Ungarns neues Anti-LGBTQI+-Gesetz: Verschlechterung des Geistes der Verständigung, des Friedens und der Toleranz

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Am 15. Juni 2021 verabschiedete die ungarische Regierung ein neues Gesetz, dem schnell internationale Empörung folgte. Das Gesetz, das ursprünglich entworfen wurde, um Pädophilie weiter zu kriminalisieren, könnte schwerwiegende Folgen für die Rechte von LGBTQI+-Kindern haben. Die ungarische Regierung besteht jedoch darauf, dass das Gesetz zum Schutz der Kinder und ihrer Rechte verabschiedet wurde. Was ändert dieses neu erlassene Gesetz und schützt es Kinder wirklich?

Abänderung eines antipädophilen Gesetzes

Im Frühjahr 2019 wurde der ehemalige ungarische Botschafter in Peru, Gabór Kaleta, im Zusammenhang mit fast 20.000 pornografischen Bildern von Minderjährigen, die auf seinem Computer gefunden wurden, festgenommen (András & Zoltán, 2020). Kaleta wurde eine Geldstrafe von 1500 € und eine Freiheitsstrafe auf Bewährung auferlegt, was von vielen als Ohrfeige und Beleidigung der Betroffenen empfunden wurde (Zoltán, 2021). Im Zuge dieses Skandals hat der ungarische Gesetzgeber Maßnahmen ergriffen, um überführte Pädophile härter zu bestrafen. 

Vor der Schlussabstimmung über den Gesetzesentwurf wurden jedoch wichtige Gesetzesänderungen hinzugefügt. Was als Gesetz zur Verurteilung und Bestrafung pädophiler Verbrechen begann, wurde verdreht und verbogen, um Pädophilie und LGBTQI+-Minderheiten zusammenzufassen (Zoltán, 2021). Leider ist dies nicht das erste Mal, dass Ungarn gesetzgeberische Schritte unternimmt, um die Position der LGBTQI+-Gemeinschaft in der ungarischen Gesellschaft zu untergraben (Attila & Kovács, 2020).

Erläuterung des ungarischen Gesetzes

Die erste Rechtsfrage, die intensiv geprüft wird, ist, dass „Minderjährigen keine Inhalte mit Darstellungen von Homosexualität oder Geschlechtsumwandlung zugänglich gemacht werden dürfen“ (Zoltán, 2021). Dies könnte im Endeffekt dazu führen, dass es allen Medien, wie z. B. Fernsehsendungen, Filmen und Musik, die LGBTQI+-bezogene Inhalte enthalten, verboten wird, diese Minderjährigen zu zeigen. Dies könnte bedeuten, dass Sendungen wie Modern Family und Teile der Harry-Potter-Lizenz der Öffentlichkeit erst nach 23 Uhr zugänglich gemacht und in die gleiche Kategorie wie die blutigsten Horrorfilme eingeordnet werden (Zoltán, 2021). 

Ein (weiteres) Problem ist, dass dieses Gesetz nicht richtig definiert wurde. Nirgendwo regelt das Gesetz, was als „Darstellung“ von Homosexualität oder Geschlechtsumwandlung angesehen werden kann. Es bleibt daher unklar, welche Medien unter dieses neu erlassene Verbot fallen. Darüber hinaus verbietet das Gesetz Werbung mit LGBTQI+-bezogenen Inhalten. Dies könnte bedeuten, dass Unternehmen mit Werbekampagnen, die LGBTQI+-Menschen feiern und den gegenseitigen Respekt unter allen fördern, von der breiten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Der zweite gesetzliche Aspekt sieht vor, dass schulische Sexualpädagogen Homosexualität oder Geschlechtsumwandlung nicht mehr fördern dürfen. Ähnlich wie im vorherigen Punkt enthält das Gesetz keine Definition dessen, was als „Förderung“ von LGBTQI+-Themen angesehen wird. Es könnte jedoch durchaus bedeuten, dass Kinder keine unterschiedlichen Informationen mehr über Geschlecht, sexuelle Beziehungen und sexuelle Orientierungen erhalten.

Darüber hinaus können Sexualerziehungskurse nur von registrierten Organisationen abgehalten werden, was die Sexualerziehung weiter auf eine durch staatliche Zulassung vereinbarte Wahrnehmung reduziert (Zoltán, 2021). Eine Art der Wahrnehmung, die nachweislich alles andere als inklusiv ist (Gyollai & Korkut, 2020). 

Diese Wahrnehmung löst eine weitere Sorge aus. Im Gesetz nicht definierte Begriffe wie „Darstellung“ und „Förderung“ müssen entweder durch staatliche Leitlinien oder durch Gerichtsverfahren ausgelegt werden. In jedem Fall ist es angesichts der aktuellen Rechtsentwicklung in Ungarn wahrscheinlich, dass solche Begriffe weit und zugunsten der aktuellen Wahrnehmung ausgelegt werden.

Verständlicherweise haben viele Menschenrechtsgruppen und Regierungen ihre Bedenken geäußert (Siebold & Baczynska, 2021). Inmitten der hitzigen Debatte um den jüngsten ungarischen Gesetzesentwurf, ist der Fokus auf den wahren Zweck des Gesetzes jedoch verloren gegangen. Was als bewundernswerte Sache begonnen haben mag, nämlich den Schutz von Kindern und deren Rechte zu gewährleisten, wirft nun die Frage auf: Schützt dieses neue Gesetz Kinder wirklich?

Die Gesetze zum Schutz von Kindern

Die Konvention über die Rechte des Kindes (CRC) gilt als die am weitesten verbreitete und maßgeblichste Rechtsquelle für den Schutz von Kindern (Tobin, 2019). Derzeit haben 196 Staaten das Kinderrechtsinstrument übernommen, darunter auch Ungarn. Die Staaten, die die CRC übernommen haben, sind verpflichtet, ihre Gesetze und Politik von den darin verankerten Rechten leiten zu lassen (UNICEF, 2007). Daher ist es wichtig, die ungarischen Bestimmungen mit den in der CRC enthaltenen Rechten zu vergleichen und zu schauen, wo diese abweichen.

Artikel 13 der CRC besagt, dass Kinder das Recht auf freie Meinungsäußerung haben. Es ist wichtig anzumerken, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht spezifisch für Kinderrechte ist, sondern in fast allen wichtigen Menschenrechtsinstrumenten berücksichtigt wird (Tobin & Parkes, 2019). In der CRC wurde berücksichtigt, dieses Recht für Kinder zu verankern, da es ein Recht ist, das oft übersehen oder vernachlässigt wird (Tobin & Parkes, 2019). Das Recht auf freie Meinungsäußerung musste verankert werden, da es als wesentlicher Bestandteil der Menschenwürde und der Entwicklung des Kindes sowie als Eckpfeiler einer demokratischen Gesellschaft gilt (Tobin & Parkes, 2019).

Starke Beeinträchtigung der Freiheitsrechte von Kindern

Um es einfach auszudrücken: Es ist für Erwachsene und Kinder wesentlich, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht eng ausgelegt wird. Dieses Recht beinhaltet das Recht auf Informationssuche, Informationserhalt und Informationsweitergabe. Der Anwendungsbereich dieses Rechts ist weit gefasst, aber für den Zweck des ungarischen Gesetzes ist das Recht auf Informationssuche und Informationserhalt von besonderer Bedeutung. Dieses Recht, das oft als Recht auf Zugang zu Informationen bezeichnet wird, stellt zunächst sicher, dass Kinder Zugang zu Informationen und Ideen aller Art haben.

Dies umfasst unter anderem Informationen und Ideen in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität (Thoreson, 2015; Tobin & Parkes, 2019). Besser noch werden solche Informationen als wesentlicher Bestandteil des Rechts von Kindern auf Zugang zu Informationen angesehen (Thoreson, 2015). Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die sexuelle Entwicklung, wie die sexuelle Orientierung, in einem sehr frühen Alter beginnt (Cacciatore et al., 2019).

Zweitens sieht das Recht auf Zugang zu Informationen vor, dass das Kind frei wählen kann, welche Medien es nutzt, um Informationen zu suchen und zu erhalten. Dazu gehören Zugänge wie das Bildungssystem und die Massenmedien. Daher verpflichtet Artikel 29 der CRC den Staat, Bildungssysteme sicherzustellen, die die notwendigen Informationen über die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität zum Zwecke der persönlichen Entwicklung von Kindern bereitstellen (Tobin & Parkes, 2019).

Darüber hinaus betont Artikel 17 der CRC die entscheidende Rolle der Massenmedien bei der Bereitstellung und Verbreitung dieser Inhalte für Kinder (Tobin & Handsley, 2019; Tobin & Parkes, 2019; UNICEF, 2007).  Zusammenfassend bedeutet das Recht auf freie Meinungsäußerung, dass Kinder über eine Vielzahl von Quellen, darunter das Bildungssystem und die Massenmedien, Zugang zu Informationen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität haben sollten.

Im Geiste der Verständigung

Das ungarische Gesetz verbietet Massenmedien, Kindern LGBTQI+-bezogene Informationen zur Verfügung zu stellen, und verbietet Sexualpädagogen, Kinder über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität aufzuklären. Angesichts dessen ist es untertrieben zu sagen, dass dies die wirksame Ausübung des Rechts auf Zugang zu Informationen ernsthaft behindert. Die Verordnung wird nicht nur den Fluss von LGBTQI+-bezogenen Informationen an Kinder stark einschränken, sondern wird dies auch noch durch Einschränkung einer der beliebtesten und wichtigsten Informationsquellen für Kinder tun – der Massenmedien. 

Verbote wie diese fördern die Stigmatisierung und Diskriminierung von LGBTQI+ -Kindern (Sandberg, 2015). Schlimmer noch, Stigmatisierung und Diskriminierung von LGBTQI+-Kindern gehen Hand in Hand mit Gewalt, die entweder von anderen begangen wird oder selbstverletzend ist (Gerber & Timoshanko, 2021). Mit anderen Worten schützt dieses ungarische Gesetz keine Kinder, sondern eine Anti-LGBTQI+-Ideologie. 

Wir müssen Kinder, alle Kinder, in allen wichtigen Lebensfragen aufklären, einschließlich Sexualerziehung und Geschlechtsidentität. Nur durch Bildung können wir sie auf ein verantwortungsvolles Leben in einer freien Gesellschaft im Geiste der Verständigung, des Friedens und der Toleranz vorbereiten.

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Geschrieben von Yunus Oppier

Übersetzt von Carolyn Deloffre

Korrektur gelesen von Rebecca Richter

Bibliographie:

András, D., & Zoltán, K. (2020, February 10). Hungarian ambassador to Peru fired over child pornography charges. Index.

Attila, R., & Kovács, Z. (2020, November 10). Hungarian constitutional amendment to crack down on gender issues, narrow definition of public funds. Telex.

Cacciatore, R., Korteniemi-Poikela, E., & Kaltiala, & R. (2019). The Steps of Sexuality-A Developmental, Emotion-Focused, Child-Centered Model of Sexual Development and Sexuality Education from Birth to Adulthood. International Journal of Sexual Health, 31(3), 319–338.

Gerber, P., & Timoshanko, A. (2021). Is the UN Committee on the Rights of the Child Doing Enough to Protect the Rights of LGBT Children and Children with Same-Sex Parents? Human Rights Law Review, March, 1–51.

Gyollai, D., & Korkut, U. (2020, March 4). LGBTQI intolerance: the curtailment of academic freedom in Hungary | Discover Society. Discover Society.

Sandberg, K. (2015). The Rights of LGBTI Children under the Convention on the Rights of the Child. Nordic Journal of Human Rights, 33(4), 337–352.

Siebold, S., & Baczynska, G. (2021, June 22). ‘Grotesque’: EU countries condemn Hungary over anti-LGBTQ law | Reuters. Reuters.

Thoreson, R. (2015). From child protection to children’s rights: Rethinking homosexual propaganda bans in human rights law. Yale Law Journal, 124(4), 1327–1344.

Tobin, J. (2019). The UN Convention on the Rights of the Child: A Commentary. Oxford University Press.

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Zoltán, K. (2021). Portrayal and promotion – Hungary’s latest anti-LGBT law, explained. Telex.