Gesetzeslücke des belgischen Staates gegenüber Flüchtlings- und Migrantenkindern

Posted on Posted in Kinderrechte, Menschenrechte, Migranten, Migration

Auf der Suche nach einem besseren und ruhigeren Leben fliehen weltweit viele Menschen vor den Gefahren und den mangelnden Möglichkeiten in ihren Heimatländern; ihr Ziel: die europäischen Länder. Flüchtlinge und Migranten, die in Belgien ankommen, sehen sich jedoch zahlreichen Schwierigkeiten ausgesetzt, insbesondere den „geschlossenen Lagern“ – eine Art Gefängnis.

Ihre Kinder, die entweder in den geschlossenen Lagern oder in den Aufnahmelager untergebracht sind, sehen einer noch ungewisseren Zukunft entgegen, da der Großteil von ihnen nicht in den Genuss der Rechte und Möglichkeiten kommt, die allen Kindern zustehen sollten, wie zum Beispiel die Familienzusammenführung, Sicherheit, Bildung und Schutz.

Der Unterschied zwischen dem Flüchtlings-, Migranten- und Asylbewerberstatus

  • Ein Flüchtling ist eine „Person, die vor Krieg, Gewalt, Konflikten oder Verfolgung flieht und eine Staatsgrenze überschreitet, um in einem anderen Land Sicherheit zu suchen“ (FÖD Auswärtige Angelegenheiten, 2022).
  • Ein Migrant ist eine „Person, die sich vorübergehend oder dauerhaft in eine andere Region (im eigenen Land) oder in ein anderes Land begibt. Dies kann freiwillig oder aus reiner Notwendigkeit geschehen“ (FÖD Auswärtige Angelegenheiten, 2022).
  • Ein Asylbewerber ist eine „Person, die in einem anderen Land Asyl beantragt, d.h., die internationalen Schutz und das Aufenthaltsrecht beantragt, weil sie in ihrem eigenen Land verfolgt wird“ (FÖD Auswärtige Angelegenheiten, 2022).

Die Ankunft von Flüchtlingen und Migranten in Belgien

Millionen von Menschen, die in ihrem eigenen Land Opfer von Missbrauch und Gewalt wurden,  sind gezwungen, auf der Suche nach einem sicheren Hafen, in verschiedene europäische Länder zu migrieren. Belgien wird dabei seit Jahren von Flüchtlingen und Asylsuchenden überschwemmt (Le Monde, 2022). Die Menschen kommen vor allem aus Afghanistan, Syrien, Palästina, Burundi, Guinea, der Demokratischen Republik Kongo und seit kurzem auch aus der Ukraine, nach Belgien (UNICEF, 2018; Le Soir, 2023). 

Für viele Menschen ist Belgien das Endziel ihrer gefährlichen Reise. Im Jahr 2021 wurden 165.534 Personen gezählt, die im Zuge der Einwanderung nach Belgien kamen (Le Soir, 2023). 

Geschlossene Lager und Aufnahmelager – Hauptanliegen und Unterschied  

Seit den 1980er Jahren wurden in Belgien weitreichende Maßnahmen im Bereich der Migrationspolitik getroffen (Panser la justice, 2019). In diesem Zusammenhang wurden die geschlossenen Lager nach belgischem Recht,  als eine Form der Verwaltungshaft  für Migranten, die ohne Papiere in Belgien ankommen,  konzipiert (Panser la justice, 2019). Seit 1998 bestand das Ziel zur Errichtung dieser Lager darin, „Personen mit unrechtmäßigem Aufenthalt einsperren zu können, um sie aus belgischem Hoheitsgebiet abzuschieben“ (Panser la justice, 2019).

Belgien beabsichtigte damit, die Einreise von Migranten ohne Papiere zu verhindern und durch ihre Unterbringung in geschlossenen Lagern, die Durchsetzung von Abschiebungsmaßnahmen sicherstellen zu können (Panser Justice, 2019). Es gibt derzeit sechs geschlossene Lager in Belgien (Ausländerbehörde, n.d.).

Gleichzeitig gibt es auch neunzig Aufnahmelager in Belgien – die dort untergebrachten Personen können „materielle Hilfe und soziale und medizinische Betreuung in Anspruch nehmen und auch an Schulungen und anderen Aktivitäten teilnehmen“ (Föderale Agentur für die Aufnahme von Asylbewerbern, n.d.). Dennoch gibt es in diesen Lagern nicht genügend Plätze, um alle Flüchtlinge, Migranten und Asylsuchende, die in Belgien ankommen, aufzunehmen, sodass viele dieser Menschen gezwungen sind, mit ihren Kindern auf der Straße zu schlafen (Le Monde, 2022).

Das Schicksal von Flüchtlings- und Migrantenkindern in Belgien 

Sie sind auf der Suche nach einer sichereren und glänzenderen Zukunft, doch entspricht das, was die Flüchtlings-/Migrantenkinder in Belgien erwartet, bei weitem nicht ihren Erwartungen. In Belgien können diese Kinder, allein geflüchtet oder in Begleitung, in geschlossenen Lagern oder Aufnahmelagern untergebracht werden (UNICEF, 2018; RTBF, 2021). 

Das erste Problem, mit dem sie in diesen Lagern konfrontiert werden, ist die Unsicherheit und die Langwierigkeit der Verfahren zur Legalisierung ihres Aufenthalts in Belgien (UNICEF, 2018). Junge Flüchtlinge in Belgien äußerten sich bekümmert über das oben genannte Verfahren, bei dem sie „die Details der genannten Verfahrensweise, die sie betreffen, nicht immer verstehen“ und es ihnen „an geeigneten Informationen fehlt“ (UNICEF, 2018).

„Es gab keine andere Wahl, Belgien oder Syrien. In Syrien gab es Probleme, Unsicherheit, Krieg. Es bestand die Gefahr zu sterben. Wir mussten fliehen; ein neues Leben, eine Zukunft haben.“

– so eine 17-jährige Syrerin (UNICEF, 2018)

Ebenso kommt es vor, dass  Kinder in den Aufnahmelagern isoliert sind und die meisten haben den Wunsch, mit ihren Familien, von denen sie entweder auf der Reise nach Belgien oder bei den Grenzkontrollen getrennt wurden, zusammengeführt zu werden 

(UNICEF, 2018). Während ihrer Wartezeit sollten diese in den Lagern untergebrachten Kinder eine Vertrauensperson zur Seite gestellt bekommen, die sie während dieses Prozesses begleiten kann (UNICEF, 2018). 

Zudem werden in diesen Lagern nicht allen Kindern eine Weiterbildung und Freizeitangebote zur Verfügung gestellt. Kinder, die vor ihrer Ankunft in Belgien nie zur Schule gegangen sind, Kinder, die eine unzulängliche Bildung erhalten haben, oder Kinder, die kein Französisch oder Niederländisch sprechen, sehen sich mit fehlenden schulischen Möglichkeiten konfrontiert (UNICEF, 2018). Diese Kinder äußerten ebenfalls ihren Wunsch, auch außerhalb der Lager einen Zugang zu Freizeitangeboten zu bekommen, um so auch die Möglichkeit zu haben, sich in die belgische Gesellschaft zu integrieren und belgische Freunde zu finden (UNICEF, 2018). 

Schließlich erhalten minderjährige Mütter, die in diesen Lagern in Belgien aufgenommen werden, nicht die besondere Aufmerksamkeit, die sie benötigen (UNICEF, 2018). Diese Mütter weisen auf einen Mangel an Autonomie, Nahrung und spezieller Gesundheitsversorgung für ihre Kleinkinder, sowie an Sicherheit und einer auf ihre Situation angepasste Bildungsmöglichkeit hin (UNICEF, 2018).

Belgien verstößt gegen seine internationalen Verpflichtungen 

Belgien ratifizierte 1955 die Europäische Menschenrechtskonvention (‚EMRK‘) und 1991 das Internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes (‚ICRD‘) (Europarat, n.d.; Vereinte Nationen, n.d.). Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention muss der Staat bei Entscheidungen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigen (Vereinte Nationen, 1990). Die EMRK schreibt die Freiheit als Grundprinzip vor, das Einsperren hingegen muss die Ausnahme bleiben (Europarat und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 1953).

Die geschlossenen Lager waren ursprünglich als eine außergewöhnliche Form der Verwaltungshaft gedacht. Die Inanspruchnahme dieser geschlossenen Lager scheint in Belgien jedoch zur Norm geworden zu sein, „bis hin zur dauerhaften Anlegung, die immer mehr floriert“ (Panser la justice, 2019).

Darüber hinaus ähneln Belgiens geschlossene Lager Gefängnissen und verfügen über „doppelte Reihen von Maschendrahtzäunen, die manchmal sogar mit Stacheldraht versehen sind, Überwachungskameras, Sicherheitspersonal, Überwachung und Kontrolle von Bewegungen und Regeln, die Sanktionen wie die Verlegung in Einzelzellen vorsehen“ (Panser Justice, 2019).

Noch gravierender ist, dass der Rechtsrahmen für geschlossene Lager die Möglichkeit enthält, Kinder einzusperren. Zwischen 2018 und 2019 wurden in Belgien 20 Kinder aufgrund ihres Migrationsstatus in geschlossenen Lagern inhaftiert (Amnesty International, 2022).

Aus diesem Grund wurde Belgien in zwei kürzlich ergangenen Beschlüssen vom UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes „wegen schwerer Verletzungen der Rechte dieser Kinder, für die das Land verantwortlich ist“, verurteilt (Amnesty International, 2022). Trotz der Aussetzung dieses Rechtsrahmens durch den Staatsrat in Belgien im Jahr 2021 erlauben die belgischen Vorschriften weiterhin die Inhaftierung von Flüchtlings-/Migrantenkindern in geschlossenen Lagern (Amnesty International, 2022).

Repressive Justiz gegenüber Flüchtlingen und Migranten in Belgien muss aufhören 

Der belgische Staat muss sofort die folgenden fünf Maßnahmen ergreifen: Beschleunigung der Verfahren zur Legalisierung des Aufenthalts und der Asylanträge, um zu verhindern, dass Kinder auf unbestimmte Zeit in Lagern untergebracht werden; Änderung seiner Gesetzgebung, um das Einsperren von Kindern in geschlossenen Lagern zu unterbinden; Beschleunigung der Verfahren zur Familienzusammenführung für Flüchtlings-/Migrantenkinder, die allein in Belgien leben; genügend freie Plätze für Flüchtlinge und Migranten in Aufnahmelagern bereitstellen, um zu verhindern, dass sie auf der Straße landen, und sicherstellen, dass jedes Flüchtlings-/Migrantenkind ein schützendes Umfeld, Sicherheit, angemessene Gesundheitsversorgung und Zugang zu Bildung erhält. 

Humanium verurteilt diese gesetzliche Regelung, die es ermöglicht, Flüchtlings- und Migrantenkinder in geschlossenen Lagern einzusperren. Durch seine eigenen Projekte bemüht sich Humanium, eine Welt zu schaffen, in der die Rechte der Kinder auf Schutz, Bildung und Gesundheit immer respektiert werden. Wenn Sie die Arbeit von Humanium unterstützen möchten, können Sie eine Spende, eine ehrenamtliche Tätigkeit oder eine Mitgliedschaft in Betracht ziehen.

Verfasst von Moïra Phuöng Van de Poël

Übersetzt von Margit Bertling

Korrektur gelesen von Dilan Martyson

Bibliografie : 

Agence Fédérale pour l’accueil des demandeurs d’asile. (n.d.). Les centres d’accueil. Extrait de l’Agence Fédérale pour l’accueil des demandeurs d’asile à https://www.fedasil.be/fr/les-centres-daccueil, consulté en Avril 2023.

Amnesty International. (2022, Mars 7). La Belgique condamnée pour avoir déténu des enfants migrants. Extrait d’Amnesty International à https://www.amnesty.be/infos/actualites/article/belgique-condamnee-detenu-enfants-migrants, consulté en Avril 2023.

Conseil d’Europe et Cour Européenne des Droits de l’Homme. (1953, Septembre 3). Convention européenne des droits de l’Homme. Extrait du Conseil d’Europe et Cour Européenne des Droits de l’Homme à https://www.echr.coe.int/documents/convention_fra.pdf, consulté en Avril 2023.

Conseil de l’Europe. (n.d.). La Belgique et la Cour Européenne des Droits de l’Homme. Extrait du Conseil de l’Europe à https://www.coe.int/fr/web/portal/belgianchairmanship-echr#:~:text=La%20Cour%20europ%C3%A9enne%20des%20droits%20de%20l’homme%20est%20l,ratifi%C3%A9%20ce%20trait%C3%A9%20en%201955, consulté en Avril 2023.

Le Monde. (2022, Janvier 3). En Belgique, l’accueil des demandeurs d’asile arrive à saturation. Extrait Le Monde à https://www.lemonde.fr/international/article/2022/01/03/en-belgique-l-accueil-des-demandeurs-d-asile-arrive-a-saturation_6107996_3210.html, consulté en Avril 2023.

Le Monde. (2022, Octobre 28). La Belgique débordée par des arrivées de demandeurs d’asile. Extrait Le Monde à https://www.lemonde.fr/international/article/2022/10/28/la-belgique-debordee-par-un-nouvel-afflux-de-demandeurs-d-asile_6147706_3210.html, consulté en Avril 2023.

Le Soir. (2023, Janvier 18). Asile: qui sont les 100.000 migrants arrivés en Belgique en 2022? Extrait Le Soir à https://www.lesoir.be/489701/article/2023-01-18/asile-qui-sont-les-100000-migrants-arrives-en-belgique-en-2022, consulté en Avril 2023.

Le Soir. (2023, Mars 10). Migration en Belgique: quelles nationalités et quelles raisons ? Extrait Le Soir à https://www.levif.be/belgique/migration-en-belgique-quelles-nationalites-et-quelles-raisons/#:~:text=Ainsi%2C%20en%202021%2C%20165%20534,int%C3%A9rieur%20des%20fronti%C3%A8res%20du%20royaume, consulté en Avril 2023.

Nations Unies. (n.d.). Collection de Traités – Dépositaire. Extrait des Nations Unies à https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=IV-11&chapter=4&clang=_fr, consulté en Avril 2023.

Nations Unies. (1990, Septembre 2). Convention relative aux droits de l’enfant. Extrait des Nations Unies à https://www.ohchr.org/fr/instruments-mechanisms/instruments/convention-rights-child, consulté en Avril 2023.

Office des étrangers. (n.d.). Les 6 centres fermés. Extrait de l’Office des étrangers à https://dofi.ibz.be/fr/themes/irregular-stay/detention/les-6-centres-fermes, consulté en Avril 2023.

Panser la justice. (2019). Centres fermés : une justice répressive envers les migrants. Extrait de Panser la justice à https://journalisme.ulb.ac.be/projets/panserlajustice/centres-fermes/, consulté en Avril 2023.

RTBF. (2021, Août 10). Détention des mineurs en centres fermés : „Ce gouvernement ne le fera pas, il faut une politique de retour qui soit humaine“, estime Sammy Mahdi. Extrait de la RTBF à https://www.rtbf.be/article/detention-des-mineurs-en-centres-fermes-ce-gouvernement-ne-le-fera-pas-il-faut-une-politique-de-retour-qui-soit-humaine-estime-sammy-mahdi-10821541, consulté en Avril 2023.

SPF Affaires étrangères. (2022, Mars 1). La Belgique fait de la migration un phénomène positif. Extrait du Service Public Fédéral des Affaires étrangères, Commerce extérieur et coopération au Développement à https://diplomatie.belgium.be/fr/politique/themes-politiques/sous-la-loupe/la-belgique-fait-de-la-migration-un-phenomene-positif, consulté en Avril 2023.

UNICEF. (2018). Les enfants migrants et réfugiés en Belgique prennent la parole. Extrait d’UNICEF à https://www.unicef.be/sites/default/files/2020-09/Les%20enfants%20migrants%20et%20r%C3%A9fugies%20en%20Belgique%20prennent%20la%20parole.pdf, consulté en Avril 2023.