Die Spannungen und Unruhen der Vergangenheit sind seit April 2023 im Sudan wieder aufgeflammt, während ein Bürgerkrieg zwischen dem sudanesischen Militär und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) tobt. Im Zentrum der Spannungen und der Gewalt stehen die sudanesische Bevölkerung und inmitten des Krieges eine besonders gefährdete Gruppe – ihre Kinder. Der Bürgerkrieg, der eine bereits bestehende humanitäre Krise noch verschärft, bringt die Kinder in eine noch größere humanitäre Notlage und beraubt sie dadurch ihrer grundlegenden Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, Schutz, Bildung, Gesundheit, Nahrung und Wasser.
Die Geschichte und die vergangenen Konflikte des Sudans
Der Sudan ist größtenteils ethnisch gemischt, und die sudanesische Bevölkerung „umfasst mehrere große ethnische Gruppen und Hunderte von Untergruppen”; außerdem „spricht sie zahlreiche Sprachen und Dialekte“ (Britannica, 2023). Seit seiner Unabhängigkeit hat der Sudan verschiedene Änderungen seiner Regierungsformen durchlebt (Britannica, 2023). Im Laufe der Zeit wechselten sich die Regime ab, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass es schwierig war, die allgemeine Akzeptanz der verschiedenen politischen Gruppierungen im Sudan zu gewinnen (Britannica, 2023).
Seit 1955 kam es zu mehreren Konflikten und Kriegen mit vielen Opfern und gewalttätigen Zwischenfällen (Britannica, 2023). Omar al-Bashir kam 1989 durch einen Militärputsch an die Macht, der praktisch „die letzte gewählte Regierung des Landes absetzte“ (The Guardian, 2021). Nach zahlreichen Gesprächen, Waffenstillständen und Vereinbarungen beendete das Comprehensive Peace Agreement im Jahr 2005 die Kriegssituation (Britannica, 2023).
Die jüngsten Konflikte und ihre Beweggründe
Bei einem Aufstand im April 2019 wurde der (jetzt ehemalige) Präsident Omar al-Bashir nach 30 Jahren an der Spitze abgesetzt (Aljazeera, 2023). Im selben Jahr wurde eine Vereinbarung getroffen, die eine „Machtteilung vorsah, die den Weg für den Übergang zu einer zivil geführten Regierung ebnete“ (Aljazeera, 2019). Es wurde ein gemeinsamer militärischer und ziviler souveräner Rat eingesetzt, der bis 2023 regieren sollte (Aljazeera, 2019). Während dieser Zeit der Einigung wuchs jedoch das Misstrauen zwischen dem Militär und den zivilen Parteien (Aljazeera, 2023).
Anhaltenden Proteste und Demonstrationen brachen aus, und im Mittelpunkt der Spannungen stand „die Forderung der Zivilbevölkerung nach Beaufsichtigung des Militärs und der Integration der RSF in die regulären Streitkräfte“ (The Guardian, 2023). Im Oktober 2021 ergriff das sudanesische Militär in einem Putsch die Macht, verhaftete zahlreiche zivile Politiker und den Premierminister Abdalla Hamdok und löste damit den zivilen Teil der Regierung auf (The Guardian, 2021).
Der Premierminister wurde zwar im November 2021 wieder eingesetzt, womit der Übergang zur Zivilregierung wiederhergestellt wurde; doch er trat im Januar 2022 angesichts der Eskalation der Proteste und der anschließenden Todesfälle von seinem Amt zurück (VOA, 2023).
Der Bürgerkrieg im April 2023 und die daraus resultierende humanitäre Krise
Nach Verhandlungen zwischen der militärischen und der zivilen Führung im Januar 2023 über wichtige Streitfragen und den demokratischen Übergang kam es erneut zu Spannungen zwischen der Armee und den paramilitärischen Einheiten aufgrund der vorgeschlagenen Integration der RSF in die reguläre Armee (VOA, 2023). Am 15. April 2023 kam es zu Explosionen und Schießereien in der Hauptstadt Khartum (VOA, 2023).
“Was hier geschieht, ist so schlimm wie alles, was ich im Laufe meiner langen Karriere in Konfliktgebieten gesehen habe. Es ist entsetzlich, tragisch, brutal und völlig unnötig. Die komplette Liste aller Menschenrechte (…) wird verletzt.”
– Radhouane Nouicer, UN-Menschenrechtsexperte im Sudan (United Nations Office of the High Commissioner, 2023).
Schon vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs war die humanitäre Lage im Sudan katastrophal und verschlechterte sich weiter, da zu diesem Zeitpunkt etwa 15,8 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigten und „Kinder am meisten gefährdet waren“ (UNICEF, 2023). Dieser Bürgerkrieg ist eine Krise, die zu einer anderen bestehenden Krise im Sudan hinzukommt.
Bei den heftigen Zusammenstößen zwischen dem Militär und den paramilitärischen Kräften kamen über 600 Menschen ums Leben, und etwa 5100 Personen wurden verletzt (Care, 2023). Der Bürgerkrieg zwang eine Welle von Zivilisten, ihre Heimat zu verlassen, insgesamt fast 1,4 Millionen, die entweder Binnenvertriebene oder Flüchtlinge wurden (CNN, 2023).
Kinder und ihre grundlegenden Menschenrechten sind gefährdet
Das Recht auf Leben und auf Schutz
Im aktuellen Bürgerkrieg wurden mindestens 9 Kinder getötet und „mehr als 50 während der Kämpfe verletzt“ (UNICEF, 2023). Die anhaltenden Feindseligkeiten setzen Kinder Schaden, Gewalt und Missbrauch aus, „einschließlich der Rekrutierung und Nutzung durch bewaffnete Gruppen“ (UNICEF, 2023). Kinder, die entweder von ihren Familien isoliert oder vertrieben wurden, sind in großer Gefahr, und ihre Rechte auf Leben und Schutz werden täglich mit Füßen getreten.
Recht auf Bildung
Im Jahr 2022 wurde bereits festgestellt, dass 8,1 Millionen Kinder, die zur Schule gehen, stark von Schulschließungen betroffen sind (UNICEF, 2022). Seit dem Bürgerkrieg ist die Zahl der Kinder, die keine Schule besuchen, noch besorgniserregender. Ohne Schule fehlt den Kindern ein sicherer Lernort, der sie vor Schaden, Missbrauch und Ausbeutung schützt, wozu auch die Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen als Kindersoldaten gehört (UNICEF, 2023).
Kinder brauchen Lernräume und einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, da dies ihr Recht ist, und vor allem, weil „mit jedem Tag, den Kinder nicht zur Schule gehen“, ihre Chancen auf eine Rückkehr in die Schule sinken, insbesondere für Mädchen (UNICEF, 2023).
Recht auf Gesundheit
Das Gesundheitssystem im Sudan wurde durch den Bürgerkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen: “Ein Drittel aller sudanesischen Gesundheitseinrichtungen ist nicht mehr funktionsfähig“, wodurch Kindern und ihren Familien der Zugang zu lebenswichtigen Gesundheitsdiensten verwehrt wird (UNICEF, 2023). Darüber hinaus haben die Stromausfälle auch die Kühlkette beeinträchtigt, die Impfstoffe haltbar macht, sodass die Kinder dem Risiko tödlicher Krankheiten und Seuchenausbrüchen ausgesetzt sind (UNICEF, 2023).
Darüber hinaus besetzen bewaffnete Kräfte die verlassenen Gesundheitseinrichtungen und plündern lebensrettende Behandlungsmittel und Vorräte, wodurch die Lebenserwartung der Kinder in eine kritische Phase gerät (Save the Children, 2023). Das Recht der Kinder auf Gesundheit ist so massiv verletzt, dass ihr Überleben nicht mehr gewährleistet werden kann.
Recht auf Nahrung und Wasser
Aufgrund der hohen Temperaturen und der Dürren im Sudan war der Zugang zu ausreichendem und sicherem Wasser bereits ein Problem (UNICEF, 2023). Infolge des Bürgerkrieges herrscht im Sudan ein kritischer Mangel an sauberem Wasser und grundlegenden sanitären Einrichtungen (Norwegian Refugee Council, 2023). Außerdem hatte der Sudan vor dem Bürgerkrieg „die höchste Unterernährungsrate bei Kindern weltweit“ (UNICEF, 2023).
Seit die Feindseligkeiten in diesem Jahr wieder begonnen haben, nimmt die Zahl unterernährter Kinder zu (Care, 2023). Aufgrund der Auseinandersetzungen herrscht nicht nur Nahrungsmittelknappheit, sondern auch die internationale humanitäre Hilfe wurde eingestellt, sodass sich der Gesundheitszustand der Kinder täglich verschlechtert (UNICEF, 2023). Ohne Zugang zu ausreichendem, sicherem Wasser und ausreichender täglicher Ernährung werden die meisten Kinder, insbesondere Kleinkinder, diesen Bürgerkrieg nicht überleben.
Ein Aufruf zum Frieden und zur humanitären Soforthilfe
Humanium ist zutiefst besorgt über die Verletzung der grundlegenden Menschenrechte von Kindern durch die derzeitigen Bürgerkriegsparteien im Sudan. Humanium hat bedauerlicherweise festgestellt, dass sich die Rechte und das Wohlergehen der Kinder, die schon vorher prekär waren, seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs besorgniserregend verschlechtert haben. Humanium appelliert an die Regierung und alle am Bürgerkrieg beteiligten Parteien, unverzüglich:
- Die Friedensgespräche für die Kinder im Sudan wieder aufzunehmen (UNICEF, 2023).
- Den Waffenstillstand einzuhalten und zu respektieren (UNICEF, 2023).
- Sicherzustellen, dass die humanitäre Hilfe wiederhergestellt und kontinuierlich bereitgestellt wird, um Kindern und ihren Familien angemessene Gesundheit, Wasser, Ernährung und Schutz zu bieten (UNICEF, 2023).
- Die Schulen für die Kinder wieder zu öffnen, damit sie ihre rechtmäßige Ausbildung wieder aufnehmen können (UNICEF, 2023).
- Die Kinder zu schützen und die Rekrutierung von Kindersoldaten zu verhindern (UNICEF, 2023).
Humanium setzt sich weiterhin für den Schutz der Menschenrechte von Kindern ein, einschließlich ihres Rechts auf Leben, Schutz, Bildung, Gesundheit, Nahrung und Wasser. Wenn Sie die Arbeit von Humanium unterstützen möchten, ziehen Sie bitte eine Spende, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft in Betracht.
Geschrieben von Moïra Phuöng Van de Poël
Übersetzt von Daniel Rottleb
Korrektur gelesen von Beate Dessewffy
Quellenverzeichnis:
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