Kinder im Tschad

Die Verwirklichung der Kinderrechte im Tschad

Der Tschad hat zwar die Kinderrechtskonvention und die Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des Kindes ratifiziert, hat aber große Schwierigkeiten bei deren Umsetzung. Kinder im Tschad haben mit vielen Problemen zu kämpfen, darunter fehlende Bildungschancen, schlechte Gesundheitsversorgung, Armut und Kinderarbeit.

Index der Realisierung von Kinderrechten: 4,64/10
Schwarze Stufe:
sehr schwierige Situation

Bevölkerung: 12.1 M.
Bev. 0-14 Jahren: 
47.13 %

Lebenserwartung: 54.35 Jahre
Kindersterblichkeit: 209 ‰

Der Tschad im Überblick

Der Tschad erhielt 1960 seine Unabhängigkeit von Frankreich und war in einen fast 24 Jahre andauernden Bürgerkrieg mit Frankreich, Libyen und einigen nördlichen arabischen Gebieten verwickelt. Durch interne Veränderungen und internationale Hilfen hat sich die Situation der Kinder im Tschad zwar verbessert, doch viele Faktoren machen ein friedliches Leben für Kinder, Frauen und Männer zu einer enormen Herausforderung. Das Land hat sich in der Vergangenheit und auch heute noch zahlreichen Herausforderungen stellen müssen, von denen viele auch Kinder betreffen.

Die Bedürfnisse der Kinder [1]

Das Recht auf Bildung

Mit dem Interimsbildungsplan 2018-2020 strebt der Tschad eine höhere Bildungsqualität, bessere Lernergebnisse und erweiterte Schulungsangebote mit Berufs- und Fachabschlüssen an, die auf den Markt zugeschnittenen sind. Aufgrund der nationalen Wirtschaftskrise wird der Bildungsplan voraussichtlich bis zum Jahr 2021 verlängert.

Die Realisierung gestaltet sich schwierig, da dem Land sowohl finanzielle Mittel als auch wissenschaftliche Informationsressourcen fehlen. Zudem sind die Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten groß. Aus diesem Grund hat die Regierung verschiedene Maßnahmen wie zweisprachigen Unterricht (Französisch und Arabisch) oder die Integration der Schulen in Flüchtlingslagern in das nationale Bildungssystem eingeführt.

Obwohl Schulbildung im Tschad verpflichtend ist, gehen nur wenige Kinder, vor allem Jungen, nach der Grundschule auf weiterführende Schulen. Geschlechterungleichheit und Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten sind anhaltende Probleme im Land.

Von insgesamt 12.142.000 Einwohnern sind etwa 1.914.000 im Grundschulalter. Der Zugang zu Bildung wird für diese Kinder durch viele Faktoren behindert: Armut, ländliche Umgebung, fehlende Ressourcen, schlechte Dienstqualität, fehlende oder unzureichend ausgebildete Lehrkräfte, mangelhafte Infrastruktur und überfüllte Klassenräume, bei durchschnittlich 64 Kindern in städtischen und 100 Kindern in ländlichen Gebieten.

Im Tschad gehen 34,4 % der Kinder zwischen 6 und 11 Jahren bzw. 800.000 Kinder zwischen 9 und 14 Jahren nicht zur Schule. Die Bruttoeinschulungsrate liegt bei 95 % im Süden und zwischen 20 % und 40 % im Norden.

Das Recht auf Gesundheit

Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Menschen im Tschad. Viele Kinder werden nicht medizinisch versorgt oder behandelt, weil die nächste Gesundheitseinrichtung zu weit entfernt liegt. Aufgrund der unzureichenden sanitären und medizinischen Versorgung sterben rund 1.100 von 100.000 Frauen während der Geburt.

Zudem führt die Wiederansiedlung von Vertriebenen zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und damit zu einer höheren Unterernährungsrate. Binnenvertriebene und Flüchtlinge beeinflussen die Landwirtschaft, Tierhaltung und Nahrungsbeschaffung tschadischer Gemeinden. All diese Faktoren verursachen eine Lebensmittelknappheit im Tschad. Das Problem wird durch katastrophale Umweltbedingungen, die Getreideernten regelrecht dezimiert haben, sowie durch die Wiederansiedlung von Vertriebenen weiter verstärkt.

Ebenso besorgniserregend ist die hohe Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren. Aus Mangel an Sanitäranlagen, Trinkwasser und Gesundheitsfürsorge in ländlichen Gebieten des Tschad sterben jährlich 209 von 1.000 Kindern. Im Jahr 2004 zählten Atemwegsinfektionen, insbesondere Lungenentzündungen, zu den Hauptursachen der Kindersterblichkeit. Auch entwässernde Erkrankungen können für Kinder schnell gefährlich werden, da Flüssigkeitsmangel schon nach wenigen Stunden schwere gesundheitliche Probleme oder sogar den Tod bedeuten kann.

Risikofaktoren → Länderspezifische Herausforderungen

Armut

80 % der tschadischen Bevölkerung leben von Viehhaltung und Landwirtschaft für den Eigenbedarf, was zur Fragilität des Landes beiträgt. In ländlichen Gebieten führt die hohe Sterblichkeits- und Migrationsrate unter Männern dazu, dass 23 % aller Haushalte von Frauen geführt werden.

Der in Armut lebende Bevölkerungsteil konnte zwischen 2003 und 2011 von 55 % auf 47 % gesenkt werden, doch die Entwicklung des Landes wird durch eine weitere Finanzkrise gefährdet. Im Jahr 2016 lag der Tschad laut UN-Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) auf Platz 186 von 188 Ländern. Berücksichtigt wurden Faktoren wie Lebenserwartung, Schulbesuchsdauer, Bruttonationaleinkommen (BNE), ungleichheitsbereinigter HDI, geschlechtsspezifische Entwicklung, Bevölkerung, Armut, Arbeitslosigkeit und menschliche Sicherheit. Der HDI stuft den Tschad als eines der ärmsten Länder der Welt ein.

Der Armutsindex, der den Anteil der Durchschnittseinkommen verarmter Menschen unter der Armutsgrenze angibt, zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten des Tschad. So liegt der Armutsindex auf dem Land bei 22,6 %, in der Stadt dagegen nur bei 6,6 %. Neben dem niedrigen Bildungsniveau tragen auch die Anzahl der Kinder pro Haushalt und der Klimawandel zur Armut in ländlichen Gebieten bei, da sich häufige Dürren und Wasserknappheit direkt auf die Beschäftigung und das Einkommen der tschadischen Bevölkerung auswirken.

Die Kinder im Tschad leiden besonders unter der Armut, da es den meisten Menschen hier an Trinkwasser, Sanitäranlagen, medizinischen Einrichtungen und Wohnunterkünften fehlt. Pro 38.000 Einwohner gibt es außerdem nur einen Arzt.

Kinderarbeit

Viele Kinder im Tschad arbeiten als Viehhirten oder Haushaltshilfen, in manchen Fällen als Folge von Menschenhandel.

Im Jahr 2018 konnte man bereits gewisse Erfolge bei der Bekämpfung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit feststellen. So absolvierten drei tschadische Arbeitsinspektoren eine 45-tägige Schulung im Afrikanischen Regionalzentrum für Arbeitsverwaltung der ILO. Im Rahmen des „Refugees and Host Communities Support Project“ soll unter anderem Flüchtlingskindern, die unter inakzeptablen Bedingungen arbeiten mussten, der Zugang zu Gesundheitsfürsorge erleichtert werden.

Ein großes Problem besteht in diesem Zusammenhang darin, dass der illegale Arbeitseinsatz von Kindern im Rechtssystem des Tschad nicht strafrechtlich verfolgt wird. Die Regierung erhebt zudem keine Daten zu polizeilichen Einsätzen und konnte bisher keine Maßnahmen zur proaktiven Bekämpfung der Kinderarbeit entwickeln.

Das Mindestalter für eine Beschäftigung liegt im Tschad bei 14 Jahren. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten sind jedoch viele Familien dazu gezwungen, ihre Kinder arbeiten zu schicken. Ohne Bildung müssen sie allerdings unter sehr harten Bedingungen arbeiten: lange Schichten, schlechte Bezahlung, kein Essen usw. Außerdem sind sie den Risiken ausgesetzt, die unter anderem mit Prostitution, Diskriminierung und Missbrauch zusammenhängen.

Kindesmisshandlung und Ausbeutung

Manche Kinder erfahren in ihren Familien häusliche Gewalt, was laut tschadischer Tradition jedoch erlaubt ist. Auch in der Schule, in Haft oder auf der Straße werden Kinder oft misshandelt. Leider ist Gewalt im Tschad alltäglich, und in vielen Fällen sind Kinder die Opfer. Unter Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt leiden hauptsächlich Mädchen. Die Täter sind in der Regel bewaffnete Gruppen und Gemeindemitglieder.

Die Regierung ist nicht in der Lage bzw. einigen Quellen zufolge nicht gewillt, Kinder vor diesem Missbrauch zu schützen. 2008 berichtete Ban Ki-moon in diesem Zusammenhang von Angriffen auf Schulen und Kindesentführungen durch bewaffnete Gruppen. Im März 2018 ratifizierte die tschadische Regierung eine Verordnung, die den Menschenhandel verbietet. Bewaffnete Gruppen und Milizen rekrutieren unter anderem aufgrund der Binnenvertreibung von Familien oft Kinder und Jugendliche.

2009 wurden in einem Konflikt zwischen Regierungskräften und Rebellen auf beiden Seiten Kindersoldaten eingesetzt. Die betroffenen Kinder wurden dabei Opfer von Vergewaltigung, Misshandlung und Mord.

In den Artikeln 335 und 336 des Strafgesetzbuches wird die Ausbeutung von Kindern durch Prostitution mit Freiheitsstrafen von zwei bis fünf Jahren und Geldstrafen von 100.000 bis 2 Millionen CFA-Franc (150 bis 3.045 EUR) geahndet. Die Nationalversammlung hat die Kodexrevisionen zu Kinderschutz, Arbeit und Familie um zusätzliche Bestimmungen erweitert, die Kinderhandel unter Strafe stellen und Kinder, die im informellen Sektor arbeiten, zukünftig besser schützen sollen.

Kinderhandel und Ausbeutung kommen im Tschad sehr häufig vor. Es handelt sich dabei meist um innerstaatlichen Handel, bei dem die Kinder für Bildung, Waren, Geld oder andere Gegenleistungen Verwandten oder Mittelsmännern anvertraut werden. Einige dieser Kinder müssen in Städten, in der Landwirtschaft oder in Goldminen im Norden des Landes arbeiten. Andere Formen der Zwangsarbeit im Tschad sind beispielsweise Bettelei oder Straßenverkäufe.

Kinderheirat

Der Tschad hat sich gemäß Punkt 5.3 der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) dazu verpflichtet, Kinder-, Früh- und Zwangsheirat bis zum Jahr 2030 zu beseitigen. Außerdem unterstützt das Land proaktiv die gemeinsam getragene Resolution des Menschenrechtsrats von 2015 und die Resolution der UN-Generalversammlung von 2013 gegen Kinderheirat. Zusätzlich werden viele weitere Maßnahmen geprüft.

Trotz dieser Bemühungen ist die Verheiratung junger Mädchen im Tschad weiterhin üblich, da das Erreichen der Volljährigkeit in verschiedenen Dokumenten unterschiedlich dargestellt wird. Rechtlich gesehen wird die Volljährigkeit mit 21 Jahren erreicht, während das rechtliche Heiratsalter für Mädchen mit 15 und für Jungen mit 18 Jahren festgesetzt ist. Im Brauchtumsrecht wird das heiratsfähige Alter jedoch entgegen der UN-Kinderrechtskonvention bereits mit 13 Jahren erreicht.

Kinderehen haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit, Entwicklung und Rechte der Kinder. Früh verheiratete Mädchen sind in ihren sozialen Kontakten beschränkt, da sie vorzeitig die Schule verlassen. Darüber hinaus unterliegen sie dem Risiko früher Schwangerschaften, die sowohl für sie als auch für ihr Kind gefährlich sein können.

Einem UNICEF-Bericht von 2017 zufolge sind 30 % der 15-jährigen und 67 % der 18-jährigen Mädchen bereits verheiratet. Der Tschad ist laut UNICEF das Land mit dem weltweit drittgrößten Vorkommen von Kinderehen. Am häufigsten werden Kinder in den Regionen Guéra, Lac, Chari-Baguirmi, Sila und Mayo-Kebbi Est verheiratet.

Vertreibung ist der Hauptgrund für die hohe Anzahl der Kinderehen: In den Flüchtlingslagern an der Grenze zum Sudan werden viele Mädchen vergewaltigt, die dem Brauchtum zufolge oft ihre Angreifer heiraten müssen, um ihre Ehre zu bewahren. Im Allgemeinen steigt das Heiratsalter mit dem Bildungsstand an.

Auch Religionen wie Katholizismus, Protestantismus, Animismus und Islam stehen im Zentrum der Kinderheirat. Bestimmte religiöse Praktiken beinhalten weibliche Genitalverstümmelung bzw. -beschneidung, die 44 % aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren betrifft, und Polygamie, bei der Mädchen als dritte oder vierte Ehefrau verheiratet werden.

Straßenkinder

Die Anzahl tschadischer Kinder, die auf der Straße umherziehen und leben, steigt aufgrund der instabilen finanziellen Situation im Land stetig an. Ihr Recht auf Unterkunft, Gesundheit, Bildung und Nahrung wird häufig verletzt.

Straßenkinder im Tschad leben oft in Gruppen von 10 bis 25 Kindern. Aufgrund der traumatischen Erfahrungen, die das Leben und Schlafen auf der Straße mit sich bringen, greifen viele dieser Kinder zu Drogen. Zudem leben sie unter äußerst schlechten hygienischen Bedingungen und sind vielen Gefahren und Risiken ausgesetzt, darunter wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung sowie gesundheitlichen Problemen. Da ihnen die nötige Stabilität für einen Zugang zu Bildung fehlt, haben sie keine Möglichkeit, dem Leben auf der Straße langfristig zu entkommen.

Geschrieben von Adrian Lakrichi

Übersetzt von Kathrin Wolters

Korrekturgelesen von Katrin Glatzer

Dernière mise à jour le 1 mai 2020

Quellen:

Borgen Magazine, Social and Political Causes of Poverty in Chad¸ (2017), accessed on 14/03/2020.

Borgen Project, New Opportunities : 10 key facts about poverty in Chad, (2018), accessed on 14/03/2020.

SOS Children’s Villages International, General information on Chad, (2019), accessed on 14/03/2020.

UNICEF, Chad Humanitarian Situation Report No. 11, (2019), accessed on 14/03/2020.

RefWorld, 2018 Trafficking in Persons Report – Chad (2019), accessed on 14/03/2020.

UNESCO, Impact of conflict on children’s health and disability, (2010), accessed on 14/03/2020.

Partenariat Mondial pour l’éducation, L’Education au Chad, (2012), accessed on 14/03/2020.

Wathi, La situation de l’éducation au Tchadhttps, (2016), accessed on 14/03/2020.

UN News, Children are main victims of violence in Chad, Ban says in new reporthttps, (2008), accessed on 14/03/2020.

Girls Not Brides, Chad, (2018), accessed on 14/03/2020.

Consortium for Street children, Accès aux soins de santé par les enfants des rues dans le contexte urbain de N’djamena, au Tchad, (2000), accessed on 14/03/2020.


[1] Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige oder repräsentative Darstellung der Kinderrechtssituation im Tschad. Es gibt nur wenige aktuelle Informationen zu den Kindern im Land – viele Daten sind unzuverlässig, nicht repräsentativ, veraltet oder schlicht nicht vorhanden.