Seit der Verabschiedung der Agenda 2030 im Jahr 2015 werden die Kinderrechte immer als separate Instrumente betrachtet, die in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) nicht ausdrücklich erwähnt werden. Aber ist das wirklich so?
Am Beispiel des Rechts der Kinder auf Bildung und des SDG4 bietet sich die Möglichkeit, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Instrumente zu untersuchen und sich auf die Möglichkeiten zu konzentrieren, wie sie kombiniert werden können, um die Rechte und das Wohlergehen der Kinder zu fördern.
Kinderrechte und die SDGs
Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde nach jahrelangen Diskussionen, globalen Beratungen und schwierigen Verhandlungen im September 2015 von der UNO verabschiedet (CRINs Webseite). Im Gegensatz zu den im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniums-Entwicklungszielen sind die SDGs Ziele, die für die gesamte Weltgemeinschaft gelten und nicht nur für Entwicklungsländer.
Darüber hinaus spiegeln sie den derzeitigen Ansatz im Entwicklungsbereich wider: Sie legen Ziele fest, die es zu erreichen gilt, und liefern Indikatoren zur Messung und Nachverfolgung von Veränderungen, aber sie bieten keine Mittel, um sie zu erreichen. Das liegt daran, dass jeder einzelne Kontext anders ist und ein für alle passendes Modell, nicht effektiv wäre.
Die Ziele konzentrieren sich auf die nachhaltige Entwicklung und sind untrennbar mit den Menschenrechten im Allgemeinen und den Rechten der Kinder im Besonderen verbunden. Kinder sind von allen SDGs betroffen, ob Armut (Ziel 1), Hunger (Ziel 2), Gesundheit (Ziel 3), Bildung (Ziel 4), die Gleichstellung der Geschlechter (Ziel 5), derKlimawandel (Ziel 13), Gewalt gegen Kinder (Ziel 16.2) (CRINs Webseite) odereine Reihe anderer Bereiche, die das Leben von Kindern beeinflussen.
Trotz dieser scheinbaren Fokussierung auf die Interessen von Kindern wurden bei den Diskussionen um die SDGs leider Ziele und Vorgaben ausgelassen, die sich ausdrücklich mit den Rechten von Kindern befassen, und die angenommene Agenda vernachlässigt einen Rechtsrahmen, indem sie Kinder und Einzelpersonen nicht angemessen als Träger von Rechten berücksichtigt.
Wo Menschenrechte erwähnt werden, scheinen sie eher als rhetorische Ausschmückung eingesetzt zu werden, als dass sie als rechtsverbindliche Verpflichtungen und Maßstäbe dargestellt werden, die der Umsetzung der Agenda als Richtschnur dienen würden. Durch die Vernachlässigung eines auf Rechten basierenden Rahmens ist die Gesamtdarstellung der SDG seine, in der Kinder auch weiterhin eher als Objekte der Wohltätigkeit denn als Träger von Menschenrechten gesehen werden (CRIN, 2015).
Das Recht auf Bildung –Herausforderungen und Chancen
Das Recht der Kinder auf Bildung ist in den Artikeln 28 und 29 der Kinderrechtskonvention (KRK) verankert. Darüber hinaus widmet sich die Allgemeine Bemerkung Nr. 13, die 1999 durch denAusschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte angenommen wurde, dem Recht auf Bildung (Artikel 13) und zielt darauf ab, Artikel 13 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) auszulegen und zu erläutern.
Der KRK zufolge hat „das Kind ein Recht auf Bildung, und der Staat hat die Pflicht, für eine unentgeltliche und obligatorische Primarschulbildung zu sorgen, verschiedene Formen der Sekundarschulbildung zu fördern, die jedem Kind zugänglich sind, und die Hochschulbildung allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten zugänglich zu machen“ (Artikel 28). Darüber hinaus soll „die Bildung darauf abzielen, die Persönlichkeit, die Begabungen sowie die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes in vollem Umfang zu entwickeln“ (Artikel 29) (KRK, 1989).
In der Praxis ist die Situation im Bildungsbereich weltweit alarmierend. So verfügten im Jahr 2015 weltweit mehr als 600 Millionen Kinder und Jugendliche im Grundschul- und unteren Sekundarschulalter (55 Prozent) nicht über Mindestkenntnisse in Lesen und Mathematik. Fast ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen (6 bis 17 Jahre) auf der Welt ging nicht zur Schule, und die Fortschritte beim Erreichen von Kindern, die nicht zur Schule gehen, sind ins Stocken geraten (Zamfir, 2019).
Überall auf der Welt werdenKindern aus verschiedenen Gründen die Bildung und das Lernen vorenthalten. Armut ist nach wie vor eines der hartnäckigsten Hindernisse. Kinder, die von wirtschaftlicher Unsicherheit, politischer Instabilität, Konflikten oder Naturkatastrophen betroffen sind, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit von der Schulbildung ausgeschlossen, ebenso wie Kinder mit Behinderungen oder Angehörige ethnischer Minderheiten. In einigen Ländern sind die Bildungschancen für Mädchen nach wie vor stark eingeschränkt, vor allem durch den Mangel an ausgebildeten Lehrkräften, unzureichende Unterrichtsmaterialien und eine schlechte Infrastruktur, die das Lernen für viele Schüler erschwert (Unicef, 2021).
Diese Herausforderungen haben sich durch die Covid-19-Pandemie noch verschlimmert, und die digitale Kluft gibt zusätzlichen Anlass zur Sorge: Etwa zwei Drittel der Kinder im schulpflichtigen Alter haben zu Hause keinen Internetzugang, was ihre Möglichkeiten, Lernfortschritte zu erzielen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln, einschränkt (Unicef, 2021).
Bewältigung der Bildungsherausforderungen mit SDG4
In diesem Zusammenhang stellt die Agenda 2030 dank ihrer Indikatoren und Ziele eine große Chance dar, einige dieser Herausforderungen zu bewältigen. So enthält die Agenda 2030 unter Ziel 4 Verpflichtungen für Kinder in Bezug auf eine inklusive und gerechte, hochwertige Bildung und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle. Eine qualitativ hochwertige Bildung ist die Grundlage für die Entwicklung und Ermächtigung der Kinder und für die Erreichung der gesamten Ziele der nachhaltigen Entwicklung.
Entscheidend ist, dass Ziel 4 sowohl den Zugang zur Bildung als auch deren Qualität betrifft und die spezifischen Bedürfnisse von Kindern in bestimmten Lebensphasen, einschließlich der frühkindlichen Entwicklung, der Betreuung und der Vorschulerziehung (Zielvorgabe 4.2), berücksichtigt. Darüber hinaus zielt es auf die Erweiterung relevanter Kompetenzen von Jugendlichen ab, um den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern (Zielvorgabe 4.4), was für Kinder, die das gesetzliche Erwerbsalter erreicht haben, von entscheidender Bedeutung ist (UNHCR, 2016).
Die Staaten sollten die Ziele im Bereich der Bildung im Einklang mit dem Grundsatz der Chancengleichheit gemäß Artikel 28 der KRK umsetzen. Während bei der Ausweitung des Zugangs von Kindern zur Grundschulbildung große Fortschritte erzielt wurden, gibt es immer noch große Defizite bei der Bildungsqualität und Ungleichheiten beim Zugang zur Sekundarschulbildung, wobei Millionen von Mädchen auf dieser Ebene immer noch ausgeschlossen sind.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Staaten entschiedene Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass kein Kind von der Bildung ausgeschlossen wird, weil seine Eltern sie nicht bezahlen können (UNHCR, 2016). Auch wenn die Agenda 2030 ihre Chance verpasst hat, die Rechte von Kindern ausdrücklich anzusprechen, enthält sie doch eine Vielzahl von Verweisen auf die KRK, z. B. auf Kinder, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, Menschen mit Behinderungen, indigene Völker, Kinder in gefährdeten Situationen usw.
Diese Beispiele unterstreichen die große Chance, die die Agenda 2030 bietet, und ihren Unterschied zur KRK. Die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, die Rechte des Kindes zu achten, zu schützen und so weit wie möglich zu verwirklichen. Andererseits enthalten die SDGs gemeinsam festgelegte Prioritäten für die internationale Gemeinschaft, die konkreter und praktischer sind und mit messbaren Zielen verknüpft sind (Zamfir, 2019).
In diesem Sinne können die SDGs die Messgrößen und Instrumente sein, um die KRK zusammen mit allen anderen Menschenrechtsinstrumenten zu messen und umzusetzen, die die Rechte des Kindes und den Kinderschutz wahrenund fördern. Durch spezifische Zielvorgaben und Ziele, die mit der KRK verknüpft sind, haben die Staaten eine klare Orientierung bei der Ermittlung der möglichen Wege zur Umsetzung der Kinderrechte in ihren Ländern.
„Niemanden zurücklassen“ schließt auch Kinder mit ein
Die Menschenrechte und die Agenda 2030 sind von vornherein untrennbar miteinander verbunden. Einige der SDGs scheinen sich zwar ausdrücklich auf Kinder zu beziehen, aber in Wirklichkeit haben alle Ziele und Vorgaben Auswirkungen auf die Rechte von Kindern. Aus diesem Grund ist es notwendig, bei der Umsetzung der Agenda 2030 einen kinderrechtsbasierten Ansatz zu verfolgen.
Ein kinderrechtsbasierter Ansatz ist mehrgleisig und setzt auf verschiedenen Ebenen an. Er verwirklicht alle bürgerlichen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte und erkennt die inhärenten Verbindungen zwischen nachhaltiger Entwicklung und Kinderrechten an. Die Staaten sollten die Beteiligung von Kindern sicherstellen, nationale Menschenrechtsinstitutionen einbeziehen und Folgenabschätzungen für Kinderrechte durchführen, die die Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf Kinder untersuchen und die Rechte der Kinder vollständig achten (UNHR, 2020).
Ihr Versprechen, „niemanden zurückzulassen“, schließt auch Kinder ein, die einer oder mehreren sich überschneidenden Formen von Diskriminierung und Bedrohung, von denen viele durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft wurden, ausgesetzt sind.(EAD, 2021).
Mit derAnerkennung des Prinzips „niemanden zurücklassen“, als zentralem Grundsatz der Agenda 2030, werden die Staaten dringend aufgefordert, die Umsetzung der KRK zu beschleunigen, auch als Eckpfeiler der nationalen -Umsetzung der SDGs, sowie dazu, in allen zielbezogenen Prozessen ausdrücklich und umfassend über die Situation von Kindern zu berichten, durchgängig sinnvolle und inklusive Beratungenmit Kindern durchzuführen und das Bewusstsein der Kinder für ihre Rechte und die Ziele zu stärken, und zwar auch in den Schulen (EAD, 2021).
Der Wandel geht von den Kindern aus
Kinder sollten als Akteure des Wandels betrachtet werden. Die Agenda 2030 betont die Beteiligung der Rechteinhaber als Partner bei der Umsetzung und erkennt die Rolle der Kinder als aktive Bürger in der Gesellschaft und beimsozialen Wandel an. Sie gewährleistet ihr Recht auf Beteiligung an Maßnahmen und Entscheidungsprozessen, die sie betreffen, entsprechend ihrem Alter und ihrer Reife.
Die Beteiligung von Kindern ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung einer universellen nachhaltigen Entwicklung, die kein Kind zurücklässt, und sie wird den Schutz, die Achtung und die Verwirklichung der Kinderrechte im Rahmen der Konvention beschleunigen. Kinder sollten systematisch in SDG-Prozesse, deren Umsetzung und Überwachung sowie in die Gestaltung von Politik und Programmen einbezogen werden (UNHR, 2020).
Die Bedeutung der Beteiligung von Kindern an der Meinungsäußerung in Angelegenheiten, die sie betreffen, ist für unser Team von entscheidender Bedeutung, und wir setzen uns unermüdlich für den Schutz der Rechte von Kindern ein. Wir sensibilisieren täglich für Kinder betreffende Themen und führen Aktivitäten durch, bei denen die Stimmen der Kinder von den zuständigen Institutionen und den lokalen Gemeinschaften deutlich gehört werden können. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Menschen, die sich unserem Team als Freiwillige anschließen oder unsere Arbeit durch eine Spende oder eine Patenschaft für ein Kind unterstützen möchten!
Geschrieben von Arianna Braga
Übersetzt von Mathilda Castel
Korrektur gelesen von Rebecca Richter
Referenzen:
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