Datenvermarktung im Sport: Schutz von jungen Sportlerinnen und Sportlern vor kommerzieller Ausbeutung

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Der Marktwert der weltweiten Sportindustrie belief sich im Jahr 2020 auf fast eine Milliarde US-Dollar, eine Zahl, die bis 2026 auf fünf Milliarden steigen soll (Clifford Chance, 2021). Die Hauptakteure der Branche sind bestrebt, jeden Aspekt des Sports zu Geld zu machen und dazu gehören auch die wertvollsten Vermögenswerte: talentierte junge Sportlerinnen und Sportler. Insbesondere Akteure aus einer Reihe von Branchen nutzen die Datenanalyse, um Daten von Kindern zu generieren und zu verarbeiten (Clifford Chance, 2021).

Der Wert personenbezogener Daten von Minderjährigen

Zu den zahlreichen Unternehmen, die in der Sportbranche tätig sind und die die Digitalisierung des Sports sowie die Kommerzialisierung von Spielerdaten vorantreiben, gehören unter anderem Medienagenturen, Wettbüros, Sport franchises und Spieleentwickler (Westcott, 2020). Diese Akteure nutzen hochmoderne Technologien des maschinellen Lernens für die Erstellung umfassender Datenbanken über Sportlerinnen und Sportler sowie deren Leben (Westcott, 2020). Diese erfassten Daten liegen vor allem in zwei Formen vor: physische Gesundheitsdaten, die zur Analyse der sportlichen Leistungen erhoben werden, sowie persönliche Informationen über das Leben der Sportlerinnen und Sportler.

Der monetäre Wert heutiger junger Sportlerinnen und Sportler lässt sich nicht beziffern oder auf die Größe des Spielfelds, des Rasens, des Platzes oder der Laufbahn beschränken, wo sie ihre Leistungen erbringen. Sportübertragungen nehmen ständig an Bedeutung zu und steigern den Bekanntheitsgrad, den Ruhm und den finanziellen Gewinn durch Sponsoring, Medienverträge und den Verkauf von Fanartikeln. Darüber hinaus hat der Boom der sozialen Medien den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet zu kooperieren und die täglichen Aktivitäten junger Sportlerinnen und Sportler zu vermarkten, deren Profile in den sozialen Medien eine Plattform für weitreichende Werbung und Verkaufsförderung bieten.

Ein großer Teil dieser Daten wird genutzt, um das Interesse der Fans an der Entwicklung zukünftiger Supersportlerinnen und -sportler zu wecken (Westcott, 2020). Damit werden scheinbar persönliche Daten– wie die Interessen eines jungen Sportlers bzw. einer jungen Sportlerin, deren Lebensgewohnheiten, familiärer Hintergrund und andere Eigenschaften – zu einer wertvollen Ware für die Geschäftswelt. 

Die Verbände sind bemüht, die Erlebnisqualität für die Fans zu verbessern. Eine der wichtigsten Methoden, dies zu erreichen, besteht darin, Beziehungen zwischen Fans und Sportlern herzustellen, um zusätzliche Formen der Bindung zu schaffen (Westcott, 2020). Dies lässt sich sowohl an der Zunahme von Sportinhalten „hinter den Kulissen“ erkennen, wie z. B. der Dokumentarserie „Drive toSurvive“ von Netflix und der Dokuserie „All or Nothing“ von Amazon Prime, als auch an der Monetarisierung der Profile in den sozialen Medien von Sportlerinnen und Sportlern.

Die mit personenbezogenen Daten verbundenen enormen finanziellen Gewinne werden durch das Aufkommen von globalen Supersportlerinnen und -sportlern noch deutlicher. Nach ihrem Sieg bei den US Open im vergangenen Jahr dürfte die britische Teenager-Tennissensation Emma Raducanu Millionen von Dollar verdienen und zwar nicht nur von den Preisgeldern der Turniere, sondern auch durch Werbeverträge außerhalb des Sports (Timmins&Race, 2021).

Dieser Status wurde auf ihre Vermarktbarkeit und insbesondere auf persönliche Eigenschaften wie ihre „Persönlichkeit“ und die Art und Weise, wie sie öffentliche Interviews gab, zurückgeführt (Timmins&Race, 2021). In ähnlicher Weise haben unbezahlte Sportstudentinnen und -studenten in den USA vor kurzem die Möglichkeit erhalten, aus der Veröffentlichung ihres Namens, ihres Images und ihrer Beliebtheit Profit zu schlagen, was ihnen den Zugang zur zehn MilliardenDollar schweren „Influencer“-Marketingbranche ermöglicht (Planos, 2020).

Datenerfassung

In der modernen Zeit werden von dem Moment an, in dem ein Kind eine App öffnet oder auf das Internet zugreift, Daten generiert (ICO). Als Folge davon wird die Tätigkeit der Konzerne der dadurch erleichtert, dass sie offen auf öffentlich einsehbare Informationen wie Profile in sozialen Medien, Medienartikel und veröffentlichte Nutzerinformationen zugreifen können, um eine individuelle Datenbank mit Informationen zu erstellen.

Neben dem Zugreifen auf leicht zugängliche Daten verarbeiten und analysieren Sportteams, Unternehmen und Agenturen mit eigennützigem Interesse routinemäßig Verhaltensdaten, um die Vermarktungsfähigkeit und die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Sportlers bzw. einer Sportlerin zu bewerten (Andrew, 2022). Diese Datenverarbeitung beinhaltet u. a. dass Datenanalyseunternehmen Leistungsdaten an Dritte verkaufen, Wettunternehmen Daten von Minderjährigen zur Festlegung von Wettquoten verwenden und Gaming-Unternehmenpersonenbezogene Daten für die Gestaltung von Spielen nutzen (Andrew, 2021).

Bedenken hinsichtlich der Kinderrechte

In Artikel 3 des internationalen Übereinkommens über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen (UNCRC) heißt es, dass das „Wohl des Kindes“ bei allen Entscheidungen, die das Leben eines Kindes betreffen, vorrangig berücksichtigt werden sollte (UNCRC, 1989). Die jüngsten weltweiten Sportereignisse weisen jedoch auf ein gefährliches Ausmaß an medialer Aufmerksamkeit für junge Leistungssportlerinnen und -sportler hin, bei dem die Risiken eines falschen Umgangs mit Daten kaum berücksichtigt werden. Bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio gab es bereits eine 12-jährige Medaillengewinnerin, in internationalen Fußballmannschaften spielen regelmäßig Jugendliche mit und dasDamentennis der USA bringt 17- und 18-jährige Stars hervor (Andrew, 2022).

Die Risiken für die Entwicklung des Kindes und sein Wohlbefinden sind vielfältig. Auf finanzieller Ebene werden die Daten minderjähriger Personen zum wirtschaftlichen Nutzen anderer Branchen und Akteure verwendet, die von den Erfolgen der Leistungssportlerinnen und -sportler profitieren, ohne dass diese selbst einen Vorteil daraus ziehen können. 

Abgesehen von den materiellen Nachteilen birgt die uneingeschränkte Verarbeitung von Daten minderjähriger Personen auch große Risiken für deren mentale Gesundheit und Entwicklung.Allerdings fehlen Untersuchungen darüber, wie sich frühe Berühmtheit und öffentliche Aufmerksamkeit auf die Entwicklung des Kindes im Sport auswirken. Dennoch ist es offensichtlich, dass Kinder weniger dazu fähig sind, die Folgen der Verwendung und Verarbeitung ihrer Daten zu beurteilen (ICO). Sind solche Daten erst einmal erhoben und verarbeitet worden, ist es sehr schwierig, diese Handlungen rückgängig zu machen.

Schutzmechanismen

Es gibt zwar nur wenige konkrete Richtlinien im Zusammenhang mit dem Datenschutz im Sport, jedoch besteht für Regulierungsbehörden die Möglichkeit, sich an allgemeineren Datenschutzbestimmungen zu orientieren. So wird beispielsweise in Erwägungsgrund 38 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Vereinigten Königreich auf die Notwendigkeit kinderspezifischer Datenschutzgesetze hingewiesen, da sich Kinder der Risiken und Folgen der Verarbeitung ihrer Daten weniger bewusst sind (DSGVO, 2016).

Im Allgemeinen dienen die DSGVO und andere Datenschutzrichtlinien dem Schutz von personenbezogenen Daten – den Daten, die sich auf eine identifizierbare Person beziehen. Gemäß der Verordnung dürfen personenbezogene Kinderdaten nur dann verarbeitet werden, wenn es dafür eine Rechtsgrundlage gibt und berechtigtes Interesse besteht, die gegen die Grundrechte des Kindes abgewogen werden können (DSGVO, 2016). Überlegungen zur Rechtmäßigkeit scheinen im Kontext des Sports kaum vorhanden zu sein, da hier oft fälschlicherweise angenommen wird, dass alles, was dem Wohl des Kindes und seiner Familie finanziell zugutekommt, in seinem besten Interesse liegt.

Des Weiteren gibt es andere Datenschutzrichtlinien und -vorschriften, die auf viele andere Bereiche ausgedehnt werden könnten. In Irland, einem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung als minderjährig gilt, hat die Datenschutzkommission Richtlinien für die Verarbeitung personenbezogener Daten minderjähriger Personen erstellt (Datenschutz, 2021). In diesen Richtlinien wird unter anderem darauf hingewiesen, dass Transparenz und Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen von größter Bedeutung sind. Die Datenschutzbehördeim Vereinigten Königreich, das International Commissioner’s Office (ICO), setzt sich für die Bewahrung des Datenschutzes ein und hat in Bezug auf die Verarbeitung von Daten minderjähriger Personen ebenfalls einen „datenschutzfreundlichen“ Standpunkt (Persönlichkeitsschutz als Standard) gefordert, wobei in Fällen, in denen Daten minderjähriger Personen verarbeitet werden, offene Rücksprache und Beratung empfohlen werden (ICO). 

Im sportlichen Umfeld steht dieser beratende und vorsichtige Ansatz im Widerspruch zur Profitgier der Unternehmen. Personenbezogene Daten haben beispielsweise im Zusammenhang mit Glücksspielen ein starkes finanzielles Gewicht.Das Funktionieren dieser Branchen hängt von schnellen Einschätzungen und proaktiven Entscheidungen ab. Die Datenschutz-Grundverordnung – und andere Datenschutzmechanismen – bieten zwar einen Rahmen, auf den sich Sportorganisationen stützen sollen, sollten aber nicht gleichzeitig der Rechtsrahmen und die Vollzugsbehörde sein, da die Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften auslegen und umsetzen müssen (Datenschutzleitlinie, 2019).

Ausblick

In Anbetracht ihres potenziellen finanziellen Wertes werden dieDaten vonKindern oft als „neues Gold“ bezeichnet (Datenschutz, 2021). Mit der zunehmenden Digitalisierung der Welt ist es jedoch wichtig, dass Gesetzgeber und Sportaufsichtsbehörden darauf hinarbeiten, Kinder nicht vor, sondern innerhalb der digitalen Welt zu schützen (ICO). Es wäre kontraproduktiv und unrealistisch, sportliche Kinder und Jugendliche aus digitalen Umgebungen wie den sozialen Medien zu verdrängen, da die Medien heutzutage omnipräsent sind. Stattdessen sollten die Regulierungsbehörden auf folgendeshinarbeiten:

  1. Die Art und Weise, wie die Daten minderjähriger Personen gesammelt und in der Sportindustrie verarbeitet werden, zu analysieren – dies würde dazu beitragen, Kommunikationslinien und Verbindungen zwischen scheinbar getrennten Branchen zu entwickeln, um so die gemeinsame Entwicklung von Richtlinien und Maßnahmen zu fördern.
  2. Angemessene Richtlinien zum Schutz des Kindeswohls aufzustellen und eine Evaluierung der ethischen Zulässigkeit der Datenerhebung und -verarbeitung zu beauftragen.
  3. Die Kommunikation zwischen Kindern und den für die Datenverarbeitung Verantwortlichen zu standardisieren und vorzuschreiben, wobei die Autonomie der Kinder und ihr Recht auf Anhörung in Angelegenheiten, die ihr Wohlergehen betreffen, zu respektieren sind.
  4. Strenge Sanktionen und Rechtsmittel einzusetzen, um Rechtsverletzer angemessen zu bestrafen (anstelle finanzieller Bagatellstrafen) und Kinder und Jugendliche, denen Unrecht widerfahren ist, zu unterstützen (sowohl finanziell als auch durch psychosoziale Betreuung).

Humanium setzt sich für den Schutz der Kinderrechte und die Sensibilisierung bei Missbrauch dieser Kinder ein. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir über die Verhältnisse, unter denen junge Sportlerinnen und Sportler ihre Sportart ausüben, sprechen und diskutieren. In unseren Projekten setzen wir uns für die Schaffung von Ressourcen und Aktivitäten ein, die Kindern helfen, sich als Individuen zu entwickeln, eine Aufgabe, die die Gesundheit und das Wohlbefinden des Kindes in den Vordergrund stellt. In Palästina haben wir beispielsweise an der Sanierung eines Kinderspielplatzes aus dem Flüchtlingslager De heise mitgewirkt, wodurch Kinder Zugang zu einem sicheren Spielplatz mit Sportgeräten erhielten.

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro

Übersetzt von Claudia Flanner

Korrigiert von Jana Ruf

Literaturhinweise: 

Andrew, J. (2022, April 6). “You can’t win anything with kids – minors’ data in sport – returns and regulations.” Retrieved from Clifford and Chance, accessed on 10 May 2022.

Clifford Chance. (2021, June). “Player power v data monetisation- sport’s new battleground exploring an increasingly important asset class.” Retrieved from Clifford Chance, accessed 10 May 2022.

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European Union and Council of Europe. (2016, April 27). “General Data Protection Regulation 2016/679 Directive 95/46/EC”. Retrieved from Journal of the European Union, accessed 10 May 2022.

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Planos, J. (2020, May 15). “How much money could student-athletes make as social media influencers?” Retrieved from ABC News, accessed 10 May 2022.

Timmins, B & Race, M. (2021, September 13). “Emma Raducanu set to earn millions after US Open win.” Retrieved from BBC News, accessed 10 May 2022.

UN General Assembly. (1989, November 20). “United Nations Convention on the Rights of the Child, Treaty Series, vol. 1577. Retrieved from UNICEF, accessed 10 May 2022.

Westcott, K., & Jarvis, D. (2020, December 7). “The hyperquantified athlete: Technology, measurement and the business of sports.” Retrieved from Deloitte, accessed 10 May 2022.