Kindgerechte Justiz 

Eine kindgerechte Justiz umfasst rechtliche Maßnahmen zum Schutz der Rechte und des Wohlergehens von Kindern und geht über den Bereich des Strafrechts hinaus. Sie beinhaltet Grundsätze der kindgerechten Justiz nach internationalen Normen und deckt auch nicht-strafrechtliche Gerichtsverfahren ab, wie zum Beispiel öffentlich-rechtliche Verfahren, an denen lokale Behörden beteiligt sind, und privatrechtliche Verfahren im Bereich Familie.

Zu den Hauptgründen, aus denen Kinder mit dem Justizsystem in Berührung kommen, zählen Scheidung, Adoption, Staatsbürgerschafts- und Einwanderungsfragen, Betreuungsbedarf, Beteiligung an Straftaten, Bildungsfragen, Diskriminierung, Sexualdelikte, klinische Fahrlässigkeit und Fragen der psychischen Gesundheit.

Was bedeutet „kindgerechte Justiz“?

Der Begriff „kindgerechte Justiz“ wird häufiger im juristischen Kontext verwendet und bezieht sich auf den Wunsch, sicherzustellen, dass das Justizsystem zum Wohle aller Kinder, unabhängig von deren Status, und in Übereinstimmung mit internationalen Richtlinien und Normen handelt.

Diese Definition schließt Fälle im strafrechtlichen Bereich, wo Kinder wegen einer Straftat mit dem Justizsystem in Berührung kommen, mit ein. Es geht aber auch um Verstöße gegen Kinderrechte außerhalb des strafrechtlichen Bereichs, zum Beispiel bei Adoptionsverfahren. 

Eine kindgerechte Justiz sollte nicht durch nationale gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt werden. Da der Begriff breit gefasst ist, sind die internationalen Grundsätze der kindgerechten Justiz in einer Reihe internationaler Standards und Leitlinien kodifiziert. Dazu gehören unter anderem die UN-Kinderrechtskonvention (KRK), die Regeln der Vereinten Nationen über die Mindestnormen für die Jugendgerichtsbarkeit (Beijing-Regeln) und die Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug (Havanna-Regeln).

Zwei Arten von Kinderbetreuungsverfahren 

Es gibt mehrere Gründe, warum Kinder einem nicht-strafrechtlichen Gerichtsverfahren unterworfen werden können. Diese Gerichtsverfahren bestimmen, wo Kinder leben sollen, wer die elterliche Verantwortung für das Kind trägt oder mit wem das Kind Umgang haben darf (Martin, 2018). Es gibt zwei verschiedene Rechtsordnungen: 

Öffentliches Recht 

Bei öffentlich-rechtlichen Verfahren handelt es sich um Gerichtsverfahren, bei denen eine lokale Behörde einen Antrag gestellt hat, in dem sie ihre Besorgnis über die unzureichende Betreuung eines Kindes (oder mehrerer Kinder) zum Ausdruck bringt. In diesen Fällen wird den Kindern eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter zugewiesen (Martin, 2018). Beispiele für öffentlich-rechtliche Verfahren sind:  

Anordnung über das Sorgerecht

Eine Anordnung über das Sorgerecht wird im Namen eines Kindes durch eine lokale Behörde beantragt. Es gibt zwei Arten von Anordnungen: vorläufige Sorgerechtsanordnungen und endgültige Sorgerechtsanordnungen. Sobald eine solche Anordnung vorliegt, hat die lokale Behörde die elterliche Verantwortung und muss über die Zukunft des Kindes und seinen Aufenthaltsort entscheiden. Die Anordnung gilt bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres des Kindes, sie kann jedoch vom Gericht widerrufen werden. Im Rahmen einer Sorgerechtsanordnung wird ein Kind als von der lokalen Behörde „betreut“ betrachtet (Martin, 2018). 

Anordnung einer Betreuungshilfe („supervision order“)

Bei der Anordnung einer Betreuungshilfe muss die lokale Behörde dem Kind eine sozialpädagogische Fachkraft zur Seite stellen, die es berät, unterstützt und sich mit ihm anfreundet, um ihm zur Seite zu stehen. In diesen Fällen hat die lokale Behörde keine elterliche Verantwortung. Die Anordnungen gelten zunächst für ein Jahr, können aber auf höchstens zwei Jahre verlängert werden.

Das Gericht hat jedoch die Befugnis, die Anordnung früher aufzuheben. Diese Anordnung bedeutet, dass ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Wohlergehens des Kindes bestehen. Das Kind wird jedoch nicht als „betreutes Kind“ betrachtet (Martin, 2018).

Adoptionsverfügung

Durch eine Adoptionsverfügung, die von den Adoptierenden und nicht von der lokalen Behörde beantragt wird, wird die elterliche Verantwortung auf die Adoptierenden übertragen. Sobald die Adoption wirksam wird, nimmt das Kind den Namen und die Rechte der Adoptivfamilie an, als wäre es in diese Familie hineingeboren worden. Adoptionsverfügungen gelten für die Dauer des Lebens des Kindes und sind in der Regel nicht rückgängig zu machen (Martin, 2018).

Schutzanordnung

Mit einer Schutzanordnung kann die lokale Behörde ein Kind aus seinem Zuhause entfernen, wenn sie der Meinung ist, dass das Kindeswohl erheblich gefährdet ist. Diese Anordnung kann bis zu acht Tage dauern und kann nur um weitere sieben Tage verlängert werden (Martin, 2018). 

Privatrechtliche Verfahren 

Privatrechtliche Verfahren sind Gerichtsverfahren, bei denen eine Person eine bestimmte Angelegenheit aus ihrem privaten Familienleben vor Gericht gebracht hat. Bei diesen Fällen ist nicht immer eine lokale Behörde involviert (Martin, 2018). Beispiele für privatrechtliche Verfahren sind: 

Anordnung zum Umgangsrecht

Die Anordnung zum Umgangsrecht mit dem Kind legt die Lebens- und Umgangsbedingungen für das Kind fest. Wen auch immer das Gericht als die Person bestimmt, bei dem das Kind leben soll, erhält die elterliche Verantwortung für die Dauer der Anordnung zum Umgangsrecht. Der Umgang mit einem Kind kann entweder direkt oder indirekt sein.

Direkter Umgang bedeutet, dass der Kontakt von Angesicht zu Angesicht, persönlich oder online, erfolgt. Indirekter Umgang bezieht sich auf Kontakte, die durch den Austausch von Briefen erfolgen (Cafcass, n,d). Diese Anordnung gilt in der Regel bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahres des Kindes. Danach kann das Kind selbst entscheiden, wie viel Umgang es haben möchte. Jedoch kann es erst ab dem achtzehnten Lebensjahr selbst entscheiden, wo es leben möchte (Martin, 2018).  

Anordnung zur elterlichen Verantwortung

In einer Anordnung zur elterlichen Verantwortung werden alle Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten eines Elternteils gegenüber seinem Kind festgelegt. Die leibliche Mutter hat automatisch die elterliche Verantwortung, es sei denn, diese wird ihr durch eine Adoptionsverfügung entzogen. Wenn Vater und Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes miteinander verheiratet sind, haben beide Elternteile die elterliche Verantwortung.

In Fällen, in denen Vater und Mutter unverheiratet sind, kann der Vater die elterliche Verantwortung durch Heirat mit der Mutter, einen Gerichtsbeschluss oder die Unterzeichnung einer Vereinbarung über die elterliche Verantwortung erlangen (Cafcass, n,d). Die elterliche Verantwortung umfasst die Entscheidung darüber, wo ein Kind zur Schule geht, die Wahl des Namens, die Zustimmung zu medizinischen Behandlungen und den Zugang zu den medizinischen Unterlagen des Kindes, die Möglichkeit, das Kind in den Urlaub ins Ausland mitzunehmen, und die Vertretung des Kindes in Gerichtsverfahren (Coram, n,d). 

Aufenthaltsanordnung

Eine Aufenthaltsanordnung ist eine gerichtliche Anordnung, die festlegt, bei wem das Kind leben wird, aber nicht, wo das Kind leben wird. Die Person, bei der das Kind gemäß Gerichtsentscheidung leben wird, trägt die elterliche Verantwortung für das Kind bis dieses 16 Jahre alt ist (Martin, 2018).

Gründe, warum Kinder mit dem Justizsystem in Berührung kommen

Kinder können durch ihre eigenen Handlungen oder die Handlungen von Personen aus ihrem Umfeld mit der Justiz in Berührung kommen. Einige der häufigsten Ursachen, warum Kinder mit dem Justizsystem in Berührung kommen, sind: 

  • Scheidung – Formale eheliche Trennungen können dazu führen, dass Kinder mit der Justiz in Berührung kommen, insbesondere wenn Eltern und Erziehungsberechtigte über die elterlichen und kindlichen Aufsichtsrechte streiten. Trotz des allgemeinen Rückgangs der Scheidungsrate zeigt die globale Forschung über die Wahrnehmung von Scheidungen einen Anstieg der Internet-Suchanfragen nach dem Wort „Scheidung“ auf der ganzen Welt, auch auf den Philippinen, wo Scheidungen illegal sind (Advokatsmart, 2024). 
  • AdoptionAdoption ist das formale rechtliche Verfahren, das die Übertragung der elterlichen Verantwortung von den leiblichen Eltern auf die Adoptiveltern ermöglicht. Das Wohl des Kindes wird bei Adoptionsverfahren im Rahmen der Grundsätze der fairen Behandlung und Gerechtigkeit aktiv berücksichtigt.
  • Staatsangehörigkeit – Der Erwerb der Staatsangehörigkeit ist ein formeller Prozess, der mit der Registrierung der Kinder bei der Geburt verbunden ist. Kinder, die bei ihrer Geburt nicht registriert wurden, deren Registrierungsdaten gestohlen wurden oder verloren gegangen sind (z. B. Geflüchtete, die vor Konflikten oder Naturkatastrophen fliehen), oder die mit Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Registrierung konfrontiert sind, sind gezwungen, sich an das Justizsystem zu wenden.  
  • Einwanderung – Die freiwillige oder erzwungene Migration von Kindern über Grenzen hinweg und in neue Gebiete bringt sie in direkten Kontakt mit dem Justizsystem. Kinder benötigen formale Unterstützung, um ein legales Aufenthaltsrecht und eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. 
  • Betreuungs- oder Sicherheitsbedürfnisse – Kinder, die von Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung bedroht sind, können sich an die Justiz wenden, um Schutz und Sicherheit zu erhalten. Es gibt Polizei-Hotlines, Sozialdienste und andere quasi-polizeiliche Stellen, die Kinder vor Schaden bewahren sollen. 
  • Beteiligung an Straftaten– Kinder, die in Straftaten verwickelt waren, haben im Rahmen von Strafverfahren wahrscheinlich mit Strafverfolgungsbehörden und juristischen Akteuren zu tun.
  • Bildungsfragen oder Förderbedarf/Behinderungen – Kinder mit Förderbedarf oder Behinderungen können sich an das Justizsystem wenden, um Unterstützung zu erhalten. Kinder mit Beeinträchtigungen im Bereich Bildung beispielsweise benötigen unter Umständen formale Unterstützung, um ihre Nichtdiskriminierung zu gewährleisten und ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können.
  • Diskriminierung – Kinder können sich an die Justiz wenden, um Abhilfe zu schaffen, wenn sie diskriminiert wurden, oder sie können innerhalb des Justizsystems selbst Diskriminierung erfahren. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass gesellschaftliche Ungleichheiten marginalisierte Kinder in unverhältnismäßig hohem Maße in das Justizsystem treiben können. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie dort ungerecht behandelt werden (Barnardo‘s, 2023).
  • Sexualstraftaten – Kinder, die Sexualstraftaten begangen haben oder diese erlebt haben, kommen im Rahmen von Ermittlungs- und Gerichtsverfahren direkt mit dem Strafrechtssystem in Berührung. Sie benötigen aber auch außerhalb dieses Systems weitere Unterstützung, um sicherzustellen, dass sie angemessen unterstützt werden.
  • Klinische Fahrlässigkeit, Gesundheitsfürsorge – Kinder, die Opfer klinischer Fahrlässigkeit und fahrlässiger Gesundheitsversorgung geworden sind, werden wahrscheinlich mit dem Justizsystem in Berührung kommen, um sicherzustellen, dass sie vor weiterem Schaden bewahrt werden und Unterstützung erhalten. 
  • Psychische Gesundheit – Kindern, die unter psychischen Problemen leiden, werden über das Justizsystem häufig Wege zu einer besseren psychischen Gesundheit eröffnet. 

Beispiele für kindgerechte Justiz 

Die Grundsätze einer kinderfreundlichen Justiz sind in verschiedenen regionalen und internationalen Instrumenten kodifiziert. Im europäischen Kontext führen die Leitlinien des Europarats eine Reihe von Grundsätzen auf, an die sich die Staaten halten sollten, wenn sie über eine kindgerechte Justiz nachdenken (European Court of Human Rights, 2004).

Sowohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission als auch die Afrikanische Union (durch ihre Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes) enthalten Leitlinien für den Umgang mit Kindern in Gerichtsverfahren. 

Auf internationaler Ebene haben die Vereinten Nationen u. a. Regeln und Leitlinien für die Jugendgerichtsbarkeit, die Jugendkriminalität und den Freiheitsentzug, für Strafsachen, an denen Kinder als Opfer und Zeugen beteiligt sind, und Formen alternativer Betreuung veröffentlicht (Child Rights International Network, 2024). Darüber hinaus haben die Vereinten Nationen in einem vom Generalsekretär 2008 veröffentlichten Leitfaden neun Leitprinzipien zur Gewährleistung einer kindgerechten Justiz vorgestellt (Vereinte Nationen, 2008). 

Es ist bemerkenswert, dass sich die meisten bestehenden Leitlinien auf die kindgerechte Justiz im Strafrechtssystem konzentrieren und nur wenig über die Vereinheitlichung der Rechtsgrundsätze für Kinder in einem nicht strafrechtlichen Kontext veröffentlicht wurde.

Unabhängig vom Kontext gibt es einige gemeinsame Grundsätze, die sich über internationale und regionale Instrumente erstrecken und die befolgt werden sollten, um eine kindgerechte Justiz zu verwirklichen. Diese werden im Folgenden anhand von Beispielen verschiedener regionaler Schiedspersonen vorgestellt.

Das Wohl des Kindes als oberste Priorität 

Eine kindgerechte Justiz muss das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen und sollte diesem Vorrang vor allen anderen Aspekten einräumen. In einer deutschen Rechtssache aus dem Jahr 2018 (Tlapak u.a./Deutschland) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Wohl einer Gruppe von Kindern in den Vordergrund, die in einer deutschen Kirche mit Rohrstockschlägen bestraft wurden. Damit stellte er die Interessen der Kinder über die ihrer Eltern, die der Meinung waren, dass körperliche Züchtigung dieser Art akzeptabel sei (European Court of Human Rights, 2024). 

Das Recht des Kindes, seine Meinung frei zu äußern und angehört zu werden 

Kinder haben das Recht, in allen Gerichtsverfahren gehört zu werden und ihre Meinung zu äußern, unabhängig von ihrem Alter und ihren Kommunikationsfähigkeiten. Wenn Kinder nicht die Möglichkeit erhalten, gehört zu werden, besteht die Gefahr, dass das Wohl des Kindes gefährdet wird. In der kroatischen Rechtssache M. und M./Kroatien aus dem Jahr 2015 befand der EGMR, dass die vier Jahre andauernde Sorgerechtsanhörung rechtswidrig war, da ein 13-jähriges Kind nicht die Möglichkeit erhielt, befragt zu werden oder sich während des Gerichtsverfahrens zu äußern (European Court of Human Rights, 2024).

Zügige Anhörungen und Gerichtsverfahren 

Eine kindgerechte Justiz muss schnell umgesetzt werden, um die Zeit zu verkürzen, in der die Kinder Schaden oder Unsicherheit ausgesetzt sind. Im Gerichtsverfahren „Tatuape Compound“ in Brasilien ordneten die Richter des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IACtHR) dringende Maßnahmen zum Schutz von Jugendlichen an, die sich in einem zunehmend gefährlichen Gebiet aufhielten (Inter American Commission on Human Rights, 2008).

Gleiche, diskriminierungsfreie Behandlung 

Das Justizsystem muss Kinder unabhängig von ihren körperlichen oder persönlichen Merkmalen fair und gleich behandeln. Leider werden Kinder aufgrund bereits bestehender Vorurteile genauso ungerecht behandelt wie Erwachsene. In der Rechtssache Talpis gegen Italien aus dem Jahr 2017 stellte der EGMR fest, dass eine Frau Opfer von Diskriminierung im Justizverfahren geworden war, weil die Behörden die Gewalt, die sie aufgrund ihres Geschlechts erfahren hatte, unterschätzt hatten (European Court of Human Rights, 2024).

Zugänglichkeit für Kinder 

Die Justizsysteme sind für Kinder, die nicht über die nötigen Mittel verfügen, um Zugang zu einem Rechtsbeistand zu erhalten, oft unzugänglich, da sie ihre Rechte nicht kennen. Besonders betroffen sind gefährdete Kinder, Kinder von Minderheiten, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Behinderungen und Kinder in Gefängnissen/Haftanstalten. Die Afrikanische Kommission unterstützt Kinder beim Zugang zur Justiz, indem sie Bürgerinnen und Bürgern, Einzelpersonen und Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit einräumt, Misshandlungen von Kindern in deren Namen anzuzeigen (Council of Europe, 2024).

Altersangemessenheit

Die Mechanismen der Jugendgerichtsbarkeit müssen für die Kinder und unter Berücksichtigung ihres Wohls entwickelt werden. Wird ein Strafrechtsverfahren für Erwachsene in einen Kinderrechtskontext übertragen, besteht die Gefahr, dass die Besonderheiten der Verletzlichkeiten von Kindern untergraben und übersehen werden.

Gründlichkeit 

Die Akteurinnen und Akteure im Justizsystem müssen mögliche Verletzungen der Kinderrechte und die Behandlung von Kindern, die Opfer von Gewalt geworden sind, genau und gründlich prüfen. Im Jahr 2008 entschied die IACHR, dass Guatemala es versäumt hat, Kinder vor dem Verschwindenlassen zu schützen, und wies das Land an, über den individuellen Schaden hinaus ein Bildungszentrum über Kinder einzurichten, die während des bewaffneten Konflikts im Land verschwunden sind (Inter American Commission on Human Rights, 2008).

Angepasst an und ausgerichtet auf die Bedürfnisse von Kindern 

Die Strafrechtssysteme sind oft nicht dafür gerüstet, Kinder zu unterstützen. Justizfachkräften fehlt es häufig an einer speziellen Ausbildung, und sie behandeln Kinder wie Erwachsene. Dadurch untergraben sie das Gerichtsverfahren und ignorieren die inhärente Verletzlichkeit der Kinder.

Im Fall A.P./Republik Moldau aus dem Jahr 2021 wurde ein zwölfjähriger Junge beschuldigt, ein fünfjähriges Kind sexuell missbraucht zu haben. Während des Ermittlungsverfahrens wurde das beschuldigte Kind weder durch eine sozialpädagogische noch eine psychologische oder eine andere Fachkraft begleitet, was einen Verstoß gegen die Richtlinien des Europarats darstellt (European Court of Human Rights, 2024).

Wahrung des Rechts auf Teilnahme am Verfahren und auf Verständnis des Verfahrens 

Neben dem Recht, angehört zu werden und zugängliche strafrechtliche Verfahren vorzufinden, haben Kinder das Recht, über das Verfahren informiert zu werden und die Möglichkeit zu haben, daran teilzunehmen. Dies erfordert, dass die Staaten Mechanismen entwickeln, um während des gesamten juristischen Entscheidungsprozesses mit den Kindern zu kommunizieren.

Wahrung des Rechts auf Privat- und Familienleben 

Die nationalen Behörden müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um das private Familienleben zu schützen und das häusliche Umfeld der Kinder zu erhalten, da dies in ihrem besten Interesse liegt. Dieses Recht ist in zahlreichen internationalen Menschenrechtskonventionen verankert und gilt auch für Kinder.

Wahrung des Rechts auf Integrität und Würde 

Kinder müssen in allen Strafverfahren mit Würde behandelt werden. Dazu gehört auch, ihre Verletzlichkeit als Kinder zu respektieren und gleichzeitig ihren Wert als menschliche Wesen anzuerkennen. Dazu kann auch gehören, dass die Staaten verpflichtet werden, vollständige und gründliche Untersuchungen von Missbrauchsvorwürfen durchzuführen, anstatt diese zu untergraben.

Praktische Ratschläge für Akteurinnen und Akteure zur Umsetzung einer kinderfreundlichen Justiz 

Die Vereinten Nationen setzen sich dafür ein, dass die Staaten eine Reihe von Maßnahmen umsetzen, um einen soliden Rahmen für die Gewährleistung einer kindgerechten Justiz zu schaffen. Diese Empfehlungen umfassen (United Nations, 2008):

Politische Entscheidungsträger

  • Gewährleisten, dass Gesetze und politische Maßnahmen im Einklang mit den UN-Normen und -Standards und den internationalen Menschenrechtsgrundsätzen erarbeitet und umgesetzt werden. 
  • Sicherstellen, dass spezielle Richtlinien zur Information des Justizpersonals über den Umgang mit Kindern, die mit der Justiz in Berührung kommen, erarbeitet wird.
  • Sicherstellen, dass nationalen Institutionen angemessene Mittel bereitgestellt werden, damit diese Kapazitäten und Fähigkeiten zum Schutz der Kinder und zur Gewährleistung gerechter Ergebnisse entwickeln können. 
  • Überwachungs- und Rechenschaftsverfahren einführen, um sicherzustellen, dass das Personal, das in direktem Kontakt mit Kindern steht, durchgängig hohe Standards erfüllen muss. 
  • Zuverlässige Daten über die Erfahrungen von Kindern im Justizsystem bereitstellen und pflegen. 
  • Aufklärungskampagnen zur Sensibilisierung für die Rechte von Kindern in Bezug auf das Justizsystem durchführen, sowohl im Rahmen der Lehrpläne als auch darüber hinaus, um sicherzustellen, dass Erwachsene für die Bedeutung der Justiz für Kinder sensibilisiert werden.

Juristische Akteurinnen und Akteure

  • Aufbau und Aufrechterhaltung von Kapazitäten zur Umsetzung spezieller Verfahren und Praktiken bei allen Anhörungen, an denen Kinder beteiligt sind, wobei die Ergebnisse auf den Grundsatz des Kindeswohls ausgerichtet sein sollten.
  • Den Weg ebnen für die Schulung spezialisierter juristischer Fachkräfte mit Kenntnissen über die Rechte von Kindern und deren Gefährdung.

Zivilgesellschaft

  • Regierungen beim Eintreten für eine kindgerechte Justiz unterstützen, Sensibilisierung durch kindzentrierte Prozesse, die Kinder so weit wie möglich einbeziehen.
  • Durchführung von Programmen über kindgerechte Justiz in Konflikten und anderen chaotischen Situationen, in denen die Regierungen vorübergehend nicht in der Lage sind, Ressourcen für den Schutz von Kindern bereitzustellen.

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro 

Intern Korrektur gelesen von Aditi Partha 

Übersetzt von Katharina Haas

Korrektur gelesen von Rebecca Richter

Zuletzt aktualisiert am 6. Mai 2024 

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