Der Schutz der Privatsphäre von Kindern in Frankreich: eine Gesetzesreform bezüglich des Rechts am eigenen Bild

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Angesichts des Aufschwungs der sozialen Medien und des Phänomens des sogenannten „Sharenting“ (aus dem Englischen zusammengesetzt aus sharing -teilen und parenting- Eltern sein; Anm. des Übersetzers) stellt das französische Gesetz vom 19. Februar 2024 einen bedeutenden Fortschritt im Bereich des Schutzes der Rechte von Kindern dar. Durch die ausdrückliche Implementierung des Rechts am eigenen Bild von Minderjährigen in das Zivilgesetzbuch zielt diese Reform darauf ab, für die elterlichen Praktiken, die sich oftmals nicht der Gefahren bewusst sind, die mit der Online-Verbreitung von Bildern ihrer Kinder einhergehen, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen. 

Eine überfällige gesetzliche Entwicklung

Im Februar 2024 hat Frankreich mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 2024-120 einen neuen Meilenstein im Bereich des Schutzes der Rechte von Kindern erreicht. Dieser Text markiert einen Wendepunkt, indem er das Recht am Bild von Kindern ausdrücklich in das Zivilgesetzbuch innerhalb der Bestimmungen über die elterliche Sorgfaltspflicht  aufnimmt.

Da das Phänomen des sogenannten Sharenting, das heißt, die Praxis, Bilder seiner Kinder in sozialen Medien zu teilen,  mit der Digitalisierung zugenommen hat, soll dieses Gesetz einen Rahmen für eine Praxis schaffen, die zwar oft als harmlos wahrgenommen wird, aber schwerwiegende Auswirkungen auf das Privatleben von Minderjährigen haben kann (Le Monde, 2024).

Vor diesem Gesetz wurde das Recht von Kindern auf das eigene Bild nur indirekt durch die Rechtsprechung geschützt. Die Eltern waren die natürlichen Hüter  des Abbilds ihres Kindes, aber es gab keine speziellen Gesetze im Zivilgesetzbuch, die diese Verantwortung regelten.

Mit dieser Reform hat der Gesetzgeber klar festgelegt, dass der Schutz der Privatsphäre des Kindes und seines Abbilds Priorität für die Inhaber der elterlichen Sorgfaltspflicht haben muss. Eltern, die sich oftmals der Gefahren nicht bewusst sind, die mit der Verbreitung von Bildern ihrer Kinder im Internet verbunden sind,  wird  nun     in Erinnerung gerufen, dass sie kein absolutes Recht über diese Facette des Lebens ihrer Kinder haben (Mallevaey, 2014).

Eine Antwort auf digitale Herausforderungen

Die Digitalisierung hat die Gesellschaft und im weiteren Sinne auch die Familienbeziehungen verändert. Im Durchschnitt veröffentlichen 53% der französischen Eltern Bilder ihrer Kinder online und ein Kind ist im Mittel auf 1300 Fotos zu sehen, die vor dem Alter von 13 Jahren online veröffentlicht werden, so das Observatoire de la parentalité et de l’éducation numérique (Baillon-Wirtz, 2024). (Entspricht in etwa einer Einrichtung zur Begleitung der Eltern im Zeitalter der Digitalisierung, Anm. d Übersetzers)

Der Gesetzgeber betont, dass diese Fotos dem Kind in Zukunft schaden und für böswillige Zwecke missbraucht werden könnten, insbesondere in Fällen von Cybermobbing. Eine weitere Gefahr besteht in der Veröffentlichung von Bildern mit nackten Kindern oder Kindern in Badekleidung. Die Abgeordneten warnen: Die Hälfte der in kinderpornografischen Foren kursierenden Fotos stammt aus Inhalten, die ursprünglich von den Eltern oder den Kindern selbst geteilt wurden (France Culture, 2024).

In diesem Sinne beschränkt sich das Gesetz von 2024 nicht darauf, Absichten zu erklären – es bietet konkrete Instrumente zum Schutz von Kindern. Von nun an müssen sich beide Elternteile bei jeder Verbreitung von Bildern ihres Kindes beraten und gemeinsam handeln, wobei sie die Meinung des Kindes berücksichtigen müssen.

Bei Uneinigkeit kann ein Richter eingreifen und einem Elternteil verbieten, Inhalte ohne die Zustimmung des anderen Elternteils zu veröffentlichen. Diese Regelung geht mit der Möglichkeit einher, dass der Richter im Falle einer schweren Verletzung der Würde oder der moralischen Integrität des Kindes die zwangsweise Übertragung der elterlichen Sorgfaltspflicht  anordnen kann (Le Monde, 2024).

Ein verstärkter Schutz, aber ist er ausreichend?

Obwohl diese Gesetzgebung einen unbestreitbaren Fortschritt darstellt, wirft sie auch Fragen hinsichtlich ihrer tatsächlichen Wirksamkeit auf. Kritische Stimmen wie die der Präsidentin von La Voix de l’Enfant (Rechtsorganisation zur Verteidigung von Kinderrechten, Anm. d. Ü.), Martine Brousse, sind der Ansicht, dass  das Gesetz nicht ambitioniert genug ist, begrüßen jedoch die politische Initiative. 

Sie plädiert für intensivere Bemühungen und die Ausarbeitung ehrgeizigerer Rechtsvorschriften für den digitalen Bereich. Andere, wie der Abgeordnete  der Partei La France Insoumise für das Département Loire-Atlantique, Andy Kerbrat, sehen das Gesetz als Teilantwort auf eine Gesetzeslücke, betonen aber die Notwendigkeit umfassenderer Maßnahmen, wie die Einrichtung von Expertengruppen zur besseren Aufdeckung von Misshandlungen und zur Stärkung der Kontrollmechanismen (Alfonsi, 2024).

Für einige Beobachter dient das Gesetz eher der Symbolik als einer wirklichen Veränderung der elterlichen Praktiken. Denn trotz der strengeren Rahmenbedingungen bleiben die konkreten Mittel zur Durchsetzung dieser neuen Gesetzgebung begrenzt. Ein minderjähriges Kind ist nicht in der Lage, gegen seine eigenen Eltern gerichtlich vorzugehen, um sein  eigenes Bild  zu schützen, so dass ihm angesichts einer unerwünschten Zurschaustellung häufig keine Rechtsmittel zur Verfügung stehen (Mallevaey, 2024).

Daher kann dieses Gesetz nicht beanspruchen, alle Probleme im Zusammenhang mit dem Schutz des Rechts am eigenen Bild von Kindern zu lösen. Beispielsweise deckt es nicht die Verbreitung von Fotos durch Familienmitglieder oder Freunde ab, da es den Schutz des Bildes auf die elterliche Sorgfaltspflicht beschränkt und somit die Verantwortung ausschließlich auf die Eltern überträgt (Baillon-Wirtz, 2024).

Eine positive Entwicklung 

Das Gesetz von 2024 reiht sich in eine Reihe von Gesetzesreformen der letzten Zeit ein, die darauf abzielen, die Verwendung von Kinderfotos in der digitalen Welt besser zu regeln. Es ergänzt Fortschritte wie den Rahmen für die kommerzielle Nutzung der Bilder Minderjähriger oder die Einführung einer digitalen Volljährigkeit, die auf das Alter von 15 Jahre festgelegt wurde, d. h. das Alter, ab dem ein Minderjähriger allein der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten zustimmen kann (Défenseur des droits, 2022 – eine Art Verteidiger der allgemeinen Bürger- und Menschenrechte in Frankreich, der vom Präsidenten für 6 Jahre ernannt wird; Anm. Ü.).

Das Gesetz vom 19. Februar 2024 ist eine bedeutende Antwort auf die Herausforderungen, die die Digitalisierung für die Privatsphäre von Kindern mit sich bringt. Auch wenn es die  Praktiken  nicht revolutioniert, sendet es ein starkes Signal an die Eltern, wie wichtig es ist, das Bild ihrer Kinder zu schützen. Der Schutz der Privatsphäre von Kindern ist nun eine gesetzliche Priorität, aber es liegt an der Gesellschaft als Ganzes, dafür zu sorgen, dass diese Priorität in konkrete und wirksame Maßnahmen umgesetzt wird. 

Auf dem Weg zu einer notwendigen Sensibilisierung der Eltern

Damit dieses Gesetz seine Ziele voll und ganz erreicht, muss es von einer breit angelegten Kampagne zur Sensibilisierung der Eltern begleitet werden. Die Herausforderung ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine pädagogische. Das Verständnis der Risiken, die mit der Veröffentlichung von Bildern von Kindern in sozialen Medien verbunden sind, ist entscheidend, um schädliche Situationen zu verhindern. 

Informationskampagnen, wie sie von Experten vorgeschlagen werden, könnten kurze Clips umfassen, die im Fernsehen oder im Internet ausgestrahlt werden und die die potenziellen Gefahren sowie bewährte Praktiken veranschaulichen (Alfonsi, 2024).

Entscheidend ist auch, die elterlichen Kontrollmechanismen zu stärken und Eltern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Kinder online wirksam schützen können. Die in früheren Gesetzen verankerte Einführung allgemeiner elterlicher Kontrollmechanismen für den Zugang zum Internet ist als notwendige Ergänzung zu diesen Gesetzen zu sehen (Baillon-Wirtz, 2024).

Humanium widmet sich dem Schutz der Rechte von Kindern, was bedeutet, dass das Recht der Kinder auf Privatsphäre respektiert werden muss, indem die Sicherheit der Kinder in der digitalen Welt gewährleistet wird. So hat Humanium beispielsweise 2021 einen Beitrag zur Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 vorgeschlagen, dies  als Antwort auf den Aufruf der Vereinten Nationen, NGOs in die Entwicklung von Richtlinien zum Schutz der Kinderrechte in der digitalen Umgebung einzubeziehen. Ihre Teilhabe ist wichtig! Engagieren Sie sich ehrenamtlich, werden Sie Mitglied oder spenden Sie, wenn Ihnen unsere Mission am Herzen liegt.

Verfasst von Jeanne-Marie Quashie

Übersetzt von Katharina Wilhelm

Korrektur gelesen von Susanne Schroeder

Literaturverzeichnis:

Alfonsi Mathieu, Droit à l’image des enfants sur les réseaux sociaux : cette nouvelle loi est une avancée, mais elle ne suffit pas (2024), récupéré du site Huffpost à https://www.huffingtonpost.fr/life/article/droit-a-l-image-des-enfants-sur-les-reseaux-sociaux-cette-nouvelle-loi-est-une-avancee-mais-elle-ne-suffit-pas_229446.html , consulté le 9 Août 2024.

Baillon-Wirtz Nathalie, L’enfant aussi a une vie privée et un droit à l’image (2024), récupéré du site le club des juristes à https://www.leclubdesjuristes.com/justice/lenfant-aussi-a-une-vie-privee-et-un-droit-a-limage-5145/ , consulté le 9 Août 2024. 

France Culture, Droit à l’image des enfants : quels objectifs pour la nouvelle loi adoptée à l’Assemblée ? (2024) récupéré du site Radio France à https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/un-monde-connecte/droit-a-l-image-des-enfants-quels-objectifs-pour-la-nouvelle-loi-adoptee-a-l-assemblee-4481021 , consulté le 09 août 2024. 

Le Défenseur des Droits, Rapport 2022 La vie privée : un droit pour l’enfant (2022), récupéré du site le Défenseur des Droits à https://www.defenseurdesdroits.fr/rapport-annuel-sur-les-droits-de-lenfant-2022-la-vie-privee-un-droit-pour-lenfant-262 , consulté le 9 Août 2024.

Le Monde, Une loi pour mieux protéger le droit à l’image des enfants face aux comportements de certains parents adoptée par l’Assemblée nationale (2024), récupéré du site Le Monde à https://www.lemonde.fr/pixels/article/2024/02/06/l-assemblee-nationale-adopte-definitivement-une-loi-pour-proteger-le-droit-a-l-image-des-enfants_6215094_4408996.html , consulté le 9 Août 2024. 

Mallevaey Blandine, Loi du 19 février 2024 sur le droit des enfants au respect de leur image : l’illustration parfaite d’un texte incohérent, inutile et incomplet ? (2024), récupéré du site Actu juridiques à https://www.actu-juridique.fr/civil/personnes-famille/loi-du-19-fevrier-2024-sur-le-droit-des-enfants-au-respect-de-leur-image-lillustration-parfaite-dun-texte-incoherent-inutile-et-incomplet/ , consulté le 9 Août 2024.