Was bedeutet Femizid und was hat er für Auswirkungen bei Mädchen?
Femizid ist die allgegenwärtige Verletzung der Menschenrechte von Mädchen und Frauen. (Cullen et al, 2019) Frauentötung ist eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt, die im Allgemeinen jegliche Art von Tötungsdelikten beschreibt, die gegen Frauen und Mädchen innerhalb oder außerhalb des familiären Zuhauses begangen werden, vorsätzlich oder nicht. (WHO, 2012; Godoy-Paiz, 2012; Shalhboub-Kervorkian & Daher-Nasif, 2013)
Obwohl nicht alle Taten von frauenspezifischer Gewalt zu Mord führen, steigern sie dennoch die Wahrscheinlichkeit eines Mordes. (Oliveria & Furio, 2006) Die Weltgesundheitsorganisation (2012) unterscheidet vier Arten von Femiziden: Mitgift bezogene Femizide, Ehrenmorde, nicht-intime und intime Femizide.
Femizid als eine Form geschlechtsbezogener Gewalt
Gewalt ist in jeder Situation geschlechtsbezogen, da sie sich gegen eine Frau oder Mädchen aufgrund ihres Geschlechtes richtet. (Bunch, 1990; Shalhboub-Kervorkian & Daher-Nasif, 2013) Geschlechtsbezogene Gewalt wird gegen Frauen auf verschiedene Arten verübt, trifft Frauen jeglichen Alters und beinhaltet, ist jedoch nicht darauf begrenzt, emotionalen oder spirituellen Missbrauch, sowie sexuelle, häusliche und politische Gewalt. (Roure, 2011; Bunch, 1990) Auf der globalen Ebene ist diese Gewalt systematisch auf Frauen und Mädchen ausgerichtet, und aufgrund eines ausgeprägten Mangels an Rechtsschutz innerhalb der staatlichen Rechtssysteme werden ihre Menschenrechte regelmäßig verletzt. (Jefferson, 2004)
Wie Femizide in verschiedenen Regionen durchgeführt werden
Ungeachtet von regionalen Trends ist es weitläufig anerkannt, dass Gewalt an Frauen eine weltweite Krise der öffentlichen Gesundheit darstellt, die präventive Reaktionen benötigt. (WHO, 2013; Toprak & Ersoy, 2017) Zu Fällen von Femiziden an Mädchen gehören die weiblichen Infantizide, die Ermordung von weiblichen Babies in Indien und China, und der sexuelle Missbrauch von Mädchen während der bewaffneten Konflikte in Rwanda, Kosovo, Sierra Leona und Guatemala, in denen Vergewaltigungen gezielt als Kriegsstrategie von Kombattanten und Regierungsvertretern eingesetzt wurden. (Henry, 2014; Godoy-Paiz, 2012)
Zu weiteren Beispielen gehören die Fälle von aufgezwungenen Schwangerschaften und Zwangsehen während der Konflikte in Rwanda und Darfur, die als Kriegsstrategien von bewaffneten Gruppen benutzt wurden, um die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu beeinflussen. (Henry, 2014) Des weiteren zeigen sich Femizide in Form von geschlechtsbezogenen Entführungen, Beschneidungen, sowie des Schlagens, Verbrennens und Vergiftens von Frauen und Mädchen. (Oliveria and Furio, 2006; Livingston, 2004; Schmidt, 2005)
Die Zahl von Gewalttaten an Frauen und Mädchen ist nicht ausreichend dokumentiert. Aufgrund von Problemen bei der Datenerfassung und der geringen Anzeigenerstattung von Morden an Frauen und Mädchen bei Polizei und Rettungsdiensten ist es schwierig genaue Zahlen festzustellen. (WHO, 2012) Die bisherige Forschung hat sich hauptsächlich auf die nichttödliche Gewalt zwischen Intimpartnern fokussiert. (Toprak & Ersoy, 2017) In Fällen, in denen eine Datenerfassung von Mord vorliegt, wie zum Beispiel in der Türkei, sind diese informativen Quellen begrenzt. (Toprak & Ersoy, 2017)
Abhängig von der Region, dem Land, den relevanten Kulturfaktoren sowie den sozialen Gruppen, unterscheiden sich die Muster der Gewalt gegen Frauen weltweit (z.B. Frauen mit Kindern, die in bewaffneten Konfliktgebieten leben, Migrantinnen und junge Frauen). (Shalhboub-Kervorkian & Daher-Nasif 2013) In einigen indischen Regionen sind zum Beispiel die familieninternen Auseinandersetzungen im Falle, dass die Mitgift den Anforderungen nicht entspricht, ein Hauptgrund für den Mord an jungen Bräuten. (Toprak & Ersoy, 2017)
Zentralamerika
Godoy-Paiz (2012) betont in ihrer Arbeit über Gewalt gegen Frauen in Guatemala, dass gewalttätige, geschlechtsbezogene Straftaten gegen Frauen einen Höhepunkt in der zentralamerikanischen Region erreicht haben. Zahlreiche Gründe können dabei mit der momentanen Rate der steigenden Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Verbindung gesetzt werden. Am nennenswertesten ist dabei die Welle der weitverbreiteten, demokratischen und juristischen Reformen in Lateinamerika, die in den letzten Jahrzenten stattgefunden hat und neben einem ansteigenden Level an politischer Gewalt, hohen Mordraten, gewalttätigen Gangaktivitäten und organisierter Kriminalität in gezielten Morden an Frauen und Kindern resultierte. (Godoy-Paiz, 2012; Otero, 2008)
Forschungen haben ergeben, dass innerhalb der zentralamerikanischen Region die Länder Peru, Mexiko und Guatemala die höchsten Raten der schwerwiegendsten Fälle von Gewalt gegen Frauen aufweisen. (Hernandez, 2018; Godoy-Paiz, 2012) In Bezug auf Mexiko haben Forscher*innen und Aktivist*innen herausgefunden, dass Gewalttaten gegen Frauen insbesondere in der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez vorkommen, welche durch das nordamerikanische Handelsabkommen von 1994 einen sozio-ökonomischen und kulturellem Wandel erfahren hat. (Weissman, 2005) Ungleiche sozio-kulturelle Beziehungen in Kombination mit ökonomischen Veränderungen führten in dieser Zeit zu Bedingungen, die den Anstieg von Gewalt gegen Frauen gefördert haben. (Pantaleo, 2010)
Zum Vergleich: in der Nachkriegsgesellschaft Guatemalas, wo interne bewaffnete Konflikte 36 Jahre angedauert hatten, hat sich die Anzahl an gezielter und systematischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen in den letzten 10 Jahren verdreifacht. (Godoy-Paiz, 2012) In dem Land, das weltweit eine der höchsten Mordraten aufweist, wurden gewalttätige Handlungen gegen Frauen von der internationalen Gemeinschaft als Menschenrechtskrise, die legale Interventionen erfordert, anerkannt. (Godoy-Paiz, 2012). Aufgrund fehlender rechtlicher Reformen in Bezug auf geschlechtsbezogener Gewalt betonen akademische Forscher*innen, wie Godoy-Paiz (2012) die Wichtigkeit einer politischen Reaktion zur Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt in Guatemala.
Femizid in der Form von Ehrenmorden in Palästina
Femizid, die fundamentale Verletzung des Rechts auf Leben, Sicherheit und Schutz, ist auch ein Menschenrechtsthema, welches das Leben von Mädchen und Frauen in Palästina bestimmt. Shalhboub-Kervorkian & Daher-Nasif (2013) bezeichnen unter dem Begriff Femizid alle Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen, die im Namen der „Ehre“ verübt werden.
Auf „Ehre“ basierende Gewalt beschreibt die geplante, gewalttätige Reaktion von engen oder erweiterten Familienmitgliedern, wenn die Ansicht besteht, dass eine Frau, obgleich Ehefrau oder Tochter, durch das Überschreiten von Grenzen der sexuellen Angemessenheit, die Ehre ihrer Familie verletzt hat. (Korteweg, 2012, p. 136) Während diese Art von Gewalt in den Regionen Nordafrikas, Südasiens, Lateinamerikas und dem Mittleren Osten zu finden ist, unterscheidet sie sich doch in der Art und Weise, wie sie ausgeführt wird. (Korteweg, 2012)
Sich auf „Ehre“ basierende Systeme haben ihre Wurzeln in Machtstrukturen, bei welchen der Mann festgelegte Regeln erschafft, die der sozialen Ordnung des Patriarchs entsprechen und patriarchische Werte dazu dienen das Ansehen und den Status seiner Familie in der Gesellschaft zu erhalten. (Aujla & Gill, 2014) Auf diese Weise sind die auf „Ehre“ basierende Gewalttaten eine komplexe Form von Gewalt gegen Frauen, da sie in speziellen Zusammenhängen, in denen Verhaltensnormen angefochten werden, begangen werden. Solche Straftaten werden begangen, um Mädchen und Frauen davor zu warnen, dass sie bestraft werden, wenn sie sich nicht an gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensregeln halten.
Der Weg zur Beendigung geschlechtsspezifische Gewalt
Um der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen, hat die Weltgesundheitsorganisation (2012) mehrere Empfehlungen und Ansätze hervorgebracht, wie zum Beispiel geringerer Waffenbesitz, Präventionsmaßnahmen, sowie Trainings von Polizei und medizinischem Personal. Basierend auf ihrem Mandat befürwortet Humanium einen globalen Ansatz, der direkt auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eingeht und sich mit den Ursprüngen der Menschenrechtsverletzungen befasst.
Unser Ansatz ist außerdem partizipatorisch, da wir Selbsthilfe und Eigenversorgung fördern. In allen Phasen der Projekte werden dessen Begünstigte involviert, um sie dabei zu unterstützen ihre eigenen Bedürfnisse und Prioritäten zu erkennen. So ist zum Beispiel Humanium in 5 von 20 Regionen Ruandas mit ihrem “Verbesserung der Kinderrechte in Ruanda”-Projekt aktiv, welches die Gemeinden mobilisiert, um ein positives und gesundes Umfeld für Kinder zu schaffen.
Das Projekt zielt darauf ab die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden aufzubauen und zu erhalten, sowie die Gewaltspirale, der Kinder ausgesetzt sind, zu beenden. Dieses Projekt entstand aus der Erkenntnis und dem historischen Kontext der extremen Gewalttaten und Femizide, denen Kinder während des Völkermordes von 1994 ausgesetzt waren und die sie miterleben mussten. Es wird auch anerkannt, dass Eltern, die den Völkermord miterlebt haben, unausgesprochene Traumata haben, die täglich in ihrem Zuhause fortbestehen und zu häuslicher Gewalt führen können, denen Kinder als erstes zum Opfer fallen.
Das Projekt wurde mit dem Ziel gegründet häusliche Gewalt zu verringern und Instinkte des Kinderschutzes in Erwachsenen wieder hervorzuholen. All dies sind präventive Maßnahmen, die von der Weltgesundheitsorganisation (2012) befürwortet werden. Des weiteren arbeitet dieses Projekt darauf hin, die mentale Gesundheit und die allgemeine Situation von Kindern in den lokalen Gemeinden Ruandas zu verbessern. Indem das Projekt sich auf regionale Probleme und Herausforderungen konzentriert und Techniken integriert, wie zum Beispiel Workshops für die Traumaheilung und Übungen zur Bildung von Führungsqualitäten, besteht große Hoffnung, dass solche Projekte die Zukunft der Kinder verbessern.
Verfasst von Jennifer Prashad
Übersetzt von Viktoria Fauser
Korrektur gelesen von Andrea Quaden
Literaturnachweise:
Aujla, W. & Gill, A. K. (2014). Conceptualizing ‘Honour’ Killings in Canada: An Extreme Form of Domestic Violence?”, International Journal of Criminal Justice Sciences, 9(1).
Bunch, Charlotte. (1990). “Women’s Rights as Human Rights: Toward a Revision of Human Rights” Human Rights Quarterly 12(4).
Cullen et al. (2019) “Counting Dead Women in Australia: An In-Depth Case Review of Femicide” Journal of Family Violence 34(1).
Godoy-Paiz, P. (2012). “’Not Just ‘Another Woman:’ Femicide and Representation in Guatemala” Journal of Latin American and Caribbean Anthropology 17(1).
Henry, Nicola. (2016) “Theorizing Wartime Rape: Deconstructing Gender, Sexuality and Violence” Gender & Society 30(1).
Hernandez, Wilson. (2018) “Violence with Femicide Risk: Its Effects on Women and Their Children” Journal of Interpersonal Violence 00(0).
Korteweg, A. (2012). Understanding Honour Killing And Honour-Related Violence in the Immigration Context: Implications for the Legal Profession And Beyond, Canadian Criminal Law Review, 16(2).
Livingston, J (2004). “Murder in Juarez: Gender, Sexual Violence and the Global Assembly Line” Frontiers: A Journal of Women Studies 25(1).
Olivera, M. & Furio, V. (2006). “Violencia Femicida: Violence against Women and Mexico’s Structural Crisis” Latin American Perspectives 33(2).
Otero, M. (2008). “Violence Against the Women of Juarez” Canadian Women Studies 27(1).
Pantaleo, K. “Gendered Violence: An Analysis of the Maquiladora Murders” International Criminal Justice Review 20(4).
Roure, J. G. (2011) “Gender Justice in Puerto Rico: Domestic Violence, Legal Reform, and the Use of International Human Rights Principles” Human Rights Quarterly 33(3).
Schmidt, A. (2005). “Ciudadana X: Gender Violence and the Denationalization of Women’s Rights in Ciudad, Mexico’ The New Centennial Review 5(1).
Toprak, Sadik & Ersoy, Gokhan (2017). “Femicide in Turkey between 2000 and 2010” PLOS ONE 12(8).
Weissman, D. (2005). “The Political Economy of Violence: Toward an Understanding of the Gender-Based Murders of Ciudad Jarez” North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 30(795).