Kinder in Sierra Leone

Die Verwirklichung von Kinderrechten in Sierra Leone

Kinder in Sierra Leone sind mit einer Reihe von miteinander verknüpften Hindernissen konfrontiert, die die Verwirklichung ihrer Menschenrechte behindern. Am schlimmsten sind Kinder durch frühe Kinderheirat und Schwangerschaft im Jugendalter, Kinderarbeit, weibliche Genitalverstümmelung und geschlechtsspezifische Gewalt gefährdet. Aufgrund dieser Risiken, kombiniert mit systemischer Armut, schlechten Gesundheitsbedingungen und Bildungsherausforderungen, sind alle Kinder im Land betroffen.

Index der Realisierung von Kinderrechten: 5,35 / 10
Schwarz Stufe:
sehr Schwierige Situation

Bevölkerung: 8,1 Millionen
Bev. 0-14 Jahren: 41 %

Lebenserwartung: 55,92 Jahre
Kindersterblichkeit: 109,2‰

Sierra Leone auf einen Blick

Sierra Leone liegt an der Südwestküste Westafrikas und hat gemeinsame Landgrenzen mit Liberia im Südosten und Guinea im Nordosten. Sierra Leone hat eine bedeutende, traumatische Geschichte, die aus der Verwicklung in den transatlantischen Sklavenhandel herrührt. Freetown, die Hauptstadt des Landes, wurde 1787 von britischen Philanthropen mit dem Ziel gegründet, ehemalige Sklaven in die Heimat zurückzubringen. Das Land erlebte über 150 Jahre britische Kolonialherrschaft (1808 – 1961), wobei die Sklaverei in der Frühphase der Entwicklung des Landes 1833 abgeschafft wurde (UNDP).

Nach der Unabhängigkeit wurde das Wachstum des Landes durch schlechte sozioökonomische Faktoren beeinträchtigt, vor allem durch den bewaffneten Konflikt und den Bürgerkrieg, die in Sierra Leone elf Jahre lang, von 1991 bis 2002, wüteten. Während der Unruhen wurden Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen von zwei Rebellengruppen, der Revolutionären Einheitsfront und dem Revolutionären Rat der Streitkräfte (AFRC), ungestraft verübt. Der Bürgerkrieg vertrieb über 2 Millionen Menschen (UNDP) und setzte Tausende von Kindern, Frauen und Mädchen sexueller und körperlicher Gewalt aus, während Jungen häufig als Kindersoldaten rekrutiert und ausgebeutet wurden (Human Rights Watch, 2012). 

Abgesehen von den 50.000 Toten, die der Bürgerkrieg forderte (UNDP), leidet das Land weiterhin unter schweren Entwicklungsproblemen. 60 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze (UNDP) und gleichzeitig führen die Auswirkungen des Klimawandels zu sinkenden Ernteerträgen und Einnahmen. Von nicht-nachhaltigen Bergbauaktivitäten, Bevölkerungswachstum und Umweltverschmutzung gezeichnet, steht das Land immer noch vor erheblichen Schwierigkeiten für ein stabiles Wachstum.

Zahlreiche Krisen – wie die Ebola-Krise 2014, die Überschwemmungen 2019 und die anhaltende COVID-19-Pandemie – haben die Unterernährung verschärft und den weit verbreiteten Zugang zu gesundem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen weiter eingeschränkt (Action Against Hunger, 2019), ebenso wie die Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche (Weltbank, 2019). 

Ein besonders besorgniserregender Wirtschaftszweig ist der Bergbausektor in Sierra Leone, der von den wertvollen Mineralien und Diamanten des Landes profitiert. Die historische Entwicklung Sierra Leones wird oft mit seinen «Blutdiamanten» in Verbindung gebracht, die eine lukrative Rolle bei der Finanzierung des Bürgerkriegs spielten (BBC, 2018). Seit der Beendigung des Krieges hat das Land große wirtschaftliche Fortschritte gemacht und die Regierung hat daran gearbeitet, den illegalen Handel mit Mineralien und Diamanten zu unterbinden (BBC, 2018).

Status von Kinderrechten[1]

Die anhaltenden Auswirkungen des Kolonialismus und des Bürgerkriegs in Sierra Leone haben die Rechte der Kinder in eine sehr prekäre Lage gebracht. Aufgrund verschiedener langfristiger Probleme wie häufiger Kinderheirat, Geschlechterungleichheit, Armut und eingeschränktem Zugang zu Bildung hat das Land versucht, eine Vielzahl von nationalen Politiken im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals = SDGs) umzusetzen. Sierra Leone ratifizierte 1990 das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child = CRC) und 1998 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women = CEDAW), um den Schutz von Frauen und Kindern im gesetzlichen Rahmen zu verankern.

Das Land ratifizierte 2002 auch die Afrikanische Charta für die Rechte und das Wohlergehen des Kindes. Da Sierra Leone Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) ist, einer regionalen Gruppe, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Integration fördert, um den Lebensstandard ihrer Mitgliedsstaaten zu verbessern, verpflichteten sie sich 2017 gemeinsam zur Einhaltung eines strategischen Rahmens zur Stärkung der nationalen Kinderschutzsysteme.

Ungeachtet dieser positiven Verpflichtungen haben internationale Expertengremien wie der Ausschuss für die Rechte des Kindes kritisiert, dass das Land weiterhin junge Mädchen sowie Kinder mit Behinderungen nicht schützt und nicht wertschätzt (Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2016). Ausserdem besteht die Notwendigkeit einer größeren Datenerhebung (Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2016), um Kinderrechtsfragen genau zu überwachen und ihre Fortschritte zu verfolgen. Im Großen und Ganzen werden die Kinderrechte des Landes durch das Kinderrechtsgesetz von 2007 abgedeckt. Aufgeteilt in acht verschiedene «Teile», bildet das Gesetz das Rückgrat aller Kinderschutzinitiativen im Land. 

Auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen

Recht auf Bildung 

Für die Mehrheit der Kinder in Sierra Leone bleibt der Zugang zu guter Bildung eine Herausforderung. Die grössten Hindernisse für den Zugang zu Bildung lassen sich in zwei miteinander verknüpfte Kategorien unterteilen: kulturelle Normen und physische Hindernisse. Kulturell hat die anhaltende Marginalisierung von Frauen eine geschlechtsspezifische Diskriminierung und die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) ermöglicht – was Mädchen oft dazu zwingt, die Schule zu verlassen. Auf ähnliche Weise wird benachteiligten Kindern das Überleben im Bildungsumfeld erschwert (Street Child, 2018), da es an inklusiven Bildungseinrichtungen mangelt und benachteiligte Kinder oder solche mit Behinderungen diskriminiert und stigmatisiert werden.

Körperliche Misshandlung von Mädchen – durch sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt – in Kombination mit psychischem Missbrauch im Bildungsumfeld, behindert ihre Bildungschancen erheblich. Darüber hinaus bedeuten hohe Raten von frühen Zwangskinderheiraten und Jugendschwangerschaften, zusätzlich zu der mangelnden Priorität, die der Bildung von Mädchen beigemessen wird, oft, dass Mädchen gezwungen sind, eine dauerhafte Ausbildung sehr jung abzubrechen. 

Die Ebola-Krise von 2015 ist eine beispielhafte Fallstudie für die Schwierigkeiten, denen Mädchen beim Zugang zu Bildung in Sierra Leone gegenüberstehen. Während der Pandemie wurde von der sierra-leonischen Regierung ein formelles Verbot erlassen, das jungen, schwangeren Mädchen den Zugang zu Bildung untersagte. Diese Politik wurde als Reaktion auf die steigende Zahl von Schwangerschaften bei Jugendlichen eingeführt, die mit der Pandemie einherging (Amnesty International, 2020).

Die Weigerung der Regierung, schwangeren Mädchen den Schulbesuch zu gestatten, festigte Diskriminierung und geschlechtsspezifische Ungleichheiten weiter (Amnesty International, 2019). Im Dezember 2019 wurde dieses Verbot von der ECOWAS für rechtswidrig erklärt und in der Folge abgeschafft. Seitdem das Verbot aufgehoben wurde, können schwangere Mädchen nun an den Prüfungen der Sekundarschule teilnehmen. 

Trotzdem gibt es immer noch Hürden wie den Mangel an Schulen oder Lehrern, sexuellen Missbrauch durch Lehrer und begrenzten Zugang und Transport zu Schulen im ganzen Land (US Department of Labour, 2019). Zum Thema sexueller Missbrauch durch Lehrer hat die Regierung 2019 den Sexual Offences Amendment Act erlassen, der härtere Strafen für Täter vorsieht (US Department of Labour, 2019).

Abgesehen von der Notlage, in der sich speziell Mädchen befinden (aufgrund kultureller Praktiken), schränken auch andere physische Hindernisse das Recht aller Kinder auf Bildung ein. Die wichtigsten Faktoren dieser Art sind Armut und die Schwierigkeit, Schulen von abgelegenen Orten aus physisch zu erreichen. Als direkte Auswirkung der oben genannten Herausforderungen sind Kinder oft nicht in der Lage, die Grundschule abzuschließen oder in eine weiterführende Schule zu wechseln (UNICEF). Die jüngsten UNESCO-Statistiken aus dem Jahr 2017 zeigen, dass weniger als 50 % der Kinder eine weiterführende Schulbildung abschließen, was zu einer nationalen Alphabetisierungsrate von weniger als 60 % für die Bevölkerung unter 15 Jahren führt (UNESCO, 2017). 

Als Reaktion auf diese Schwierigkeiten startete die sierra-leonische Regierung 2018 die Initiative „Free Quality School Education“ (FQSE), die darauf abzielte, allen Kindern, die eine staatlich anerkannte Schule besuchten, kostenlosen Unterricht zu ermöglichen. Obwohl die Initiative gut angenommen wurde, konnte eine große Mehrheit der Kinder keine Schule besuchen, weil sie in abgelegenen Dörfern lebten, was den Zugang zu Schulen erschwerte (UNICEF). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die FGSE-Initiative in den kommenden Jahren zwar Früchte tragen sollte, Sierra Leone aber gleichzeitig Mechanismen einrichten muss, um Mädchen und Kinder mit Behinderungen besser zu unterstützen, damit sie verlässlichen Zugang zu guter Bildung haben.

Recht auf Gesundheit

Die Säuglingssterblichkeitsrate in Sierra Leone von Kindern unter fünf Jahren liegt bei 96,3 pro 1000 Lebendgeburten. Diese Besorgnis erregende Zahl ist bezeichnend für den weit verbreiteten Mangel an adäquaten Krankenhaus- und Pflegeeinrichtungen sowie für die anhaltend hohe Unterernährung. Verschärft durch die Ebola-Krise im Jahr 2015 – die eine landesweite Inflation auslöste – bleibt chronische Unterernährung eine große Herausforderung für Sierra Leone. So leiden 31,3% der Kinder an Kleinwuchs (Action Against Hunger, 2019). 

Sierra Leone leidet außerdem unter einer der höchsten Malariabelastungen der Welt, wobei Kinder unter fünf Jahren besonders anfällig für Infektionen, Krankheiten und Tod sind (WHO, 2016). Schätzungen zufolge ist Malaria für bis zu 20% der Kindersterblichkeitsrate verantwortlich (WHO, 2016). Darüber hinaus ist im Land der Klimawandel und die Umweltverschmutzung zu spüren, die beide fruchtbares Land vernichten (UNDP) und Möglichkeiten für landwirtschaftliche Beschäftigung stark behindert.

Recht auf sauberes Wasser und sanitäre Versorgung

32,2 % der Bevölkerung von Sierra Leone leidet unter fehlendem Zugang zu Trinkwasser (Action Against Hunger, 2019). Dieses Problem hat seine Wurzeln in der durch den Bürgerkrieg verursachten Instabilität und wurde durch die finanziellen Auswirkungen der Ebola-Krise – während der nur einer von vier Haushalten einen Ort zum Händewaschen und nur einer von 14 Zugang zu Seife hatte – verschlimmert (WaterAid). Insgesamt haben nur 16 % der Bevölkerung Zugang zu einer sanitären Grundversorgung, 28 % müssen sogar im Freien defäkieren (UNICEF, 2018). Diese unzureichenden Lebensstandards machen das Land anfälliger für Krankheiten, Epidemien und Pandemien.

Recht auf Identität

Der Ausschuss für die Rechte des Kindes nannte in seinem fünften periodischen Bericht über die Umsetzung der KRK in Sierra Leone die Geburtenregistrierung als eine große Herausforderung (Ausschuss für die Rechte des Kindes, 2016). Trotz der Umsetzung von Programmen zur Geburtenregistrierung – und der Tatsache, dass die Geburtenregistrierung für jeden im Land kostenlos ist – wurden bei einer Umfrage im Jahr 2010 über 20 % der Geburten nicht registriert (Committee on the Rights of the Child, 2016). Kinder ohne Papiere sind stärker gefährdet, weil das Fehlen eines Ausweises oft den Zugang der Kinder zu Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen Grundbedürfnissen erschwert. Wenn nicht Abhilfe geschaffen wird, kann eine fehlende Geburtenregistrierung negative Auswirkungen haben, die sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen, wie z. B. reduzierte Beschäftigungsmöglichkeiten.

Risikofaktoren → Landesspezifische Schwierigkeiten

Armut

Mehr als 60 % der Bevölkerung des Landes leben von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag und damit unterhalb der nationalen Armutsgrenze (Bigelow, 2018). Obwohl die Landwirtschaft in den kommenden Jahren das BIP-Wachstum katalysieren soll (Weltbank, 2019), bleibt das Land verwundbar. Im Zuge einer weiteren Gesundheitskrise aufgrund von COVID-19 – zusätzlich zu den vergangenen Krisen wie dem Ebola-Ausbruch und dem Bürgerkrieg – ist die ärmste Bevölkerung des Landes besonders anfällig für schwierige Lebensumstände.

Trotz der Existenz seltener natürlicher Ressourcen wie Diamanten und Mineralien herrscht Armut, was das vorhandene Wohlstandsgefälle und das Fehlen eines funktionierenden Wirtschaftsmarktes verdeutlicht. Verstärkt durch die weit verbreitete institutionelle Korruption und die schwache Infrastruktur (Ravichandran, 2011) sind vor allem die Schwächsten des Landes gefährdet – darunter auch Kinder.

Kinderarbeit

Sierra Leone hat alle wichtigen internationalen Konventionen bezüglich Kinderarbeit ratifiziert, wie z.B. die Konvention über das Mindestalter der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), 1973 (Nr. 138); die Konvention über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999 (Nr. 182); die UN-KRK, das Palermo-Protokoll zum Menschenhandel, das UN-KRK-Fakultativprotokoll zum Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie und das UN-KRK-Fakultativprotokoll zu bewaffneten Konflikten. 

Obwohl Gesetze und Vorschriften zur Abschaffung von Kinderarbeit erlassen wurden, gibt es immer noch Lücken im gesetzlichen Rahmen, um Kinder angemessen zu schützen. Zum Beispiel ist die Definition von «leichter Arbeit» im Kinderrechtsgesetz nicht spezifisch genug definiert, um Kinder vor Kinderarbeit zu schützen, da sie keine Begrenzung der Anzahl der Arbeitsstunden von Kindern vorsieht oder generell nicht definiert was «leichte Arbeit» ausmacht (US-Arbeitsministerium, 2019). 

Als Folge von schwacher nationaler Politik und zu weichen sozialen Programmen zeigen Untersuchungen aus dem Jahr 2019, dass 35 % der Kinder in Sierra Leone von Kinderarbeit betroffen sind (US Department of Labour, 2019). Diese Kinder arbeiten in den schlimmsten Formen der Kinderarbeit, insbesondere im Bergbausektor oder in der kommerziellen Prostitution. Kinderarbeit ist auch in der Landwirtschaft beim Anbau von Maniok, Kaffee, Kakao, Palmöl, Reis und Erdnüssen weit verbreitet. Im Industriesektor arbeiten Kinder in Diamanten- und Mineralienminen, Steinbrüchen sowie im Baugewerbe und in der Fertigung (US Department of Labour, 2019).

Sierra Leone ist auch bekannt als Herkunfts-, Transit- und Zielland für den Handel mit Kindern zum Zweck der kommerziellen sexuellen Ausbeutung und Zwangsarbeit. Auf nationaler Ebene ist „men pikin“, was auf Krio „Pflegefamilie“ bedeutet, die interne Form des Kinderhandels, bei der Familienmitglieder ihre Kinder in städtische und besser entwickelte Gebiete schicken, weil sie sich dort bessere Bildungschancen versprechen. Stattdessen werden diese Kinder unterworfen und zur Arbeit gezwungen, sei es Hausarbeit, Bergbau, Landwirtschaft, Straßenhandel oder auch Schrotthandel (US Department of Labour, 2019).

Kindersoldaten

Fast 11 Jahre Bürgerkrieg und bewaffneter Konflikt in Sierra Leone haben das Leben von Tausenden von Kindern zerstört. Während des Konflikts wurden Kinder im Alter von fünf Jahren in die Revolutionäre Vereinigte Front (RUF) zwangsmässig rekrutiert, bevor sie unter militärischem Zwang verschiedene Gräueltaten begehen mussten (Borgen, 2019). Diese Kinder wurden unter anderem als menschliche Schutzschilde und Schwerstarbeiter benutzt und ausgebeutet und verloren oft nicht nur ihre Familie, sondern auch jedes Gefühl von Normalität, da sie in ihrer Entwicklung grob gestört wurden (Borgen, 2019). 20 Jahre nach dem Krieg arbeiten Organisationen in Sierra Leone immer noch daran, traumatisierte Jugendliche wieder in die Gesellschaft zu integrieren, indem sie ihnen Unterstützung zur Rehabilitation und Zugang zu normalen Arbeitsmöglichkeiten bieten.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

Laut einer nationalen Umfrage aus dem Jahr 2019 haben 62 % der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren in Sierra Leone sexuelle oder geschlechtsspezifische Gewalt erlebt, während 61% aller verheirateten Frauen derselben Altersgruppe diesem Missbrauch ebenfalls ausgesetzt waren (UNFPA). Eine hohe Zahl an Vorfällen von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt lösten 2019 einen nationalen Notstand aus, dem eine Reihe von Maßnahmen folgten, um diese Praxis zu beseitigen (Mitchell, 2020). 

Besonders Besorgnis erregend ist die anhaltende Pandemie, die – ähnlich wie der Bürgerkrieg und die Ebola-Krise – mehr Frauen und Mädchen dem Missbrauch auszusetzen droht. Mehr als 200.000 Frauen wurden während des Bürgerkriegs missbraucht, ein Problem, das sich im Anstieg von Teenagerschwangerschaften und sexuellen Übergriffen auf Mädchen während der Ebola-Krise widerspiegelt (Plan International, 2014). Um diesem Problem Herr zu werden, hat die Regierung die Nationale Strategie zur Prävention von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt umgesetzt, eine Hotline für geschlechtsspezifische Gewalt eingerichtet und Zentren zur Unterstützung von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt ausgebaut (UNFPA).

Kinderheirat

In Sierra Leone ist Kinderheirat ein weit verbreitetes Problem. 30 % der Mädchen werden vor dem Alter von 18 Jahren verheiratet, weitere 13 % der Mädchen vor dem Alter von 15 Jahren. Parallel dazu werden 7 % der Jungen vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Sierra Leone hat eine der höchsten Raten (Top 20 der Welt) von Kinderheirat bei Jungen. Die Regionen innerhalb des Landes, in denen am häufigsten Kinderheiraten stattfinden, sind Port Loko, Kambia, Tonkolili und Koinadugu (Girls Not Brides, 2020). Das Problem der Kinderheirat wird weiter verschlimmert durch Faktoren wie weibliche Genitalverstümmelung und Beschneidung (FGM/C), Armut, Bildungsniveau und Schwangerschaft bei Jugendlichen. 

Im Jahr 2018 wurden im Rahmen des UNICEF-UNFPA Global Programme to Accelerate Action to End Child Marriage 225 Aktionspläne in neun Distrikten in Sierra Leone aufgestellt, um Kinderheirat, FGM und Schwangerschaften bei Jugendlichen zu verhindern. Darauf aufbauend hat die nationale Regierung in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen die Nationale Strategie zur Prävention von Teenagerschwangerschaften und zur Beendigung von Kinderheirat in Sierra Leone (Girls Not Brides, 2020) ins Leben gerufen. Bis März 2020 war es schwangeren Mädchen in Sierra Leone verboten, die Schule zu besuchen oder Prüfungen abzulegen. Nach einer Entscheidung der ECOWAS im Dezember 2019 wurde angeordnet, dieses Verbot mit sofortiger Wirkung aufzuheben. 

Um andere Initiativen zu unterstützen, führte Sierra Leone eine Politik ein, die sicherstellen sollte, dass schwangere Mädchen die Schule besuchen. Dies erwies sich als eine wichtige Maßnahme, da sie darauf abzielte, die Bildung von Mädchen zu verbessern, wenn man bedenkt, dass Schwangerschaften im Jugendalter eine der Hauptursachen für frühe Kinderheiraten sind (Girls Not Brides). Das Kinderrechtsgesetz von 2007 legt das Mindestalter für die Heirat auf 18 Jahre fest. Der Customary Marriage and Divorce Act von 2009 erlaubt jedoch die Heirat von Kindern mit elterlicher Zustimmung und legt in diesem Fall kein Mindestalter für die Heirat fest (Girls Not Brides, 2020). Diese Grauzone erfordert weitere Aufmerksamkeit. 

In Übereinstimmung mit dem SDG-Ziel 5.3 hat sich Sierra Leone kürzlich verpflichtet, frühe und erzwungene Kinderheirat bis 2030 zu beseitigen. Außerdem war Sierra Leone 2013 und 2014 Co-Sponsor des Treffens der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) zum Thema Kinder-, Früh- und Zwangsheirat (Girls Not Brides, 2020). Darüber hinaus hat Sierra Leone mit der Ratifizierung der KRK im Jahr 1990 und der CEDAW im Jahr 1998 die Verpflichtung zur freien und vollumfänglichen Zustimmung zur Heirat festgelegt (Girls Not Brides, 2020). 

Über die internationalen Verpflichtungen hinaus hat sich Sierra Leone auch auf afrikanischer Ebene zur Beendigung der Kinderheirat verpflichtet. Im Jahr 2016 startete die Regierung die Kampagne der Afrikanischen Union zur Beendigung der Kinderheirat in Afrika. Gleichzeitig verpflichtete sie sich zur Verabschiedung des Strategic Framework for Strengthening National Child Protection Systems. Unter diesem Rahmenwerk ist eine der Hauptprioritäten der Schutz von Kindern vor frühen und erzwungenen Kinderheiraten (Girls Not Brides, 2020).

Schwangerschaft im Jugendalter

Zusätzlich zu den alarmierend hohen Raten von Kinderheiraten sind auch Teenagerschwangerschaften in Sierra Leone außergewöhnlich häufig. Im Jahr 2018 listete die Weltbank Sierra Leone mit 110 Geburten pro 1000 als eines der Top-20-Länder der Welt für Schwangerschaften im Jugendalter (15-19 Jahre) auf (Weltbank, 2018). Schwangerschaften im Teenageralter schränken die Lebenschancen von Mädchen ein und hindern sie am Zugang zu Bildung und Beschäftigung. Sie erhöht auch das Risiko, dass junge Mädchen Kinderheirat, häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch sowie HIV-Infektionen ausgesetzt sind (Mason, 2017).

Weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung

Weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung FGM/C ist eine weit verbreitete Praxis in Sierra Leone. Die nördliche Region des Landes hat mit 96,3 % und die westliche Region mit 75,6 % die höchste Prävalenzrate. Die Eingriffe werden oft von Personen ohne medizinische Ausbildung, ohne Betäubung und mit unzureichend desinfizierter Ausrüstung durchgeführt (Amnesty International UK, 2020). Dies birgt große Risiken für junge Mädchen, darunter starke Blutungen, Infektionen und langfristige Beschwerden, die zu Unfruchtbarkeit oder Komplikationen bei der Geburt führen können (DW, 2002). 

Obwohl FGM weltweit als extreme Menschenrechtsverletzung anerkannt ist, wird sie in Sierra Leone regelmäßig und mit geringen Einschränkungen praktiziert. Der einzige Fall, in dem die Praxis eingeschränkt wurde, war während der Ebola-Krise 2014-15, in der die Regierung FGM auf unbestimmte Zeit verbot – mit Geldstrafen für diejenigen, die sich nicht an die Regelung hielten – um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern (Equality Now). Als alarmierend anzumerken ist aber, dass FGM nach dem Abklingen der Pandemie wieder erlaubt wurde.

Geschrieben von Vanessa Cezarita Cordeiro

Übersetzt von Helga Burgat 

Korrektur gelesen von Marie Podewski

Letztes Update am 18. März 2021

Referenzen: 

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[1] Dieser Artikel erhebt keineswegs den Anspruch, eine vollständige oder repräsentative Darstellung der Kinderrechte in Sierra Leone zu geben; tatsächlich liegt eine der vielen Herausforderungen darin, dass es nur wenige aktuelle Informationen über sierra-leonische Kinder gibt. Einige dieser Informationen sind unverlässlich, nicht repräsentativ, nicht auf dem neuesten Stand oder es gibt einfach keine.