Sexuelle Ausbeutung und Missbrauch von Mädchen und Frauen durch WHO-Mitarbeitende

Posted on Posted in Ausbeutung, Gesundheit, Kinderrechte

Während eines Einsatzes der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Demokratischen Republik Kongo zur Bekämpfung von Ebola zwischen 2018 und 2020 wurden 83 Mädchen und Frauen Opfer von sexueller Ausbeutung und Missbrauch. Unter den mutmaßlichen Täter:innen sind 21 Mitarbeitende der WHO.

Der zehnte Ebola-Ausbruch im Kongo und der Einsatz der WHO

Im August 2018 gab das Gesundheitsministerium der Demokratischen Republik Kongo bekannt, dass das Ebola-Virus in Kongo erneut ausgebrochen ist. Es war bereits der zehnte Ausbruch des Virus‘ im Kongo, dieses Mal den kongolesischen Regionen Nord-Kivu, Süd-Kivu und Ituri. (WHO, Ending an Ebola outbreak in a conflict zone, 2020)

Die Ebola-Virus-Krankheit ist eine schwere, oft tödliche Krankheit, die Menschen und andere Primaten betrifft. Das Virus wird von Wildtieren auf Menschen übertragen und verbreitet sich dann in der menschlichen Bevölkerung durch direkten Kontakt mit Blut, Sekreten, Organen oder anderen Körperflüssigkeiten infizierter Menschen sowie mit Oberflächen und Materialien, die mit diesen Flüssigkeiten kontaminiert sind. Im Durchschnitt liegt die Sterblichkeitsrate bei etwa 50%. Bei früheren Ausbrüchen schwankten die Sterblichkeitsraten zwischen 25 und 90%. (WHO, Ebola virus disease) 

16.000 lokale Einsatzkräfte haben gemeinsam mit der WHO von 2018-2020 an der Bekämpfung des Virus‘ im Kongo gearbeitet. Die WHO entsandte 1590 Epidemiolog:innen,  Logistiker:innen, Anthropolog:innen, Feldkoordinator:innen und andere Spezialist:innen. Die Hauptaufgaben der Einsatzkräfte bestanden darin, möglicherweise erkrankte Personen zu finden, zu testen und zu isolieren, Impfungen durchzuführen sowie erkrankten Personen eine medizinische Behandlung zu ermöglichen. (WHO, Ending an Ebola outbreak in a conflict zone, 2020)

Der Einsatz fand unter besonders schwierigen Bedingungen statt. Das Ausbruchsgebiet ist eine Gegend, die seit langem von einem komplexen und gewaltreichen Konflikt betroffen ist. (WHO, Ending an Ebola outbreak in a conflict zone, 2020)

Aufgrund von Fehlinformationen über die Herkunft des Virus‘ stieß das Gesundheitspersonal auf starken Widerstand. Es kam sogar zu Gewalttaten. Zwischen August 2018 und Februar 2020, verzeichnete die WHO mehr als 420 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und Mitarbeitende. Bei diesen Angriffen kamen elf Menschen ums Leben und 86 wurden verletzt. Einige Angriffe führten zur vorübergehenden oder dauerhaften Einstellung der Aktivitäten bei der Ebola-Behandlungs-Zentren. (Final Report, 2021, S. 5)

Im Juni 2020 wurde der zehnte Ausbruch des Ebola-Virus‘ für beendet erklärt. Insgesamt sind während des Ausbruchs 3481 Menschen an Ebola erkrankt. 2299 starben. Es handelt sich damit um den zweitgrößten Ebola-Ausbruch der Geschichte. (WHO, Ending an Ebola outbreak in a conflict zone, 2020)

Bereits wenige Tage zuvor, am 1. Juni 2020 wurde schon der elfte Ausbruch verkündet, diesmal im Osten von Kongo. Dessen Ende verkündete das Gesundheitsministerium am 25. Juni 2020. (WHO Africa, 2020) Vom 7. Februar 2021 bis zum 3. Mai 2021 dauerte der zwölfte Ausbruch von Ebola im Kongo an. Hier war, wie auch schon beim zehnten Ausbruch, die Region Nord-Kivu besonders betroffen. (WHO, Ebola outbreak 2021- North Kivu, 2021)

Sexuelle Ausbeutung und Missbrauch während des Einsatzes

Kurze Zeit nach dem Ende des zehnten Ausbruchs, im September 2020, erschien ein Artikel im New Humanitarian, in welchem 50 Frauen Mitarbeitende der WHO, von Agenturen der Vereinten Nationen und humanitärer Organisationen der sexuellen Ausbeutung und des Missbrauchs während der Ebola-Krise von 2018-2020 beschuldigten. (Flummerfelt/Peyton, 2020)

Die WHO reagierte und beauftragte eine unabhängige Kommission diesbezüglich Untersuchungen anzustellen. (WHO, Publication of the final report of the Independent Commission, 2021) Diese führte mittels eines Review-Teams insgesamt 210 Befragungen durch, davon 75 mit mutmaßlichen Opfern und 23 mit WHO-Mitarbeitenden. Auch einige der mutmaßlichen Täter:innen wurden interviewt. (Final Report, 2021, S. 3) 

In ihrem am 28. September 2021 veröffentlichten Report identifizierte die Kommission insgesamt 83 Fälle von sexueller Ausbeutung und Missbrauch. (Final Report, 2021, S. 24) 

Sexuelle Ausbeutung ist dabei definiert als „jeder tatsächliche oder versuchte Missbrauch einer vulnerablen Position, der unterschiedlichen Machtverhältnisse oder des Vertrauens zu sexuellen Zwecken (…)“. Sexueller Missbrauch ist definiert als „tatsächliches oder drohendes körperliches Eindringen sexueller Natur, sei es mit Gewalt oder unter ungleichen oder erzwungenen Bedingungen“. Auch alle sexuellen Beziehungen mit Kindern unter 18 Jahren fallen unter sexuellen Missbrauch. (Final Report, 2021, S. 9)

Die mutmaßlichen Opfer sind weiblich und zwischen 13 und 43 Jahre alt. Ihr Durchschnittsalter beträgt 20 Jahre. Besonders auffällig ist, dass die Mehrzahl der befragten mutmaßlichen Opfer sich während des Einsatzes in einer sehr prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage befand. Nur sehr wenige von ihnen haben eine abgeschlossene Sekundarschulbildung und einige haben sogar noch nie eine Schule besucht. (Final Report, 2021, S. 24-25)

Einige der Befragten berichteten, dass die Täter:innen ihre ökonomische Situation und den besonders für Frauen hart umkämpften Arbeitsmarkt ausnutzten und ihnen Jobs im Austausch für Sex in Aussicht stellten. In den meisten Fällen haben die Betroffenen die Jobs nie bekommen. Diejenigen, die tatsächlich eine Stelle erhielten, bekamen meist nur einen Kurzzeit-Job. (Final Report, 2021, S. 27) 

„Um im Job voranzukommen, musste man Sex haben […] Jeder hatte Sex im Austausch für etwas. Es war sehr üblich. Mir wurde sogar Sex angeboten, wenn ich mir im Basislager, in dem wir während der Maßnahmen wohnten, ein Becken mit Wasser zum Waschen besorgen wollte.”

– Eine Befragte im Interview mit dem Review-Team (Final Report, 2021, S. 24) 

Die vom Review-Team gesammelten Informationen deuten darauf hin, dass einige Handlungen der sexuellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs innerhalb eines Netzwerks von Mitarbeitenden organisiert wurden, die über die lokale Rekrutierungsabteilung des Koordinierungszentrums für Kriseneinsätze tätig waren. Eine Befragte sagte zum Beispiel, sie sei zum Ebola-Koordinationszentrum gegangen, um sich für eine Stelle als Reinigungskraft zu bewerben. Sie wurde angewiesen, ihren Namen und ihre Nummer zu hinterlassen, falls eine Stelle frei werden sollte. Daraufhin wurde sie von einer Freundin des Managers angerufen, die sie bei der Koordinationsstelle angemeldet hatte. Den Job bekam sie nur als Gegenleistung dafür, dass sie mit dem Freund des Managers, der sie angeworben hatte, Sex hatte. (Final Report, 2021, S. 26) 

Mehrfach wurde berichtet, dass die Täter:innen sich weigerten Kondome zu verwenden. 29 Mädchen und Frauen berichteten von einer Schwangerschaft infolge der sexuellen Ausbeutung und des Missbrauches, 22 von ihnen haben die Schwangerschaft ausgetragen. Sechs Frauen hatten Fehlgeburten. Einige wurden von den mutmaßlichen Täter:innen zur Abtreibung gezwungen.

Die Schwangerschaften hatten teilweise verheerende Auswirkungen auf den weiteren Bildungsweg der Frauen und Mädchen. Eine Frau erzählte dem Review-Team beispielweise, dass ihre Eltern nach ihrer Schwangerschaft die Finanzierung ihrer Ausbildung einstellten. Eine andere Frau berichtete, dass sie nach ihrer Schwangerschaft ihr Studium abbrechen musste. (Final Report, 2021, S. 27)

Neun der befragten mutmaßlichen Opfer gaben an, von den Täter:innen vergewaltigt worden zu sein. Die jüngste Befragte, ein 13-jähriges Mädchen, schilderte, dass sie Telefon-Aufladekarten am Straßenrand verkaufte als sie im April 2019 von einem WHO-Fahrer angesprochen wurde. Er bot ihr an sie nach Hause fahren. Stattdessen brachte er sie in ein Hotel und vergewaltigte sie. Das Mädchen wurde schwanger und bekam ein Kind. (Final Report, 2021, S. 25-27)

Ernsthafte Konsequenzen und Lösungen für die Zukunft

„Das ist ein dunkler Tag für die WHO. Indem wir jedoch das Versagen einzelner Personen und der Organisation beleuchten, hoffen wir, dass die Opfer das Gefühl haben, dass ihre Stimmen gehört werden und entsprechend gehandelt wird; Wir möchten, dass die Täter wissen, dass ihr Handeln schwerwiegende Konsequenzen haben wird.“  

– Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO (WHO, Speech, 2021)

Der Generaldirektor der WHO hat nach der Veröffentlichung des Berichts der unabhängigen Untersuchungskommission von schwerwiegenden Konsequenzen für die Täter:innen gesprochen. 

Aktuell gibt es zwei ergänzende rechtliche Grundlagen der WHO zum Thema sexuelle Ausbeutung und Missbrauch: Den Ethik- und Berufskodex der WHO und die Richtlinie zur Prävention und Reaktion von Ausbeutung und Missbrauch. (Final Report, 2021, S. 9) 

Hierin ist in Paragraph 16 die Pflicht Fälle sexueller Ausbeutung und Missbrauchs durch interne sowie externe Mitarbeitende der WHO zu melden niedergelegt. Erfolgt die Meldung nicht, können nach Paragraph 18 der Richtlinie Disziplinarmaßnahmen folgen.

Außerdem sind die Mitarbeitenden gemäß Paragraph 26 der Richtlinie verpflichtet Trainingsmodule zu den Themen sexuelle Ausbeutung und Missbrauch zu absolvieren. Paragraph 36 statuiert, dass die WHO bei diesbezüglichen Meldungen vorrangig eine eigene Untersuchung einleiten wird. 

Im Fall des Einsatzes in der zehnten Ebola-Krise sollen nach Vorschlag der Kommission alle Beschuldigungen untersucht und die Disziplinarmaßnahmen, die in der Richtlinie vorgesehen sind, ergriffen werden. (Final Report, 2021, S. 33-35)

Die Untersuchungskommission hat der WHO in ihrem Report außerdem das Ergreifen diverser Maßnahmen nahegelegt. Die WHO soll z.B.

  • innerhalb der Organisation die Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse für Prävention und Reaktion auf sexuelle Ausbeutung und Missbrauch durch Mitarbeitende klar definieren. (Final Report, 2021, S. 33)
  • Geld sowie qualifiziertes Personal bereitstellen, um für das Thema zu sensibilisieren, sexuelle Ausbeutung und Missbrauch im Vorfeld zu verhindern und auf Vorfälle reagieren zu können. Hierfür sollen spezifische Teams zusammengestellt werden. (Final Report, 2021, S. 33)
  • bei einem Verdacht von sexueller Ausbeutung oder Missbrauchs unverzüglich Untersuchungen einleiten. (Final Report, 2021, S. 34-35)
  • bei einer Bestätigung des Verdachts unverzüglich Disziplinarmaßnahmen einleiten. (Final Report, 2021, S. 34-35)

Die Einsatzkräfte der WHO im Kongo sollten der einheimischen Bevölkerung bei der Bewältigung der Ebola-Krise helfen. Während der Großteil der WHO-Mitarbeitenden, sowie der lokalen und internationalen Einsatzkräfte im Einsatz für die Menschen das Virus mit aller Kraft und unter schwersten Bedingungen bekämpften, haben einige Personen ihre Machtpositionen ausgenutzt, um vulnerable Mädchen und Frauen in prekären Situationen sexuell auszubeuten, sie zu missbrauchen und zu vergewaltigen. 

Die sexuelle Ausbeutung und der Missbrauch von Mädchen und Frauen durch das eigene Personal darf kein Thema sein, vor dem die Vereinten Nationen und humanitär tätige Organisationen die Augen verschließen. Gegen solche Taten ist im Einsatz für die Humanität mit Härte und Konsequenz vorzugehen. Neben der Erteilung von Disziplinarmaßnahmen für die Täter:innen, muss hierzu präventiv gearbeitet werden, sodass zukünftige Taten verhindert werden und sich keine Strukturen bilden, die die sexuelle Ausbeutung und den Missbrauch begünstigen.  

Wir bei Humanium verurteilen ein solches Verhalten auf das Schärfste. Wir arbeiten mit unseren Projekten daran, eine Welt aufzubauen, in der die Rechte von Mädchen respektiert, geschützt und erfüllt werden.

Geschrieben von Giulia Welge

Literaturhinweise:

Final Report of the Independent Commission on the review of Sexual abuse and exploitation during the response to the 10th Ebola virus disease epidemic in the provinces of North Kivu and Ituri in the Democratic Republic of the Congo (DRC) (2021, 27 September). Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

Flummerfelt, Robert/ Peyton, Nellie (2020, September 29). EXCLUSIVE: More than 50 women accuse aid workers of sex abuse in Congo Ebola crisis. Retrieved from The New Humanitarian, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) Africa (2020, November 18). 11th Ebola outbreak in the Democratic Republic of the Congo declared over. Retrieved from WHO Africa, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2017, April). Code of Ethics and Professional Conduct. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO). Ebola virus disease. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021. 

World Health Organization (WHO) (2021). Ebola outbreak 2021- North Kivu. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2020, November 30). Ending an Ebola outbreak in a conflict zone. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2017, March). Sexual Exploitation and Abuse Prevention and Response, Policy and procedures. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2021, 28 September). Speech: Director-General’s remarks at the press conference on the report of the Independent Commission on Sexual Exploitation and Abuse. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2021, 28 September). Virtual press conference: Publication of the final report of the Independent Commission on the allegations of sexual abuse and exploitation during the response to the tenth Ebola outbreak in the Democratic Republic of the Congo (DRC). Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.

World Health Organization (WHO) (2021, September 28). WHO Director-General’s remarks at the press conference on the report of the Independent Commission on Sexual Exploitation and Abuse. Retrieved from WHO, accessed on 12 October 2021.