Kinder in Ruanda

Die Verwirklichung der Kinderrechte in Ruanda 

Ruanda hat große Fortschritte in der Überwindung der Folgen des verheerenden Genozids von 1994 gemacht. Tiefgreifende soziale, wirtschaftliche und strukturelle Reformen haben dem Land ein bedeutendes Wirtschaftswachstum beschert und es wurden große Fortschritte bei der Armutsbekämpfung und der Bereitstellung von Gesundheits– und Bildungsdienstleistungen erzielt. Jedoch bleibt Ruanda trotz dieses Fortschritts eines der ärmsten Länder der Welt, in dem Kinder weiterhin der Gefahr chronischer Mangelernährung, schlechter Gesundheitsbedingungen, Gewalt, Kinderarbeit und Ausbeutung ausgesetzt sind – alles Faktoren, durch die ihr Leben, ihre Entwicklung und ihr Wohlbefinden gefährdet sind.

Index der Realisierung von Kinderrechten: 6,56/10
Rote Stufe:
Schwierige Lage

Bevölkerung: 13 Millionen
Bev. 0-14 Jahren: 39 %

Lebenserwartung: 69 Jahre
Kindersterblichkeit: 34 

Ruanda auf einen Blick

Ruanda ist ein kleines Binnenland in Ostafrika, das an die Demokratische Republik Kongo (DRC) im Westen, Tansania im Osten, Uganda im Norden und Burundi im Süden grenzt. Ruanda hat eine der höchsten Bevölkerungsdichten in Afrika mit einer jungen, überwiegend ländlichen Bevölkerung, die auf 13 Millionen Menschen geschätzt wird (World Bank 2020). Die politische, soziale und wirtschaftliche Realität in Ruanda ist maßgeblich durch den Bürgerkrieg von Anfang 1990 und dem Genozid von 1994 geprägt. Trotz dieser Umstände hat Ruanda in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in Richtung wirtschaftlichen Wohlstands und Infrastrukturentwicklung gemacht.

In dem Bemühen, seinen Entwicklungsplan Vision 2020 zu verwirklichen, hat Ruanda zwei fünfjährige Strategien zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung (EDPRS I & EDPRS II) umgesetzt. Darüber hinaus sind politische Stabilität, gute Regierungsführung, steuerliche und administrative Dezentralisierung und Nulltoleranz gegenüber Korruption Schlüsselfaktoren, die zum Wirtschaftswachstum des Landes beigetragen haben (Republik Ruanda, 2012).

Kinder machen einen großen Anteil der ruandischen Bevölkerung aus, von der 39% unter dem Alter von 15 sind und dessen Durchschnittsalter 24,4 Jahre beträgt. Außerdem machen Kinder 83,5% der ländlichen Bevölkerung Ruandas aus, wo sie häufig in prekären Verhältnissen leben und begrenzten Zugang zu Grundbedürfnissen wie Ernährung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Schutz haben (World Bank 2020).

Ruandas sehr junge Bevölkerung ist eine der Folgen des verheerenden Genozids von 1994, in dem etwa 1.000.000 Ruander innerhalb von vier Wochen getötet wurden (Vereinte Nationen 2015). Die unvermeidlichen negativen Auswirkungen des Massakers sowie die aktuellen Entwicklungsherausforderungen beeinträchtigen das Leben der ruandischen Kinder nach wie vor auf unterschiedliche Weise (Vereinte Nationen 2015). 

Trotz der sozioökonomischen Errungenschaften steht Ruanda immer noch vor einigen Entwicklungsproblemen, die sich unmittelbar auf den Schutz von Kindern auswirken, darunter chronische Unterernährung (Stunting), frühkindliche Entwicklung, Neugeborenensterblichkeit, schlechte Qualität der Bildung und Gewalt.

Die Situation der Kinderrechte [1]

Ruanda ist starke rechtliche Verpflichtungen zur Förderung und zum Schutz von Kinderrechten eingegangen. Ruanda ist Unterzeichner zahlreicher internationaler Übereinkommen, Erklärungen und Verträgen zu Menschenrechten, Bildung, Arbeit, Behinderungen und Geflüchteten, die die Regierung verpflichten, den Schutz der Rechte der Kinder im Land zu gewährleisten.

Auf internationaler Ebene hat Ruanda 1990 die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) ratifiziert, gefolgt von dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes über Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie sowie dem Fakultativprotokoll über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, die beide 2002 ratifiziert wurden (Sapsford, 2012). 

Zu den weiteren internationalen Verträgen, die Ruanda ratifiziert hat, gehören das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über das Verbot aller Formen der Ausbeutung der Kinderarbeit und unverzügliche Maßnahmen zu ihrer Beseitigung (2000), das Übereinkommen über die Einwilligung in die Eheschließung, das Mindestalter für die Eheschließung und die Registrierung von Eheschließungen (2002), das Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (2002) und das Übereinkommen 138 der Internationalen Arbeitsorganisation über das Mindestalter für die Beschäftigung 1973 (1981) (Sapsford, 2012).

Auf regionaler Ebene ist Ruanda insbesondere der Afrikanischen Charta für die Rechte und das Wohlergehen des Kindes (2001) verpflichtet. Ruanda hat jedoch nicht nur internationale und regionale Verträge ratifiziert, sondern auch mehrere nationale Gesetze und Strategien zum Schutz der Rechte und Bedürfnisse von Kindern unter besonderer Berücksichtigung des nationalen Kontextes verabschiedet. Vor allem die geänderte Verfassung der Republik Ruanda (2003) bekräftigt die Einhaltung der Grundsätze und Verpflichtungen zum Schutz der Kinderrechte und beruft sich dabei insbesondere auf die UN-Kinderrechtskonvention (CRIN, 2015)

Die Nationale Integrierte Kinderrechtspolitik wurde 2011 als zusätzliches und umfassendes Instrument zur Koordinierung der Umsetzung der Kinderrechte entwickelt und soll dazu beitragen, eine Grundlage für den sektorübergreifenden Ansatz zu schaffen, der zur Umsetzung der Nationalen Kinderpolitik und des Nationalen Strategieplans für Kinder erforderlich ist (Sapsford, 2012).

Darüber hinaus verabschiedete Ruanda im Juni 2012 das Gesetz Nr. 54/2000 über die Rechte und den Schutz des Kindes. Ziel des Gesetzes war es, eine „Grundrechtecharta“ für Kinder in Ruanda zu schaffen, die alle Aspekte von Kinderrechten abdeckt und die Anforderungen aller ratifizierten internationalen Verträge erfüllt (CRIN, 2015). Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wurde auch die Nationale Kommission für Kinder geschaffen, eine Regierungsorganisation zur Förderung der Kinderrechte.

Auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen

Recht auf Gesundheit

Seit dem Ende des Genozids hat Ruanda seine Ausgaben für das Gesundheitswesen drastisch erhöht. Die Regierung hat entsprechend der Milleniums-Entwicklungsziele die Gesundheit von Müttern und Kindern zur Priorität in allen Entwicklungsprogrammen gemacht. Neben der Dezentralisierung der Gesundheitsdienste wurden auch solche für Mütter und Kinder geschaffen, um einen besonderen Schwerpunkt auf Gesundheitsstrategien für Mütter, Neugeborene und Kinder zu legen. Die Einführung des universellen Zugangs zu einer Krankenversicherung hat den Zugang zu Gesundheitsdiensten für alle ermöglicht (CRIN, 2015).

Sowohl die Kinder- als auch die Müttersterblichkeitsrate in Ruanda ist im internationalen Vergleich zwar nach wie vor hoch, aber beide sind in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. Die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren sank in Ruanda schrittweise von 221,3 Todesfällen pro tausend Lebendgeburten im Jahr 1970 auf 34 Todesfälle pro tausend Lebendgeburten im Jahr 2021 (Gesundheitsministerium Ruanda 2020).

Dieser Rückgang der Kindersterblichkeit kann als direktes Ergebnis der Regierungspolitik angesehen werden, einschließlich der Impfprogramme für Kinder. In den letzten zehn Jahren stieg die Impfquote bei Kindern von 69,8 % auf 93 %. Die aktive Förderung des Stillens in den ersten sechs Lebensmonaten eines Kindes hat außerdem dazu beigetragen, die chronische Unterernährung von 44 % auf 38 % zu reduzieren (CRIN, 2015). 

Trotz der steigenden Zahl von Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land sind Kinder weiterhin mit zahlreichen gesundheitlichen Herausforderungen und Krankheiten konfrontiert. Die am häufigsten festgestellten Ursachen für den Tod von Kindern sind Lungenentzündung, Geburtsasphyxie und Meningitis bei Neugeborenen und Malaria, akute Atemwegsinfektionen und HIV/AIDS-bedingte Todesfälle bei Nicht-Neugeborenen (Neil, 2018). Folglich bleibt die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf Gesundheit der ruandischen Kinder ein ernstes Problem.

Recht auf Bildung

Das ruandische Bildungssystem gilt als eines der fortschrittlichsten in Afrika mit kostenlosem und obligatorischem Zugang zur Grund- und Sekundarstufe I bis zum Alter von zwölf Jahren.  Nahezu 100 % der ruandischen Kinder besuchen die Grundschule und 73 % der Kinder im Alter von fünfzehn Jahren oder älter gelten als alphabetisiert (CRIN, 2015).

Die Regierung bietet insbesondere Schulstipendien, Schulspeisung und Geldtransfers für Kinder, die sich aus wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Gründen keine Schulbildung leisten können (CRIN, 2015; Unicef, 2018). Obwohl fast alle Kinder in die Grundschule eingeschult werden, schließen nur 71 % der ruandischen Kinder ihre Grundschulausbildung ab. Die Beschäftigung von Kindern mit Arbeitstätigkeiten außerhalb der Schule ist nach wie vor ein entscheidendes Hindernis für den Schulbesuch und den Schulabschluss (Unicef, 2018).

Überfüllte Klassenzimmer und die geringe Verfügbarkeit von Schulmaterial haben ebenfalls zu einer Verschlechterung der Qualität der Bildung geführt. Darüber hinaus werden Kinder mit Behinderungen sowie Minderheiten und Flüchtlingskinder beim Zugang zu ihrem Recht auf Bildung häufig diskriminiert und stark behindert (CRIN, 2015).

Der Zugang zu Bildung ist in einem Entwicklungsland wie Ruanda von grundlegender Bedeutung. Durch die Einschulung wird nicht nur Kinderarbeit verhindert, sondern es werden auch die Kenntnisse und Fähigkeiten der Kinder entwickelt, die sie benötigen, um die Gesellschaft zu beeinflussen und zu ihrer Entwicklung beizutragen.

Recht auf Identität 

In Ruanda werden 91% der Kinder in Gesundheitseinrichtungen geboren, und von diesen werden nur 50% in das sektorale Personenstandsregister eingetragen. Infolgedessen sind die andere Kinder nicht registriert und laufen Gefahr, vom Staat nicht geschützt zu werden. Die Geburtenregistrierung ist ein Grundrecht, da sie dem Kind einen Namen, die Abstammung, die Staatsangehörigkeit und das Alter gibt. Sie stellt auch einen Identitätsnachweis dar, ein Zeichen der Existenz in den Augen der Gesellschaft (Unicef, Ruanda – Birth Registration, 2017).

Ohne Registrierung und damit ohne Geburtsurkunde können sich Kinder nicht für Sozialhilfeprogramme anmelden oder zur Schule gehen und sind unter anderem nicht vor Kinderarbeit und Frühverheiratung geschützt. Erwachsene können keinen Ausweis beantragen, der für eine Beschäftigung und einen Führerschein erforderlich ist, oder ein Bankkonto eröffnen und Zugang zu Krediten erhalten, um ein Geschäft aufzubauen (CRIN, 2015).

Bis heute gibt es in Ruanda kein einfaches und umfassendes Registrierungsverfahren. Das Fehlen dezentralisierter und digitalisierter Registrierungsverfahren schafft zusätzliche Schwierigkeiten für Eltern, die ihr Kind bei der Geburt registrieren lassen möchten. Artikel 12 des Gesetzes Nr. 14/2008 bestraft Eltern, die ihre Kinder nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von dreißig Tagen registrieren lassen, und schafft damit zusätzliche rechtliche Hindernisse für die Registrierung von Kindern außerhalb dieses Zeitrahmens (CRIN, 2015; World Vision, 2016). 

Darüber hinaus ist die gesetzlich vorgeschriebene Anwesenheit des Vaters bei Arztbesuchen und vor allem bei der Registrierung ein weiterer Grund für nicht registrierte Kinder. Ein Großteil der Kinder minderjähriger Mütter wird in der Regel nicht registriert. Die Ursache für dieses Problem ist die Tatsache, dass viele Teenagerschwangerschaften das Ergebnis von sexuellem Missbrauch sind und daher die Anforderung der Anwesenheit des Vaters beim ersten vorgeburtlichen Besuch nicht erfüllen. 

Außerdem besitzen die meisten Teenager-Mütter bei der Anmeldung keinen Personalausweis. Folglich melden die Mütter ihr Baby entweder unter dem Namen ihrer Eltern an oder registrieren es gar nicht. Alleinerziehende Mütter werden oft stigmatisiert und fürchten sich vor der Verantwortung, dass der Vater durch das strenge Verfahren nicht rechtlich anerkannt wird (World Vision, 2016).

Recht auf Nahrung und Wasser

Angemessene Ernährung und Wasserversorgung sind entscheidend für das Überleben und die Gesundheit eines Kindes und wirken sich direkt auf sein Wohlbefinden und seine körperliche und kognitive Entwicklung aus. Eine unzureichende Ernährung der Mutter kann negative Auswirkungen auf das Kind im Mutterleib haben, die sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen und sich über Generationen hinweg fortsetzen können. Unterernährung oder schlechte Ernährung ist immer noch für eine große Zahl von Todesfällen in Ruanda verantwortlich, wirkt sich aber auch auf die Bildungsleistungen, die wirtschaftliche Produktivität und die nationale Entwicklung insgesamt aus (USAID, 2018).

Neben schlechter Ernährung haben die Kinder in Ruanda oft Schwierigkeiten, Zugang zu Wasser zu bekommen. Obwohl sich der Zugang zu Wasser stark verbessert hat, gibt es nach wie vor Probleme mit der Qualität und der Verfügbarkeit, vor allem in ländlichen Gebieten. Es besteht ein deutliches Gefälle zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen im ganzen Land, die Zugang zu keimfreiem Wasser haben, wobei die Ärmsten am stärksten betroffen sind. Schätzungen zufolge haben etwa 74 % der ruandischen Bevölkerung im ärmsten Quintil keinen Zugang zu sauberem Wasser, im Vergleich zu 34 % im reichsten Quintil (USAID, 2018). 

Diese Ungleichheit wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Kinder aus, indem sie ihren Zugang zu angemessener Hygiene minimiert, was die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Krankheiten erhöht, die durch verunreinigtes Wasser, schlechte sanitäre Einrichtungen und unsichere Hygienepraktiken verursacht werden. Darüber hinaus sind es vor allem Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern, die mit dem schwierigen Zugang zu sauberem Wasser belastet sind. Ihr täglicher Gang um an sauberes Wasser zu kommen beraubt Mädchen ihres Rechts auf Bildung (CRIN, 2015).

Recht auf Schutz

Die ruandischen Gesetze garantieren allen Bürgern Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung. Trotz der großen Fortschritte, die das Land bei der Gleichstellung ethnischer Minderheiten gemacht hat, bestehen jedoch nach wie vor einige Ungleichheiten. 

Kinder, die nach einer Vergewaltigung geboren wurden, Kinder, die von HIV/AIDS betroffen sind, Kinder mit Behinderungen, junge Mädchen, Kinder, die in Armut leben, Straßenkinder, Kinder, die den Haushalt führen, Kinder in Heimen, Waisenkinder und Kinder aus „historisch marginalisierten Gemeinschaften“ sind in Ruanda besonders von Diskriminierung bedroht (CRIN, 2015).  

Die Batwa-Gemeinschaft, die 1 % der ruandischen Bevölkerung ausmacht, hat zum Beispiel immer noch Schwierigkeiten, Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu erhalten. Diese Hindernisse haben direkte Auswirkungen auf ihr Recht auf Gesundheit und Bildung. Die Folge ist eine höhere Kindersterblichkeitsrate, Krankheiten und Unterernährung und damit eine geringere durchschnittliche Lebenserwartung für diese Bevölkerungsgruppe. Darüber hinaus sind sie direkt vom Wachstum des Agrarsektors im Land betroffen, was dazu führt dass sie den Zugang zu ihrem angestammten Land ohne jegliche Entschädigung verlieren. Infolgedessen leben sie unter sehr schwierigen Bedingungen und leiden unter extremer Armut und sozialer Ausgrenzung (UNPO, 2018).

Auch die LGBTQ+-Gemeinschaft ist Zielscheibe von Diskriminierung. Obwohl Ruanda nach wie vor eines der wenigen afrikanischen Länder ist, das Homosexualität nicht kriminalisiert, gibt es tief verwurzelte soziale Stigmata gegenüber Personen aus dieser Gemeinschaft, was wiederum oft zu großen Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Gesundheit führt (CRIN, 2015).

Risikofaktoren → Länderspezifische Herausforderungen 

Armut 

Im Rahmen ihrer „Vision 2020“ zur Armutsbekämpfung hat die ruandische Regierung eine umfassende Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik eingeleitet, um ein rasches und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erreichen und damit die Armutsquote im Land zu senken. Endgültiges Ziel dieser sozioökonomischen Reformen ist es, die ruandische Wirtschaft, die zu 90 % auf Subsistenzlandwirtschaft basiert, umzugestalten und in einen modernen und diversifizierten Motor zu verwandeln (UNPD, 2021). 

Obwohl Ruanda ein schnelles Wirtschaftswachstum verzeichnet und in vielen Bereichen des sozialen Wohlstands enorme Fortschritte gemacht hat, ist die Armut nach wie vor weit verbreitet und allgegenwärtig. Im Jahr 2020 lebten 38,2 % der ruandischen Bevölkerung in Armut, 16 % sogar in extremer Armut. Infolgedessen sind 38 % der Kinder unter fünf Jahren unterentwickelt, wobei 49 % von ihnen zum ärmsten Quintil gehören (USAID, 2018). 

Armut hat verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit, den Bildungserfolg und die kognitive Entwicklung von Kindern. Kinder, die in Ruanda in Armut geboren werden, haben ein höheres Risiko für Gesundheitsprobleme, einschließlich schlechter Ernährung, chronischer Krankheiten und fehlendem Zugang zu Wasser und angemessenen sanitären Einrichtungen. Armut ist auch ein treibender Faktor dafür, dass Kinder zu Kinderarbeit gezwungen werden (Weltbank, 2015).

Gewalt

Die Geschichte Ruandas hatte und hat weiterhin schreckliche Folgen für Kinder. Studien haben gezeigt, dass das Erbe des ruandischen Völkermords sowohl direkt als auch indirekt in den Familienstrukturen, den Erziehungsstrategien und der sozioökonomischen Situation der Familie weitergegeben wird (Center for International Criminal Justice, 2017).

Viele der Waisenkinder des Landes sind das tragische Ergebnis eines gewaltsamen Bürgerkriegs. Diejenigen, die überlebt haben, waren Grausamkeiten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ausgesetzt. Diese unverarbeiteten Traumata machen sie als Eltern weniger sensibel für die Bedürfnisse ihrer Kinder, die nun selbst Opfer häuslicher Gewalt werden. Folglich wird der Teufelskreis der Gewalt fortgesetzt und von Generation zu Generation weitergegeben (Center for International Criminal Justice, 2017; Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek, 2017).

Jüngste Studien haben gezeigt, dass Kinder, die Gewalt erlitten haben, eher dazu neigen, andere Kinder zu missbrauchen. Rund 60% der jungen Menschen, insbesondere der Mädchen, glauben, dass Frauen Gewalt tolerieren sollten, um ihre Familien zusammenzuhalten. Dies hat zur Folge, dass fünf von zehn Mädchen und sechs von zehn Jungen in Ruanda vor ihrem achtzehnten Lebensjahr Opfer mindestens einer Form von Gewalt – sexueller, körperlicher oder emotionaler Art – werden. Am häufigsten werden Kinder von Personen aus ihrem nahen Umfeld missbraucht: Eltern, Nachbarn, Lehrern oder Freunden (Unicef, 2018).

Kinder, die Gewalt ausgesetzt sind, können unter sowohl kurz- als auch langfristigen schweren gesundheitlichen und sozialen Folgen leiden. Die unmittelbare Folge von Gewalt durch Eltern, Betreuungspersonen und andere Personen wird mit einer Reihe von emotionalen Problemen und Verhaltensproblemen im Jugend- und Erwachsenenalter in Verbindung gebracht, darunter Aggression, Verhaltensstörungen, Drogenmissbrauch, schlechte akademische Leistungen, Angstzustände, Depressionen, vermindertes Selbstwertgefühl und Suizidalität (WHO, 2017). 

Kinderarbeit und Kinderhandel

In den letzten Jahren ist Ruanda zu einem wichtigen Herkunfts-, Transit- und/oder Zielland für Personen geworden, die in Zwangsarbeit und Kinderhandel verwickelt sind. Ruandische Mädchen werden sehr häufig zur Arbeit gezwungen, einschließlich häuslicher Sklaverei und Sexhandel. Ähnliches gilt für ruandische Jungen, die im Bergbau, in der Landwirtschaft und in der Industrie, aber auch im Dienstleistungssektor im Ausland, u. a. in China, Indien, Kenia, Kuwait, Saudi-Arabien, Uganda, Sambia und Teilen Ostasiens, Zwangsarbeit leisten müssen (US-Department of Labor, 2020).

Menschenhändler neigen besonders dazu, gefährdete Gruppen ins Visier zu nehmen, darunter Jugendliche, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, Waisenkinder, Kinder mit Behinderungen, junge Frauen und Mädchen sowie vertriebene Kinder. Kürzlich berichteten Beobachter über eine Zunahme des Kinderhandels aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (US-Außenministerium, 2021). Die ruandische Regierung muss noch proaktivere Maßnahmen zur Verhinderung von Kinderarbeit und Kinderhandel ergreifen, insbesondere die Suche, Festnahme und Verurteilung von Menschenhändlern sowie die Bereitstellung von Langzeitpflegeeinrichtungen für die Opfer. 

Straßenkinder und inhaftierte Kinder 

In Ruanda leben schätzungsweise 7.000 Kinder auf der Straße. Sie sind Ausreißer, obdachlos oder arbeiten auf der Straße – mit oder ohne ihre Familien. Sie sind besonders schutzbedürftig, da ihr Leben von Unsicherheit, mangelnder Ernährung, fehlendem Schutz, fehlendem Zugang zur Gesundheitsversorgung und fehlender Bildung geprägt ist. Viele von ihnen leiden an Unterernährung, Krankheiten und sind besonders anfällig für diejenigen, die ihnen Schaden zufügen wollen, und sind somit Missbrauch, Vernachlässigung und Ausbeutung ausgesetzt (Salesian Center, 2021).

In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, dient das Gikondo Transit Centre als inoffizielles Haftzentrum, in dem Straßenkinder, aber auch Obdachlose, Bettler und Sexarbeiter willkürlich festgehalten werden (Human Rights Watch, 2020).

Seit 2017 unterliegen Transitzentren, wie das Gikondo Transit Centre, dem Gesetz zur Einrichtung des „Nationalen Rehabilitationsdienstes“ und mehreren nachfolgenden Regierungsverordnungen, die es erlauben, Personen, die „abweichendes Verhalten“ zeigen, bis zu zwei Monate in Transitzentren festzuhalten, ohne dass es dafür eine andere rechtliche Begründung oder ein ordentliches Verfahren gibt. In den Transitzentren werden die Kinder unter unmenschlichen Bedingungen in überfüllten Räumen in schlechten hygienischen und sanitären Zuständen eingesperrt. Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung sind dürftig und die Kinder erfahren häufig Gewalt durch die Betreuer und andere Gefangene. 

Angesichts dieser Verstöße gegen internationale Instrumente wie die Kinderrechtskonvention haben internationale Organisationen, aber auch der Ausschuss für die Rechte des Kindes, die Regierung Ruandas aufgefordert, die willkürliche Inhaftierung von schutzbedürftigen Kindern dauerhaft zu beenden, die Übergangszentren zu schließen und gründliche Untersuchungen dieser Missstände durchzuführen (Human Rights Watch, 2020). Trotz des internationalen Drucks sind das Gikondo-Transitzentrum und ähnliche Einrichtungen jedoch auch heute noch in Betrieb (CRIN, 2015). 

Ruanda hat einen langen Weg zurückgelegt, um die Rechte von Kindern zu fördern und zu schützen. Der Weg ist jedoch noch lang und es ist an der Zeit, dass das Land den Weg zur vollständigen Verwirklichung der Rechte aller Kinder einschlägt.

Verfasst von Anja Finke

Übersetzt von Jana Wegener

Korrektur gelesen von Sibylle Daymond

Zuletzt aktualisiert am 2. Oktober 2021 

Bibliographie:

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[1] Dieser Artikel erhebt nicht den Anspruch, eine umfassende oder repräsentative Darstellung der Kinderrechte in Ruanda zu geben; eine der vielen Herausforderungen ist der Mangel an aktuellen Informationen über Kinder. Dieser Artikel basiert hauptsächlich auf Quellen der Vereinten Nationen, die durch Quellen anderer Organisationen ergänzt werden sollten.