Ein beschämendes Kapitel der irischen Geschichte: Mutter-Kind-Heime

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Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Ministeriums für Kinder, Gleichstellung, Behinderung, Integration und Jugend (engl. Abkürzung ‚DCEDIY‘) hat dargelegt, dass viele religiöse Einrichtungen in Irland den weit verbreiteten, oft zum Tode führenden Missbrauch von unverheirateten Müttern und deren Kindern zugelassen haben (Specia, 2021). In den letzten 20 Jahren gab es in den Mutter-Kind-Heimen des Landes über 9.000 Tote, eine deutlich höhere Sterbensrate als im Rest der Bevölkerung (Specia, 2021).

Ernste, dokumentierte Missbrauch sfälle gehen dabei einher mit unethischen Zwangsgeburten, Impfstoffversuchen und schwerem emotionalem Missbrauch (Specia, 2021). Trotz weit verbreiteter Rufe nach Gerechtigkeit von geschädigten Müttern und Kindern, ist dieses „schwarze, schwierige und beschämende Kapitel“ der irischen Geschichte erst kürzlich ins Rampenlicht gerückt worden (Specia, 2021).

Was sind Mutter-Kind-Heime?

Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden in ganz Irland ‚Mutter-Kind-Heime‘, die unverheirateten Müttern und deren Kindern, die keine angemessene Unterstützung oder eine Familie hatten, Zuflucht boten. Diese Einrichtungen, die überwiegend von kirchlichen Orden betrieben und von der irischen Regierung finanziert wurden, sollten Frauen in einer patriarchalischen Umgebung, geprägt von Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung, unterstützen (Specia, 2021).

Frauen, die in diesen Heimen aufgenommen wurden, waren zwischen 12 und 40 Jahre alt, 80% davon zwischen 18 und 29 Jahren (DCEDIY, 2021). Während die Schwangerschaft mancher Mütter in Folge von Vergewaltigung und Ausbeutung entstand, hatte die Mehrheit eine Gemeinsamkeit: sie wurden unverheiratet schwanger (DCEDIY, 2021). Diese Heime, die schon früh als Zufluchtsort für vernachlässigte Frauen und als Waisenheim für gefährdete Kinder galten, entwickelten sich später zu Adoptionsagenturen (Carroll, 2021).

Alles in allem hat die aktuelle Untersuchung der Kommission ergeben, dass landesweit fast 60.000 unverheiratete Mütter und dieselbe Anzahl an Kindern in diesen Heimen gelebt haben, inklusive weiterer 25.000 unverheirateter Mütter in Heimen, die nicht Teil dieser Untersuchung waren (DCEDIY, 2021). Obwohl die ‚Mutter-Kind-Heime‘ kein ausschließlich irisches Phänomen waren, führte die katholische Ausrichtung des Landes und die Stigmatisierung unverheirateter,schwangerer Frauen dazu, dass ein außergewöhnlich hoher Anteil gefährdeter irischer Frauen in den Heimen landeten (DCEDIY, 2021).

Zwischen 1935 und 1945 starben fast die Hälfte aller ‚unehelichen‘ Kinder in Irland in Mutter-Kind-Heimen, obwohl nur ein Viertel dieser ‚unehelichen‘ Kinder in diesen Heimen lebte (DCEDIY, 2021). Glücklicherweise fiel diese Zahl mit jedem vergangenen Jahrzehnt. Die hohe Anzahl von Müttern und Kindern in den Heimen, spiegelte die Tatsache wider, dass die Adoption erst 1953 legal wurde. Jedoch war somit auch eine bevorzugte, humane Möglichkeit für gefährdete Mütter und Kinder gefunden (DCECIY, 2021). 

Kontroversen um das ‚Tuam Baby‘

Auslöser der Untersuchung des DCECIYs war die Entdeckung eines nicht gekennzeichneten Massengrabs in Tuam in Galway, Irland, im Jahr 2015. Nachdem zuvor eine detaillierte Analyse verdächtiger Todesrekorde im St. Mary’s Mutter-Kind-Heim durch Catherine Corless durchgeführt wurde, enthüllte die große Grabstätte die 36 Jahre lange Institutionalisierung unverheirateter, schwangerer Frauen in der katholisch geführten Einrichtung (BBC News, 2021).

Zu dieser Zeit war es in der irischen Gesellschaft stark verpönt und stigmatisiert, ein uneheliches Kind zu bekommen (BBC News, 2021). Mehrere detaillierte Analysen ergaben zudem, dass im Durchschnitt zwischen 1925 und 1961 alle zwei Wochen ein Kind im Heim starb (BBC News, 2021).

Die Entdeckung des Friedhofs und die darauffolgende Berichterstattung in den Medien löste internationale Empörung aus und veranlasste den irischen Minister für Kindeswohl  dazu, die Verfügbarkeit von Diensten zur Suche nach Familienangehörigen für Frauen und Kinder hervorzuheben (BBC News, 2021). Dies wurde als ‚Meilenstein‘ für das Land angesehen (BBC News, 2021).

Abgesehen von der grauenhaften Behandlung der Frauen und Kinder innerhalb des Heims in Tuam, entschuldigte sich der Orden der katholischen Nonnen, die Bon Secours, in aller Öffentlichkeit für die ‚respektlose und unakzeptable‘ Weise, in der die Opfer beerdigt wurden (BBC News, 2021). Es gab keine Bestattungsunterlagen für fast 1.000 Kinder auf dem Friedhof, und die leblosen Körper selbst waren auf 20 stillgelegten Klärbehältern verteilt (Carroll, 2021).

Untersuchungsergebnisse

Umfassendere Ergebnisse der DCECIY-Studie aus dem Jahr 2021 deckten eine Reihe von abscheulichen Missbräuchen in den untersuchten Heimen auf. Obwohl es Ähnlichkeiten zwischen den Heimen gab, wurden sie auf unterschiedliche Weise geleitet, einige von kirchlichen Orden, andere von lokalen Gesundheitsbehörden (DCECIY, 2021). Während einige Heime sich bemühten, Mütter und Kinder zusammenzuhalten, nahmen andere keine Rücksicht auf diese Trennung, und die hohen Kindersterblichkeitsraten spiegeln die allgemeine Vernachlässigung in den Heimen wider (DCECIY, 2021).

Erschreckenderweise deuten Untersuchungen darauf hin, dass die Kindersterblichkeitsraten den damaligen Gesundheitsbehörden kein Geheimnis waren, was somit ein düsteres Bild von der Missachtung der Gesundheit von Müttern und Kindern durch die Regierung zeichnete (DCECIY, 2021). In Bessborough, wo die höchste Kindersterblichkeitsrate des Landes zu verzeichnen war, starben 75% der Kinder noch vor ihrem ersten Geburtstag (DCECIY, 2021).

Neben den schweren Fällen psychischer und zuweilen auch physischer Misshandlung, legte der Bericht des DCECIY auch die Häufigkeit von Impfversuchen in den untersuchten Heimen von 1934 und 1973 offen (DCECIY, 2021). Diese Impfversuche, an denen Kinder teilnahmen, wurden ohne angemessene Zustimmungsmechanismen oder Genehmigungsanforderungen im Einklang mit den staatlichen Regelungen durchgeführt (DCECIY, 2021).

Die Entschädigung durch die Regierung

Um die Grausamkeiten der Vergangenheit wiedergutzumachen, hat Irland einen 800-Millionen-Euro-Fond eingerichtet, um die Entschädigung für Überlebende einfacher zu gestalten, Einzelpersonen können dabei bis zu 65.000 Euro beantragen (Carroll, 2021). Zu diesen ‚Überlebenden‘ gehören sowohl Mütter, die in den Heimen gelebt haben, als auch Kinder, die in Wäschereien lebten oder gezwungen waren, dort zu arbeiten (Carroll, 2021).

Laut Schätzungen der Regierung seien 34.000 Überlebende dazu berechtigt, Entschädigungen im Rahmen des Fonds zu beantragen, was es zum größten Programm seiner Art in der Geschichte des Landes macht (DCECIY, 2021). Mit diesem, auf dem Verhandlungsgrundsatz beruhenden Ansatz in Bezug auf die Entschädigungszahlungen wird sichergestellt, dass der Fond im Einklang mit dem Verhandlungsgrundsatz gestaltet ist,und die Überlebenden somit vor einer erneuten Traumatisierung beschützt (DCECIY, 2021).

Mit der Einrichtung verlässlicher, nicht-eingreifender Mechanismen für die persönliche Wiedergutmachung, hat Irland einen großen Schritt in Richtung Anerkennung der in der Vergangenheit begangenen Fehler gemacht. Dieser Ansatz ist bewundernswert, dennoch muss noch mehr getan werden, um sicherzustellen, dass das Land die Grundursache dieser Horrortaten in den Heimen bekämpft. Wie in vielen Veröffentlichungen dargestellt wurde, sind ‚Mutter-Kind-Heime‘ nur ein Symptom einer viel umfassenderen Krankheit: die ununterbrochene Ausbeutung, Schikane und Unterdrückung gefährdeter Frauen und Mädchen (Specia, 2021).

Die irische Regierung, die Kirche und die Gesetzgeber müssen nicht nur daran arbeiten, die im dunklen Kapitel der irischen Geschichte entstandenen Schäden zu beheben,sondern auch diskriminierende Gesetze, die Frauen und Kinder ausgrenzen, weiterhin auszumerzen. Irlands dramatische Geschichte „öffnet ein Fenster zu einer tiefen frauenfeindlichen Kultur des Landes, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte“, eine Kultur, die noch nicht vollständig verschwunden ist (Specia, 2021).

Als Mitglied von Child Rights Connect, der Organisation, die die UN-Konvention über die Rechte des Kindes ausgearbeitet hat, setzt sich Humanium dafür ein, gefährdete Kinder auf der ganzen Welt zu schützen. Humanium engagiert sich für eine Welt, in der die Rechte der Kinder in allen Lebenslagen universell, wirksam respektiert, geschützt und durchgesetzt werden. Auch Sie können dazu beitragen, dass Bewusstsein für die Rechte der Kinder auf der ganzen Welt zu schärfen, indem Sie Humanium unterstützen. Übernehmen Sie eine Patenschaft für ein Kind, spenden Sie, werden Sie Mitglied oder unterstützen Sie die Organisation ehrenamtlich.

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro

Übersetzt von Franziska Theis

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Literaturhinweise:

BBC News. (2021, January 13). “Irish mother and baby homes: Timeline of controversy.” Retrieved from BBC News, accessed on 23 January 2022.

Carroll, R. (2021, January 12). “Ireland publishes report on ‘appalling’ abuse at mother and baby homes.” Retrieved from The Guardian, accessed on 24 January 2022.

Department of Children, Equality, Disability, Integration and Youth. (2021, January 12). “Executive summary of the Final Report of the Commission of Investigation into Mother and Baby Homes.” Retrieved from Government of Ireland, accessed 26 January 2022.

Department of Children, Equality, Disability, Integration and Youth. (2021, December 23). “Government approves proposals for Mother and Baby Institutions Payment Scheme and publishes An Action Plan for Survivors and Former Residents of Mother and Baby and County Home Institutions.” Retrieved from Government of Ireland, accessed on 24 January 2022. 

O’Carroll, L. (2021, November 16). “Irish government agrees €800m package for mother and baby home survivors.” Retrieved from The Guardian, accessed on 24 January 2022. 

O’Donnell, I., O’Sullivan, E. (2021, January 26). “Mother and baby homes inquiry: now reveal the secrets of Ireland’s psychiatric hospitals.” Retrieved from The Conversation, accessed 26 January 2022.

Specia, M. (2021, January 12). “Report gives glimpse into horrors of Ireland’s mother and baby homes.” Retrieved from The New York Times, accessed on 26 January 2022.