Kinderrechte und die Olympischen Spiele 2024 in Paris: Meilenstein oder verpasste Chance?

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Die vom 26. Juli bis 11. August in Paris stattfindenden Olympischen Spiele 2024, bei denen erstmals das Thema „Menschenrechte“ explizit in den Host-City-Vertrag mit aufgenommen wurde, versprechen Fortschritte. Allerdings liegt der Schwerpunkt hierbei eher auf ökologischer Nachhaltigkeit als auf Kinderrechten. Auch wenn die Risiken aufgrund der hoch entwickelten Gastgeberstadt als gering eingeschätzt werden, ist weiterhin Wachsamkeit geboten. Insbesondere der Einsatz von Kinderarbeit in den Lieferketten der Olympischen Spiele, die Gefahr von Gewalt und Ausbeutung junger Athleten sowie Verletzungen der Privatsphäre von Kindern durch den Einsatz algorithmenbasierter Videoüberwachung stellen in diesem Zusammenhang Problemfelder dar.

Kinderrechte und Sport

Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – mit Ausnahme der Vereinigten Staaten – haben sich verpflichtet, die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) einzuhalten. Hierdurch hat man Kinder als geschützte Gruppe anerkannt, indem verschiedene Institutionen dazu verpflichtet wurden, die Sicherheit und das Wohlergehen von ebenjenen zu gewährleisten. Von Sportorganisationen wird erwartet, dass sie gegenüber Kindern die gleiche gesetzliche Fürsorgepflicht wahrnehmen. 

Doch anders als andere Institutionen werden Sportorganisationen für ihre Versäumnisse nicht rechtlich zur Verantwortung gezogen – sei es aufgrund mangelnder Durchsetzung allgemeingültiger Gesetze oder aufgrund fehlender konkreter Gesetze zur Regulierung des Sports. Sportorganisationen verwalten sich großteils selbst und können dabei mit minimalen staatlichen Eingriffen weitestgehend autonom agieren (Donnelly, Mazzucco, 2024). 

Um Kinder im Sport besser zu schützen, haben internationale Sportorganisationen eigene Vorgaben erstellt, wie beispielsweise die Richtlinien des Internationalen Olympischen Komitees zum Schutz von Athleten vor Belästigung und Missbrauch (Pavlogiannis et al., 2024). Darüber hinaus hat UNICEF im Jahr 2018 gemeinsam mit dem japanischen UNICEF-Komitee die Prinzipien der Kinderrechte im Sport entwickelt.

In diesem Dokument werden Sportorganisationen, Bildungseinrichtungen, Trainern, Sponsoren, erwachsenen Sportlern sowie Eltern und Erziehungsberechtigten Richtlinien an die Hand gegeben, um Kinder im Sport besser zu schützen und ihre dortige Teilnahme zu fördern (UNICEF, 2018). 

Um zu veranschaulichen, wie die in der Kinderrechtskonvention festgelegten Kinderrechte im Sport umgesetzt und verankert werden können, hat UNICEF kürzlich Richtlinien mit Beispielen aus der globalen Fußballindustrie herausgegeben (UNICEF, 2020). Schließlich haben mehrere nationale Sportverbände (z. B. aus England, Norwegen und Schweden) die KRK in ihre Sportpolitik aufgenommen (Pavlogiannis et al., 2024).

Kinderrechtsverletzungen im Kontext der Olympischen Spiele

Die Olympischen Spiele basieren auf den Werten Freundschaft, Solidarität, Fair Play und auf der Achtung universeller ethischer Grundprinzipien. Dennoch gibt es seit über 30 Jahren zahlreiche Berichte über Skandale, korrupte und illegale Praktiken, Menschenrechtsverletzungen, Fälle von Regierungsversagen sowie Misshandlung von Athleten (Donnelly, Mazzucco, 2024). 

Insbesondere gibt es Hinweise darauf, dass es bei allen Olympischen Spielen im letzten Jahrzehnt zu Kinderrechtsverletzungen kam. Untersuchungen zeigen, dass Kinder in der Planungs- und Produktionsphase von Großsportveranstaltungen verschiedenen Formen von Missbrauch ausgesetzt sind (Aina et al., 2021).

Kinderarbeit und Straßenkinder im Fokus

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Sportgroßveranstaltungen zu Gewalt und Ausbeutung führen können. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio wurden beispielsweise Vorfälle von Kinderarbeit aufgedeckt (Global Child Forum, 2024). Dies nahm der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zum Anlass, um von der im Vorfeld der Spiele betriebenen Räumungspolitik zu berichten. Straßenkinder wurden hierbei aus dem Stadtbild entfernt.

Um die Touristengebiete für die erwartete halbe Million Besucher „zu säubern“, wurden viele Straßenkinder in Jugendstrafanstalten gebracht, wo sie von Gewalt und Demütigungen berichteten. Andere sind einfach spurlos verschwunden (Florence, 2016). Während der Olympischen Spiele 2012 in London standen die Kinder erneut im Fokus, als herauskam, dass ein chinesisches Unternehmen Kinder ab 12 Jahren zur Herstellung der Maskottchen eingesetzt hatte (Aina et al., 2021). 

Schutz junger Athleten vor Gewalt und Ausbeutung 

Der Weg zum olympischen Ruhm ist für junge Sportler mit vielen Herausforderungen verbunden. Neben strengen Trainingsplänen sind sie u. a. auch einem enormen Druck ausgesetzt, der ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit schaden kann (Global Child Forum, 2024). Zu den Verstößen im Sportbereich zählen unter anderem Fälle, in denen minderjährige Sportler unangemessenem Leistungsdruck ausgesetzt sind, was mit Schlägen und weiteren Formen körperlicher Bestrafung einhergeht. 

Es gibt zudem Hinweise auf sexuelle Belästigung und Übergriffe gegenüber minderjährigen Athleten (Aina et al., 2021). Untersuchungen zeigen, dass der Sport für viele minderjährige Sportler mit Missbrauch und Traumata verbunden ist, obwohl er doch eigentlich eine Chance zur Entwicklung und zum Wachstum sein sollte (UNI Global Union, 2021).

Human Rights Watch hat sich beispielsweise mit Japans Geschichte der körperlichen Züchtigung im Sport befasst – auf Japanisch „Taibatsu“ genannt – und in allen japanischen Schulen, Verbänden und im Spitzensport Fälle von Kindesmissbrauch festgestellt. Japanische Sportler aus mehr als 50 Sportarten berichteten von Übergriffen wie Schlägen ins Gesicht, Tritten, Prügeln mit Gegenständen wie Baseballschlägern oder Kendo-Stöcken aus Bambus, Wasserentzug, Würgen, Auspeitschen mit Pfeifen oder Rackets sowie sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung. (HRW, 2020). 

Abwägung zwischen Privatsphäre und Überwachung

Im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris gibt die jüngste Gesetzgebung der französischen Nationalversammlung Anlass zu erheblichen Bedenken, da sie den Einsatz KI-basierter Videoüberwachungssysteme erlaubt. Solche Maßnahmen können das Recht auf Privatsphäre verletzen und aufgrund der ständigen Ortung und Überwachung vor allem Kinder überproportional benachteiligen. Die Herausforderung besteht darin, die notwendige Sicherheit mit der Wahrung grundlegender Menschenrechte in Einklang zu bringen und sicherzustellen, dass jede Überwachung eindeutig erkennbar und rechtlich gerechtfertigt ist (Global Child Forum, 2024). 

Verankerung der Kinderrechtsprinzipien bei den Olympischen Spielen

Die 32. Olympischen Spiele sind die Ersten, bei denen die Menschenrechte explizit in den Host-City-Vertrag mit aufgenommen wurden (Infobae, 2021). Dennoch stellte das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Evaluierungsbericht der Bewerbung von Paris um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 fest, dass der Schwerpunkt stärker auf ökologischer Nachhaltigkeit als auf Kinderrechten liege (Global Child Forum, 2024). 

Wieder einmal haben die Organisatoren der Olympischen Spiele in Paris die Gelegenheit verpasst, das Thema Kinderrechte in die Richtlinien und Grundsätze für die Planung und Durchführung der Spiele zu verankern –  ein wichtiges Erbe, das ihnen ihre Vorgänger 2020 aus Tokio überlassen hatten.

Die japanischen Behörden hatten damals zwar internationale Übereinkommen zur Wahrung von Kinderrechten unterzeichnet und einige Strategien zur Beteiligung von Kindern in die Aktivitäten rund um die Spiele integriert – allerdings gibt es kaum Hinweise, dass die Organisatoren der Olympischen Spiele 2020 in Tokio solide Strategien, Grundsätze oder Praktiken entwickelt oder umgesetzt hatten, um die Rechte der Kinder bei der Planung der Spiele zu respektieren, zu schützen und zu fördern. 

Einer aktuellen Studie zufolge ist dieses Defizit darauf zurückzuführen, dass es in der Bewerbungs- und Planungsphase keine Verpflichtung gab, den Schutz von Kinderrechten zu integrieren. Als die Spiele erstmals an Tokio vergeben wurden, hatte das IOC das Thema Menschenrechte noch nicht in seinem Vertrag mit der Gastgeberstadt verankert (Aina et al., 2021). 

Fürsprache und Handlungsbedarf

Was die Olympischen Spiele in Paris betrifft, ist die Einbeziehung der Menschenrechte in den Host-City-Vertrag zwar ein guter Anfang, doch reicht dieser nicht aus, um die Rechte der Kinder zu wahren und zu schützen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das IOC in die Bewerbungs- und Planungsprozesse Grundsätze und Vorschriften zur Sicherstellung von Kinderrechten miteinbezieht. Nur so wird gewährleistet, dass die Risiken, denen Kinder ausgesetzt sind, im Vordergrund stehen und die Gastgeberstädte und ihre Partner entsprechend gegensteuern.

Dadurch wird den Menschenrechten der gleiche Stellenwert zuteil wie allen anderen Spielanforderungen auch (Aina et al., 2021). Das IOC und die Bewerberstädte sollten einen expliziten Schwerpunkt auf Kinderrechte legen und mithilfe geeigneter Maßnahmen die negativen Auswirkungen auf Kinder mildern (Sportanddev, 2017).

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Geschrieben von Arianna Braga

Übersetzt von Melanie Dauphin

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Literaturverzeichnis: 

Aina O., McGillivray D., Carnicelli S., McPherson G. (2021). Embedding Child Rights Principles and Practises in Mega Sport Event Planning. Frontiers in sports and active living, 3, 695666. Retrieved from Frontiers at https://doi.org/10.3389/fspor.2021.695666, accessed on 21 June 2024. 

Donnelly P., Mazzucco M., (2024). With Olympics approaching, it’s time to recognize children as a protected class in sport. Retrieved from The Conversation at https://theconversation.com/with-olympics-approaching-its-time-to-recognize-children-as-a-protected-class-in-sport-229268, accessed on 21 June 2024. 

Florence (2016). What price an Olympics that protects the rights of children and their families? Retrieved from The Guardian at https://www.theguardian.com/global-development/2016/mar/18/olympic-games-2016-rio-de-janeiro-child-rights-families, accessed on 21 June 2024. 

Global Child Forum (2024). Championing Children’s Rights: Lighting a Torch at the Paris 2024 Olympics. Retrieved from Global Child Forum at https://globalchildforum.org/blog/championing-childrens-rights-lighting-a-torch-at-the-paris-2024-olympics/, accessed on 21 June 2024. 

HRW (2020). Japan: Child Abuse in Pursuit of Olympic Medals. Retrieved from Human Rights Watch (HRW) at https://www.hrw.org/news/2020/07/20/japan-child-abuse-pursuit-olympic-medals, accessed on 21 June 2024.  

Infobae (2021). Press Release: 2024 Evaluation Report Lacks Child Rights Focus. Retrieved from Infobae at https://www.infobae.com/aroundtherings/ioc/2021/07/12/press-release-2024-evaluation-report-lacks-child-rights-focus/, accessed on 21 June 2024. 

Pavlogiannis G., Eliasson I., Söderström T. (2024). Exploring the Landscape of Children’s Rights in Sports: A Scoping Review of Research Topics and Approaches in Social Sciences. Retrieved from Sage Journals at https://doi.org/10.1177/11033088241226556, accessed on 25 June 2024. 

Sportanddev (2017). No clear commitment on human and child rights for Paris and Los Angeles 2024. Retrieved from Sportanddev at https://www.sportanddev.org/latest/news/no-clear-commitment-human-and-child-rights-paris-and-los-angeles-2024, accessed on 25 June 2024. 

UNI Global Union (2021). First global study of elite athletes’ experiences as children documents systemic abuse, shows urgent need for reform. Retrieved from UN Global Union at https://uniglobalunion.org/news/first-global-study-of-elite-athletes-experiences-as-children-documents-systemic-abuse-shows-urgent-need-for-reform/, accessed on 21 June 2024. 

UNICEF (2018). Children’s Rights in Sport Principles. Retrieved from UNICEF at https://childinsport.jp/en/, accessed on 25 June 2024. UNICEF (2020). Children before players. Protecting and realising children’s rights: A guide for professional football clubs. Retrieved from UNIECF at https://www.unicef.org.uk/wp-content/uploads/2020/08/Children-before-Players-Guide.pdf, accessed on 25 June 2024.