Die Klimakrise bedroht indigene Kinder in kanadischen Reservaten

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Die Klimakrise betrifft zwar alle, aber von ihren negativen Auswirkungen sind oft Randgruppen unverhältnismäßig stark betroffen. Dies ist die Realität für indigene Kinder, die in Reservaten in Kanada leben. Die Klimakrise bedroht nicht nur das Recht indigener Kinder auf Gesundheit und Sicherheit, sondern führt auch zum Verlust von Land, Kultur und Lebensgrundlage. Kanada muss Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte der indigenen Kinder gewahrt werden.

Vulnerabilität indigener Kinder gegenüber den Auswirkungen der Klimakrise

Systemische Kräfte haben dazu geführt, dass indigene Kinder, die in kanadischen Reservaten leben, besonders anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels sind, da sie eine besonders enge Beziehung zu ihrem Land und ihrer Umwelt haben und in geografischen Gebieten leben, die einem rapiden Klimawandel ausgesetzt sind (NCCIH, 2022)). In Verbindung mit bestehenden Faktoren wie sozialen Ungleichheiten kann die Klimakrise Menschenrechtsverletzungen wie das Recht auf Gesundheit, Wasser, Nahrung und Umwelt noch verschärfen (CFC, 2022)

Auswirkungen der Klimakrise auf indigene Kinder in Kanada

Die Kolonisierung durch die kanadische Regierung, die indigene Völker gewaltsam in Gebiete („Reservate“) mit umweltbedingten Nachteilen vertrieben hat, hat zur Folge, dass sie unverhältnismäßig stark körperlich gefährdet sind. (Tsosie, 2017). Diese weniger attraktiven Gebiete sind anfälliger für heftige saisonale Ereignisse, wie Eisbruch, Wasserverschmutzung und Waldbrände.

Die Kashechewan First Nation im Norden Ontarios beispielsweise muss ihre Gemeindemitglieder im Frühjahr ständig evakuieren, wenn der Albany River über die Ufer tritt. Im Jahr 2016 führte dies zur vorübergehenden Vertreibung von über 75 % ihrer Mitglieder (Quirt, 2021). Die Gefährdung indigener Kinder, die in Reservaten leben, wird durch bestehende infrastrukturelle Defizite noch verstärkt (Parkes et. al, 2010).  Anfällige Abwassersysteme und eine erhöhte Belastung durch Umweltschadstoffe haben in ganz Kanada zu Hunderten von Warnhinweisen zum Abkochen von Wasser geführt (NCCIH, 2022).

Indigene Völker leben oft davon, was ihnen ihr Land bietet, und sind auf traditionelle Praktiken wie Jagen, Fischen und Sammeln zur Nahrungsbeschaffung angewiesen. Der Klimawandel verändert den Ablauf der Jahreszeiten und die Migrationsmuster der Wildtiere, was die Verfügbarkeit von Nahrung und anderen natürlichen Ressourcen verringert. So haben beispielsweise die Erwärmung der Gewässer und die veränderten Niederschläge zum Verlust von Wildtierpopulationen wie die der Rentiere geführt.

Darüber hinaus sind die Impfraten bei indigenen Kindern, die in Reservaten leben, um 20 % niedriger und das Tuberkulosevorkommen 8- bis 10-mal höher als bei der kanadischen Allgemeinbevölkerung (Parkes et. al, 2010). Angesichts des Anstiegs der akuten Bronchitis bei Kindern im Zusammenhang mit Waldbränden, sind in Reservaten lebende indigene Kinder anfälliger für hitzebedingte Krankheiten und Atemwegsprobleme infolge der durch den Klimawandel verursachten Rauchbelastung  (CFC, 2022).

Über die körperliche Gesundheit hinaus ist das Risiko indigener Kinder in Reservaten an psychischen Erkrankungen wie Angstzustände und Depressionen, die durch den Klimawandel verursacht werden zu leiden erhöht  (Rodriguez, 2021). Diese Kinder haben eine starke kulturelle Bindung an das Land und erleben daher eine Öko-Angst stärker als nicht-indigene Kinder. Die Schäden und der Verlust von Land infolge von Überschwemmungen und Waldbränden haben dazu geführt, dass viele kulturelle Traditionen nicht mehr praktiziert werden können  (NCCIH, 2022).

Kanadas Untätigkeit bezüglich der Klimakrise betrifft indigene Kinder

Während Kanada sich bemüht, sich mit den indigenen Völkern zu versöhnen, indem es die in den Internatsschulen begangenen Menschenrechtsverletzungen anerkennt, schenkt die Regierung den aktuellen Menschenrechtsverletzungen, denen indigene Kinder aufgrund des Klimawandels ausgesetzt sind, weniger Aufmerksamkeit.

Im Jahr 2021 lud der Ausschuss für Kinderrechte interessierte Parteien ein, sich zum Konzept einer allgemeinen Stellungnahme zu den Rechten von Kindern und der Umwelt mit besonderem Schwerpunkt auf dem Klimawandel zu äußern (Committee on the Rights of the Child, 2023). Obwohl die kanadische Regierung anerkannte, dass der Ausschuss für Kinderrechte hilfreich sein kann, wenn es darum geht, Orientierungshilfen zu geben, wie sie ihre Verpflichtungen im Rahmen des Internationalen Übereinkommens über Kinderrechte berücksichtigen und erfüllen können, war sie mit vielen der Empfehlungen nicht einverstanden.

Die kanadische Regierung argumentierte, dass „der Geltungsbereich des Rechts auf Leben nicht so weit reichen könne, dass dadurch den Staaten eine positive Verpflichtung auferlegt werden dürfe, Kinder vor dem Schaden zu schützen, der sich aus einer vernünftigerweise vorhersehbaren, aber weit entfernten Bedrohung ergibt“ (Government of Canada, 2021).

Kanada argumentierte, dass das Internationale Übereinkommen über die Kinderrechte „nicht für das Ungeborene oder für künftige, noch nicht lebende Generationen gilt“ (Government of Canada, 2023). In ihrer Antwort und ihren Kommentaren ging die kanadische Regierung nicht auf die spezifischen Bedenken indigener Kinder ein.

Im März 2023 stellte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker fest, dass „indigene Völker in Kanada nach wie vor mit ernsthaften Hindernissen konfrontiert sind, wenn sie ihre individuellen und kollektiven Rechte in vollem Umfang wahrnehmen wollen“ (Calí-Tzay, 2023). Im Anschluss an diese Erklärung veröffentlichte Amnesty seinen Bericht 2022-23, in dem die weiterhin geltenden Anweisungen Wasser abzukochen, der mangelnde Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung und der gegen indigene Völker gerichtete Rassismus in Kanada angeprangert werden (Amnesty International, n.d.).

Juristische Aktionen von Jugendlichen zum Klimawandel in Kanada

Kanadische Kinder haben versucht, ihr Recht auf eine gesunde Umwelt für sich und künftige Generationen durchzusetzen, indem sie ihren Fall vor Gericht brachten. Zwischen 2018 und 2020 haben verschiedene Jugendaktivisten Klagen gegen die kanadische Bundes- und Provinzregierung erhoben (Environnement Jeunesse, 2019).

In diesen Klagen wurde behauptet, die Regierungen hätten es versäumt, die Rechte junger Menschen gemäß der kanadischen Charta der Rechte und Freiheiten zu schützen, indem sie unzureichende Maßnahmen gegen die Schäden des Klimawandels ergriffen hätten (La Rose gegen Kanada, 2020). Obwohl diese Fälle die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen Kanadas und die unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Jugendliche aufzeigten, wurden beide Fälle abgewiesen.

Eine laufende Klage von sieben indigenen und nicht-indigenen Jugendlichen ist der erste Fall in Kanada, in dem ein Gericht anerkannt hat, dass die Klimakrise das Leben, die Freiheit und die Sicherheit der Person bedrohen und gegen Gleichberechtigungsrechte verstoßen könnte (Ecojustice, 2021). Der Fall wurde im Januar 2024 erneut vor Gericht gebracht, und ein Urteil wird noch in diesem Jahr erwartet  (Greenpeace, 2024).

Eine grünere Zukunft für indigene Kinder

Die Klimakrise in Verbindung mit dem Kolonialismus, der die traditionellen Werte der Kultur und des Wissens zum Schutz der indigenen Kinder zerstört hat, macht diese Kinder verletzlicher als je zuvor. Die Verwirklichung ihrer Rechten erfordert eine Verpflichtung, die historischen und aktuellen Ungerechtigkeiten anzugehen und dabei mit den indigenen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten.

Die kanadische Regierung und die Regierungen der Provinzen sind dafür verantwortlich, die von ihnen geschaffene Ungleichheit zu beseitigen. Sie müssen indigene Kinder stärken, indem sie ihnen aussagekräftige Informationen zur Verfügung stellen, die traditionelles Wissen über Strategien zur Anpassung an den Klimawandel und zu dessen Eindämmung fördern. Dazu gehört auch die Gewährleistung des Zugangs zu angemessenen Gesundheitsdiensten, einschließlich ausgebildeter Ärzte, die die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für indigene Kinder erkennen können.

Als letzten Schritt muss Kanada die Gesetzgebung aktualisieren, um die schädlichen Auswirkungen der Klimakrise anzuerkennen und zu bekämpfen. Aufgrund des Unwillens der Gerichte, positive Verpflichtungen zu bekräftigen, liegt es an den Regierungen, die unverhältnismäßigen und diskriminierenden Auswirkungen des Klimawandels auf die in Reservaten lebenden Menschen anzuerkennen, indem sie das Recht auf eine gesunde Umwelt für die Kinder von heute und für zukünftige Generationen anerkennen.

Humanium arbeitet hart daran, auf die Auswirkungen des Klimawandels auf alle Kinder aufmerksam zu machen, und zwar durch unsere Projekte, die verschiedene lokale Gemeinschaften weltweit unterstützen. Unterstützen Sie Humanium in der Jugendarbeit – durch eine Spende, Freiwilligenarbeit oder eine Mitgliedschaft.

Verfasst von Kathleen Tereposky (Sie lebt als nicht-indigene Autorin auf dem traditionellen Gebiet des Anishinabe Algonquin Volkes)

Übersetzt von Katharina Wilhelm

Korrektur von Birgit Puttock

Literaturverzeichnis:

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