Staatenlos und unsichtbar Kinder

Unsichtbar. Der erste Zustand, in dem sich staatenlose Kinder wiederfinden, ist der der Unsichtbarkeit. UNICEF-Angaben zufolge wird 1 von 4 Kindern unter 5 Jahren bei der Geburt nicht registriert. Und selbst wenn eine Registrierung erfolgt, kann es sein, dass sie nicht in Besitz eines nachweislichen Dokumentes sind. Weltweit haben rund 237 Millionen Kinder unter 5 Jahren keine Geburtsurkunde und sind dem Risiko der Staatenlosigkeit ausgesetzt.

Was ist ein staatenloses Kind?

Ein staatenloses Kind (vom Griechischen a-polis “ohne Stadt”) ist ein Individuum, das keine Staatsbürgerschaft besitzt. Die internationale juristische Definition eines staatenlosen Menschen ist eine Person, „die kein Staat aufgrund seiner jeweiligen Gesetzgebung als seinen Staatsbürger betrachtet” (UNHCR, 2021). Diese Definition bedeutet, dass kein Staat die Pflicht hat, diese Person zu schützen.

Staatenlosigkeit ist unabhängig von der Wahl oder dem Willen eines Individuums. Es kann zwischen De-jure-Staatenlosigkeit und De-facto-Staatenlosigkeit unterschieden werden. Ein Mensch ist aus einem (oder mehreren) der folgenden Gründe staatenlos (UNHCR, 2021):

  • Wenn es sich um das Kind staatenloser Personen handelt oder es nicht möglich ist, die Staatsangehörigkeit der Eltern zu erben. Beispielsweise gibt es viele Staatenlose in all jenen Staaten, die es Müttern, anders als Vätern, nicht erlauben, ihre Staatsangehörigkeit auf ihre Kinder zu übertragen (etwa, wenn der Vater unbekannt oder tot ist);
  • Wenn das Kind zu einer sozialen Gruppe gehört, welcher die Staatsangehörigkeit aufgrund von Diskriminierung verweigert wird. Tatsächlich gehört die Mehrheit der Staatenlosen weltweit einer Minderheit an;
  • Wenn einKind infolge eines Kriegs oder militärischer Besetzung ein Flüchtling ist;
  • Aus bürokratischen Gründen, wenn der Staat, dessen Staatsangehöriger das Kind war, sich aufgelöst hat, neue Instanzen hervorgebracht hat oder sich die Grenzen verändert haben, wie beispielsweise im Falle der Sowjetunion oder des früheren Jugoslawiens;
  • Aufgrund von Unstimmigkeiten und Lücken im Staatsbürgerschaftsrecht der verschiedenen Staaten;
  • Bei Verlust oder Entzug der Staatsbürgerschaft;
  • Wenn es unmöglich ist, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat zu verifizieren. Undokumentiert und staatenlos zu sein ist nicht dasselbe. Allerdings birgt eine fehlende Geburtsregistrierung die Gefahr der Staatenlosigkeit, da eine Geburtsurkunde beweist, wo eine Person geboren wurde und wer ihre Eltern sind (UNHCR, 2021).

Die vielen Ursachen, die Menschen in die Staatenlosigkeit zwingen können, bedeuten, dass es in allen Regionen der Welt Staatenlose gibt. Dem UNHCR zufolge sind die 10 Länder mit den meisten staatenlosen Menschen derzeit: Bangladesch, die Elfenbeinküste, die Dominikanische Republik, der Irak, Kuwait, Myanmar, Russland, Syrien, Thailand und Simbabwe (UNHCR, 2020).

Das Fehlen von Staatsbürgerschaft und die daraus resultierende juristische Unsichtbarkeit, erschweren es, die staatenlosen Menschen in der Welt zu erfassen. Der UNHCR schätzt, dass es mindestens 12 Millionen Staatenlose gibt, wovon etwa ein Drittel Kinder sind (UN News, 2018).

Darüber hinaus veröffentlichten der UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) am 7. Juli 2021 einen gemeinsamen Bericht, aus dem hervorgeht, dass Frauen in vielen Ländern diskriminiert werden, sodass sie Geburten nicht oder nur verzögert registrieren lassen können. Dadurch sind ihre Kinder dem Risiko ausgesetzt, staatenlos zu werden (UNICEF, 2021).

Diesem Bericht zufolge wird eines von vier Kindern unter 5 Jahren bei der Geburt nicht registriert. Und selbst wenn sie registriert werden, verfügen sie möglicherweise nicht über einen Nachweis der Registrierung. Weltweit haben schätzungsweise 237 Millionen Kinder unter 5 Jahren derzeit keine Geburtsurkunde und laufen daher Gefahr, staatenlos zu werden (UNICEF, 2021).

Lebenslange Auswirkungen von Staatenlosigkeit

Staatenlose Kinder gehören zu den weltweit gefährdetsten Individuen. Staatenlosigkeit hat zahlreiche Konsequenzen.

Zunächst haben staatenlose Menschen keine Papiere. Formell gesehen haben sie weder Verpflichtungen noch Rechte. Das bedeutet, dass sie gesetzlich nicht geschützt sind und Schwierigkeiten haben, Zugang zu Grundrechten wie Bildung, medizinischer Versorgung, einer Anstellung, politischer Teilhabe und Bewegungsfreiheit zu erhalten (UNHCR, 2020). Staatenlose laufen außerdem besonders hohe Gefahr, Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung und Missbrauch zu werden – darunter willkürliche Festnahme, Zwangsarbeit, Menschenhandel und Gewalt (UNHCR, 2020). Unter Umständen sind sie ein Leben lang mit Hindernissen und Enttäuschungen konfrontiert.

In europäischen Ländern und den USA können Staatenlose für staatenlos erklärt werden. Das bedeutet, dass ein Richter eine Person für staatenlos erklärt und der Staat ihnen infolgedessen einige Rechte gewährt, indem er die Verantwortung für diese Person übernimmt, die zu einem dauerhaften Einwohner des Staates wird, der sie für staatenlos erklärt hat (European Network on Statelessness, 2021).

Die meisten staatenlosen Kinder leben jedoch in Ländern, die nicht über den nötigen Rechtsrahmen verfügen, um Menschen für staatenlos zu erklären, zum Beispiel Pakistan oder Bangladesch (U.S. Department of State, 2021). Dies ist eine der wichtigsten Fragen für die internationale Gemeinschaft: der Status von Menschen, die staatenlos sind, insbesondere wenn sie nicht für staatenlos erklärt wurden.

Staatenlosigkeit verhindern

Das internationale Recht spielt eine wichtige Rolle in der Vorbeugung von Staatenlosigkeit. In Artikel 15 legt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fest, dass jeder Mensch das Recht auf eine Staatsangehörigkeit hat.

Die UN-Kinderrechtskonvention wahrt die Identität aller Kinder in Artikel 8, der besagt:

Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten. Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.”

– UN-CRC, 1989

Die beiden wichtigsten internationalen normativen Instrumente zur Staatenlosigkeit sind das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 und das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961. Mit ihnen wurde ein internationaler Schutzmechanismus geschaffen, um die Unsichtbarkeit staatenloser Menschen zu verringern und die Rechte, die ihnen als Menschen zustehen, umzusetzen. Der Grund dafür, dass es derartige internationale Konventionen gibt, ist, dass die internationale Gemeinschaft die Staaten dazu drängt, das Problem der Staatenlosen zu lösen, sodass jeder Staat die Verantwortung für staatenlose Personen trägt (UNHCR, 2021).

Laut diesen Konventionen sollte kein Kind jemals staatenlos sein. So verpflichtet Artikel 1 des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit Vertragsstaaten dazu, Personen, die auf ihrem Staatsgebiet geboren wurden, ihre Staatszugehörigkeit zu gewähren, sollten sie andernfalls staatenlos sein (United NationsAudiovisual Library of International Law, 2011).

Wann immer es unmöglich ist, die Staatsangehörigkeit der Eltern auf das Kind zu übertragen, erhält es die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem es geboren wurde. Daher wird das Jus soli (Geburtsortsprinzip) immer dann angewandt, wenn die Alternative Staatenlosigkeit ist. Es besagt, dass die Staatsangehörigkeit eines Kindes durch den Ort seiner Geburt bestimmt wird. Dies gilt selbst in den Ländern, in denen die Staatsangehörigkeit durch das Jus sanguinis (Abstammungsprinzip) geregelt ist, welches besagt, dass ein Kind seine Staatsangehörigkeit durch seine Eltern oder Vorfahren erbt (United NationsAudiovisual Library of International Law, 2011).

Nichtsdestotrotz stellt das seit Langem bestehende Problem staatenloser Kinder weiterhin eine erhebliche Bedrohung für die effektive Umsetzung von Kinderrechten weltweit dar, trotz umfangreicher internationaler Regulierungen.

Der UNHCR hat in einem 10-Jahres-Plan (2014-2024) die folgenden 10 Punkte zur Beendigung der Staatenlosigkeit festgelegt (UNHCR, 2017).

  1. Aktuelle gravierende Situationen von Staatenlosigkeit beheben.
  2. Sicherstellen, dass kein Kind staatenlos zur Welt kommt. 
  3. Geschlechtsspezifische Diskriminierung aus Staatsangehörigkeitsgesetzen entfernen.
  4. Verweigerung, Verlust oder Entzug von Staatsangehörigkeit aufgrund von Diskriminierung verhindern.
  5. Staatenlosigkeit im Zuge des Zerfalls von Staaten verhindern.
  6. Staatenlosen MigrantInnen einen Status und Schutz gewähren und ihre Einbürgerung erleichtern.
  7. Sicherstellen, dass Geburten registriert werden.
  8. Nachweise über die Staatsangehörigkeit an berechtigte Personen ausstellen.
  9. Den UN-Konventionen über Staatenlosigkeit beitreten.
  10. Bessere quantitative und qualitative Informationen zu staatenlosen Bevölkerungsgruppen bereitstellen.

Geschrieben von Federica Versea

Übersetzt von Sidonie Rüschkamp

Korrektur gelesen von Carolyn Deloffre

Zuletzt bearbeitet am 11. März 2022

Bibliografie:

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United Nations Audiovisual Library of International Law. (2011). Convention on the Reduction of Statelessness New York, 30 August 1961. Taken from Audiovisual Library of International Law: https://legal.un.org/avl/ha/crs/crs.html, accessed on March 7, 2022.