Minderjährigenrecht

Minderjährigenrecht

Minderjährigenrecht: Kinder dürfen nicht nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt werden

Strafmündigkeit und die Frage des Alters

Die Rechtsprechung für Minderjährige betrifft, wie der Name schon sagt, nur Menschen ohne volle Rechtsmündigkeit. In vielen Ländern werden allerdings nicht alle Geburten offiziell registriert, sodass Kinder ihr eigentliches Alter verheimlichen können. Es ist bisweilen ausgesprochen schwierig festzustellen, ob manche Jugendliche tatsächlich jünger als 18 Jahre alt sind, oder ob das angeklagte Kind in Wahrheit bereits das Alter der vollen Schuldfähigkeit erreicht hat.

Strafmündigkeit wird an einem Zeitpunkt erlangt, an dem das nationale Gesetz Kinder für emotional, psychisch und intellektuell soweit ausgereift hält, dass sie volle Verantwortung für Verbrechen übernehmen können. Bei jüngeren Kindern gelten die Eltern oder Vormünder als verantwortlich.

In den meisten Ländern gibt es eine festgelegte Grenze zur vollen Strafmündigkeit, die aber oftmals deutlich zu niedrig angesetzt ist, weit unter der international empfohlenen Grenze von 15 Jahren. Es existiert eine weite Spannbreite zwischen verschiedenen Kulturen und Gegenden, von 7 bis 18 (entweder beide Zahlen in Schrift oder numerisch schreiben) Jahren.

Das Rechtssystem muss dem Alter des Angeklagten oder Opfers angepasst werden, egal ob es sich um einen Erwachsenen, einen strafmündigen Jugendlichen oder ein Kind handelt.

Rechte des Kindes im Rechtssystem

Ein Kind hat innerhalb des Rechtssystems zahlreiche Rechte.

– Das Recht auf Auskunft: Angeklagte Kinder haben das Recht, Fragen über alles zu stellen, das sich ihrem Verständnis entzieht. Sie müssen den Inhalt der Anklage sowie ihre eigenen Rechte kennen.

– Das Recht auf Verteidigung: Dieses Recht ist von essentieller Bedeutung. Kinder haben das Recht, den Anklägern zu widersprechen. Sie müssen ihre Auffassungen und Anliegen ausdrücken können.

– Das Recht auf Beistand: Kindern muss ein qualifizierter Anwalt zur Verfügung stehen, da sie selbst oft nicht mit dem Gesetz und den Mechanismen des Rechtssystems vertraut sind. Besprechungen mit einem Anwalt müssen privat und in der Muttersprache des Kindes gehalten werden. Andere Formen des Beistands sind zum Beispiel finanzielle, soziale, sprachliche oder gesundheitliche Hilfestellung, insbesondere für Verbrechensopfer. Vor allem kranke oder behinderte Kinder benötigen zusätzliche Hilfe.

– Das Recht auf Schutz: Alle Kinder müssen sich ohne Druck oder Einschüchterung im Rechtssystem bewegen können, frei von Angst um ihr Leben oder das ihrer Familie, besonders als Zeugen. Direkter Kontakt zwischen Opfer und Angeklagtem sollte während der Untersuchung und des Prozesses soweit wie möglich vermieden werden. Dies dient auch der Prävention weiterer Schäden für das Kind.

– Das Recht auf Schadensersatz: Schadensersatz kann Gerechtigkeit herstellen und dem Kind bei der Verarbeitung helfen. Schadensersatz kann finanzielle Hilfe, Gesundheitsfürsorge oder soziale Dienstleistungen beinhalten und kann sowohl durch den Verurteilten als auch durch die Regierung bereitgestellt werden.

– Das Recht zu schweigen.

– Das Recht auf die Anwesenheit eines Elternteils oder rechtlichen Vormunds.

– Das Recht auf Privatsphäre: Hiermit ist das Recht gemeint, gewisse Dinge nicht preiszugeben, wie etwa persönliche Informationen (in bestimmten Situationen sogar die eigene Identität), ohne Überwachung mit anderen sprechen zu können und von der Öffentlichkeit abgeschirmt zu sein. Dementsprechend dürfen auch keine Informationen in den Medien veröffentlicht werden, die die Identifizierung eines minderjährigen Straftäters ermöglichen.

Sonderbehandlung für Kinder

Das beste Interesse des Kindes

Dies muss das zentrale Augenmerk jedes Kindes sein, das im Gerichtssaal agiert. Jeder rechtliche Akteur muss sich der Konsequenzen seines Handelns für das Kind bewusst sein. Nichts, was das Kind betrifft, sollte ihm in irgendeiner Form Schaden oder sich negativ auf seine Zukunft auswirken. Die Würde des Kindes muss respektiert werden, egal ob es als Angeklagter, Opfer oder Zeuge auftritt. Insbesondere minderjährige Opfer müssen mit besonderer Rücksichtnahme behandelt werden.

Kinder müssen auch vor Gewalt und Vernachlässigung geschützt und ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden, ob Wasser, Nahrung, Sicherheit oder Hygiene. Das Wohlsein und beste Interesse eines Minderjährigen müssen eine entscheidende Rolle in der Ermittlung spielen.

Ein schnelles und faires Verfahren mit angemessenen Entscheidungen

Gerichtsverfahren, in denen Kinder eine Rolle spielen, müssen schnell abgehandelt werden, damit die beschuldigten Kinder nicht zu lang im Gefängnis verweilen müssen und Opfer im Kindesalter so schnell wie möglich Entschädigung erhalten können.

Das Gericht muss vollkommen neutral und unbefangen sein und sowohl die Unschuldsvermutung als auch das Gleichbehandlungsprinzip berücksichtigen. Im Umgang mit Minderjährigen muss stets denselben Regeln Folge geleistet werden, sodass niemand aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Sprache, Religion, Nationalität, Überzeugungen, religiöser Überzeugungen, kultureller Bräuche, Vermögensstand, Klasse, Geburtsumständen, Familiensituation oder ethnischer beziehungsweise sozialer Herkunft eine andere Behandlung erfährt. Gerichtsverfahren müssen stets gerecht und gleich abgehalten werden.

Zudem müssen alle Entscheidungen eines Gerichts verhältnismäßig zur Schwere der Schuld sein, das heißt die strafrechtlichen Sanktionen müssen der Tat angemessen sein. Kinder dürfen nicht für den Diebstahl eines Apfels genauso bestraft werden wie für den eines Autos. Das Rechtssystem muss auch die persönlichen Umstände des Kindes berücksichtigen, ihre soziale Lage und Familiensituation sowie die Intention und Umstände der Tat.

Gesonderte Einrichtungen

Um diese besondere Behandlung für Kinder gewährleisten zu können, sollte die Rechtsprechung für Minderjährige separat von der für Erwachsene gehalten werden. In den Ländern, in denen diese Trennung zumeist wegen politischer Gründe oder fehlender Mittel nicht vorhanden ist, werden Kinder weitestgehend wie Erwachsene behandelt. Hierdurch kann keine adäquate Entschädigung für das Kind oder ein angemessener Wiedereingliederungsprozess in die Gesellschaft für junge Straftäter geboten werden.

Regierungen verwenden unterschiedliche Einrichtungen zur rechtlichen Behandlung von Kindern. Manche richten Jugendgerichte ein, andere folgen speziellen Verfahren für Kinder im Rahmen regulärer Gerichte. Manche Großstädte schaffen auch gesonderte Polizeieinheiten.

Ein einfacher Zugang zu diesen Einrichtungen ist von großer Bedeutung. Berichtsverfahren ermöglichen es Opfern oder Angeklagten im Kindesalter, Aufmerksamkeit auf etwaige Rechtsverletzungen zu lenken und die Effizienz des Rechtssystems zu erhöhen.

Beteiligte Mitarbeiter

Wer kommt mit Kindern in Kontakt?

Viele Menschen sind an Gerichtsverfahren für Minderjährige beteiligt, unter anderem natürlich alle Vertreter der Rechtspflege, aber auch zahlreiche Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, da soziale Dienste oft eng mit dem Rechtssystem zusammenarbeiten.

Innerhalb des Rechtssystem: die Polizei, das Militär, Ermittler, Richter und andere Mitglieder des Gerichts, Justizminister und Mediatoren für Kinder, das Personal von Jugendgefängnissen, regulären Gefängnissen, Anstalten für vorläufige Festnahmen, Arbeits- und Feldlagern sowie Bewährungshelfer und Ordnungsämter.

In der Gesellschaft: Gerichtsvollzieher, Dorfvorsteher, Mitarbeiter in Jugendschutzämtern, Beratungsstellen für Minderjährige, das Personal von Erziehungs- und Besserungsanstalten sowie Sozialhilfemitarbeiter.

Angemessene Ausbildung

Um die optimale Erfüllung ihrer jeweiligen Dienste leisten zu können, benötigen all diese Menschen eine besondere Ausbildung, um den bestmöglichen Schutz für Kinder und ihre Bedürfnisse zu liefern. Dadurch werden gerichtliche Verfahren fairer und effizienter. Menschen, die ausschließlich mit Kindern arbeiten, benutzen oft Überwachungsmethoden außerhalb des Rechtssystems, die häufig besser für das Kind sind.

Techniken wie die Verhaftung und Verwahrung von jugendlichen Straftätern müssen insbesondere von Polizisten und Gefangenenwärtern erlernt werden, da sie für die meisten Kinderrechtsverletzungen im Rahmen des Rechtssystems verantwortlich sind. In manchen Ländern sind Misshandlungen und Folter bei der Polizei an der Tagesordnung.

Die Verurteilung von Kindern

Für schuldig befundene Kinder erhalten meistens eine Strafe. Abhängig von der Natur und den Umständen der Tat sowie dem Land, in dem der Prozess stattfand, kann das Strafmaß stark variieren, da nicht alle Länder die gleichen Strafen verhängen.

Die Trennung von ihrer Familie und Inhaftierung von Kindern sollte tunlichst vermieden werden. Während eines Gefängnisaufenthalts werden die Bedürfnisse eines Kindes und die Ursachen für seinen Konflikt mit dem Gesetz oft vernachlässigt. Daher sollte Inhaftierung nur als letzte Maßnahme gebraucht und so kurz wie möglich gehalten werden.

Am besten ist es, wenn die Strafen der Wiedereingliederung des Kindes in die Gesellschaft dienen und gleichzeitig die tieferen Gründe für die Tat angehen. So kann das Kind sich normal weiterentwickeln, während zugleich die Verbrechensrate gesenkt wird.

Solche Strafen können zum Beispiel sein:

– Bußgeld, Entschädigungszahlungen und/oder Rückerstattung von Besitztümern
– Teilnahme an Orientierungsgruppen und Gemeindeaktivitäten
– Gemeinnützige Arbeit
– Unterbringung in einer Familie
– Unterbringung in einer Erziehungsanstalt
– Bewährungsstrafen
– Einschränkung von Freiheiten

Unglücklicherweise sind Freiheitsstrafen sowohl für Erwachsene als auch für Kinder die am häufigsten genutzte Maßnahme innerhalb der Rechtssysteme. In manchen Ländern werden Kinder bereits für geringe Vergehen inhaftiert. In Sierra Leone wurde zum Beispiel ein Fünfzehnjähriger für die Zerstörung einer Autoscheibe zu drei Jahren Haft verurteilt.

Bestimmte Länder nutzen nach wie vor Leibesstrafen (Prügel, Verstümmelung) zur rechtlichen Bestrafung von Kindern, obwohl diese durch internationale Abkommen verboten sind. In Tonga erlaubt das Rechtssystem beispielsweise die Auspeitschung von Kindern ab einem Alter von sieben Jahren. Zudem verurteilen noch immer manche Länder Kinder trotz internationalen Protests zum Tod. Im Iran, Sudan und Jemen sowie in Mauretanien, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Nigeria stellt dies ein besonders großes Problem dar.

Ein Sonderfall: Kinder und Recht in bewaffneten Konflikten

Die Frage nach Rechtsprechung für Kinder in bewaffneten Konflikten stellt zwei besondere Probleme: mangelnde Gerechtigkeit für Opfer und Prozesse für Kindersoldaten.

Fehlende staatliche Rechtsgewalt

Während eines bewaffneten Konflikts werden viele Kinder Zeugen oder Opfer schrecklicher Gewaltakte, die sie zutiefst betreffen. Sie werden oftmals manipuliert, misshandelt oder vergewaltigt. Oft verlieren sie auch Familienmitglieder, erhalten keine Bildung und werden ihrer Kindheit beraubt.

Meistens ist das Rechtssystem eines Staates während eines Konflikts nicht voll funktionsfähig und kann erst lange nach Wiederherstellung des Friedens wieder normal agieren. Hierdurch verlieren Opfer ihren Anspruch auf rechtmäßige Entschädigung und Zeugen jegliche Möglichkeit, das Erlebte in einem sicheren Rahmen zu Protokoll zu geben.

Glücklicherweise hat die internationale Gemeinschaft in den letzten zwanzig Jahren neue Verfahren eingerichtet, die Staaten bei der Strafverfolgung nach Konflikten helfen sollen, wie etwa formelle Gerichte oder auch außergerichtliche Tribunale. Am häufigsten werden der Internationale Strafgerichtshof und die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen aktiv, die im Konflikt liegende Bevölkerungsteile wieder vereinen sollen.

Opfer im Kindesalter spielen eine zunehmend bedeutsame Rolle in diesen Vorgängen. Viele von ihnen werden allerdings nicht tatsächlich als Zeugen vernommen, da die Prozesse oft so langwierig sind, dass die Kinder noch vor Ende der Verhandlung das Erwachsenenalter erreichen, oder aber weil die Richter den Aussagen von Kindern kaum Glauben schenken, insbesondere wenn die geschilderten Ereignisse weit zurückliegen.

Sollten Kindersoldaten bestraft werden?

Kindersoldaten stellen ein heikles Problem dar. Hunderttausende Kinder sind im Rahmen moderner Kriege in Armeen eingezogen worden, manchmal bereits im Alter von acht Jahren, obwohl dies ein schweres Verbrechen darstellt. Die meisten von ihnen haben sich nicht freiwillig gemeldet und wurden von Erwachsenen zu fürchterlichen Verbrechen genötigt.

Auch wenn ihre eigene Verantwortung für ihr Handeln nicht abgestritten werden darf, ist die Anklage und Internierung von Kindern nicht unbedingt die beste Lösung. Hierdurch werden diese Kinder, die ihrerseits selbst oftmals Opfer sind, an der Verarbeitung ihrer schwierigen Vergangenheit gehindert. Unglücklicherweise werden diese Kinder in den meisten Fällen mit der Begründung verhaftet, dass sie eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen.

Ehemalige Kindersoldaten sind auch in Gemeinden nicht willkommen. Oft werden sie von ihren Familien und Dorfgemeinschaften verstoßen. In Uganda beispielsweise glauben viele Dorfgemeinschaften an den „Cen“, den bösen Geist der ehemaligen Kindersoldaten. Diese Kinder werden nicht zurück in die Gemeinschaft integriert und leben in Armut und Schande, ohne eine Möglichkeit, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.

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Geschrieben von : Marie Rivolet
Übersetzt von : Lea Gernemann
Bewertet von : Salih Can Gazioglu
Verfasst am 31. Juli 2013