Kinder und Religionen

Kinder und Religionen

Der Einfluss von Religion auf Kinder und ihre Rechte

Fast 86 % der Weltbevölkerung sind gläubig, dabei sind alle Religionen vertreten. In zahlreichen Ländern gibt die Religion das soziale Verhalten vor und spielt eine maßgebliche Rolle im alltäglichen Leben – auch im Leben der Kinder.

Definition von Religion

Eine Religion definiert sich durch Glauben und Rituale. Sie besteht aus Regeln, Geschichten und Symbolen, die von der Gesellschaft, einer Gruppe oder einer Person anerkannt werden.

Religion kann eine Lebensweise und/oder eine Suche nach Antworten auf Fragen zum Leben und Tod sein.

Definition von Religionsfreiheit: Wie wird diese geschützt?

Kinder wie auch Erwachsene haben die Freiheit, ihre Religion zu wählen und sie zu praktizieren. Dieses Recht wird geschützt durch den Artikel 14 der UN-Kinderrechtskonvention: „Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit.“

Die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehens des Kindes (ACRWC) von 1999 verbürgt in Artikel 9 ebenfalls die Religionsfreiheit für Kinder. Das Expertenkomitee für die Rechte und das Wohlergehen des Kindes (ACERWC) kann Berichte verfassen, nachdem es in einem Land Nachforschungen angestellt hat. In Europa – in den 47 Ländern, aus denen der Europarat besteht –  sind Gedanken- und Religionsfreiheit für Kinder wie auch für Erwachsene durch den Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt. Wenn sich ein Land nicht daran hält, kann es vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sanktioniert werden.

Karte der verschiedenen Mehrheitsreligionen und Glaubensrichtungen in der Welt

Religionsfreiheit in der Welt

Der Gedanke der Religionsfreiheit ist nicht auf der ganzen Welt allgemein anerkannt und respektiert. Menschen haben nicht in jedem Land die gleiche Religionsfreiheit.

Theokratien (Vatikanstadt, Saudi-Arabien, die Republik Malediven und die Islamische Republik Iran) sind Länder, in denen der Klerus Macht im Namen Gottes ausübt und in denen das Praktizieren anderer Religionen offiziell verboten und/oder streng kontrolliert ist.

Unter den kommunistischen Regimes war die Ausübung einer Religion verboten. Heutzutage sind die Volksrepublik China und Kuba offiziell säkulare Staaten, in denen Staatsatheismus praktiziert wird. Religiöse Praxis ist erlaubt, aber streng kontrolliert und reguliert.

Es gibt ebenfalls Länder mit einer Staatsreligion. In diesen Ländern existiert eine starke Verbindung zwischen Religion und Regierung. Die allgemeine Regel ist, dass die Religion fest in die Verfassung integriert ist und einen hohen Status genießt. Solche Länder sind beispielsweise Jordanien, Griechenland und Kambodscha.

Und schließlich gibt es noch zahlreiche säkulare Staaten (neutral im Hinblick auf die Religion) und laizistische Nationen (unabhängig von einer religiösen Autorität). Diese Länder stellen weltweit die große Mehrheit dar, hierzu gehören Mexiko, Türkei, Frankreich, Äthiopien und Brasilien. All diese erkennen die Religionsfreiheit an und vertreten eine Trennung von Kirche und Staat.

Global sind aber bestimmte religiöse Minderheiten eingeschränkt und können ihren Glauben nicht ausüben. Dies betrifft ebenfalls Kinder, die zu diesen Minderheiten gehören. Jene Kinder haben keinen Zugang zu den Schulen, in die die anderen Kinder gehen, und wenn sie erwachsen sind, dürfen sie nicht jeden beliebigen Berufe ausüben. Da sie vom Staat und von der Gesellschaft kaum berücksichtigt werden, finden sie sich am Rande der Gemeinschaft wieder. In manchen Ländern ist Apostasie, also der Wechsel von einer Religion zur anderen, ein Verbrechen und kann mit der Todesstrafe bestraft werden.

Kinder sind die ersten Opfer von religiösen Konflikten

In zahlreichen Ländern und auf jedem Kontinent kann Religion eine Ursache für Konflikte und sogar Kriege sein. Leider sind die Opfer nur allzu oft Kinder. Und leider gibt es überall auf der Welt Beispiele dafür. Obgleich der Krieg in den Balkanregionen in Europa offiziell beendet ist, existieren immer noch Spannungsfelder zwischen den orthodoxen Christen, den Katholiken und den Muslimen, letztere sind immer noch Opfer von Diskriminierungen.

In Irland endeten die sogenannten „Troubles“ zwischen Protestanten und Katholiken offiziell am 10. April 1998 mit dem Karfreitags-Abkommen, nach 30 Jahren Bürgerkrieg mit 3500 Toten, darunter viele Frauen und Kinder. Im Kaukasus, an der Grenze zwischen Europa und Asien, kommen jeden Tag Menschen in furchtbaren Auseinandersetzungen zwischen orthodoxen Christen und Muslimen in Tschetschenien, Dagestan und Bergkarabach ums Leben.

In Nigeria, auf dem afrikanischen Kontinent, sind seit Weihnachten 2011 durch religiöse Spannungen zwischen dem vorherrschenden muslimischen Norden und dem christlichen und animistischem Süden zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. In Ägypten sind die Kopten Opfer von Diskriminierungen – und Kinder dabei ganz besonders. Der Zugang zu Schulen, zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt ist für die koptische Minderheit beschränkt.

Kontroverse und gefährliche Praktiken

In manchen Ländern werden Frauen und junge Mädchen stark von religiösen Extremisten diskriminiert. Unter dem Taliban-Regime in Afghanistan durften Mädchen nicht zur Schule gehen. Dieses Verbot wurde mittlerweile aufgehoben, aber eine ganze Generation von Mädchen hat dadurch nicht einmal Schreiben oder Lesen gelernt. Darüber hinaus hatte das Regime verboten, auf der Straße zu spielen, zu lachen, zu singen oder Musik zu hören. Auch wenn die Taliban nicht mehr an der Macht sind, bleiben bestimmte Gewohnheiten und Traditionen erhalten. Andernorts sind Mädchen immer noch diskriminierenden Gesetzen unterworfen.

Jeder religiöse Fundamentalismus, sei er christlich, muslimisch, jüdisch oder Teil einer anderen Religion, gefährdet die Kinderrechte und ganz besonders die von Mädchen. Insbesondere bestimmte religiöse Auslegungen, die auf altüberlieferten Traditionen beruhen, können die Ursache von Gewalt gegenüber Kindern sein. Wir betrachten im Folgenden speziell die Fälle von Genitalverstümmelung und Kinderehe.

Kinderehe

Mit Kinderehe ist die Verbindung zweier Kinder oder, häufiger noch, eines jungen Mädchens mit einem erwachsenen Mann, manchmal deutlich älter, gemeint. Diese Ehen sind auf der ganzen Welt gebräuchlich, aber hauptsächlich in Afrika (südlich der Sahara) und in Südasien, wo Werte wie Jungfräulichkeit und die Fruchtbarkeit der Frau eine große Rolle spielen. Einige rechtfertigen die Kinderehe mit dem Glauben, obwohl keine einzige Religion die Kinderehe anerkennt.

Im islamischen Westafrika wurde die Praxis von „sadaka“ (arabisch für „Opfergabe“, „Spende“) zu einer religiösen Institution. Damit Eltern nicht in die Hölle kommen, geben sie ihre junge Tochter zu einem Marabut, einem religiösen Würdenträger oder einem Mitglied der Familie. Wenn dies ohne die Zustimmung des jungen Mädchens geschieht, dann verstößt diese Praxis gegen den Koran.

Weibliche Genitalbeschneidung

Weibliche Genitalbeschneidung ist die Verstümmelung der Genitalien von Mädchen, die meistens im Kindesalter unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt wird. Während sie größtenteils in Afrika gebräuchlich ist, ist die Mehrheit der Bevölkerungen, die die weibliche Genitalbeschneidung durchführen, muslimisch; aber diese Praxis ist auch in christlichen und jüdischen Gemeinschaften vorzufinden. Dennoch erwähnt oder unterstützt keine Religion diesen Brauch.

Er entspringt vielmehr einer frühüberlieferten Tradition und gängigen Glaubenspraktiken, die Beschneidung wurde bereits vor dem Beginn der Christenheit und des Islams praktiziert. In der letzten Zeit widersetzten sich Religionsführer diesen Verstümmelungen. Zum Beispiel im Senegal und in Ägypten, hier sprechen Imams mit der Bevölkerung und rufen zum Verbot auf, sodass dieser gefährlichen und gewaltsamen Praxis ein Ende bereitet werden kann.

Die Konsequenzen von weiblicher Genitalbeschneidung sind dramatisch. Junge Mädchen können an Hämorrhoiden und Infektionen sterben, an Aids erkranken und starke körperliche und seelische Schmerzen erleiden.

Eine Möglichkeit für Kinder, einer Religion anzugehören

Religion ist sehr wichtig für viele Gesellschaften. Sie ermöglicht Kindern, Gebräuche zu erlernen und Fragen zum Leben und Tod, zu Beziehungen zwischen Menschen, zu ihrem Platz in der Welt und zum Verständnis von Gut und Böse zu beantworten. Die großen Religionen basieren alle auf Idealen von Weisheit, Solidarität und Gerechtigkeit. All das wird von der Familie, der Schule und der Gesellschaft an das Kind weitergegeben, sodass dies zu einem vernünftigen und respektvollen Menschen heranwachsen kann.

Schutz der Kinderrechte durch religiöse Autoritäten

Religiöse Autoritäten können auch eine wichtige Rolle dabei spielen, die Einhaltung der Kinderrechte zu verbessern. Als einflussreiche und respektierte Mitglieder ihrer Gemeinschaft können Religionsführer Programme und Projekte zum Schutz der Kinder fördern. Sie besitzen ebenfalls den notwendigen Einfluss, bestimmten Praktiken, Bräuchen sowie Ursachen von Gewalt und Diskriminierungen gegen Kinder entgegenzuwirken.

Religionsführer können zu führenden Akteuren beim Schutz der Kinderrechte werden. Zum Beispiel war das der Fall in Afghanistan, wo die Förderung von Bildung für junge Mädchen von bestimmten religiösen Würdenträgern unterstützt wurde. In Äthiopien wurde eine Aids-Aufklärungswoche von christlichen und muslimischen Religionsführern ins Leben gerufen.

Überall auf der Welt fördern und schützen religiöse Gruppen aktiv die Kinderrechte, so zum Beispiel die humanitären Organisationen Islamic Relief oder Secours Catholique. Dies liegt auch daran, dass die Verteidigung und der Schutz der Kinderrechte ein philosophischer Grundpfeiler der meisten Religionen ist.

 

 

 

Geschrieben von : Marie Philippe
Übersetzt von : Fenja Behrmann
Bewertet von : Magdalena Freund
Verfasst am 30. Juli 2013