Durch das aktuelle Regierungssystem im Iran kann ein Staatsoberhaupt die absolute Macht in der Judikative, Exekutive und Legislative innehaben. Aus diesem Grund und trotz der zahlreichen Verpflichtungen, die der Iran sowohl nach dem Völkerrecht als auch als Mitglied der Vereinten Nationen hat, wurden und werden Proteste gewaltsam unterdrückt. Das hat zu verschiedenen Gräueltaten und Morden geführt. Insbesondere die Vereinten Nationen und viele Nichtregierungsorganisationen weisen immer wieder auf diese Misshandlungen hin. Eine Gruppe, die von diesem repressiven politischen Klima im Iran besonders betroffen ist, sind Kinder.
Das gegenwärtige Regime im Iran
Die Regierung im Iran vereinigt die „Exekutive, Legislative und die richterliche Gewalt in der Figur des obersten Führers“ (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022). Da es keine Trennung zwischen Exekutive, Legislative und den Justizbehörden gibt, hat Ali Chamenei, der aktuelle oberste Führer des Irans, die uneingeschränkte Macht inne.
Infolgedessen sind die Justizbehörden im Iran nicht unabhängig. Außerdem „trägt deren Politisierung wesentlich dazu bei, dass sie ihren Verantwortlichkeiten nicht nachkommen“ (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022). Ein Beispiel dafür, dass sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, steht in Zusammenhang mit dem „großflächigen Einsatz von tödlicher Gewalt durch Sicherheitskräfte, Strafverfolgungsbehörden und andere Staatsbeamte gegen friedliche Demonstranten bei landesweiten Protesten“, was zu einer „erschreckend hohen Zahl an Verletzten und Toten sowie Verhaftungen, Verschwindenlassen, Festnahmen, Anklagen und Hinrichtungen“ geführt hat (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022).
Irans völkerrechtliche Verpflichtungen
1945 trat der Iran den Vereinten Nationen bei und seitdem ist das Land aktives Mitglied bei den Vereinten Nationen (United Nations, n.d). Der Iran ist mehreren Abkommen der Vereinten Nationen beigetreten, zum Beispiel dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) (United Nations, n.d).
Deswegen hat der Iran laut internationalem Völkerrecht und als Mitglied der Vereinten Nationen die Pflicht, die Menschenrechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu wahren. Entsprechend ist der Iran „verpflichtet, das Recht auf Leben der Kinder unter allen Umständen zu schützen und ihr Recht auf Meinungsfreiheit und friedlichen Protest zu respektieren und zu schützen“ (Spokesperson for the UN High Commissioner for Human Rights, 2022).
Die aktuelle Menschenrechtslage im Iran
Javaid Rehmann wurde zum Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in der Islamischen Republik Iran ernannt und soll in seiner Funktion „Menschenrechtsverletzungen im Iran beobachten und untersuchen“ sowie Berichte zur Lage in der Islamischen Republik Iran vorlegen (United Nations – Office of the High Commissioner, n.d.).
Dadurch sind aktuelle themenspezifische Berichte (A/HRC/49/75) und Länderberichte (A/77/181) entstanden. Obwohl beide sich auf die Proteste vor denen im Jahr 2022 konzentrieren, beschäftigt sich der Sonderberichterstatter als Teil seines Mandats mit besorgniserregenden Themen wie zum Beispiel den aktuellen Menschenrechtsverletzungen vor und seit dem Tod von Jina Mahsa Amini (United Nations – Office of the High Commissioner, 2022).
Vergangene Proteste, um Kindesmisshandlungen zu stoppen
Der oben genannte themenspezifische Bericht legt dar, dass die Proteste in den Jahren 2009, 2019, 2020 und 2021 im Iran zu einer „erschreckend hohen Zahl an Verletzten und Toten sowie zu Verhaftungen, Verschwindenlassen, Festnahmen, Anklagen und Hinrichtungen“ geführt haben (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022).
Insbesondere stellte der Sonderberichterstatter fest, dass während der Proteste im Jahr 2019 22 Kinder getötet wurden. Im Zuge der Proteste 2021 wurden außerdem mindestens 9 Kinder zwischen 12 und 18 Jahren verhaftet (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022).
Aktuelle Proteste und anschließende Kinderrechtsverletzungen
Der Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini hat große Empörung im Iran und weltweit ausgelöst. Jina Mahsa Amini wurde ursprünglich verhaftet, weil sie sich nicht an die Kleiderordnung im Iran hielt (Aljazeera – Maziar Motamedi, 2022). Am 16.09.2022 starb sie an ihren Verletzungen, die sie nach der Verhaftung durch die Sittenpolizei erlitt. Deren Aufgabe ist es, den Hijab-Zwang im Iran durchzusetzen (Aljazeera, 2022). Seitdem „haben Tausende Menschen an Demonstrationen im ganzen Land teilgenommen, bei denen Dutzende Kinder Berichten zufolge getötet, verletzt und festgenommen wurden.“ (Save the Children, 2022). Die iranische Regierung reagierte gewaltsam auf die Proteste und machte so die jahrzehntelange Unterdrückung im Land sichtbar.
Der UN-Sonderberichterstatter prangerte die Unterdrückung der aktuellen Proteste durch die iranischen Sicherheitskräfte an. Er zeigte sich „alarmiert wegen der Situation der Kinder, die von den neuesten Protesten überproportional betroffen sind“. Er drückte außerdem seine Besorgnis aus über „Berichte, laut denen Schulen geplündert und Kinder wegen ihrer mutmaßlichen Teilnahme an den Protesten festgenommen wurden“ (United Nations – Office of the High Commissioner, 2022).
„Auch einige Schulleiter wurden Berichten zufolge festgenommen, weil sie nicht mit den Sicherheitskräften kooperiert hätten. Dadurch breitet sich eine Atmosphäre der Angst in diesen Schulen aus, was schwerwiegende Konsequenzen für das Wohlbefinden und die Bildung dieser Kinder hat.“
– Javaid Rehman, Sonderberichterstatter im Iran (United Nations – Office of the High Commissioner, 2022)
Angesichts der sich überschlagenden Ereignisse im Iran beschloss der UN-Menschenrechtsrat, eine internationale unabhängige Untersuchungsmission ins Leben zu rufen, um „mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen im Iran, die im Zusammenhang mit den Protesten ab dem 16.09.2022 stehen und die vor allem Frauen und Kinder betreffen, gründlich und unabhängig zu untersuchen“ und „die Fakten und Umstände dieser mutmaßlichen Verletzungen festzustellen“ (United Nations – Office of the High Commissioner, 2022).
Kindesmisshandlungen und Mord an Kindern im Iran – eine erschreckende, aber noch unsichere Einschätzung
Während der Proteste wurden Kinder schnell zum Ziel von Gewalt durch die iranischen Sicherheitskräfte. Verschiedenen Berichten zufolge werden Kinder von Sicherheitskräften getötet, erleiden Verletzungen durch scharfe Munition oder Metallkugeln oder werden zu Tode geprügelt. Schulen werden geplündert, Kinder werden von Sicherheitskräften festgenommen und eingesperrt und einige Kinder werden nach ihrer Festnahme in „psychologische Zentren“ geschickt (Spokesperson for the UN High Commissioner for Human Rights, 2022).
„Die Regierung lässt Kinder umbringen, um den Widerstand der jungen Menschen im Land zu brechen und um wieder die absolute Kontrolle über das Land zu gewinnen, und das zu jedem Preis. Trotz dieser Umstände gehen viele Kinder weiterhin mutig auf die Straße für eine Zukunft ohne politische Unterdrückung und ohne Ungleichheit.“
– Heba Morayef, Leiter der MENA-Region bei Amnesty International (Amnesty International, 2022).
Wie viele Kinder bei den Protesten im Iran umgekommen sind, bleibt weiterhin unklar. Dennoch haben die Vereinten Nationen und verschiedene Nichtregierungsorganisationen bereits eine Schätzung abgegeben, wie viele Kinder mindestens betroffen sind. Die Zahlen lauten wie folgt:
- Im Oktober 2022 gab es laut Berichten 22 Tote. (Spokesperson for the UN High Commissioner for Human Rights, 2022);
- Im November 2022 gab es laut Berichten 58 Tote. (The Guardian, 2022);
- Im Dezember 2022 gab es laut Berichten 63 Tote. (Iran Human Rights, 2022)
Um diese Verbrechen zu vertuschen, wurden die folgenden Methoden gegen die Familien der minderjährigen Opfer angewandt: psychische Gewalt, Beschränkungen bei Begräbnissen und Trauerfeiern in Übereinstimmung mit religiösen oder kulturellen Traditionen (einschließlich Drohungen, „dass die Leichen der minderjährigen Opfer für das Begräbnis nicht an die Familie zurückgeführt würden, außer die Familien verpflichten sich schriftlich, über den Vorfall zu schweigen“), Einschüchterung, Nötigung (von „willkürlicher Festnahme und Verhaftung“ bis hin zu „Drohungen, dass die Leichen ihrer Geliebten an einem unbekannten Ort begraben werden, und Drohungen, dass trauernde Eltern und ihre überlebenden Kinder getötet, vergewaltigt, festgenommen oder auf andere Weise geschädigt würden“), Schikane und erzwungene Erzählungen, die die Behörden im Land von jeder Verantwortung lossprechen (Amnesty International, 2022).
Zusätzlich gehören die Kinder, die am meisten von der Gewalt der iranischen Sicherheitskräfte betroffen sind, zu den verfolgten Minderheiten im Iran. Tatsächlich gehörten „über 60 % der getöteten Kinder der unterdrückten Minderheit der Baluchi und Kurden an“ (Amnesty International, 2022). Dadurch wird die lange bestehende systematische Diskriminierung und Verfolgung der Baluchi und Kurden im Iran fortgeführt. Kinder sind in diesem Zusammenhang am meisten gefährdet und betroffen.
Wie soll es weitergehen? – Sofortmaßnahmen des Irans und der internationalen Gemeinschaft
Seit September 2022 finden im Iran Proteste statt, die gewaltsam unterdrückt werden. Humanium begrüßt die Abschaffung der Sittenpolizei im Iran und die Untersuchungsmission der Vereinten Nationen, die die derzeitige humanitäre Krise im Iran untersuchen soll. Leider beobachtet Humanium jedoch, dass die erschreckende Menschenrechtslage weiterhin besteht und dass Kinder ebenfalls stark davon betroffen sind, aber nicht geschützt werden. Aus diesem Grund möchte Humanium die wichtigsten Empfehlungen des Sonderberichterstatters im Iran hervorheben und wendet sich an:
Die Islamische Republik Iran:
- Nehmen Sie Reformen vor und führen Sie ein System der Rechenschaftspflicht ein, das dem internationalen Recht entspricht und die Unabhängigkeit der Judikative sicherstellt (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022);
- Lassen Sie alle verhafteten Personen frei und garantieren Sie deren Recht auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und auf friedliche Zusammenkünfte. Stellen Sie sicher, dass diese Rechte Eingang in Gesetze finden (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022).
Die internationale Gemeinschaft:
- Priorisieren Sie Menschenrechtsfragen und die Umsetzung des internationalen Völkerrechts in allen Verhandlungen und Abkommen mit der Islamischen Republik Iran (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022);
- Fordern Sie Rechenschaftspflicht in Bezug auf die oben genannten Ereignisse (Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran, 2022).
Als internationaler Akteur verurteilt Humanium die derzeitige Unterdrückung der Proteste im Iran aufs Schärfste, vor allem, weil die Folgen dieser Unterdrückung durch die Regierung überproportional Kinder und Familien von minderjährigen Opfern zu spüren bekommen. Das Ziel von Humanium ist es weiterhin, die Kinderrechte zu wahren, einschließlich des Rechts auf Leben, auf menschenwürdige Behandlung und auf ein faires Gerichtsverfahren. Wenn Sie sich für Kinderschutz stark machen wollen, können Sie dies gerne durch eine Spende, ehrenamtlich oder als Mitglied tun.
Geschrieben von Moïra Phuöng Van de Poël
Übersetzt von Katharina Haas
Lektoriert von Sidonie Rüschkamp
Bibliografie:
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