibes-begging-20190505-story.html