Soziale Ausgrenzung und Armut in Frankreich: eine erschreckende Realität, die durch das Einwanderungsgesetz noch verschärft wird

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Frankreich gilt in Europa als reiches Land und Garant der Menschenrechte, dennoch gibt es dort eine Vielzahl an Menschen, insbesondere Kinder, die sich in einer besorgniserregenden prekären Lage befinden und täglich von sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Obwohl die europäischen Regelungen und die Bemühungen Frankreichs versuchen, die Rechte von Kindern und deren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu garantieren, wird die Realität diesem Anspruch nicht gerecht. Zudem verschärft ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, das Migrantenkinder diskriminiert, deren Verletzlichkeit, was damit Frankreichs Verpflichtung, das Wohlergehen von Kindern zu gewährleisten, zuwiderläuft.

Porträt der Armutsrate der Kinder in Frankreich

In Frankreich gibt es etwa 14,47 Millionen Kinder, von denen im Jahr 2021 22,8% von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht waren. Dies entspricht   etwa 3,3 Millionen Kindern. (Eurochild, 2022). UNICEF hat zudem festgestellt, dass ein Anstieg der Armutsquote in Frankreich, „als die Kombination aus niedrigem Einkommen und schwerwiegendemmateriellem und sozialem Entzug“, sowie einer zunehmenden Prekarisierung von Familien definiert werden kann. (UNICEF, 2022). 

In Frankreich bezieht sich der Begriff Armut im Allgemeinen auf finanzielle Armut und auf die Lebensbedingungen. (UNICEF, 2022). Kinder, die von Armut betroffen sind, stoßen auf Hindernisse beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, angemessener Ernährung, angemessenem Wohnraum und frühkindlichen Betreuungsangeboten. (UNICEF, 2022). 

Europäische Garantie für Kinder 

In der Europäischen Union sind rund 19 Millionen Kinder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Angesichts dieser alarmierenden Zahlen und der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche besonders stark von den zahlreichen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und humanitären Krisen, sowie von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen sind, hat die Europäische Kommission am 24. März 2021 eine Empfehlung des Rates der Europäischen Union zur Einführung einer Garantie für Kinder angenommen. (UNICEF, 2021).

Diese verfolgt das Ziel einer Förderung „der Chancengleichheit sowie das Ziel, den Teufelskreis von Armut und sozialer Ausgrenzung zu durchbrechen, indem man den Kindern einen wirksamen Zugang zu entsprechenden Grundversorgungsleistungen garantiert“ (UNICEF, 2021). In der Tat besteht das Ziel dieser europäischen Garantie für Kinder darin, „soziale Ausgrenzung zu verhindern und zu bekämpfen, indem bedürftigen Kindern ein effektiver Zugang zu einer Reihe von grundlegenden Dienstleistungen garantiert wird: kostenlose frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung; kostenloser Schulbesuch (einschließlich außerschulischer Aktivitäten und mindestens einer gesunden Mahlzeit an jedem Schultag); kostenlose Gesundheitsversorgung; gesunde Ernährung; und angemessene Wohnverhältnisse“. (Europäische Kommission, n.d.). 

Auf der Grundlage dieser Garantie fordert der Rat der Europäischen Union die Mitgliedstaaten auf, Aktionspläne für die Umsetzung dieser Garantie vorzulegen. Diese Aktionspläne sollen den Zeitraum bis 2030 abdecken und auch „die nationalen, regionalen und lokalen Gegebenheiten, sowie bestehende strategische Maßnahmen und Aktionen zur Unterstützung bedürftiger Kinder berücksichtigen“, um den Zugang zu allen wichtigen Grundleistungen für bedürftige Kinder zu verbessern. (Europäische Kommission, n.d.).

Kinderschutz in Frankreich

Der Kinderschutz zielt darauf ab, „die Berücksichtigung der Grundbedürfnisse des Kindes zu gewährleisten, dessen körperliche, emotionale, geistige und soziale Entwicklung zu unterstützen, sowie dessen Gesundheit, Sicherheit, die moralischen Werte und die Erziehung zu schützen“. (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Solidarität, n.d.). Diese Definition ist in Artikel L. 112-3 des französischen Sozial- und Familiengesetzbuchs (Code de l’action sociale et des familles, CASF) geregelt.

Ferner haben zwei Gesetze den Kinderschutz reformiert und die Grundrechte der Kinder in Frankreich bekräftigt. Es handelt sich um die Gesetze Nr. 2016-297 vom 14. März 2016 zum Schutz des Kindes und Nr. 2022-140 vom 7. Februar 2022 zum Schutz der Kinder (Légifrance, 2016 und 2022). 

Darüber hinaus hat Frankreich , aufgrund der Verabschiedung der  Garantie für Kinder am 14. Juni 2021, begonnen, diese Garantie im Inland durch einen Aktionsplan für den Zeitraum 2022 bis 2030 umzusetzen. Dies ist eine echte Chance für die europäischen Staaten, einschließlich Frankreich, „eine öffentliche Politik zur Prävention und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ zu strukturieren und einen bedeutenden Beitrag „zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Kindern“ zu leisten. (UNICEF, 2021). 

Mit der Ausarbeitung dieses Aktionsplans hat sich Frankreich konkret dazu verpflichtet, „die bereits vorhandenen Indikatoren für die Bekämpfung von Kinderarmut und sozialer Ausgrenzung weiterzuentwickeln und neue Indikatoren zu erarbeiten“ sowie die territoriale Umsetzung dieses Plans im Konsortium mit „den Kommissaren für Armutsbekämpfung und den lokalen Partnern“ zu erarbeiten (Generalsekretariat für europäische Angelegenheiten, 2022).

Die Auswirkungen des Einwanderungsgesetzes von 2024 auf Migrantenkinder 

Armut kann viele Formen annehmen und betrifft besonders die schwächsten Gruppen, zu denen auch die Kinder gehören. Weltweit sind Flüchtlings- und Migrantenkinder die ersten Opfer. Denn, egal ob „als Familie oder allein, sie sind auf der Flucht vor Gewalt, Elend und Armut und hoffen, in einem Land aufgenommen zu werden, das sie zu schützen weiß“, doch wenn sie in Europa ankommen, sind sie damit noch lange nicht der extremen Armut entkommen. (UNICEF, n.d.). 

Gemäß dem Völkerrecht und den grundlegenden Kinderrechten „haben alle Migrantenkinder, ob Flüchtlinge oder nicht, das Recht, geschützt zu werden, in einer gesunden Umgebung zu leben, eine Ausbildung zu erhalten und nicht diskriminiert zu werden“. In Frankreich ist dies, wie festgestellt wurde, bei weitem nicht der Fall. Diese Kinder finden sich manchmal sogar „ohne Unterkunft wieder oder haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Bildung“. (UNICEF, n.d.). 

Vor diesem Hintergrund, der für Migranten kinder bereits mit dem Siegel der Unsicherheit behaftet ist, verabschiedete Frankreich das Gesetz Nr. 2024-42 vom 26. Januar 2024 zur Steuerung der Einwanderung und Verbesserung der Integration (Légifrance, 2024). Unter den beunruhigenden Bestimmungen dieses Gesetzes sticht eine Bestimmung besonders heraus, da sie fast alle Familienleistungen für ausländische Personen  „von einer Aufenthaltsdauer von mindestens fünf Jahren oder einer Mindestdauer der Erwerbstätigkeit“ abhängig macht, was zu einer Einschränkung der Leistungen für Kindererziehung und Wohnraum sowie zu einer Verschlechterung der ohnehin schon prekären Lebensbedingungen dieser Kinder führt. (Reporterre, 2024).

Obwohl dieses Gesetz gerade erst Anfang 2024 von der französischen Regierung verabschiedet und gemäß der jüngsten Entscheidung des Verfassungsrats in Frankreich erneut geprüft wurde, weisen eine Reihe von Organisationen und Studien bereits jetzt darauf hin, dass die „Zahl der Personen, denen bei gleichen Beitragszahlungen allein aufgrund ihres Geburtsorts oder der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern ihre sozialen Rechte vorenthalten werden, auf mindestens 110.000 geschätzt wird, darunter 30.000 Kinder“ (Le Monde, 2024; Reporterre, 2024). 

Viele dieser Migrantenfamilien und -kinder, die sich bereits in unsicheren Situationen befinden, werden in extreme Armut abrutschen, und diese alarmierende Bedrohung wird zu mehr als der Hälfte  Kinder  tangieren, die von der durch dieses Gesetz geförderten nationalen Bevorzugung betroffen sind. (Reporterre, 2024).

Noch ein langer Weg 

Die Verankerung der Kinderrechte in den französischen Gesetzen und Richtlinien ist zwar von entscheidender Bedeutung, doch Frankreich ist auch verpflichtet, die Umsetzung der Kinderrechte sowie eine strenge Überwachung der entsprechenden Indikatoren zu gewährleisten, um so die Armut und soziale Ausgrenzung, von der die Kinder bedroht sind, zu bekämpfen. 

Frankreich muss folgende Punkte ohne irgendeinen Unterschied zu machen sicherstellen:

  • Einrichtung eines öffentlichen Dienstes zum Schutz von Kleinkindern ; 
  • Begleitung jedes Kindes, das aufgrund prekärer Lebensumstände von der Schule ferngehalten wird, und Beseitigung der administrativen Hürden für den Schulbesuch
  • Jedem Kind an jedem Schultag den Zugang zu einer gesunden und erschwinglichen Mahlzeit garantieren ;
  • Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zu Gesundheitsdiensten
  • Gewährleistung einer bedingungslosen und respektvollen Aufnahme von obdachlosen Familien und Kindern  (UNICEF, 2022);
  • Gewährleistung des psychosozialen Wohlergehens der Kinder in der Schule, aber auch außerhalb der Schule, durch geeignete Einheiten der sozialen Dienste ;
  • Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu sozialen Diensten und Leistungen für Kinder und Durchsetzung der Gleichbehandlung beim Zugang für Kinder zu diesen Diensten;
  •   Eine generelle gesetzliche oder praktische Gleichbehandlung aller Kinder auf französischem Staatsgebiet 

Humanium verurteilt die erwähnte gesetzliche Regelung, die eine unterschiedliche Behandlung von Kindern beim Zugang zu wesentlichen und sozialen Dienstleistungen ermöglicht. Durch seine eigenen Projekte bemüht sich Humanium, eine Welt zu schaffen, in der die Rechte der Kinder auf Bildung und Gesundheit immer respektiert werden. Wenn Sie    das Anliegen von Humanium unterstützen möchten, so  können Sie  dies durch  eine Spende, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft

Verfasst von Moïra Phuöng Van de Poël

Übersetzt von Margit Bertling

Lektorat von Susanne Schröder

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