Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Kindersterblichkeit und ihre Kollateralschäden

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Obwohl die Quote der weltweiten Kindersterblichkeit – definiert als „die jährliche Anzahl der Todesfälle von Kindern im Verhältnis zur Anzahl der Geburten in einem bestimmten Gebiet“ (Humanium, n.d.) – tendenziell langsam sinkt, hat die Pandemie von Covid-19 Zweifel an der Nachhaltigkeit dieser Entwicklung geweckt. Die Pandemie hat nämlich auch indirekte Auswirkungen auf das Leben vieler Kinder in der Welt

Der überraschende Rückgang der Kindersterblichkeit nach Covid-19

Die bisherigen Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Zahl der Todesfälle bei Kindern im Zusammenhang mit Covid-19 in Wirklichkeit nicht so hoch ist, wie die Vorhersagen vermuten ließen. Daher ist es wichtig, die Aktualität und Vollständigkeit dieser Daten mit Abstand zu betrachten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt in ihrem Bericht vom 30. September 2021.(World Health Organisation, 2021), dass die Zahl der Fälle von Covid-19 und der Todesfälle infolge der Ansteckung mit dem genannten Virus bei Kindern und Jugendlichen weiterhin gering ist. Die Interagency Group der Vereinten Nationen (UN) für die Schätzung der Kindersterblichkeit (UN IGME) hat im Jahr 2020 Daten aus 77 Ländern über Todesfälle, die direkt auf eine Infektion mit Covid-19 zurückzuführen waren, gesammelt. Diese Ergebnisse zeigen einen  deutlichen Unterschied in Bezug auf dieAltersspanne.

So machen Personen unter 25 Jahren nur 0,6% aller Covid-19-bedingten Todesfälle aus, was 9.900 Todesfällen im Jahr 2020 entspricht. Davon entfallen 27% auf die Altersgruppe zwischen 0 und 9 Jahren und 42% auf die Altersgruppe zwischen 20 und 24 Jahren.

Man muss allerdings berücksichtigen, dass die Daten über die Pandemie Teil eines allgemeinen positiven globalenTrends sind. So hat ein heute geborenes Kind eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, bis zu seinem fünften Lebensjahr zu überleben als 1990, wobei auch das Land, in dem es geboren wird, einen deutlichen Einfluss auf seine Lebenserwartunghat. Diese Zahl ist deshalb allgemein rückläufig, da die weltweite Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren auf 37 Todesfälle pro 1.000 Geburten im Jahr 2020 gesunken ist. (United Nations Inter-Agency Group for Child Mortality Estimation, 2021).

Die aus diesen Ländern gemeldeten Datenwurdenuntersucht, um eine Veränderung oder Kontinuität der Trends von 2020 zu beobachten, was zu dem Ergebnis führte, dass die direkten Auswirkungen von Covid-19 auf die Kindersterblichkeit nach wie vor verschwindend gering sind. Wie die WHO betont, waren die Kinder anfälliger für länger anhaltende Symptome und in seltenen Fällen für das Multi-System-Entzündungssyndrom. (World Health Organisation, 2021). Es ist daher zwingend erforderlich, diese Ergebnisse im Kontext aller neuen Studien und Untersuchungen zu analysieren, um ein umfassenderes Verständnis der Kindersterblichkeit, die direkt mit Covid-19 in Verbindung steht, zu schaffen und aktuelle und zuverlässige Schlussfolgerungen zu erhalten. 

Die indirekten Auswirkungen von Covid-19 auf die Kindersterblichkeit

Während die Auswirkungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Infektion selbst,eindeutig begrenzt sind, haben die indirekten Auswirkungen der Pandemie, wie der Einfluss auf die Wirtschaft und auch auf die Rekrutierung undden Kinderhandel in bewaffneten Konflikten Anlass zu dringender Besorgnis gegeben. Die Unterschiede der indirekten Auswirkungen lassen sich anhand des Alters, aber auch anhand der geografischen Lage beobachten. Es geht hier nicht darum, eine erschöpfende Liste der indirekten Auswirkungen von Covid-19 zu erstellen, sondern zwei wichtige Erscheinungsformen zu veranschaulichen.

Der Wirtschaftsschockund der Tod von Kindern in Entwicklungsländern

Kinder (und insbesondere Kinder unter fünf Jahren) sind von Wirtschaftsschwankungenbesonders betroffen, umso mehr in Ländern, die als arm gelten. Diese Menschen haben tagelang keinen Zugang zu sauberem Wasser, Nahrung und angemessenen Wohnraum, so dass folglich auch ihre Gesundheit stark von der wirtschaftlichen Lage abhängt. (Millward, 2022). Die Schließung von Grenzen, die Unterbrechung von Medikamenten- und Nahrungsmittellieferungen und die Einstellung von Impfungen als Vorsichtsmaßnahme gegen die Verbreitung von Covid-19 haben dazu geführt, dass Kinder die ersten Opfer sind. (Desmon, 2022).

Die Hungersnot traf Staaten, die sich bereits in einer gewissen prekären Lage befanden. Dies gilt für die Demokratische Republik Kongo, den Nordosten Nigerias, den Jemen und den Südsudan, deren Situation sich laut der Exekutivdirektorin von UNICEF, Henrietta Fore, von einer „Ernährungskrise zu einer drohenden Katastrophe“ entwickelt. Nigeria bereitet sich also darauf vor, dass etwa 300.000 Kinder an schwerer akuter Unterernährung leiden werden und unmittelbar vom Tod bedroht sind. (UN Info, 2020). In Afghanistan sind die Fortschritte bei der Bekämpfung vermeidbarer Todesfälle von Kindern um Jahrzehnte zurückgegangen, da die Covid-19-Pandemie die Gesundheitsversorgung von Kindern und Müttern zerstört hat und das Leben von weiteren Millionen Kindern bedroht. (UNICEF, 2020).

Die Zunahme des Kinderhandels und der Rekrutierung von Kindern in bewaffneten Konflikten 

Der plötzliche wirtschaftliche Abschwung hatte nicht in allen Ländern die gleichen Folgen. Während einige Bevölkerungsgruppen staatliche Unterstützung erhielten, sahen sich andere gezwungen, zu extremen Lösungen zu greifen, um zu überleben. Bewaffnete Gruppen nutzten Armut, Hunger und Schulschließungen,um massenhaft Kinder zu rekrutieren und zu entführen. (UN Info, 2021).

In Mali ermöglichte die Pandemie den bewaffneten Gruppen, die Kontrolle über verschiedene Gebiete, insbesondere in Gao und Kidal, zurückzugewinnen. Diese Kontrolle führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu230 Fällen von Kinderrekrutierung, verglichen mit 215 Fällen im Jahr 2019. Diese tragische Situation wird dazu führen, dass diese Kinder vergewaltigt, verkauft, versklavt und zum Kämpfen gezwungen werden, was für viele von ihnen unweigerlich zum Tod führen wird.(UNHCR Frankreich, 2020).

In Kolumbien wurden trotz des Friedensabkommens von 2016, das von den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) unterzeichnet wurde, die Versprechen zur Wiedereingliederung nicht eingehalten, und der Kampf wieder aufgenommen. Auch Kolumbien wurde von einer Hungersnot heimgesucht und während derGrenzschließungen führte die FARC eine altersunabhängige Rekrutierungswelle für Geldbeträge durch, die von der in extremer Armut lebenden Zivilbevölkerung nur schwer abgelehnt werden konnten. (ARTE Reportage, 2020). Kinder, die an der Seite der FARC kämpfen, verlieren mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr Leben oder werden von der bewaffneten Gruppe benutzt, die sie eliminiert, sobald sie sie nicht mehr brauchen. 

Gibt es Hoffnung für die Zukunft?

Das Recht auf Leben, auf Pflege und Schutz vor Krankheiten sind Rechte, die jedem Kind zustehen und in der von der Mehrheit der Staaten ratifizierten Internationalen Konvention über die Rechte des Kindes (ICRC), aber auch im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) und hier insbesondere in Artikel 12 verankert sind. Die Staaten haben daher die Verpflichtung und dieAufgabe, die Rechte des Kindes zu achten, zu schützen und umzusetzen.

Dennoch kann man auch eine Reihe von Fortschritten während dieser Pandemie  begrüßen, die von den Staaten durchgeführt und von verschiedenen Institutionen unterstützt werden (Becker, 2021). Dazu gehören die Senkung der Kindersterblichkeitsrate um 2% seit 2020 und die Halbierung seit 2000. (Makrotrends, n.d.). Auch 45.000 Kinder, die in 84 Ländern inhaftiert waren, wurden während der Gesundheitskrise freigelassen. (UNICEF, 2021). Schließlich wurden weltweit 19 Aktionspläne zur Beendigung der Rekrutierung von Kindersoldaten und anderer Menschenrechtsverletzungen umgesetzt. (Vereinte Nationen, n.d.).

Die indirekten Auswirkungen der Pandemie auf Kinder sind bereits im Gange. Aus diesem Grund tendiert Humanium dazu, das Bewusstsein sowohl für den aktuellen Stand als auch die Bedeutung der Kinderrechte in der ganzen Welt zu wecken, und jedem die Gelegenheit zu bieten, sich an diesem Engagement zu beteiligen, sei es durch eine Spende, eine Patenschaft oder auch durch ehrenamtliche Tätigkeit – schließen Sie sich uns an!

Geschrieben von Morgane Schmutz

Originaltext überarbeitet von Aditi Partha

Übersetzt von Margit Bertling

Korrektur gelesen von Andrea Wurth

Referenzen:

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