Kinder in Frankreich

Kinder in Frankreich

Die Verwirklichung der Kinderrechte in Frankreich

„Oberflächlich betrachtet geht es den Kindern in Frankreich nicht gerade schlecht. Der Jugendschutz, das Bildungssystem und das soziale Sicherungssystem, von denen sie profitieren, zählen zu den besten der Welt. Doch wir wissen alle, dass zu viele Kinder trotzdem durch das Raster fallen.“ Claire Brisset, Kinderschutzbeauftragte bis 2006.

Index der Realisierung von Kinderrechten: 8,88/ 10
Gelb: recht gute Lage

Bevölkerung: 65,1 M.
Bev. 0-14 Jahren: 18,6 %

Lebenserwartung: 81,8 Jahre
Kindersterblichkeit: 4 ‰

 

Die größten Herausforderungen für Kinder in Frankreich:

Armut

In Frankreich leben über 2 Millionen Kinder unterhalb der Armutsgrenze (mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 950 Euro). Kinder mit Migrationshintergrund sind besonders häufig von Armut betroffen.

Fast 15.000 Kinder leben mit ihren Familien auf der Straße oder in Obdachlosenheimen.

Gewalt

Etwa 100.000 Kinder werden in Frankreich jährlich als gefährdet gemeldet. In der Regel beziehen sich diese Meldungen auf tatsächliche oder Verdachtsfälle von Misshandlung oder Vernachlässigung von Kindern durch ihre Eltern. Die Gruppe „Sozialhilfe für Kinder“ [Aide Sociale à l’Enfance] hilft vielen dieser Kinder. Ihre Telefonhotline 119 für misshandelte Kinder [Allô Enfance Maltraitée 119] zählt jedes Jahr mehr als eine Million Anrufe.

Das Kinderrechtskomitee wies darauf hin, dass Kinder sowohl innerhalb der Familie als auch an Schulen oft noch körperlich gezüchtigt werden, besonders in den Überseegebieten. Gewalt gegen Kinder ist in Frankreich nicht explizit verboten. Eine Lösung für dieses Problem wäre ein Gesetz, das körperliche Züchtigung innerhalb der Familie untersagt.

Minderjährige Flüchtlinge

Jedes Jahr erreichen rund 3.000 minderjährige Flüchtlinge französischen Boden, ganz allein und mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die Situation, in die diese jungen Asylsuchenden in Frankreich geraten, ist besorgniserregend. Oft werden sie in Wartezonen an Flughäfen untergebracht, ohne dass genauere Nachforschungen zu ihrer Situation angestellt oder die Folgen einer Rückführung in ihr Heimatland berücksichtigt werden. Dabei kann die Entscheidung über ihren Verbleib nicht rückgängig gemacht werden. In der Regel wissen die Minderjährigen gar nicht, was mit ihnen geschieht, da sie kein Französisch sprechen. Meist fehlen auch jegliche Unterstützung bei administrativen Fragen oder psychologische Betreuung.

Doch ohne Aufenthaltsgenehmigung können auch Jugendliche, die es bis nach Frankreich schaffen, keine berufliche Ausbildung beginnen und steuern dadurch einem Leben im Schatten von Verbrechen, Menschenhandel und Prostitution entgegen.
Es ist daher wichtig, dass sie einen offiziellen Status bekommen, damit sie Betreuungsangebote in Anspruch nehmen können und ihre Integration in Gesellschaft, Bildungssystem und Arbeitsmarkt ermöglicht wird ‒ oder um sie zumindest besser auf eine Rückkehr in ihr Heimatland vorzubereiten.

Die Grundrechte der Kinder gelten jedoch völlig unabhängig von ihrem Einwanderungsstatus. Auch im Ausland geborene Minderjährige stehen in gleicher Weise unter dem Schutz der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) wie in Frankreich geborene Kinder. Insbesondere haben sie ein Recht auf Gleichbehandlung und Schutz.

Diskriminierung

Das Kinderrechtskomitee zeigte sich äußerst besorgt über die verbreitete Intoleranz gegenüber Kindern, die Minderheiten wie den Roma angehören oder in Armenvierteln wohnen, und selbst gegenüber behinderten Kindern.

Gegen Diskriminierung muss also mit mehr Nachdruck vorgegangen werden. Nicht nur Kinder sollten für dieses Thema sensibilisiert werden, sondern vor allem auch Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben (wie Polizisten, Lehrer und Sozialarbeiter) sowie zentrale Anlaufstellen und entsprechende Einrichtungen.

Bildung

In Frankreich richten sich der Zugang zu Bildung und deren Qualität sehr stark nach sozialem Status. Kinder in schlechteren Wohngegenden, besonders Einwanderer in Armenvierteln, erlangen deutlich seltener einen Schulabschluss als andere Schüler. Die Zahl der Kinder, die ihre Schulausbildung mit 18 bereits abgebrochen haben, ist in Arbeiterfamilien um ein Sechsfaches höher als in anderen Familien. Offensichtlich wurde das Ziel der Chancengleichheit noch nicht erreicht.

Obwohl bis zum 16. Lebensjahr eine Schulpflicht besteht, verlassen jedes Jahr etwa 150.000 Schüler ohne Abschlusszeugnis die Mittelschule ‒ viele davon schon in den ersten Jahren.

Aktuell müssen Lösungen gefunden werden, um Chancenungleichheit und die vielen Fehlstunden von Schülern zu bekämpfen. Außerdem müssen Hilfsangebote für Kinder in schwierigen Situationen entwickelt werden. Das Bildungssystem muss unbedingt reformiert werden, damit Schulen ihren Bildungsauftrag erfüllen und soziale Vielfalt fördern können.

Das Recht auf Identität

In Frankreich ist es möglich, ein Kind anonym unter dem Namen „X“ zur Welt zu bringen und direkt nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Die Herkunft bleibt damit geheim, obwohl ein im Jahr 2002 verabschiedetes Gesetz die Suche nach biologischen Eltern über die nationale Behörde CNAOP vereinfacht, die die Recherche mit dem Einverständnis der Eltern ermöglicht. Gegner der anonymen Geburt sind mit diesem Kompromiss nicht zufrieden. Dieser untergräbt ihrer Meinung nach das Recht aller Kinder auf Kenntnis der eigenen Herkunft, das in Artikel 8 der KRK als Recht auf Identität beschrieben wird.

Religionsfreiheit

Seit 2004 ist das Tragen von religiösen Symbolen oder Kleidung mit religiöser Bedeutung an öffentlichen Schulen in Frankreich gesetzlich verboten. Das Gesetz steht zwar nicht in direktem Widerspruch zur Kinderrechtskonvention, doch die Religionsfreiheit von Kindern (Artikel 14 der KRK) wird dadurch eindeutig eingeschränkt.

Die Gratwanderung besteht natürlich darin zu vermeiden, dass Mädchen durch das Verbot vom Schulbesuch abgehalten werden (da vor allem über das islamische Kopftuch diskutiert wird). In dem Fall würde ihr Recht auf Bildung (Artikel 28 der KRK) missachtet werden. Das Kinderrechtskomitee wies darauf hin, dass ein Verbot religiöser Symbole in einem angeblich sekulären Land nicht nötig sein sollte.

Minderjährige in der Rechtsprechung

Frankreichs Jugendstrafrecht wurde in den letzten Jahren umfassend reformiert und weist leider größtenteils repressive statt pädagogische Maßnahmen auf. Internationales Recht dagegen empfiehlt, Minderjährige nur in Ausnahmefällen unter Arrest zu stellen. Besonders hart trifft das Gesetz junge Wiederholungstäter, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden.

Ein großes Problem mit Blick auf die Inhaftierung von Minderjährigen sind die vielen Berichte von Selbstverletzungen und Suizidversuchen in französischen Gefängnissen. Eine spezielle Arbeitsgruppe wurde auf nationaler Ebene gegründet, um diese Probleme zu lösen.

 

 

Kinder in der Kultur des Landes

„Alle Erwachsenen waren einmal Kinder, aber nur wenige können sich daran erinnern.“ (Antoine de Saint-Exupéry)

Traditionen zur Geburt: In Frankreich erzählt man sich, Kinder kämen in einem Garten zur Welt ‒ Jungen in Blumenkohl und Mädchen in Rosen. Wie in anderen europäischen Ländern gibt es auch den Mythos, dass der Storch den Familien ihre Babys bringt.

Jede Region Frankreichs hat außerdem eigene Traditionen. Elsässer erzählen sich beispielsweise, dass Kinder aus einem „Kinderbrunnen“ kommen. Der Legende nach gibt es einen solchen Brunnen am Straßburger Münster. Unter dem Baudenkmal fließe ein unterirdischer See, auf dem ein Zwerg mit einem langen weißen Bart auf seinem Floß lebe. Frauen können ihren Kinderwunsch in den Brunnen flüstern, damit der Zwerg mit seinem Netz die Seele eines Kindes einfängt, das geboren werden soll.

Wichtige Altersstufen: In Frankreich gilt man mit 18 Jahren als erwachsen. Bis 2006 betrug das gesetzliche Mindestalter für die Ehe 18 Jahre für Männer und 15 Jahre für Frauen. Nach dem Einschreiten des Kinderrechtskomitees wurde das Gesetz im Jahr 2006 geändert, um eine Gleichstellung zu erreichen.