Rechte der afghanischen Mädchen ausradiert: die Folgen der Taliban-Übernahme

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Afghanistan ist ein Land mit einer reichen Kultur und herrlichen Landschaften, aber auch ein Land mit Menschen, die großes Leid erfahren müssen. Die Rückkehr der Taliban an die Macht im Jahr 2021 hat Afghanistan in den Mittelpunkt der Menschenrechtsproblematik gerückt. Wirtschaftskrise, Armut, Hungersnot und die Gefährdung der Lebensgrundlagen von Kindern sind Teil der Folgen der Machtübernahme. Verarmte, hungernde, überarbeitete und vertriebene afghanische Kinder sind verzweifelt. Junge afghanischeMädchen werden vom Taliban-Regime unverhältnismäßig stark ins Visier genommen und sind daher vor allem Opfer eines Bildungsverbots und von Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratungen.

Afghanistans Turbulenzen in der Vergangenheit, die 2021 zur Machtübernahme der Taliban führten

Als Land in Süd-Zentralasien liegt Afghanistan an den Handelsrouten, die Süd- und Ostasien mit Europa und dem Nahen Osten verbanden, und dies machte Afghanistan zu einem Land, das von den angrenzenden Imperien begehrt wurde (Encyclopædia Britannica, 2023). Im 20. Jahrhundert herrschte in Afghanistan ein Bürgerkrieg, der durch die militärische Invasion und Besetzung durch die Sowjetunion von 1979 bis 1989 erheblich verschärft wurde (Encyclopædia Britannica, 2023).

Es kam zu weiteren bewaffneten Konflikten zwischen einem überlebenden afghanischen kommunistischen Regime und islamischen Aufständischen, gefolgt von einer kurzen Herrschaft der Mudschahedin-Gruppen, bis die Taliban zwischen 1996 und 2001 an die Macht kamen (Encyclopædia Britannica, 2023). Die Taliban fielen dann unter die von Osama bin Laden geführte Gruppe (Encyclopædia Britannica, 2023). Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begannen die Amerikaner mit der Bombardierung zahlreicher Ziele und Stützpunkte der Taliban (PBS News Hour, 2021).

Die Konflikte zwischen den Taliban, den Al-Qaida-Kämpfern und den afghanischen Regierungstruppen gingen danach weiter, und in dieser Zeit, genauer gesagt im Mai 2011, wurde Osama bin Laden von den US-Streitkräften getötet (PBS News Hour, 2021). Im August 2021 übernahmen die Taliban dann endgültig die Macht in Kabul. Diese Gelegenheit für die Taliban ergab sich nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung und kurz nach dem Abzug der US-Truppen aus dem afghanischen Staatsgebiet (PBS News Hour, 2021).

Afghanistans völkerrechtliche Verpflichtungen

Afghanistan trat den Vereinten Nationen offiziell am 19. November 1946 bei (Vereinte Nationen, n.d.). Afghanistan hat unter anderem das Übereinkommen über die Rechte des Kindes im Jahr 1994 und die beiden dazugehörigen Fakultativprotokolle im Jahr 2002 bzw. 2003 unterzeichnet und ratifiziert (United Nations Treaty Body Database).

Darüber hinaus hat Afghanistan 2003 auch das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau unterzeichnet und ratifiziert (United Nations Treaty Body Database). Afghanistan muss daher alle afghanischen Kinder, Frauen und Mädchen schützen und ihre Menschenrechte, wie sie im Übereinkommen über die Rechte des Kindes und im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verankert sind, respektieren und erfüllen (United Nations OHCHR, 2021).

Laut dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau muss Afghanistan als Vertragsstaat jede Form der Diskriminierung von Frauen verurteilen und „alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen“ im Bereich der Bildung, der Gesundheitsfürsorge und in „allen Angelegenheiten, die die Ehe und die familiären Beziehungen betreffen“, treffen (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, 1981).

Nach dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes hat jedes Kind das Recht auf Leben, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Bildung und das Recht auf Schutz, auch vor „jeder Form von körperlicher oder geistiger Gewalt, Verletzung oder Missbrauch, Vernachlässigung oder nachlässiger Behandlung, Misshandlung oder Ausbeutung“ sowie vor sexuellem Missbrauch (Convention on the Rights of the Child, 1990).

Eine Sollbruchstelle für Kinder in Afghanistan

Auf die Machtübernahme der Taliban folgte eine Wirtschafts- und Ernährungskrise, von der afghanische Familien und ihre Kinder schwer betroffen waren (Save the Children, 2022).

Dies lässt sich durch die Tatsache erklären, dass die Taliban mit weltweiten, aber auch nationalen Sanktionen belegt waren, die die bestehenden humanitären Hilfen und Bemühungen erschwerten, sowie durch die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft, die zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa 80% des gesamten afghanischen Staatshaushalts aufbrachte, jegliche Entwicklungshilfe, die nach Afghanistan gebracht werden konnte, eingestellt oder verlangsamt hatte (Save the Children, 2022).

Darauf folgend haben mindestens 96% der afghanischen Haushalte im Vergleich zu 2021 ihr Einkommen ganz oder teilweise verloren und afghanische Familien sind stark verarmt (Save the Children, 2022). Die Vereinten Nationen haben gewarnt, dass „sechs Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht sind“ (Aljazeera, 2022).

Zu der Armut und der Hungersnot in Afghanistan kam noch das Problem der Kinderarbeit hinzu. Junge Mädchen und Jungen werden aus den Schulen gedrängt und zur Kinderarbeit gezwungen, die verschiedene Formen gefährlicher und schädlicher Arbeit umfasst, und in einigen Fällen werden die Kinder zur Arbeit in ein anderes Land oder weg von ihren Familien geschickt (Save the Children, 2022). Schätzungen zufolge sind derzeit rund eine Million Kinder „in Afghanistan mit Kinderarbeit beschäftigt“ (Aljazeera, 2022).

Die Anzahl an verarmten, hungernden, überarbeiteten und vertriebenen Kindern in Afghanistan nimmt zu, so dass die Menschenrechtslage und die humanitäre Situation ein beunruhigendes und schwerwiegendes Ausmaß erreicht haben. Dies ist bereits alarmierend, aber die Situation der afghanischen Mädchen ist in diesem speziellen Kontext noch schlimmer.

Afghanische Mädchen unverhältnismäßig stark betroffen

Während afghanische Mädchen unter denselben Schwierigkeiten leiden wie ihre männlichen Altersgenossen, sind sie zusätzlich durch geschlechtsspezifische Diskriminierung von Menschenrechtsverletzungen betroffen.

Seit der Machtübernahme haben die Taliban „eine lange und immer länger werdende Liste von Regeln und Maßnahmen eingeführt, die Frauen und Mädchen daran hindern, ihre Grundrechte auszuüben, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Bewegungsfreiheit (…) und Bildung, und die praktisch alle ihre Rechte betreffen, einschließlich des Rechts auf Leben, Lebensunterhalt, Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Nahrung und Wasser“ (Human Rights Watch, 2022).

Eine der Maßnahmen, die Mädchen daran zu hindern, ihre Grundrechte wahrzunehmen, besteht darin, dass die Taliban Mädchen verbieten, eine Schule zu besuchen oder ihre Ausbildung fortzusetzen. Im März 2022 erklärten die Taliban, dass Frauen und Mädchen „weiterhin vom Besuch einer höheren Schulbildung ausgeschlossen werden“ (Human Rights Watch, 2022).

Vor der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gingen schätzungsweise 3,7 Millionen Kinder nicht zur Schule – die meisten von ihnen waren Mädchen (Malala Fund, n.d.). In den Jahren nach der Machtübernahme durch die Taliban hat das Regime weiteren 1 254 473 afghanischen Mädchen den Besuch einer weiterführenden Schule verwehrt (Malala Fund, n.d.).

„Jahrzehntelange Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter und den Rechten der Frauen wurden innerhalb weniger Monate zunichte gemacht. Wir müssen weiterhin gemeinsam handeln, vereint in unserem Beharren auf Garantien für die Achtung des gesamten Spektrums der Frauenrechte.“

– Sima Bahous, Exekutivdirektorin der Vereinten Nationen (United Nations Women, 2022).

Darüber hinaus steigt die Zahl der Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratungen unter der Taliban-Herrschaft stetig (Amnesty International, 2022). Tatsächlich werden afghanische Mädchen entweder von ihren Familien aufgrund von Einkommensmangel oder Armut gezwungen, Taliban-Mitglieder zu heiraten, oder die Taliban-Mitglieder selbst „zwingen Frauen und Mädchen, sie zu heiraten“ (Save the Children, 2022; Amnesty International, 2022).

Die Menschenrechtssituation von Mädchen und Frauen schreit nach drastischen Veränderungen

Afghanischen Mädchen wurden und werden grundlegende Menschenrechte wie das  Recht auf Bildung, das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit, das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf Nichtdiskriminierung, eklatant verwehrt (United Nations OHCHR, 2023). Die afghanischen Mädchen brauchen weiterhin die starke und unerschütterliche Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die ihrerseits:

  • ihr Engagement bekräftigen und „konkrete Maßnahmen ergreifen muss, um die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan, insbesondere ihr Recht auf Bildung, zu unterstützen und zu verwirklichen“ (OHCHR der Vereinten Nationen, 2023);
  • den Rechten von Mädchen „in all ihren Beziehungen zu den de-facto-Behörden Vorrang einräumen und die sofortige Rücknahme von Erlassen und politischen Maßnahmen fordern muss, die die Rechte von Frauen und Mädchen verletzen“ (United Nations OHCHR, 2023);
  • dringend „eine robuste und koordinierte Strategie“ entwickeln und umsetzen muss, um Druck auf die Taliban auszuüben, damit diese die Menschenrechte von Mädchen verändern (Amnesty International, 2022).

Als Kinderrechtsorganisation, die weltweit zahlreiche Projekte durchführt, setzt sich Humanium weiterhin für die Einhaltung der Menschenrechte von Kindern ein, einschließlich der Rechte von Mädchen auf Leben, Schutz und Bildung. Wenn Sie die Arbeit von Humanium unterstützen möchten, können Sie gerne spenden, eine ehrenamtliche Tätigkeit übernehmen oder Mitglied werden.

Geschrieben von Moïra Phuöng Van de Poël

Übersetzt von Lara Kieninger

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Quellenverzeichnis: 

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