Schutzhaft von minderjährigen unbegleiteten MigrantInnen in Griechenland: Eine langjährige Praxis wird abgeschafft

Posted on Posted in Ausbeutung, Freiheit, Kinderrechte, Migration

Wie Notis Mitarachi, griechischer Minister für Asyl und Migration, am 18. November 2020 ankündigte, schafft Griechenland das langjährige Vorgehen der Schutzhaft für unbegleitete minderjährige MigrantInnen ab. Diese Praxis gefährdet nicht nur das physische und mentale Wohlbefinden von Kindern, sondern verstößt auch gegen internationales, europäisches und griechisches Recht in Bezug auf Kinderrechte.

Schutzhaft von Kindern in der Praxis

In Griechenland werden seit 20 Jahren minderjährige MigrantInnen systematisch von der Polizei in Schutzhaft genommen und für mehrere Wochen bis zu mehreren Monaten in Polizeizellen festgehalten (Hellenic Republic 2020). Artikel 118 des Dekrets 141/1991 des Präsidenten bildet die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Inhaftierung der Kinder, mit dem Ziel ihres „Schutzes“ vor Schaden und kriminellen Organisationen, ohne formale Anforderungen an Befristungen.

Die Haftanstalten –  Polizeizellen – die für diese „Schutzhaft“ genutzt werden, erfüllen die Anforderungen an eine altersgerechte Form von Gewahrsam nicht, da sie keinen Zugang zu Freizeitmöglichkeiten, Aktivitäten im Freien, oder andere Angebote für die altersspezifischen Bedürfnisse von Kindern bieten, die in Artikel 37 (c) der Kinderrechtskonvention festgelegt sind. Die „Schutzhaft“ gilt als de facto Inhaftierung und Freiheitsentzug, was schwerwiegende Auswirkungen auf das physische und mentale Wohlbefinden eines Kindes hat (Menschenrechtsrat 2015).

Die rechtlichen Aspekte der Thematik

Es ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 118 PD 141/1991 nicht für unbegleitete minderjährige MigrantInnen bestimmt ist, und dass laut der griechischen nationalen Gesetzgebung die Inhaftierung von unbegleiteten Kindern nur in „sehr außergewöhnlichen Fällen“ und als „letztes Mittel“ nach Prüfung und in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des „Kindeswohls“ (Artikel 46 (10A) L 4375/2016) erlaubt sein soll.

Im Jahr 2019 fasste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtssprechung zu H.A. und andere gegen Griechenland (engl.: H.A. and others vs. Greece) den Beschluss, dass das umgesetzte Konzept der Schutzhaft in Griechenland gegen internationales Recht (CRC), europäisches Recht, sowie griechisches innerstaatliches Recht verstößt. Im Einzelnen wurde gegen die Kinderrechtskonvention verstoßen, weil im Rahmen des Schutzhaftverfahrens keine Rücksicht auf das Prinzip des „Kindeswohls“ genommen wurde.

Zusätzlich wurde gegen die Europäische Menschenrechtskonvention in Bezug auf die Haftbedingungen (Art. 3) und die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung (Art. 5) verstoßen. Außerdem wurde das griechische innerstaatliche Recht verletzt, indem Schutzhaft nicht als „letztes Mittel“ und in „sehr außergewöhnlichen Fällen“ (Artikel 46 (10A) L 4375/2016), sondern systematisch als Standardvorgehen bei unbegleiteten minderjährigen MigrantInnen eingesetzt wurde (EGMR, H.A. und andere gegen Griechenland, 2019).

Änderungen von Gesetzen und Verfahren

Am 18. November 2020 erklärte das griechische Ministerium für Asyl und Migration, dass sich seit dem 14. November 2020 keine unbegleiteten minderjährigen MigrantInnen mehr in polizeilichem Schutzgewahrsam befinden. Die Bemühungen, Kinder aus der Schutzhaft in Unterkünfte in Griechenland oder andernorts in Europa umzusiedeln, begannen Anfang 2020 in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und als Folge mehrerer Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Minister Mitarachi wies darauf hin, dass in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Asyl und Migration, sowie dem Ministerium für Bürgerschutz dem griechischen Parlament ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden soll, „um formell die Praxis zu beenden“ Kinder in polizeilicher Schutzhaft zu halten, und dass ein System entwickelt werden soll, dass „einen umfassenden, wirksamen und rechtzeitigen Schutz unbegleiteter Minderjähriger ermöglicht“ (Hellenische Republik 2020).

Als Mitglied von Child Rights Connect (CRC), der Organisation, die die UN-Kinderrechtskonvention entworfen hat, setzt sich Humanium nachdrücklich für den Schutz gefährdeter Kinder weltweit ein und macht sich für eine Welt stark, in der die Kinderrechte universell und effektiv eingehalten, geschützt und durchgesetzt werden. Sie können dabei helfen, auf die Belange von Kindern in der Welt aufmerksam zu machen, indem Sie Humanium unterstützen – durch eine Patenschaft für ein Kind, eine Spende, eine Mitgliedschaft oder Mitarbeit als Freiwilliger..

Verfasst von Alexander Weihrauch

Übersetzt von Jana Wegener

Korrektur gelesen von Sibylle Daymond

Für mehr Informationen:

Asylum Information Database, European Council on Refugees and Exiles, Country Report Greece 2019

UNICEF, Working paper, Alternatives to Immigration Detention of Children, February 2019

Bibliographie:

Hellenic Republic, Ministry for Migration & Asylum (18 November 2020), retrieved from Hellenic Republic.

Human Rights Council (5 March 2015), Report of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, A/HRC/28/68, para. 60, 61, retrieved from Human Rights Council.

ECtHR (28 February 2019), H.A. and others v. Greece, No. 19951/16, retrieved from ECtHR.

Article 46(10A) L 4375/2016 implementing Article 11(2) of the EU Reception Directive.