Tag der Generalberatung 2021: Kinderrechte und Alternative Fürsorge

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Am 16. und 17. September richtete der Ausschuss für die Rechte des Kindes während der 88. Sitzung der Vereinten Nationen einen Tag der Generalberatung für Kinderrechte und Alternative Fürsorge aus. So haben alle Kinder das Recht, in einem geschützten, sie unterstützenden und fürsorglichen Zuhause zu leben, das Ihnen eine gesunde Entwicklung ermöglicht (Council of Europe, 2021). Dieses unveräußerliche Recht erstreckt sich nicht nur auf die biologischen Eltern oder die Familie der Kinder, sondern auch auf die Staaten, in deren Verantwortung es liegt, alternative Fürsorge anzubieten (Council of Europe, 2021).

Mit alternativer Fürsorge aufwachsende Kinder sind gegebenenfalls einem größeren Risiko von Missbrauch und schlechter Behandlung ausgesetzt, da sie von ihrer Familie isoliert sind. Diese Vernachlässigung kann zu weiteren entwicklungsbezogenen Herausforderungen führen, wie etwa zu instabilen Beziehungen und Gewalt (Council of Europe, 2021). Trotz der Beweislage, die darauf verweist, dass ein familiäres Umfeld sich als nützlich für Kinder in Betreuung erweist, bringen viele Länder noch immer Minderjährige zu schnell auf Kosten ihres Wohlergehens in Heimen unter (Council of Europe, 2021). COVID-19 verschärfte diese Herausforderung, denn auf der ganzen Welt waren Staaten dazu gezwungen, Reformen von Pflegeeinrichtungen  wegen konkurrierender Risiken auszusetzen (Hope and Homes for Children, 2021). 

Die Bedeutung des Tags der Generalberatung

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes widmet zwei Tage seiner regulären Sitzungen einer allgemeinen Diskussion zu einem relevanten Thema oder Bereich aus der UN-Kinderrechtskonvention (KRK). Jene Tage werden einmal alle zwei Jahre abgehalten. Sie zielen darauf ab, das Wissen über ein bestimmtes Thema zu erweitern und öffentliche Diskussionen abzuhalten, um dadurch einen Austausch zu stimulieren (UN Committee on the Rights of the Child, 2021). Dieser Tag führte weltweit zu einer vertieften Zustandsuntersuchung der alternativen Fürsorge sowie spezifischer besorniserregender Trends, wie etwa der unnötigen Eltern-Kind-Trennung (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Der Tag betonte erneut den Stellenwert von Nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDG) und insbesondere deren Engagement, „niemanden zurückzulassen“ (UN Committee on the Rights of the Child, 2021). Häufig werden Kindern, denen es an familiärer Fürsorge mangelt, grundlegende Leistungen und Möglichkeiten vorenthalten (UN Committee on the Rights of the Child, 2021). Diese Herausforderung ist mit anderen SDGs (Nachhaltigen Entwicklungszielen) verbunden, einschließlich der Beseitigung von Armut (SDG 1), Förderung von gesundem Leben und Zugang zu hochwertiger Bildung (SDG 4) (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Hintergrund

Der Tag der Generalberatung reagierte auf weltweite Trends, für Kinder die alternative Fürsorge in Form von Heimunterbringung voranzutreiben. Aus unterschiedlichsten Gründen, welche den Hintergrund und sozialen Kontext betreffen, erfolgen  die Unterbringungen von Kindern unter jenen Rahmenbedingungen (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass alternative Fürsorgeumfelder anerkennen, dass Kinder in Betreuung keine homogene Gruppe verkörpern und unterschiedliche einzigartige Herausforderungen präsentieren. Pflegeeinrichtungen müssen jedes einzelne Kind mit besonderer Würde behandelnund erkennen, dass Fürsorgelösungen die Individualität jedes Kindes und dessen besondere Bedürfnisse respektieren müssen (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Die Auswirkungen von COVID-19

COVID-19 verschärfte dramatisch die Situation der weltweit schutzbedürftigsten Kinder und Familien und setzte die bereits überlasteten finanziellen Schutzsysteme unter erhöhten Druck (Hope and Homes for Children, 2021). Auf der ganzen Welt waren die Pflegeeinrichtungen gezwungen, mehr Kinder aufzunehmen – und mehr Familien zu zerreißen, und zwar als Folge von erhöhter Armut und der weltweit steigenden Zahl von Waisen (Hope and Homes for Children, 2021). COVID-19 erforderte auch, eine große Anzahl von Kindern – ohne angemessene Vorbereitung – aus den Waisenhäusern nach Hause zu schicken und zu Hause mit der unmittelbaren Krise fertig zu werden (Hope and Homes for Children, 2021).

Diese zeitweiligen Maßnahmen erweisen sich für Kinder mit bestehenden Schwierigkeiten als besonders gefährlich. Kinder mit Beeinträchtigung, ethnische Minderheiten und jene, die besondere individuelle Bedürfnisse haben, werden in Systeme abgeschoben, die dafür nicht aufgestellt waren. Es besteht das Risiko, dass Kinder, die momentan aufgrund von COVID-19 in Großwohneinrichtungen leben, in einen Kreislauf der Ungleichheit geraten könnten. Hierfür ursächlich ist, dass die Unterbringung in Pflegeeinrichtungen die Minderjährigen von der Gesellschaft und deren Unterstützungsnetzwerk trennt, bevor sie wieder in die Welt der Erwachsenen mit begrenzter Unterstützung entlassen werden (Hope and Homes for Children, 2021).

Während der frühen Stadien der Pandemie versäumten viele Länder, Sozialarbeiter und Kinderschutzbeauftragte als „Schlüsselfiguren“ zu identifizieren, was sowohl zu eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten und begrenztem Zugang zu bedürftigen Kindern führte, als auch weltweit zu einem Abfall des Verhältnisses von Kind zu Betreuungskraft (Hope and Homes for Children, 2021). Über die Sekundäreffekte von COVID-19 hinaus hatte die Pandemie selbst direkte Auswirkungen auf Kinder und ihren Werdegang. Berichte aus der ganzen Welt deuten darauf hin, dass die plötzliche von COVID-19 hervorgerufene Schließung von Einrichtungen es erzwang, Kinder aus diesen Umfeldern herauszunehmen, um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. 

Globale Beispiele

Beispiele aus der ganzen Welt verweisen auf gefährdete Kinder, die in prekären Umständen untergebracht werden. Schätzungsweise leben bis zu sechs Millionen Kinder in Pflegeeinrichtungen (Human Rights Watch, 2021). Es sind gerade Kinder mit Behinderungen, die dem Risiko ausgesetzt sind, Schaden zu erleiden; nach Angaben aus etwa Brasilien, Serbien und Kasachstan, ist es für das Groß von Kindern, die in Pflegeheimen untergebracht sind, nicht ungewöhnlich, eine körperliche Einschränkung aufzuweisen (Human Rights Watch, 2021).

Häufig wird in Griechenland zunächst eine große Anzahl von unbegleiteten Migranten in Internierungslagern in Schutzhaft gehalten, bevor sie in Notunterkünfte verlegt werden (Human Rights Watch, 2021). Gemäß internationaler Menschenrechtsnormen und -standards verstößt einwanderungsbezogene Inhaftierung aufgrund der damit verbundenen Risiken gegen das Kindeswohl (Human Rights Watch, 2021). Als Reaktion hierauf begannen die Länder im Jahr 2020, die für Kinder geltenden Schutzgewahrsamsbestimmungen abzuschaffen. Allerdings benötigt eine derartige Zielverwirklichung Zeit, was dazu führt, dass noch immer einige Kinder innerhalb dieser Systeme gefangen bleiben (Human Rights Watch, 2021). 

Gleichermaßen erfuhren Migrantenkinder in den Vereinigten Staaten von Amerika seitens der staatlichen Behörden Misshandlungen. Ein von COVID-19 verursachte Anordnung des Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention, bevollmächtigte Grenzbeamte, kurzerhand Tausende  von Migranten ohne ordnungsgemäßen Prozess abzuschieben (Human Rights Watch, 2021). Zudem gab es 845.000 Abschiebungen zwischen Oktober 2020 und Mai 2021, die dazu führten, dass eine große Anzahl unbegleiteter Kinder während der gesamten Pandemie in überfüllten Ad-hoc Lagern leben mussten (Human Rights Watch, 2021).

Ähnlich verhält es sich mit der Situation entlang der kanadischen Grenze. So berichtet Human Rights Watch, dass bei Einwanderungsangelegenheiten Kinder weiterhin unbegrenzt festgehalten werden; und zwar in prekären Einrichtungen, die ihre Rechte verletzen (Human Rights Watch, 2021). Neben den physischen Herausforderungen solcher Rahmenbedingungen kommt hinzu, dass diese Kinder mit schwerwiegenden Verletzungen ihrer Privatsphäre sowie eingeschränktem Zugang zu medizinischer Versorgung konfrontiert sind, aber auch ihrer Bildungschancen beraubt werden (Human Rights Watch, 2021). 

Die Gewährleistung der Kinderrechte: Internationale Richtlinien

Die Präambel der KRK hebt mit gezielten Paragraphen die Bedeutsamkeit von Familie und Gemeinschaft hervor, welche die „harmonische Persönlichkeitsentwicklung“ des Kindes sicherstellt (UN Committee on the Rights of the Child, 2021). Die Konvention geht noch weiter, indem sie ausdrücklich das Kindesrecht auf Nicht-Diskriminierung (Artikel 2) und Berücksichtigung des Kindeswohls schützt (Artikel 3) (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Insbesondere bekräftigte nochmals eine Reihe von Artikeln kollektiv, dass Kinderrechten von elterlicher Seite Rechnung getragen werden muss, soweit dies möglich ist (Artikel 7) und das Recht der Kinder, in einem familiären Umfeld aufzuwachsen, welches die Gemeinschaft von Kindern, Eltern und Großfamilie priorisiert (Artikel 18). Wo alternative Fürsorge erforderlich ist, sagen Artikel 20 und 21 unmissverständlich aus, müssen sämtliche kindesbezogene Entscheidungen auf der Grundlage des Kindeswohls getroffen werden (UN Committee on the Rights of the Child, 2021).

Über die  KRK hinaus bieten die Richtlinien für Alternative Fürsorge einen Orientierungsrahmen für den Schutz von Kindern in Betreuung. Diese Empfehlungen fußen auf der Bedeutung von Notwendigkeit und Eignung und betonen, dass alternative Fürsorge sowohl der letzte Ausweg als auch maßgeschneidert auf jedes einzelne Kind sein sollte (Committee on the Rights of the Child, 2021).

Für behinderte Kinder verankert das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BRK) die universalen Prinzipien der Nicht-Diskriminierung (Artikel 3), des Wohls des Kindes (Artikel 7), des Rechts auf Identität (Artikel 18), des Rechts auf gleichberechtigtes Gemeinschaftsleben und des eigenständigen Lebens (Artikel 19) sowie des unveräußerlichen Rechts auf ein Familienleben (Artikel 23). Zusammengenommen verhindern diese Bestimmungen, dass Kinder mit Behinderungen diskriminiert werden, und sorgen dafür, dass sie ein normales Leben führen können.

Die nächsten Schritte zum Nutzen der Kinder

Ergänzend zur Implementierung internationaler Rahmenbedingungen und Richtlinien müssen Länder proaktiv arbeiten, um die Kernursachen anzugehen, die Kinder von ihren Eltern trennen (Hope and Homes for Children, 2021). Zusammen können gemeinschaftlich geführte Interventionen, welche lokale Hilfsstrukturen befürworten, und von Menschen angeleitete Interventionen die Anzahl an Kindern verringern, die zu einer Heimunterbringung gezwungen werden.

Bestehende Geldmittel sollten von veralteten Einrichtungen zu einem System familiärer Unterstützung umgeleitet werden (Hope and Homes for Children, 2021). Dies wird den zweifachen Nutzen hervorbringen, Kinder einerseits in ihren Gemeinschaften verbleiben zu lassen und andererseits Menschen von Waisenhaustourismus und Freiwilligenarbeit abzuschrecken (Hope and Homes for Children, 2021).

Die schwache und exponierte Situation von Kindern könnte dazu führen, dass sie in Pflegeinstitutionen Opfer von moderner Sklaverei und Kinderhandel werden (Hope and Homes for Children, 2021).  Staaten müssen speziell daran arbeiten, jegliche immigrationsbezogene Schutzhaft von Kindern zu beendenund sich dafür einsetzen, dass  unbegleitete Minderjährige vorzugsweise bei Verwandten, anstatt in Pflegeheimen untergebracht werden (Human Rights Watch, 2021). Nur durch Vermeidung von Heimeinweisungen kann das Wohl der Kinder wirklich gewahrt werden.

Humanium setzte sich stets für eine Welt ein, in der Kinderrechte respektiert und geschützt werden und in  der kein Kind jemals die Konsequenzen einer  Kinderheirat erleidet. Entdecken Sie, wie man sich für Kinderrechte einsetzt, schließen Sie sich unsere Community an, interagieren Sie mit unserer Arbeit, und verbreiten Sie die Botschaft über unsere Webseite, Facebook-Seite oder Newsletter!

Verfasst von Vanessa Cezarita Cordeiro

Übersetzt von Patrick R.

Korrektur gelesen von Beate Dessewffy

Für mehr Information: 

Children and young people in care 

Council of Europe’s recommendation on children’s rights and social services friendly to children and families Guidelines for the alternative care of children 

Rights of children in institutions 

Securing children’s rights: A guide for professionals working in alternative care 

Quellenverzeichnis: 

Council of Europe. (2021, June 1). “Regional discussion on children’s rights and alternative care Council of Europe’s contribution to the UNCRC day of general discussion 2021.” Retrieved from Council of Europe, accessed 19 October 2021. 

Hope and Homes for Children. (2021, June 29). “Written submission from Hope and Homes for Children to the UN Convention on the Rights of the Child Day of General Discussion: „Children’s Rights and Alternative Care.“ Retrieved from Hope and Homes for Children, accessed 19 October 2021. 

Human Rights Watch. (2021, June 30). “Children’s rights and alternative care submission to the Committee on the Rights of the Child regarding children’s rights and alternative care.” Retrieved from Human Rights Watch, accessed 19 October 2021. 

UN Committee on the Rights of the Child. (n.d). “Concept Note: 2021 Day of General Discussion Children’s Rights and Alternative Care.” Retrieved from United Nations Human Rights Office of the High Commissioner, accessed on 19 October 2021.