Kinderrechte kritisch betrachtet
Wenn es um Kinder geht, stoßen die geltenden Gesetze an Grenzen
Wird ein Kind geboren, ist es erst einmal abhängig von Erwachsenen und schwach. Das Gesetz bietet ihm Schutz und gewährleistet ihm Vorteile und die Möglichkeit an den Entscheidungen, die es betreffen, mitzuwirken. Dennoch sind die Verfahrensweisen kritisch zu betrachten.
Zwischen Überbehütung und Unabhängigkeit
Kinder sind anders
Ein erster Kritikpunkt wäre der besondere Schutz des Kindes. Dass Kinderrecht und Menschenrecht keine Einheit bilden, lässt darauf schließen, dass das Kinderrecht eine Untergruppe der Menschenrechte darstellt. Diese Einordnung/Unterscheidung könnte bedeuten, dass ein Kind anderen Menschen nicht als gleichgestellt betrachtet wird und somit der Schutz, der ihm zukommt, ein anderer ist, als der, der einem Erwachsenen zukommt.
Andererseits sollen die Kinderrechte im Allgemeinen den erforderlichen Schutz und das Recht auf Freiheit in Einklang bringen, was dem Rechtssystem allerdings nur schwer gelingt. So wird beispielsweise Kindern unter 18 Jahren immer mehr Verantwortung übertragen; wird ein Kind aber straffällig, übernehmen häufig noch die Eltern die damit verbundenen materiellen Kosten und das Kind wird mehr als Last denn als eigenständige Person betrachtet.
Und schließlich zählt für viele: keine Rechte ohne Pflichten. Da die meisten internationalen Gesetzestexte für Kinder lediglich moralische oder disziplinäre Verpflichtungen beinhalten, wie z.B. seinen Eltern mit Respekt zu begegnen, halten viele sie für unbedeutend.
Bis zu welchem Alter ist man Kind?
Es ist nicht leicht, festzulegen, bis zu welchem Alter der Mensch als Kind betrachtet werden kann, da sich jeder je nach Möglichkeiten und Lebensbedingungen unterschiedlich schnell entwickelt. Eine festgesetzte Altersgrenze kann sich daher in der Praxis oft als unpassend herausstellen.
Andererseits führt das Nichtvorhandensein genauer Regelungen dazu, dass Kinder schon in ganz jungem Alter wie Erwachsene behandelt werden, wodurch es zu frühen Eheschließungen, Kinderarbeit und Inhaftierungen kommt. Umgekehrt wird manchen Kindern, obwohl sie selbstständig denken und handeln können, kein Gehör geschenkt und kein Respekt entgegengebracht.
Kinderrechte werden dann bemängelt, wenn keinerlei Altersbestimmungen festgelegt sind. In der Tat führt dies in einigen Ländern zu Missbrauch, wie das beispielsweise bei der „Afrikanischen Rechtsverfassung für das Wohl des Kindes“ der Fall ist. Dort ist zwar der Einzug von Kindern bei bewaffneten Konflikten verboten, allerdings besteht keinerlei Regelung das Alter der Kinder betreffend. Die Wirklichkeit sieht dann so aus, dass „erwachsene“ 11-Jährige eingezogen werden und damit der Kinderschutz, der ihnen zustünde, wegfällt.
Andere Rechtstexte hingegen setzen Altersgrenzen fest. Das Internationale Abkommen der Kinderrechte erklärt in seinem Leitartikel, dass „jedes menschliche Wesen unter 18 Jahren als Kind gilt, es sei denn, es hat seine Volljährigkeit laut angewandter Gesetzgebung früher erreicht.“
Diese Altersgrenze wird als wenig wirksam betrachtet, denn auch hier besteht die Möglichkeit, Kinder schnell erwachsen werden zu lassen. Mehr Schutz würde eine Altersbegrenzung nach unten hin bieten, unter die ein Kind auf keinen Fall als Erwachsener gelten darf. Vorstellbar wäre, weltweit alle Kinder unter 16 Jahren auf diese Weise zu schützen.
Allgemeingültige Rechte?
Die in der Kinderrechtskonvention erklärten Rechte sollen „allen Kindern dieser Erde die gleichen Rechte garantieren“.
Diese idealistische westliche Sicht wird aufgrund der kulturellen Unterschiede weltweit in Frage gestellt. Schließlich haben nicht alle Kinder dieser Welt die gleichen Wünsche und Bedürfnisse. Die von den westlichen Ländern verfassten Gesetzestexte nehmen zu wenig Rücksicht auf andere Sitten und Traditionen. Deshalb sind manche Staaten und Völker auch nicht bereit, die Rechte des Kindes in ihre Gesetze aufzunehmen, empfinden diese als Bevormundung und bangen um den Verlust ihrer Kulturen.
Auf regionaler Ebene hingegen fließen die ortsbedingten Eigenheiten mehr in die Gesetzestexte mit ein. Doch trotz der schrittweisen Berücksichtigung werden sie von den internationalen Verbänden mit universellem Anspruch noch allzu oft ignoriert.
So wird beispielsweise in der Afrikanischen Charta ein Kind unter dem Begriff „Gruppe“ aufgeführt und anders als in der Kinderrechtskonvention fallen ihm hier Pflichten zu. Gemäß Artikel 31 „trägt jedes Kind seiner Familie, der Gesellschaft, dem Staat und jeder anderen gesetzlich anerkannten Gemeinschaft, sowie der internationalen Gemeinschaft gegenüber Verantwortung.“ Dass der Gruppe mehr Gewicht beigemessen wird als dem einzelnen Menschen, zeigt, dass hier die für Afrika spezifischen Gebräuche berücksichtigt wurden.
Einige halten auch die Kinderrechte für unrealistisch, weil die ökonomischen, sozialen und politischen Aspekte der unterschiedlichen Länder außer Acht gelassen werden. Es ist schwierig, für alle Kinder dieser Welt die gleichen Gesetze geltend zu machen, wo doch die Lebensumstände so unterschiedlich sind. Wie käme man z.B. dazu, das Recht auf Freizeit in einem Land einzufordern, in dem nicht einmal das Recht auf Leben oder auf Wasser gegeben ist?
Das Recht des Kindes… und die Realität
Was tut der Staat, und was nicht?
Den Gesetzestexten zustimmen?
Viele Länder haben die internationalen Gesetzestexte, die Kinderrechte betreffend, noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert. Es kommt auch vor, dass bei der Unterzeichnung durch rechtliche und politische Verfahrensweisen deren Tragweite eingeschränkt wird, wodurch bei einigen Gesetzen grundlegende Inhalte einfach wegfallen.
Die Glaubwürdigkeit der Kinderrechte leidet auch, wenn Staaten, die bei ihrer Ausarbeitung und Verfassung mitgewirkt haben, diese selbst nicht zu 100 Prozent einhalten.
Wie effektiv sind die Kinderrechte?
Laut Artikel 4 des Internationalen Abkommens für Kinderrechte sind die Mitgliedsländer verpflichtet, die Rechte der Kinder anzuwenden. Doch nur in ganz wenigen Ländern werden Menschenrechte nicht missachtet, da machen auch die Rechte des Kindes keine Ausnahme. Denn trotz des verpflichtenden Charakters des internationalen Rechtes wird das Recht des Kindes vielerorts immer noch bloß als moralisches Werteprinzip angesehen.
Außerdem muss jeder internationale Rechtstext, um auf nationaler Ebene angewandt werden zu können, durch ein Gesetz verabschiedet werden. Es geht um eine komplexe Verfahrensweise, die nicht immer als vorrangig gilt. So kommt es, dass selbst Staaten, die den internationalen Abkommen zustimmen, aus politischen, religiösen oder anderen Gründen die Rechte des Kindes nicht in ihre Gerichtsbarkeit aufnehmen.
Doch auch bei einer Umsetzung der Rechte sind die Institutionen, die dafür Sorge tragen, dass diese Rechte auch eingehalten werden, nicht automatisch vorhanden. So fehlt es vor allem aus finanziellen Gründen manchmal an Kinderhilfsstellen, Polizeidienststellen, Krankenhäusern, usw.
Auch die fehlende Kompetenz dieser Institutionen, sei es weil sie geographisch nicht erreichbar sind, die finanziellen Mittel fehlen, weil sie niemandem bekannt sind oder das Personal korrupt ist, können zu einer Beeinträchtigung der Kinderrechte führen.
Dadurch finden Kinderrechte oft nur dann ihre Anwendung, wenn sie durch staatliche Kontrolle geregelt und die Täter im Falle von Verstößen durch Strafmaßnahmen geahndet werden. Doch in vielen Ländern ist die Möglichkeit, über den Rechtsweg jemanden für ein Vergehen zu verurteilen, nicht gegeben, da Rechtssysteme und Gerichte schlichtweg nicht existieren oder unwirksam sind. Und selbst wenn ein Gerichtsbeschluss besteht, ist dieser oft gar nicht umsetzbar.
Die Tatsache, dass Urteile nicht immer vollstreckt werden können oder Verstöße gegen die Gesetze nicht bestraft werden, stellt die Kinderrechte als solche in Frage.
Das internationale Gerichtswesen und die Rechte des Kindes
Das Problem bleibt ein internationales. Denn es gibt auch keine Instanz, die dazu befugt ist, die Staaten zu verurteilen oder dazu zu zwingen, die Kinderrechte anzuwenden.
Vereinigungen und Organisationen zeigen zwar Verletzungen der Kinderrechte an, doch ohne Gerichtsurteile und Zwangsmaßnahmen können sie selten Veränderungen bewirken.
Die Mitgliedsstaaten des Kinderrechtsabkommens müssen zwei Jahre nach der Verabschiedung in einem Bericht darlegen, wie sich in ihrem Land die Kinderrechte entwickeln, danach nur noch alle 5 Jahre. Diese Berichte scheinen also ungenau und unzureichend.
Das Zusatzprotokoll von 2011 bewilligt zwar Individualklagen beim Kinderrechtskomitee, doch sind viele Hürden auf dem Weg dorthin zu bewältigen (der Staat muss sein Einverständnis geben, das Verfahren ist schwerfällig, teuer und nicht geläufig,…). Auch der Weg über andere, beispielsweise regionale Verfahren, wie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder das Komitee der Afrikanischen Charta erweist sich als genau so schwierig.
Folglich bleibt die Sanktion eines Staates wohl die Ausnahme und noch schwieriger wird es, wenn es um wirtschaftliche und militärische Großmächte geht.
Im Fall einer fehlenden Regierung
Wenn Krieg herrscht oder die Regierung gestürzt wurde, ist der Staat häufig nicht in der Lage, sein Volk an die Menschenrechte zu erinnern. Wenn es dann zu Gewalttaten kommt, werden häufig auch die Kinderrechte außer Acht gelassen, ohne dass spezielle Kriegsrechte an deren Stelle treten. Im Prinzip gelten in diesem Fall lediglich die Grundrechte, wie das Recht auf Leben.
Und staatenlose Kinder, d.h. diejenigen, die keinem Staat zugehörig oder auf der Flucht sind, können auch nicht auf den Schutz ihres ursprünglichen Heimatlandes hoffen.
Die Aufgabe der Gesellschaft
Das internationale Recht ist von einer Umsetzung in der Realität leider oft weit entfernt. Ohne die Mithilfe von Eltern, Familie, aber auch von öffentlichen und privaten Fachleuten und der restlichen Bevölkerung gäbe es gar keine Kinderrechte.
In den meisten Ländern kann ein Kind auf eigene Faust keine Klage einreichen. Um sich überhaupt Gehör zu verschaffen, muss es von einem Erwachsenen begleitet sein.
Und unterstützen die internationalen Rechte auch Werte wie Gleichheit und Nicht-Diskriminierung, so bleibt das Ganze doch reine Theorie. In dieser Sache scheint es aber sehr wichtig zu sein, viel aktiver gegen diskriminierende Praktiken anzugehen. Denn gerade die Schwächsten und Verletzlichsten, wie kleine Mädchen oder Kinder aus Minderheiten, sind schlimmer betroffen als andere. Laut einem Bericht von Amnesty International von 2008 wurde beispielsweise in der Slowakei Roma-Kindern systematisch der Zugang zu Schulen verweigert, obschon der Staat sämtlichen internationalen Gesetzestexten gegen solche Praktiken zugestimmt hat.
Es ist also Aufgabe der Staaten, die Kinder und ihre Angehörigen noch besser über ihre Rechte aufzuklären und sie über Hilfsmöglichkeiten zu informieren, damit (sie von ihren Rechten Gebrauch machen können.) ihre Rechte zum Tragen kommen.